Predigt zu den Herrentagen aller Heiligen des Russischen und des Deutschen Landes (Röm. 2: 10-16; 5: 1-10; Mt. 4: 18-23; 6: 22-33) (03./10.07.2016)
Liebe Brüder und Schwestern,
die Niedersendung des Heiligen Geistes bildet die Grundlage für die kirchlichen Festtage zu Ehren aller nationalen, regionalen und lokalen Heiligen sowie aller Heiligen schlechthin, derer im Nachgang des Pfingstfestes feierlich gedacht wird. Die Gründung der Kirche war ja ursächlich für die Heiligung der Menschen. In der Kirche wird somit jeder, der es will, mit der Gnade des Heiligen Geistes erfüllt. Aber zu einem Tempel Gottes wird der Mensch nicht ohne sein bewusstes und ungezwungenes Mitwirken. Deshalb erwartet Gott, dass auf die von Ihm von oben herabgesandte Heilswirkung eine Bewegung in „Gegenrichtung“ erfolgt. Vor allem muss sich der Mensch bewusst sein, weshalb er Mitglied der Kirche ist. Mir ist es z.B. schon öfters vorgekommen, dass ein Orthodoxer in spe sagt (meist auf Zureden unserer frommen KirchgängerInnen), er wolle sich taufen lassen, um sein Schicksal zu verändern (fehlt nur noch der „Fachbegriff“ Karma), also körperlich gesund zu werden bzw. die seit Jahren anhaltende Pechsträhne zu beenden. Bisweilen erklären mir auch junge russische Frauen mit glänzenden Augen, ihr deutscher Verlobter habe nichts dagegen, im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft den orthodoxen Glauben anzunehmen. All diese Menschen glauben wohl, sie täten Gott damit einen Gefallen. Aber kann sich der Glaube an die heiligende Kraft des Heiligen Geistes auf solchen Prämissen gründen? Stellen Sie sich vor, eine Gruppe von seit Tagen verschollenen Bergsteigern wird endlich von einem Rettungshubschrauber gesichtet: sie werden doch in dem Moment, da sie mit der Seilwinde an Bord gelangen, nicht auch noch erwarten, dass ihre sonstigen (familiären, gesundheitlichen, beruflichen oder finanziellen) Probleme gelöst werden! Die Leute werden sich glücklich schätzen, überhaupt mit dem Leben davongekommen zu sein. Und sie werden zuvor kaum vom Bergungsteam zu hören bekommen haben: „Achtung, Achtung, hier spricht die Bergwacht! Hätten Sie was dagegen, gerettet zu werden?“...
Wer sich für den Glauben entscheidet, sollte schon wissen warum. Die hessische Prinzessin Elisabeth (1864-1918) nahm den orthodoxen Glauben aus ganzem Herzen an, als sie den Großfürsten Sergej Alexandrowitsch, den Onkel des zukünftigen Zaren, heiratete. Die Glitzerwelt der Entourage des Zarenhofes interessierte sie dabei nicht im geringsten. Nachdem ihr Mann 1905 bei einem Attentat ums Leben kam, gründete sie aus ihrem Vermögen das Martha-Maria-Kloster und widmete sich dem Leid der Armen. Als nach Ausbruch des 1. Weltkriegs eine Hiobsbotschaft nach der anderen von der Front kam und die Versorgungslage im Lande katastrophal war, wurde auch sie mit ihrer Schwester zum Dank angefeindet und als „die Deutsche“ verunglimpft. Als die Revolution kam, wurde sie, der „Engel der Armen“, verhaftet. Trotzdem wandte sie sich nicht mehr rückwärts und starb mit anderen Angehörigen der Zarenfamilie den Märtyrertod in einem Schacht im Ural. Tage nachdem diese gemeinsam in die Tiefe gestoßen worden waren, hörten vorbeikommende Bewohner von Alapaewsk die Lobgesänge der Äbtissin, welche, selbst schwer verletzt, die Wunden ihrer Schicksalsgenossen verarztete. Ihre Liebe zu Christus war stärker als alles andere in dieser Welt.
Alexander Schmorell (1917-1943) wäre dem Fallbeil entgangen, hätte er seine Mitwirkung in der „Weißen Rose“ öffentlich bedauert. Eine Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft hätte für ihn bedeutet, dass er in zwei Jahren frei gewesen wäre. Doch aus seiner Sicht gab es nichts zu „bereuen“, weil er sich nach Empfang der Heiligen Gaben in der Todeszelle für das ewige Leben entschieden hatte. Sein ganzes Handeln war von festen Glaubensgrundsätzen motiviert und vollkommen mit seinem christlichen Gewissen vereinbar – da konnte es kein zurück mehr für ihn geben (s. Lk. 9: 62).
Wer so glaubt, der legt sein persönliches (irdisches) Schicksal vollkommen in Gottes Hand. Für ihn gibt es keine Wünsche mehr für dieses Leben. Folgerichtig wird so einer nicht an Gottes Vorsehung zweifeln, wenn Ereignisse von schwerwiegender gesellschaftspolitischer Tragweite eintreten, denn er weiß, dass Gott über allem Seine schützende Hand hält. Der wahre Krieger Christi sieht das Ziel seines Bestrebens in der Verwirklichung des Reiches Gottes, das nicht von dieser Welt (s. Joh. 18: 36) ist, sondern im Inneren des Menschen zur Entfaltung kommt (s. Lk. 17: 21). Hier fehlt gänzlich jegliche globale Komponente. Der endgültige Sieg Christi wird sogar erst dann eintreten, wenn das Reich des Antichristen auf Erden seinen Höhepunkt erreicht haben wird. Erst dann wird der Menschensohn „mit Seinen Engeln in der Hoheit Seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen“ (Mt. 16: 27). All jene, die – mit welchen Absichten auch immer – durch politische oder militärische Maßnahmen ein Reich Gottes auf Erden installieren wollen, können demnach nicht auf dauerhaften Erfolg hoffen. Der hl. Isaak der Syrer sagte einmal, ihm würde es nichts bedeuten, tausende Menschen durch seine Worte zum Glauben zu bringen, wenn er zuvor selbst nicht die Reinheit in seinem Herzen erlangt habe. Ist das Herz aber durch die Gnade des Hl. Geistes gereinigt, dann werden Tausende gerettet werden (hl. Seraphim von Sarov).
Dieses Reich Gottes wird für uns auf Erden zugänglich in der Göttlichen Liturgie, wo sonst? Die Taufe ist, gewissermaßen, die Eingangstür zu diesem Mysterium. Wie betrüblich es doch ist, wenn Menschen zwar getauft werden, danach aber nicht im geistlichen Leben voranschreiten wollen, stattdessen jedoch erwarten, dass sich als Gegenleistung für den Gott erwiesenen „Gefallen“ ihr Gesundheitszustand schlagartig verbessert oder ihr Bankkonto quasi über Nacht von selbst anwächst. Und das sind beileibe keine Einzelfälle!
Demnach muss es für uns als christliche Gemeinde ein absolut vorrangiges Ziel geben: wir müssen in der Göttlichen Liturgie zu einem Leib zusammenwachsen! Leider ist es bei uns aber immer noch so, dass wenn die Liturgie in absoluter Stille beginnen soll, im Chor noch die letzten technischen Details besprochen, auf dem Gang vor dem Kirchenraum noch reges Treiben herrscht, einige im Innenraum der Kirche noch herumgehen und ihre Bekannten begrüßen, andere just in diesem Moment Ikonen küssen oder Kerzen aufstellen. Es müsste aber so sein, dass schon das aufmerksame Vernehmen der Horen der eingehenden Vorbereitung auf die Göttliche Liturgie dient, in der sich alle Anwesenden zusammen im inbrünstigen Gebet zu Gott vereinen. Leider gehen die Stundengebete (wie auch die Dankesgebete nach der heiligen Kommunion) im Getuschel der eigentlich zu Andachtszwecken Versammelten unter. Auch Sportler können sich nicht ohne Aufwärmen in den Wettkampf stürzen.
Zu Beginn der Liturgie beten wir zunächst durchaus noch um irdische Dinge: um den Frieden, für unsere Obrigkeit, unsere Heimat, um Überfluss an materiellen Dingen, um persönliches Wohlbefinden etc. Doch das ist nur der Einstieg in das Gebet, das eine immer weitere Steigerung erfährt. Es folgt die Verkündigung des göttlichen Wortes in den Schriftlesungen, bevor mit dem Cherubim-Hymnus der eucharistische Kanon eingeläutet wird. Hierbei müssen wir uns jederzeit dessen bewusst sein, dass wir „die Cherubim im Mysterium darstellen“, wie schon zuvor der kleine Einzug ein „Einzug heiliger Engel“ gewesen ist, welche mit uns zusammen diesen Gottesdienst feiern und Gottes Güte lobpreisen (s. priesterliches Gebet während des Einzugs). Welch eine unvorstellbare Ehre für uns, mit zehntausenden von Engeln und tausenden von Erzengeln, zusammen mit den Gottes Thron umgebenden Seraphim und Cherubim die Liturgie vollziehen zu dürfen!!! … Was aber, wenn wir in diesem Augenblick gedanklich im Büro, auf dem Sportplatz oder in der Diskothek sind?! Was, wenn während der Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi vor unseren geistigen Augen gerade der gestrige Spielfilm abläuft? - Dann werden die Engel ohne uns dieses Gotteslob vollenden. Gott wird daran keinen Schaden nehmen – wir aber umso mehr. Gleiches gilt für den Priester, der zusammen mit der Gemeinde (und niemals ohne sie) diesen Dienst leistet.
Daraus folgt also, dass die Göttliche Liturgie unentwegt ihre Heilswirkung besitzt, - und zwar für die ganze Welt, - wir aber alle nur erdenklichen Anstrengungen unternehmen müssen, wirklich Teilnehmer dieses Wunders aller Wunder (hl. Johannes von Kronstadt) zu sein – mit Leib und Seele! Denn den absoluten Höhepunkt bildet unsere Teilnahme am Abendmahl des Herrn!
Lasst uns aber zuvor alle irdischen Sorgen beiseite legen! Dann wird auch ein Eskimo oder ein Hottentotte, den es zufällig in unsere Kirche verschlägt, zunächst nicht wissen, ob er sich im Himmel oder auf der Erde befindet. Und dann werden auch unsere irdischen Bedürfnisse, die dem Himmlischen Vater ohnehin nicht verborgen sind (s. Mt. 6: 32), befriedigt werden. Amen.