Predigt zum 2. Herrentag der Großen Fastenzeit - Hl. Gregorios Palamas (Hebr. 1: 10 - 2: 3; Mk. 2: 1-12) (12.03.2017)
Liebe Brüder und Schwestern,
schon ist die zweite Woche der Fasten vorüber, und ich wünsche Ihnen allen, dass Sie die Freude dieser mit nichts vergleichbaren geheiligten Zeit auskosten. Da ich von Amts wegen während der "Reinen Woche" (der ersten der Großen Fastenzeit) das Glück hatte, alle vom Typikon vorgeschriebenen Gottesdienste kirchlich feiern zu dürfen, kam mir der Gedanke, wie glücklich meine orthodoxen Vorfahren doch einst gewesen sein müssen, dass sie an diesen geistlichen Schätzen der byzantinischen Hymnographie ungehindert teilhaben konnten und durften. Sofort dachte ich an Ivan Schmelevs "Jahr des Herrn" ("Лето Господне"), wo geschildert wird, wie diese landesweit arbeitsfreien Tage auf dem Dorf in einem damals noch christlich geprägten Milieu abliefen. Die langen Gottesdienste mit Gesängen und Lesungen erfüllt von Bußcharakter, die zahlreichen Metanien und immer wieder das Gebet des hl. Ephraim - das alles drückt das kennzeichnende Grundprinzip des Fastens aus: die Versöhnung mit dem Himmlischen Vater durch den Kampf gegen die sündigen Leidenschaften. Nach diesen die Seele tief berührenden Momenten der inneren Einkehr spürt man die beflügelnde Gnade und fühlt sich an die Worte des Apostels erinnert: "Wer die Sünde tut, stammt vom Teufel: denn der Teufel sündigt von Anfang an. Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde, weil Gottes Same in ihm bleibt. Er kann nicht sündigen, weil er von Gott stammt" (1. Joh. 3: 8-9). Tatsächlich ist in diesen Tagen der Hang zur Sünde wie verflogen, denn man spürt die Süße der Versöhnung und der wiederhergestellten anfänglichen Gemeinschaft mit dem Herrn. Wenn dieser Zustand doch nur dauerhaft anhalten könnte!.. Aber leider können wir nicht permanent den Gottesdiensten in der Kirche beiwohnen und nicht jedem von uns ist es beschieden, ständig auf dem Athos zu weilen. Doch von dort, vom Heiligen Berg, haben wir für alle Zeiten ein Hilfsmittel bekommen, das unser ständiger Begleiter in den nun folgenden Tagen und Wochen sein kann - das Jesus-Gebet: "Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, des Sünders!" - Es hilft uns, immer die "Funkverbindung" zu unserem Herrn aufrecht zu erhalten, wie es der hl. Paisios - als junger Mann selbst Funker im Krieg, und der Überlebensnotwendigkeit einer ständigen Verbindung zur Kommandozentrale bewusst, - es ausdrückt. Wir können demzufolge immer mit dem Herrn sein - auch und gerade, wenn um uns herum Mörsergranaten einschlagen. Unsere Sorgen und Nöte sollen uns nicht daran hindern - im Gegenteil! - Ein junger Mönch hatte einst so viele Anfechtungen, dass er sich ganz in das Jesus-Gebet flüchtete. Als ältere Mitbrüder bei ihm eine für sein Alter ungewöhnliche Reife des unnachlässigen Herzensgebets entdeckten, fragten sie ihn, wer ihm das in Ermangelung eines Starzen beigebracht habe. Die Antwort war: "Die Dämonen".
Aus gegebenem Anlass gedenkt die Kirche heute des hl. Gregor Palamas, des Erzbischofs von Thessaloniki, welcher, selbst über 20 Jahre lang Hagiorit, zum Verfechter der hesychastischen Gebetspraxis wurde. Seine Verteidigung der Lehre von der physischen Wahrnehmung der ungeschaffenen Energien Gottes aufgrund der Teilnahme an den göttlichen Mysterien und einer asketischen Lebensweise wurde vom Konzil 1341 in Konstantinopel bestätigt und kirchlich sanktioniert. Darüber hinaus wurde der hl. Gregorios Palamas in den letzten 16 Jahren seines Lebens als unermüdlicher Nacheiferer Christi und beispielhafter Hirte seiner Schafe zu einem Vorbild für alle Seelsorger im Weinberg des Herrn. An seinem Lebenslauf erkennt man, wie sehr man als Diener Gottes durch die Sorge um das Seelenheil der anvertrauten Herde in Anspruch genommen sein muss. Es war ja der Herr Selbst, Der allen Seinen Nachfolgern den Weg wies: Er war von der ununterbrochenen Verkündigung des Reiches Gottes bis in die entlegensten Winkel des Landes so sehr ermüdet, dass Er nach den Reisestrapazen Rast am Brunnen Jakobs machen musste (s. Joh. 4: 6) und im Boot mitten auf dem See einschlief (s. Mt. 8: 24; Mk. 4: 38; Lk. 8: 23; vgl. Phil. 2: 7). Er konnte Seine Ressourcen nicht auch noch für andere, scheinbar unerlässliche Dinge, verschwenden (s. Lk. 4: 43; 12: 13-14), denn "nur eines ist notwendig" (Lk. 10: 42). Das ewige Leben ist unendlich wichtiger als das zeitliche (s. Mk. 2: 9-12), genauso wie die Ewigkeit das Zeitliche unendlich übertrifft. Warum sonst sagt der Herr nicht zu dem Gelähmten: "Mein Sohn, ich mache dich wieder gesund!", sondern: "Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!" (Mk. 2: 5b)?!.. - Weil es Ihm nur darauf ankommt, unsere Seelen zu retten! Irdisches Leid wird von Gott zugelassen, damit die Menschen über dessen wirklichen Ursachen nachdenken und wieder auf den Weg der Gemeinschaft mit Gott zurückfinden. Aber sagen Sie das mal denen, die nur im Unglücksfall zur Kirche finden! Wenn sie vom Zusammenhang zwischen Sünde und irdischem Leid und von der Notwendigkeit der Buße vor Gott hören, gehen sie enttäuscht nach Hause und suchen Hilfe egal bei wem. Daher dürfen die wahren Verkündiger des Glaubens nicht der Versuchung verfallen, mit dem in reichen Ländern gesammelten Geld Missionsstationen in anderen Erdteilen zu gründen oder soziale Projekte in Armenviertel im eigenen Lande zu fördern, um durch Linderung der materiellen Not auf Seelenfang zu gehen (s. Apg. 6: 2). Das hat schon im vorrevolutionären Sibirien nichts gefruchtet (s. Leskovs "Am Ende der Welt"). Es ist im Wesentlichen ja nur ein Herumdoktern an den Symptomen, ohne nachhhaltige Wirkung. Diese Strategie zahlt sich womöglich kurzfristig aus, aber nach Befriedigung der ersten leiblichen Bedürfnisse könnten womöglich weitere materielle Begierden geweckt werden, die den Hunger nach wahrer geistlicher Nahrung überlagern. Im Grunde ist diese (wohlgemeinte) Betätigung nur das Feigenblatt einer globalisierten Ungerechtigkeit unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe, wobei sich die Unterdrücker und Ausbeuter gerne als Wohltäter der Mittellosen und Unterdrückten rühmen lassen (s. Lk. 22: 25). Ohne die vom Heiligen Geist inspirierte Theologie und ohne sakramentale Stärkung wird man die nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden mittelfristig nicht sättigen, und höchstens eine Illusion des Seelenheils bieten können. Stattdessen erstickt das von einer beispiellosen Vergnügungssucht befeuerte Streben nach irdischem Wohlergehen, gefördert durch eine gigantische Unterhaltungsindustrie, den Samen des Glaubens (s. Mt. 13: 22; Mk. 4: 19; Lk. 8: 14). Gleichwohl wird sich langfristig in Gottes Vorsehung weltweit der wahre Glaube durchsetzen, bevor das festgesetzte Ende der Zeit kommen wird (s. Mt. 24: 14; Mk. 13: 10). Es wird wohl so sein, wie in der Urkirche, als die Saat des Glaubens ohne Unterstützung weltlicher Mächte im Untergrund eines hedonistischen Gesellschaftsmodells aufging und zur Blüte des Christentums führte. Jedoch herrscht Bedarf an Erntehelfern auf dem Acker des Herrn (s. Mt. 9: 37-38; Lk. 10: 2). Nicht zufällig wurden dem Gelähmten aufgrund des Glaubens seiner Gefährten (s. Mk. 2: 5a) dessen Sünden verziehen, was die heiligende Kraft der kirchlichen Gemeinschaft (vgl. 1. Kor. 12: 12-27) im Gegensatz zur sturen Besserwisserei einer individualistischen Unverbindlichkeit ("jeder glaubt doch auf seine Weise!") versinnbildlicht. Auch hier blicken wir auf den hl. Gregorios Palamas, welcher durch seine Lehre und sein Leben bis heute die Empfänglichkeit der menschlichen Seele für die Gnade Gottes in der Kirche bezeugt. Somit ist das leuchtende Vorbild dieses Kirchenvaters, der uns vor allen Dingen das Beten lehrt, auch Wegweiser für uns, die wir heute wie seit jeher alles zu unserem Heil Erforderliche besitzen.
Beim Beten kommt es, wie übrigens auch beim Fasten, nicht auf die peinlich genaue Erfüllung einer gesteckten Norm an. Unser Typikon ist bekanntlich in Klöstern für Mönche verfasst, und kann folglich nicht 1:1 von uns Weltkindern übernommen werden. Äußere Regeln bieten aber eine Orientierungshilfe, die jeder gemäß seiner individuellen Möglichkeiten befolgen soll, um an sein Ziel zu gelangen - die Gemeinschaft mit Christus. Auch wenn Regeln niemals Selbstzweck sind, würde ganz ohne sie sonst das Chaos ausbrechen (wie im Straßenverkehr). Manch Kleinmütigen schrecken eherne Gesetze ohnehin nur ab. Entscheidend ist aber nur die Herstellung der lebendigen Gemeinschaft mit dem Herrn (der Theotokos, den Engeln und Heiligen), die durchaus auch dann erreicht werden kann, wenn man, sagen wir mal, zunächst nur zwei oder drei Gebete, diese dafür aber im vollen Bewusstsein und in Demut vorträgt. Und dann ist ja nicht ausgeschlossen, dass jemand, der die Freude dieser Gemeinschaft auf dem ihm zugänglichen spirituellen Niveau gekostet hat, auch gleich noch weitere Gebete voller Inbrunst nachfolgen lassen wird. So wird die Vorbereitung zum Empfang der Heiligen Gaben zur Freude statt zur Plage. Und so können wir alle letztlich einen weiteren kleinen Schritt in unserem geistlichen Leben respektive Richtung lichte Auferstehung des Herrn machen. Amen.
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2017
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