Predigt zum 5. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 10: 1 - 10; Mt. 8: 28 - 9: 1) (01.07.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
Metropolit Anthony (Bloom) hatte gerade in London über die bei Predigern ungeliebte Austreibung der Dämonen aus dem Besessenen von Gerasa gepredigt, fuhr erleichtert nach Paris, wo eine andere Kalenderordnung befolgt wird, und hatte es prompt wieder mit den "Schweinen von Gerasa" zu tun...
Nun sind wir mit der Schweineherde konfrontiert, wollen heute aber nicht die ganze Geschichte in ihre Einzelteile zerlegen. Stattdessen wollen wir uns auf einzelne Aspekte der Erzählung von der Austreibung der Dämonen beschränken. Seit meiner Kindheit beschäftigt mich die Frage, warum die gesamte Bevölkerung des Gebiets von Gerasa den Herrn bat, ihr Gebiet zu verlassen, nachdem Er doch den Besessenen wieder gesund gemacht und sie alle von dieser schrecklichen Bedrohung befreit hatte. Der Wohltäter und Messias wird hinauskomplimentiert! - Unvorstellbar! Unbegreiflich! ... ... Wirklich? - Vor ziemlich genau hundert Jahren wurde in meinem Vaterland der Gesalbte Gottes umgebracht (vgl. 1. Kön. 26: 9; 2. Kön. 1: 14) und Gott für 70 lange Jahre rabiat vor die Tür gesetzt. Und meine zweite Heimat scheint nun auf dem besten Wege dahin zu sein, dieses ebenso zu tun. Warum?
Die Gerasener missachteten bekanntlich Gottes Gesetz dadurch, dass sie Schweine hielten (s. Lev. 11: 7-8). Sie wollten sich von niemandem - auch nicht vom Allerhöchsten - vorschreiben lassen, wie sie zu leben haben. Heute stören sich die Leute an der christlichen Morallehre, so dass sie entweder ganz dem Glauben entsagen oder die ethischen Normen nach Gutdünken bedarfsgerecht herunterschrauben und das alles mit einer christlichen Etikette versehen. Ist auch nicht schwer, das Evangelium den eigenen Bedürfnissen "anzupassen": die Killer der sizilianischen Mafia respektieren stets den Freitag; ihr "Ehrenkodex" verbietet auch, Frauen und Kinder umzubringen, und ihre Bosse erkaufen sich durch großzügige Spenden das Recht, am Fest der hl. Agatha die Statue der Heiligen bei der feierlichen Prozession durch Palermo tragen zu dürfen. Fast allen ist damit gedient. Dabei insistieren sämtliche Anhänger einer individuellen Deutungshoheit des Evangeliums darauf, dass wir nach neutestamentlicher Lehre "zur Freiheit berufen" sind. Nur - und das übersehen sie gerne - soll diese Freiheit "nicht zum Vorwand für das Fleisch" dienen; sie ist vielmehr die unverzichtbare, einzig mögliche Bedingung dafür, dass wir "einander in Liebe" dienen (Gal. 5: 13). Jede Freiheit, die nicht diesem Zwecke dient, befeuert nur Egoismus, Hedonismus, Machtstreben, Habgier, im Extremfall sogar Rachsucht und Mordlust. Da ist es nur konsequent, wenn man sich ganz vom Glauben abwendet, um nicht in Gewissensnöte zu geraten. In Russland mündete diese "Befreiung von Gott" vor hundert Jahren in einem Ozean von Blut und Tränen. Die "Befreiung" der Massen wurde dann durch einen gewaltigen totalitären Oppressionsapparat fundamentiert. Und heute exportiert die einzig verbliebene Weltmacht ihre Vorstellungen von "Freiheit" in alle Länder der Erde - ob die es wollen oder nicht - so dass überall da, wo politische Freiheit einer Diktatur folgt, die Kriminalitätsrate exponentiell ansteigt. Der Unterschied zu früher ist der, dass die mit Freiheit beglückten Menschen nun selbst die Leute wählen, von denen sie sich belügen, bestehlen und ausbeuten lassen. Aus meiner Sicht ist das nur folgerichtig, da die Regierenden ja keine Außerirdischen sind, sondern einen adäquaten Grundriss der jeweiligen Bevölkerung darstellen. In Russland drückt man es so aus: "Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient". Freiheit allein ist keine Garantie für ein Leben in Würde. Der Preis für Freiheit ohne Gott, welche für manch einen als Freiheit von Gott verstanden wird, ist hoch. Zu hoch!
Wie sieht aber die Freiheit mit Gott aus? Und was ist unter Freiheit im Geiste Gottes (s. 2. Kor. 2: 4) zu verstehen? - "Kommt alle zu Mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt Mein Joch auf euch und lernt von Mir; denn Ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn Mein Joch drückt nicht, und Meine Last ist leicht" (Mt. 11: 28-30). Ein Joch ist im Prinzip ein nützliches Gerät, unter das man ein oder mehrere Lasttiere spannt, damit sie den vollbesetzten oder -beladenen Karren bzw. Schlitten leichter ziehen können. Man stelle sich nur vor, die armen Tiere müssten die ganze Last auf ihrem Buckel tragen!.. Und so kenne ich niemanden, der es je bereut hätte, von frühester Kindheit an nach den Geboten des Herrn zu leben bestrebt gewesen zu sein, während ich unzählige Späteinsichtige oder Spätberufene kenne, die es heute zutiefst bereuen, nicht schon als Jugendliche auf den Pfaden des Herr gewandelt zu sein. Noch ist Zeit für alle: "So spricht der Herr: Stellt euch an die Wege, und haltet Ausschau, fragt nach den Pfaden der Vorzeit, fragt, wo der Weg zum Guten liegt; geht auf ihm, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen" (Jer. 6: 16). Allen Völkern, die Gottes Worte nicht geachtet und Seine Weisungen verschmäht haben (s. Jer. 6: 19), erging es so wie dem Volk Israel zu Zeiten des Alten Bundes. Die Heilige Schrift ist als Ganzes immer aktuell und das Neue Testament ist immer "neu"; es muss nicht nach moderner oder persönlicher Lesart umgedeutet werden, sonst erfüllt es seinen Zweck nicht! Dann wäre es nicht Gottes Wort, sondern Menschenwerk - womit wir wieder bei der Freiheit ohne Gott wären, die schon zu Anfang der Menschheitsgeschichte in Erscheinung tritt (s. Gen. 3: 5). Die fortwährende Aktualität des Neuen Bundes ist aber belegt: "Ich sage es euch und beschwöre euch im Herrn: Lebt nicht mehr wie die Heiden in ihrem nichtigen Denken! Ihr Sinn ist verfinstert. Sie sind dem Leben, das Gott schenkt, entfremdet durch die Unwissenheit, in der sie befangen sind, und durch die Verhärtung ihres Herzens" (Eph. 4: 17-18). Amen.