Predigt zum 6. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 12:6-14; Mt. 9:1-8) (08.07.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
zweimal im Jahr begegnen wir dem Gelähmten von Kapernaum, dem der Herr zunächst die Sünden erlässt und ihn dann von seinem körperlichen Leid erlöst. Da wohl anzunehmen ist, dass es sich bei dem Gelähmten um einen relativ jungen Mann handelt, möchte ich das heutige Predigtwort heute ganz besonders an die jungen Zuhörer richten. Für die These, dass es sich hier um einen jungen Mann handelt, spricht die Tatsache, dass er von vier Freunden getragen wurde, die hinreichend kräftig und geschickt genug waren, mitsamt Tragbahre auf das Dach zu klettern, dieses aufzureißen (s. Parallelstellen Mk. 2: 4 u. Lk. 5:19) und ihren Freund durch die Öffnung in der Decke zu Füßen des Herrn zu legen. Welch ein Einfallsreichtum, welch eine Kühnheit, die wohl nur sehr junge Leute an den Tag legen können! Außerdem wird der kranke Freund der Vier von unserem Herrn mit "Mein Sohn" (Mt. 9:2; Mk. 2:5) angeredet, was ebenfalls nicht unbedingt auf einen reiferen Mann schließen lässt. Aber das Alter des Geheilten ist bestenfalls von zweitrangiger Bedeutung. Es geht um sehr viel mehr. Und ich glaube, gerade junge Leute sollten nun genau aufpassen.
Wir kennen das alle: als Säugling und Kleinkind wird man von der Mutter oder Großmutter auf Händen zur Kirche getragen, als größeres Kind an der Hand zum Gottesdienst geführt, als pubertierender Halbwüchsiger durch sanften Druck überzeugt und als Jugendlicher bestenfalls flehentlich überredet, dem Batjuschka gelegentlich seine Missetaten zu beichten und an der Kommunion teilzunehmen. In wohl 99% der Fälle kostet es viel Überwindung, um mit 16 Jahren noch aus freien Stücken zum Gottesdienst zu kommen und sich dort zwei Stunden die Beine in den Bauch zu stehen. Doch warum schmerzen einem die Füße nicht bei Rockkonzerten, in der Disco oder in der Stehplatzkurve im Fußballstadion (wo die Veranstaltungen teils bei Wind und Wetter mehrere Stunden dauern)? - Der Grund hierfür liegt darin, dass wir uns mit zunehmender körperlicher und intellektueller Reife geistlich nicht weiterentwickeln und partout den Blick für das Seelenheil verlieren! Als Kleinkind schaut man noch mit Stielaugen zu dem bärtigen Mann in glänzenden Gewändern auf, der entweder ein rauchendes Gefäß schwingt oder alle Anwesenden mit Wasser bespritzt. Nach einigen Jahren wird einem das alles vertraut und langweilig, weil man eh´ nichts von dem versteht, was da abläuft. Resultat: statt einer kontinuierlichen Intensivierung des religiösen Lebens zeigt der liturgische Vektor mit den Jahren steil nach unten und tendiert manchmal sogar gegen Null. Man wendet sich in seiner Freizeit eben "wichtigeren" Dingen zu. Dabei sollte es doch umgekehrt sein. Babies sollten zur Kommunion und Kleinkinder zum Vaterunser in die Kirche gebracht werden, anstatt von Beginn der Liturgie an die Leute beim Beten zu stören, und mit zunehmendem Alter behutsam an das liturgische Leben herangeführt werden. Das wird auch eure Aufgabe sein, wenn ihr mal selbst junge Eltern seid. Der Gottesdienstbesuch muss dann bewusst erlebt werden, wozu auch eine Auseinadersetzung mit dem Glauben und den Traditionen der Kirche außerhalb des Gottesdienstes erforderlich ist. Wem, wenn nicht euch, soll das im Zeitalter von Smartphone und Tablet-PC wie ein Kinderspiel vorkommen?! Ihr müsst euch nur bewusst dafür entscheiden, selbst initiativ zu werden - um Christi willen und um eures Heiles willen! Ausreden wie vor zwanzig Jahren: "Uns hat das keiner beigebracht!" galten schon damals nicht, weil die Leute sich jeden möglichen Schwachsinn im Nu aneigneten, aber für Christus nicht den kleinsten Finger rühren wollten, und heute gelten solche Ausflüchte schon gar nicht. So ehrlich müsst ihr schon sein, um euch das selbst einzugestehen. Dennoch fragt sich kaum einer, woran es denn liegt, dass ihm der Glaube fremd und der Gottesdienst unverständlich geworden ist. Heute sind wir es gewohnt, ohne den geringsten eigenen Impuls seicht unterhalten zu werden. Aber wenn man wirklich als frei denkender Mensch mit christlicher Grundüberzeugung seine Prioritäten setzt, kann man doch nicht umhin, abschließend und grundsätzlich festzustellen, dass der Glaube an Jesus Christus, den Herrn, Der allein die Macht hat, unsere Sünden zu vergeben (s. Mt. 9:6), absoluten Vorrang besitzt! Entweder wir nehmen das Seelenheil ernst oder wir lassen es ganz sein! Wenn wir also Gott nicht brauchen, an Ihn nicht glauben wollen, dann ist es unsere Entscheidung. Das wäre wenigstens ehrlich und konsequent. Von folkloristischen Gläubigen hat die Kirche nichts, davon gibt es auch bereits viel zu viele. Ihr könnt aber in eurem jugendlichen Elan einen solchen Eifer für den Herrn und Seine Kirche entwickeln, wie andere es für ihre Fußballvereine oder Pop-Idole tun. Und ihr könnt - kreativ wie ihr seid - euren individuellen Beitrag zur Belebung der kirchlichen Gemeinschaft leisten. Nehmt euch ein Beispiel an den vier jungen Männern von Kapernaum, die nicht gleich die Brocken hinschmissen, als sie die Menschenmenge vor dem Haus, in dem Jesus war, sahen, sondern eifrig nach einer Lösung für ihr Problem suchten. Es bedarf immer einer beharrlichen Anstrengung, um (mit Gottes Beistand) Gutes zu tun. In Schule, Lehre, Studium und Beruf - ja, im ganzen späteren Leben wird man stets gefordert sein, immer neue Herausforderungen zu meistern. Da kann man nicht einfach abwinken und sagen: "Ach, ich kapier´ ja doch nichts von dem, was da gesagt oder gelesen wird!", denn wer aufgibt, hat schon verloren! - Nehmen wir die heutige Lesung. Wenn man ein bisschen darüber nachgrübelt - was ist da unverständlich?.. - Jesus, der Herr, macht Gebrauch von Seiner göttlichen Macht, dem Kranken die Sünden zu verzeihen. Zum Beweis dessen, dass Er als Sohn Gottes die Autorität dazu besitzt, heilt Er auch gleich das leibliche Gebrechen des Mannes. Er zeigt uns, dass seelische Krankheit (Sünde) mit körperlicher Schwäche engstens verbunden ist. Vielleicht hat der Mann ja keine sehr schweren Verfehlungen begangen - so wie auch unsere Jugendsünden verzeihlich sind - aber unser aller Hauptsünde besteht doch darin, dass wir Gottes Gemeinschaft gar nicht suchen! Wir meinen, auch ohne Gott zurecht zu kommen. Erst wenn wir in der Sackgasse sind, wenden wir uns gedanklich Gott zu und flehen um rasche Hilfe, ohne jedoch an uns selbst etwas ändern zu wollen. Folglich sind wir, die wir "im Prinzip keine schlechten Menschen sind", der Liebe Christi nicht würdig (vgl. Mt. 10:37-39). Wir lassen uns durch TV, Internet und Walkman ständig berieseln, sind einer immensen Reizflut ausgesetzt, welche die Hemmschwelle zu Unzucht und Ausschweifung ständig herabsetzt. Kurzum, wir werden wie Zombies manipuliert, missbraucht und verführt, aber bemühen uns stattdessen nicht, aktiv ein Leben mit Gott und nach Seinen Geboten zu führen. Das paralysiert Herz, Verstand und Willen, macht uns krank an Seele und Leib - wozu der gelähmte junge Mann sinnbildlich ist. Er wird von seinen Freunden zu Christus getragen, so wie wir von unseren Müttern und Großmüttern in die Kirche geschleppt werden, solange wir uns ihrer gutgemeinten aber hilflosen und deplazierten Zudringlichkeit physisch nicht erwehren können. - Welch ein Trost aber für resignierende Mütter und Großmütter: der Herr kann in Seiner unergründlichen Vorsehung durch "ihren Glauben" (Mt. 9:2) gnädig gegenüber den Verrirungen von Kindern und Enkeln sein und Nachsicht mit deren Vergehen üben! ... Und ihr, - wisst ihr eigentlich, wie dankbar ihr euren nächsten Vorfahren dafür sein müsstet, dass sie euch der Kirche zuführen?!... Somit erahnen wir in den vier Bahrenträgern eine hauchzarte Andeutung der kirchlichen Gemeinschaft, durch die wir alle im gemeinsamen Glauben, im Gebet füreinander sowie in der wachsenden Liebe zu unserem Herrn und zueinander gerettet werden können (vgl. Apg. 2:47).
Wenn wir selbst aber nicht die geringste Anstrengung unternehmen wollen, um dem Herrn in unseren Herzen eine Wohnstatt zu bereiten (s. Joh. 14:23), was erwarten wir dann von Ihm? - Einen Lohn für lau, Sozialschmarotzern gleich?!..
Dabei ist Gottes Güte grenzenlos. Solange wir leben, wird Er mit allen Mitteln versuchen, uns zu einer ungezwungenen Hinwendung zu Ihm zu bewegen. Er ist ja "der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh. 14:6). Wozu noch andere "Wahrheiten" suchen?! Diese von Gott initiierte Rückbesinnung auf den lebendigen Weg der Wahrheit kann auf unvorhersehbare Weise geschehen. Auch der Mann auf der Tragbahre hat mutmaßlich in seinen jungen Jahren Ungeziemliches getan, sonst würde der Herr ihn nicht von seinen Sünden lossprechen (s. Mt. 9:2). Auch ich kenne so viele, die erst im Leid (Krankheit, Tod eines lieben Menschen, schmerzvolle Trennung vom Ehepartner etc.) und dem daraus entstandenen Vakuum den wahren Sinn des irdischen Lebens entdeckt und den Weg zu Gott gefunden haben. Immerhin! Sie waren vorher auch gewiss keine schlechten Menschen, nur hatten sie irdisches Wohlergehen der Liebe Gottes vorgezogen. Erst der Verlust dieses vergänglichen Glücks öffnete ihnen den Blick auf Unvergängliches. Euch aber wünsche ich, dass ihr den Weg zu Gott gleich auf dem ersten Findungsweg entdeckt. Amen.