Predigt zum 5. Herrentag der Großen Fastenzeit - Hl. Maria von Ägypten (Hebr. 9: 11-14; Mk. 10: 32-45) (02.04.2017)

Liebe Brüder und Schwestern, der heutige Gedenktag zu Ehren der hl. Maria von Ägypten markiert den Endpunkt der vertieften geistlichen Vorbereitung auf die Große Woche, die mit zwei Festtagen - dem Lazarus-Samstag und dem Einzug des Herrn in Jerusalem angekündigt bzw. eingeleitet wird. Auch in der heutigen Lesung aus dem Markus-Evangelium steht die Ankündigung der Leiden des Herrn und Seiner Auferstehung nach drei Tagen im Mittelpunkt. Noch versteht niemand, was es bedeutet, dass der Menschensohn nach drei Tagen auferstehen wird (s. Mk. 10: 34). Obwohl der Herr Seine Jünger etymologisch vor keine unlösbaren Rätsel stellt, übersteigt die leibliche Auferstehung das faktische Vorstellungsvermögen der Jünger, denn auch nachdem der Herr Lazarus vor ihren Augen auferweckt haben wird, werden sie immer noch nicht an Seine Auferstehung glauben können, selbst als sie den Gekreuzigten vor sich sehen werden (s. Lk. 24: 41). Daher dringt die heute gelesene Ankündigung nicht in den Kopf und die Herzen der Jünger, die ohnehin mit was anderem beschäftigt sind (s. Mk. 10: 35-37). Auch in unseren Herzen darf in diesen Tagen nichts Christus und Seine Leiden überlagern, die für uns auch an den übrigen Tagen des Jahres (vor allem an Mittwochen und Freitagen) im Vordergrund stehen sollen, denn Er nimmt das alles auf Sich, um uns von der Sündenlast und vom Tode zu befreien - und um uns ewige Glückseligkeit zu schenken. Das in seiner Tragweite zu erkennen und gebührend zu würdigen ist nun unsere vordringlichste Aufgabe. Aber wie sollen wir das anstellen, wenn wir uns nicht im ausreichendem Maße als Sünder begreifen?!.. Da es uns nunmal an dieser reumütigen Selbsterkenntnis über alle Maßen mangelt, bietet uns die Heilige Kirche das Beispiel der hl. Maria von Ägypten zur Nachahmung an. Und wir begreifen: je größer unsere Bußbereitschaft, desto umfangreicher die uns gewährte Gnade Christi, - so lautet die simple Gleichung in diesen verantwortungsvollen Tagen. Es geht also darum, dass "wir unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen" (Hebr. 9: 14). Es ist ein lebendiger Gott, Dem wir dienen wollen! Solches tat nach ihrer Bekehrung die hl. Maria von Ägypten (+522) mit aller Konsequenz durch ein Leben in unvorstellbarer Enthaltsamkeit unter extremsten äußerlichen Voraussetzungen. Für einen Außenstehenden erstaunlich: sie erreichte damit am Ende ihrer Tage die höchste Stufe der Glückseligkeit! Gekrönt wurde ihr derartiger Lebensweg durch den Empfang der Heiligen Gaben aus den Händen des hl. Zosimas just an dem Tag, an dem der Herr Jesus Christus das Mysterium der Eucharistie eingesetzt hatte. Jedoch sind Opfer und Entbehrungen nur für sich genommen Gott nicht gefällig (s. Ps. 50: 18-19; Jes. 1: 11; Jer. 6: 20; Hos. 6: 6; Am. 5: 21-24 u.v.m.). Vielmehr hat das Beispiel Marias in spiritueller Hinsicht Vorbildcharakter für uns, denn ein Mensch kann doch nicht über 40 Jahre in völliger Isolation verbringen, ohne verrückt zu werden. Aber Maria war nicht nur nicht verrückt, sondern war weise und vollbrachte Wunder - Frucht der ungetrübten lebendigen Gemeinschaft mit Gott! Und der beste Beweis der Existenz Gottes ist für uns Gläubige immer noch unsere persönliche Gotteserfahrung! Jeder, der intensiv betet, mit ganzem Herzen an Gottesdiensten teilnimmt, der aufrichtig beichtet und die Heiligen Gaben würdig empfängt, weiß doch, wovon hier die Rede ist. In dieser (nicht ganz maßstabsgetreuen) Analogie bestärkt auch uns das Beispiel der hl. Maria. Denn wer mit Christus ist, der ist immer glücklich - in der Wüste, im Packeis, auf dem Mond oder im KZ. Am ersten Samstag der Fastenzeit sangen wir noch: "Inmitten des Feuers frohlockte der heilige Märtyrer Theodoros wie im Wasser der Erquickung". Die alten und neuen Glaubenszeugen, wie z.B. der letzte Starez von Optina Archimandrit Nikon (Beliaev, +1937), die unvorstellbaren Grausamkeiten ausgesetzt waren, konnten ihr Glück während ihres Martyriums nicht fassen - so nahe war ihnen Christus in dieser Zeit! In der "guten alten Zeit" vor 1917 hingegen war das für den hl. Nikon und viele andere in dieser Intensität selbst in der Einsiedelei nicht möglich gewesen; dort war er auf der Suche nach Christus, aber wirklich gefunden hat er Ihn erst hinter Stacheldraht im Solowki-Kloster, das zum "russischen Golgotha" umfunktioniert wurde. "Mein Glück kennt keine Grenzen!" - waren damals seine Worte. Archimandrit Ioann (Krestiankin, +2006), ein Heiliger unserer Zeit, erzählte von den fünf Jahren GULag (gegen Ende der Stalinzeit!), dass sie für ihn wie das Paradies gewesen waren. Auch mein Vater brach in Buchenwald und Dachau nicht zusammen, weil er ein kleines selbstgemachtes orthodoxes Holzkreuz als größten Schatz immer bei sich haben durfte. "Trotz all unserer Not bin ich von Trost erfüllt und ströme über vor Freude" (2. Kor. 7: 4), sagt noch einer, der wahrlich viele Anfechtungen zu erdulden hatte, denn das Reich Gottes ist "Friede und Gerechtigkeit im Heiligen Geist" (Röm. 14: 17). Ohne Christus geht man zugrunde, mit Christus aber befindet man sich unentwegt und allerorten an der Quelle des Glücks. "Glück" oder, kirchenterminologisch - "Seligkeit", hält das Leben für jeden in der Befolgung der Gebote bereit (s. Gen. 2: 17; Ps. 118: 1-176; Spr. 2: 1-22; Joh. 15: 10-11; 1. Joh. 3: 24). Das Problem dabei ist: wir bilden uns zwar ein, Gott und die Menschen zu lieben, nur an unseren Taten erkennen kann man es nicht. Das Streben nach Glück und Zufriedenheit gleicht in unserer Beziehung zu Gott allzu oft einer Einbahnstraße. Trotzdem: "Wer sucht, der findet" (Mt. 7: 7; vgl. Lk. 11: 9). Die Frage ist, wo und bei wem wir es suchen wollen! Ein orthodoxer Christ findet die Antwort auf diese Frage in der Großen und Heiligen Woche sowie in der Feier der lichten Auferstehung des Herrn. Amen.
Jahr:
2017
Orignalsprache:
Deutsch