Predigt zum 6. Herrentag nach Ostern / Gedächtnis des Blindgeborenen (Apg. 16: 16-34; Joh. 9: 1-38) (21.05.2017)
Liebe Brüder und Schwestern,
wieder einmal beschäftigt uns die wechselseitige Wirkung zwischen seelischer und körperlicher Gesundheit. Während die beiden aus den Evangelien bekannten Fälle von wiederaufgerichteten Gelähmten eher auf einen inneren Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit hindeuten (s. Mk. 2: 5-11; Joh. 5: 14), ist dieser bei dem heutigen Blindgeborenen definitiv nicht gegeben (s. Joh. 9: 2-3) und bei den Blinden von Jericho zumindest nicht erkennbar (s. Mt. 20: 29-34). Es wäre ja aus göttlicher und menschlicher Sicht ungerecht, einen Menschen bei seiner Geburt für etwas zu bestrafen, was er noch nicht verbrochen haben konnte. Aber bei den Blinden, die wieder sehen konnten (s. Mt. 20: 34; Mk. 10: 52; Lk. 18: 42-43), wird ersichtlich, dass der Glaube bzw. die anschließende Bereitschaft zur Nachfolge Christi ausschlaggebend für die Heilung ist. Das göttliche Vorauswissen des Grades unserer Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit ist auch entscheidend bei der Gewährung unserer Fürbitten.
So erweist unser heutiger Patient dem Herrn zunächst seine unerschütterliche Treue (s. Joh. 9: 33) und danach seine Dankbarkeit, - auch und vor allem nachdem er von seiner geistlichen Blindheit befreit worden ist (s. Joh. 9: 35-37). Hier sah der Herr voraus, dass sein Werk der Nächstenliebe Widerhall im Herzen des Geheilten finden würde. Er Selbst kam ja nicht, um bedient zu werden, sondern um Selbst unserem Heil zu dienen (s. Mt. 20: 28; Mk. 10: 45).
Nun will der Herr, dass wir die gleiche Dienstbereitschaft aufbringen, unsere geistliche Blindheit ablegen und Christus als Erlöser erkennen.
Der nun sehende Blindgeborene ist in meinen Augen ein schillerndes Beispiel für Treue, die aus dem Herzen kommt. Im Disput mit den Pharisäern verteidigt er beinahe unbekannterweise unseren Herrn, vermutlich, weil er es so empfindet, dass er seinem Wohltäter Dank schuldet. Er verspricht sich keine Vorteile davon - im Gegenteil: er wird von den Pharisäern auf übelste Weise beschimpft und weggejagt (s. Joh. 9: 34). Doch was ist diese Unannehmlichkeit im Vergleich zu dem auf wunderbare Weise geschenkten Augenlicht? Ebenso sind die Prüfungen und Entbehrungen eines Christen nichts in Anbetracht der ins ewige Leben führenden Erkenntnis des Sohnes Gottes (s. Joh. 6: 39; 17: 3). Gott hat ganz sicher keinen Gefallen an unserem Leid; gleichwohl ist dieses als Treuebeweis für uns unverzichtbar. Treue zeigt sich nunmal in der Not. Die Diener im Gleichnis von den anvertrauten Talenten werden zunächst auf ihre Treue in kleinen Belangen geprüft; zwei von ihnen können danach größerer Dinge gewürdigt werden (s. Mt. 25: 21; 23), während der faule Knecht für seine Untreue keinerlei Rechtfertigung findet - nicht einmal die Skrupellosigkeit seines Herrn (s. Mt. 25: 24-26) kann da als mildernder Umstand angesehen werden (vgl. 1. Petr. 2: 18). Nichts auf der Welt kann Treuebruch rechtfertigen.
Was schätzt man denn im Allgemeinen an einem Menschen: Verstand, Bildung, Begabung, Freundlichkeit, Manieren? - Aber was ist das alles im Vergleich zu bedingungsloser Treue?! Müssen uns manchmal vernunftlose Wesen (z.B. Hunde) erst vormachen, worauf es im Leben wirklich ankommt? Wer in religiösen, nationalen, familiären, beruflichen Dingen stets treu ist, auf den kann man sich jederzeit verlassen, auch wenn er nicht der klügste, talentierteste oder freundlichste von allen ist. Und umgekehrt, - was sind Reichtum, Schönheit, Macht, Ausstrahlung oder Begabung ohne ein treues Herz wert?.. Letztlich wird uns Gott an unserer Treue messen. Vergessen wir das nicht!
Als die Stadt Amorion im Jahre 845 von den Muslimen belagert wurde, entschloss sich einer der eingekesselten Parlamentäre zum Verrat, wofür ihm der Sultan großen Reichtum und einen hohen Posten versprochen hatte. Doch nach vollbrachter Untat ließ der Sultan den Verräter schmachvoll hinrichten, nachdem er bei nüchterner Betrachtung einsah: "Wenn dieser Kerl seinem Herrn und seinem Volk gegenüber treulos war, dann wird er es bei der nächstbesten Gelegenheit auch mir gegenüber sein"... Auch als Petersburger Studenten 1905 dem japanischen Mikado ein Glückwunschtelegramm zum Sieg über Russland schickten, kam postwendend die Antwort: "Bei uns würdet ihr dafür hängen!"
Treulosigkeit gegenüber Kirche, Vaterland, Familie, Freunden oder Arbeitgebern ist aber auch immer ein Verrat an der eigenen Person, da man sich selbst als Lügner entlarvt! - Hatte nicht ich aus freien Stücken, aus ganzem Herzen und aus voller Überzeugung Treue gelobt?!.. - Folglich ist jede Abkehr davon aufgrund innerer oder äußerer Verlockungen ein Schlag gegen meine eigenen Prinzipien und Überzeugungen. Opportunismus, Egoismus, Arglist, Hartherzigkeit und Bosheit werden unweigerlich zum Bummerang, dieweil "jeder, der etwas Gutes tut, es vom Herrn zurückerhalten wird" (Eph. 6: 8).
Dazu eine Parabel: Das Glück ging nachts auf der Straße spazieren und fiel in eine Grube. Dort kauerte es bibbernd vor Kälte bis zum Morgengrauen, bis der erste Passant kam. Das Glück fragte ihn: "Was willst du, um glücklich zu sein?" Der Mann antwortete: "Ich möchte viel Geld haben". Plötzlich entdeckte er einen Aktenkoffer mit großen Geldscheinen unterm Arm und ging hastig weiter seines Weges. Ein Zweiter kam vorbei und antwortete auf die gleiche Frage: "Ich will eine schöne Frau haben". Prompt wurde auch ihm sein Wunsch erfüllt, worauf er mit glänzenden, von seiner neuen Errungenschaft nicht ablassenden Augen von hinnen ging. Ein Dritter jedoch entgegnete dem Glück auf seine Frage folgendes: "Ich habe schon alles. Aber du scheinst Hilfe gebrauchen zu können. Komm, ich helfe dir da heraus!" Er reichte dem Glück seine Hand und zog es aus dem Loch heraus. Dann ging er wieder weiter die Straße entlang, und das Glück heftete sich an seine Fersen Amen.
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2017
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