Predigt zum 11. Herrentag nach Pfingsten (1. Kor. 11: 2-12; Mt. 18: 23-35) (04.09.2016)
Liebe Brüder und Schwestern,
die heutige Lesung beginnt mit den Worten, die der Herr Seinen Gleichnissen des öfteren voranstellt: „Mit dem Himmelreich ist es (...) wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen“ (Mt. 18: 23). Wie sich zeigen wird, ist es hier zu einem besseren Verständnis ganz besonders lohnenswert, sich in die Details dieses Gleichnisses zu vertiefen, damit wir genügend Anhaltspunkte bei unserer intensivierten Suche nach dem Weg zum Himmelreich finden.
Da ist die Rede von einem Mann, der seinem Herrn 10.000 Talente schuldig ist. Das Talent ist eine Gewichtseinheit. Ein Talent (Gold, Silber, Kupfer) betrug zu biblischen Zeiten etwa 60 kg. Von König Salomon ist bekannt, dass er von seinen Vasallen 666 Goldtalente im Jahr einsammelte (s. 3. Kön. 10: 14)! Und nun schuldet einer seinem König 10.000 Talente!!!.. Das ist eine Summe, die der Mann auch in tausend Jahren nicht zurückzahlen kann. Stimmt also in dieser Parabel wirklich noch die Relation zu unserer Sündhaftigkeit vor Gott?
Wir sind doch in unserer Mehrheit gewiss keine bösen Menschen und begehen keine ganz schweren Sünden (z.B. Gotteslästerung, Mord, Ehebruch). Und trotzdem sollen wir mit einem Habenichts vergleichbar sein, der eine astronomische Schuld zu begleichen hat?! Zugegeben, aus menschlicher Sicht ist das nur schwer nachvollziehbar. Doch aus Gottes Sicht renkt sich alles wieder ein. Wir sind ja nicht im juristischen Sinne Schuldner Gottes: für dieses oder jenes Vergehen ist nach § X, Abs. Y diese oder jene Strafe vorgesehen. Die irdische Gesetzgebung stößt da an ihre Grenzen: ein Dieb kann den entstandenen Schaden evtl. wiedergutmachen, aber ein Mörder? Im Himmelreich gelten andere „Gesetze“: Gott hat uns nicht weniger als unsere Seelen mit ihren einzigartigen Eigenschaften und Fähigkeiten anvertraut, die an anderer Stelle mit Talenten verglichen werden (s. Mt. 25: 14-30). Und die Seele auch nur eines Menschen ist nach den untrüglichen Worten des Herrn mehr wert als alle Reichtümer dieser Welt zusammengenommen (s. Mt. 16: 26 u. Mk. 8: 36-37). Und wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet: wie viel Mittel, Zeit, Energie wenden wir Menschen für das Seelenheil auf? Ist unser Herz wirklich bei Gott – und ist damit unser Schatz, aus dem wir unsere Schuld begleichen könnten (s. Mt. 6: 21 u. 12: 34), wirklich in himmlischer Währung angelegt?! Was aber ist, wenn Gott unseren Wechselkurs nicht akzeptiert? Wir mühen uns zwar irgendwie ab – fasten, beten, gehen zur Kirche – doch sind wir mit Herz und Verstand ganz woanders. Sogar das „Vater unser“ wird oft genug einfach so herunter gerattert. So sammelt man keine himmlischen Schätze.
Im Grunde genommen haben wir durch unsere Verstrickung in irdische Angelegenheiten, durch die widerstandslose Gefangennahme durch sündhafte Leidenschaften und durch einen vom spirituellen Aspekt her völlig sinnentleerten Verstand noch nicht einmal den Vektor in Richtung Himmelreich eingestellt. Im Deutschunterricht, Gymnasium Bayern, 6. Klasse würde das bedeuten: „Sechs, setzen! Versetzung gefährdet, Raaahr.“
Müssen wir nun also alle verzweifeln? - Nein! Gott kennt unsere Schwäche. Er gibt uns die Möglichkeit, Buße zu tun und unsere Schulden, wenn schon nicht zurückzuzahlen, so doch aber gnädig erlassen zu bekommen. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Der Mann aus der Parabel erfüllt (formal) den ersten Part: er hofft nicht einmal auf Erlassung der Schulden, sondern bittet nur um Aufschub. Er legt den festen Vorsatz an den Tag, alles wieder ins Reine bringen zu wollen. Sein Herr sieht diese gute Absicht und vergibt ihm die ganze Schuld. Doch als dieser Diener seinem Kameraden dessen geringe Schuld nicht erlassen will, erweist sich, dass seine Reue vor dem Herrn nur aufgesetzt war. Wie kann einer, dem gerade Milliardenschulden erlassen worden sind, von seinem bedürftigen Kumpel noch die läppischen paar Kröten zurückfordern, die dieser sich vielleicht für Medikamente für seine kranke Frau bei ihm geliehen hat?! Hier ist kein Dank, keine Spur des Bewusstseins, als eigentlich Schuldiger der gerechten Strafe entgangen zu sein. Er müsste doch vom Glücksgefühl ergriffen sein und nun ebenfalls allen anderen Gutes tun wollen. Wir kennen doch alle diese Gnade, wenn wir z.B. in der Beichte die Vergebung unserer Sünden bekommen haben und am liebsten die ganze Welt umarmen würden... Dieser Mann aber handelt vollkommen entgegengesetzt. Seine Gesinnung des Herzens zeugt davon, dass die Ehrfurcht vor Gott berechnend und die Liebe zum Mitmenschen nicht aufrichtig war. Und wie will so einer in das Himmelreich gelangen? - Womit wir wieder beim Anfang unseres Gleichnisses wären.
Dort, im Himmelreich, gibt es nichts Unreines. Wenn ich hier auf Erden geizig, neidisch, boshaft, unversöhnlich etc. war, werde ich es auch nach meinem Ableben sein. Im Himmelreich werden aber nur Heilige sein – Menschen wie du und ich, die entweder ein ganzes Leben nach Heiligkeit gestrebt haben oder sich wenigstens noch rechtzeitig durch (aufrichtige, nicht bloß formale) Buße von diesem Ballast befreit haben.
Wenn ich das nicht kapiere, dann droht mit das Schicksal des unbarmherzigen Gläubigers: „In seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe“ (Mt. 18: 34). Dabei weiß ich doch, dass mein Himmlischer Vater für uns alle bevorzugt die erste Variante wünscht und sich nach unserer Buß- und Versöhnungsbereitschaft sehnt. Widrigenfalls wird Er für uns jedoch die Maßstäbe der Gerechtigkeit anlegen, die wir selbst in Bezug auf andere in diesem zeitlichen Leben offenbart haben (s. Mt. 18: 35). Amen.