Leben und Wirken des Heiligen Sergius, des Abtes von Radoneœ und Wundertäters von ganz Rußland

Der Heilige besaß die Gaben der Wunderheilung, der Prophetie, der Tröstung und Erbauung, der geistlichen Beratung und Unterweisung. So sah er, als er sich bei Tisch befand, im Geiste den Metropoliten Stephan von Perm und hörte seinen Gruß selbst auf die große Entfernung; er verneigte sich vor ihm gegen Westen und sprach: "Gegrüßest seist auch du, Hirte der Herde Christi, der Friede Gottes sei mit dir!" Einen noch höheren Gnadenzustand seiner gotterfüllten Seele fühlte man in den heiligsten Minuten der Göttlichen Liturgie. Während dieser sah Isaak, der das Schweigegelübde abgelegt hatte, eine wunderbare Flamme, die von dem Heiligen zur Zeit des Segens ausging. Andere sahen einen Engel in der Gestalt eines prächtigen Mannes in glänzenden Gewändern, der bei der Liturgie mitzelebrierte und beim kleinen Einzug mit dem Evangelium hinter Sergius herschritt. Der Engel des Herrn stand dem Heiligen während der Feier der Göttlichen Liturgie stets zur Seite. Wenn der Heilige zelebrierte, so sahen einige ein himmlisches Feuer auf die Heiligen Mysterien in der Minute ihrer Konsekration niedergehen. Dieses Feuer bewegte sich dann zum heiligen Thron, erleuchtete den ganzen Altar, rankte sich um die heiligen Gaben und umschloß ganz den die heilige Handlung vollziehenden Sergius, bis es in den heiligen Kelch eintrat. Der Gottgefällige kommunizierte von diesem Feuer "unverbrennbar, wie ehemals der Dornbusch unverbrennbar brannte, und doch nicht versengt wurde".
Einmal betete der Heilige innig zur Himmelskönigin; sein reines Herz brannte in seligem Feuer und sein demütiges Gemüt war in der Betrachtung versunken: er schaute die Allerheiligste Gottesmutter mit den Aposteln Petrus und Johannes, die das Kloster heimsuchte und ihrem Auserwählten versprach, niemals von diesem Ort zu weichen und das Kloster unter ihren Schutzmantel zu nehmen. Nicht in prophetischer Mutmaßung und auch nicht in einem Traumgesicht, sondern im Wachzustand sah er die Gottesmutter, und dies war die Krönung seiner asketischen Bemühungen auf dieser Erde.
Die ganze Welt sah im hl. Sergius einen wahrhaften Gottesmann, einen irdischen Engel und himmlischen Menschen, in dem wie in den Asketen und Heiligen der frühen Christenheit die allmächtige Kraft Gottes wirkte. In ihm wohnte die Allerheiligste Dreieinigkeit. Welch tiefe Demut, kindliche Einfachheit, Gutmütigkeit und geistige Unterscheidungskraft wohnten doch in ihm, welche die überirdische Schönheit seiner Seele, die wie die Sonne schien, widerspiegelten.
Wie ein Schiff bei ruhigem Seegang auf seinen heimatlichen Hafen zusteuert, so näherte sich auch der hl. Sergius dem Übergang in die Ewigkeit zum Herrn allen Ruhmes. Ein halbes Jahr im voraus eröffnete ihm der Herr den Tag seines Hinscheidens; der gotterfüllte Sergius versammelte die Brüder, teilte ihnen die Offenbarung Gottes mit und übergab die Leitung des Klosters dem ersten Märtyrer, nämlich seinem Gehilfen Nikon; er selber aber schwieg von nun an. In den letzten Minuten vor dem Tod versammelte er die Bruderschaft und gab ihnen als Vermächtnis, auf dem von ihm gewiesenen Weg zu den himmlischen Wohnstätten zu streben, stets den orthodoxen und apostolischen Glauben zu wahren, im einheitlichen Denken zu verharren, geistige und körperliche Reinheit sowie unparteiische Liebe zu pflegen, den bösen Leidenschaften zu entfliehen, Mäßigkeit im Essen und Trinken zu bewahren und die Gastfreundschaft nicht zu vergessen. In seiner Abschiedsrede verkündete er ihnen mit der ganzen Kraft seiner väterlichen Liebe die Heilsregeln des Mönchslebens. Er übergab alle dem Allmächtigen Gott und Seiner Allerreinsten Mutter.
Nachdem er die allerheiligsten Mysterien Christi empfangen hatte, entschlief der gotterfüllte Vater mit den Worten "in Deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist" in aller Stille am 25. September 1392 und ging im Geist zum Herrn ein. Das Antlitz des Gerechten strahlte in himmlischer Seligkeit, und ein wunderbarer Wohlgeruch erfüllte seine Zelle.
Ehrwürdige Mönche sahen oftmals die gnadenvolle Anwesenheit des hl. Sergius im Geist in seinem Kloster, denn er bleibt für immer der unermüdliche Abt seiner Lavra und der siegreiche Heerführer des ganzen orthodoxen Rußlands.
Liebe den hl. Sergius, liebe ihn aufrichtig und er wird dich lieben. 30 Jahre nach seinem Tod erschien der Heilige einem seiner Bewunderer im leichten Schlaf und sprach zu ihm: "Frage den Abt dieses Klosters, warum er mich so lange unter der Erde im Grabe läßt, wo Wasser meinen Körper umgibt?"
Der Körper des Heiligen war unverwest und unbeschädigt, nicht einmal seine Kleider waren verdorben, obwohl der Sarg von Wasser umgeben war, aber es berührte nicht den Körper und die Kleidung. Ein feiner Wohlgeruch verbreitete sich ringsum. Zahlreiche Christen verherrlichten Gott. Mit Jubel wurden die Reliquien des Heiligen in einen neuen Sarg umgebettet. Die Öffnung der Reliquien erfolgte am 5. Juli 1422. Zu Lebzeiten vollbrachte der Heilige viele Wunder, aber aus Demut und Bescheidenheit verbot er darüber zu berichten, aber nach seinem Tode verherrlichte ihn Gott so, daß die durch seine Gebete geschehenen Wunder einem wasserreichen Fluß glichen.
Im Herbst 1408 erschienen der hl. Sergius und die Metropoliten Pjotr und Alexij dem Abt Nikon und sprachen zu ihm: "Dem Herrn gefällt es, daß die wilden Volksstämme (die Tataren von Edigej) auch diesen Ort nicht verschonen, du aber, unser Sohn, sei nicht traurig und bekümmert, das Kloster wird nicht veröden, sondern noch mehr erblühen." Nikon und die Mönche entfernten sich für einige Zeit und nach dem Abzug der Tataren erbauten sie eine neue Steinkirche zu Ehren der hl. Dreieinigkeit. Einmal am Fest der Dreifaltigkeit kam ein armer, seit seinem siebenten Lebensjahr Blinder, der von seinem Führer verlassen worden war; er betete und schluchzte jämmerlich. Da erschien ihm der hl. Sergius, führte ihn zu seinem Reliquienschrein und der Blinde wurde sehend. Die Polen belagerten die Lavra vom 23. Sept. 1608 bis zum 12. Jan. 1610. Es waren ihrer 60.000, die nur 2.000 Verteidigern gegenüberstanden. Die Andersgläubigen wollten die Wohnstätte der Hl. Dreifaltigkeit zerstören; Polen und Litauer vergossen das Blut der Orthodoxen. Dreimal erschien der Heilige in einer Vision dem Kozma Minin und befahl ihm, Geld zu sammeln. Der Heilige erschien auch den Kosaken und tadelte sie für ihren Verrat. (Viele verließen das Lager und gingen nach Hause.)
Er sandte drei Schüler - Michej, Varfolomej und Naum - auf blinden Pferden nach Moskau, um ein öffentliches Bittgebet zu vollziehen. Auf seine Gebete hin nahm das Getreide in den Speichern nicht ab. Der Allmächtige Gott rettete und bewahrte Rußland und die Orthodoxie.
Erzbischof Arsenij Zlasonskij, der in der Gefangenschaft in Moskau schmachtete und sich in schwerer Not befand, wurde zum Verkünder der himmlischen Barmherzigkeit für Rußland. Einmal in tiefer Nacht erstrahlte die Zelle des kranken Hierarchen plötzlich in ungewöhnlichem Licht. Und er sah vor sich den hl. Sergius, den Wundertäter von Radonesch. "Arsenij", sagte der dem Kranken erschienene Heilige, "eure und unsere Gebete wurden erhört durch die Vermittlung der Gottesmutter, das Gericht Gottes über unser Vaterland hat sich in Erbarmen verwandelt und morgen schon wird Moskau in russischen Händen sein, und Rußland wird gerettet". Der 22. Okt. wird als der Tag der Befreiung Moskaus gefeiert, an dem die Begegnung mit der Ikone von Vladimir stattfand, welche der Erzbischof Arsenij aus dem Kreml trug.
 Im Dezemberheft des Jahres 1910 der "Erbaulichen Lektüre" ist eine volkstümliche Überlieferung  vom Jahre 1812 unter dem Titel "Vision Napoleons" abgedruckt, die besonders im einstmaligen Gouvernement von Jaroslavl verbreitet war. Darin wird folgende Begebenheit erzählt: Nachdem Napoleon Moskau besetzt hatte, trank er auch einmal von dem russischen Sbiten (Getränk aus Wasser, Honig und Gewürz), welchen ein Meisterbrauer, ein Greis aus Jaroslavl' (im folgenden "der Jaroslavjez" genannt), zubereitet hatte. Napoleon befahl ihm, auch am nächsten Tag mit dem Sbiten zu ihm zu kommen. Ein Franzose mußte ihn begleiten - ein Handelsgehilfe aus einem französischen Laden von der Kusnezkij-Brücke, der als Dolmetscher für die französische Armee fungierte. In der Erzählung heißt er "Kurgusyj" (der kurz Gekleidete).
"... der Sbitenbrauer und Kurgusyj gingen zum Kreml. Der Jaroslavjez bereitete sich schon vor, wie am Vortag Napoleon und sein Gefolge mit dem Getränk zu bewirten, aber dem Kaiser war es nicht nach Sbiten zumute. Aufgeregt ging er auf dem Zarenplatz auf und ab. Sein Gesicht zuckte krampfhaft, seine Fäuste waren fest geballt.. Das Gefolge schien verwirrt. Irgend etwas ist vorgefallen... was sah ich nur? ... ich sah ein Heer und einen seltsamen Heerführer, sagte der Kaiser, ohne sich an irgend jemand zu wenden nachdrücklich und gereizt zu den Franzosen. Die Gefolgsleute waren verblüfft, aber nicht aufgrund dessen, was Napoleon gesehen hatte, sondern deshalb, weil sie weder die Krieger noch den seltsamen Heerführer gesehen hatten. Der Kaiser muß wohl einfach unter krankhafter Einbildung leiden. Das verwüstete, einem Friedhof gleiche, brennende Moskau, der Mangel an allem und die Furcht vor der Zukunft brachten den Feldherrn wohl so weit, daß er sich von Seh-und Gefühlstäuschung überwältigen ließ. Die Ärzte sollten sich mit seinem Zustand beschäftigen und alle Mittel verwenden, denn der Feldherr muß wacker und gesund sein...
Was war aber vorgefallen? Napoleon wollte sich an der Umgebung Moskaus ergötzen und stieg auf den Glockenturm des Kreml (Ivan Velikij genannt). Die Sonne strahlte am Himmel. Buonaparte wandte seinen Blick in die Richtung der Vorob'jev-Hügel, plötzlich erschauerte er; zitternd wandte er sich an seine Untergebenen mit einer Stimme, in der Schrecken mitklang.
- Seht ihr, dort, im Südwesten bewegt sich ein Heer? Und von beiden Seiten rücken große Armeen heran!  Das sind ja Russen!
- Eure Hoheit, wir sehen dort überhaupt keine Heere. Napoleon stampfte mit dem Fuß auf die hölzerne Diele.
Drei Armeen... ja, ja! Sie sind noch weit weg, aber sie rücken vor und werden in Moskau sein ... ja, ja, bald werden sie Moskau erreichen.
Er zitterte, knirschte mit den Zähnen und sprach ungestüm:
- drei große Armeen! drei! drei! ... seht ihr denn nichts?... Es scheint, sie marschieren gar nicht auf der Erde, sondern fliegen durch die Luft, wie Engel oder Dämonen. Und an der Spitze ein Heerführer! Seht ihr den Heerführer?
- Eure Hoheit, wir können keinen Anführer sehen.  
- Verflucht! Napoleon ballte die Fäuste und stöhnend eilte er die Treppe hinab. Bleich und zerstreut wiederholte er wütend: "Aber ich sah sie, ich sah sie ... und diesen Anführer, ganz in schwarz. Etwa ein Mönch? Graue Haare, grauer Bart, mit dem Kreuz in den Händen. Er segnete das Heer mit dem Kreuz... das ist ungewöhnlich! Was soll das sein? Wer ist dieser schwarze Heerführer?"
Napoleon zitterte. Die Wut kochte in ihm, weil niemand die Armee in der Luft mit ihrem ungewöhnlichen Mönchsheerführer gesehen hatte. Auf dem Platz angelangt, schaute Napoleon erneut in jene Richtung, aber nichts mehr war zu sehen. Die Sonne verkroch sich; Wolken und Rauchschwaden hingen über den Vorob'jev-Hügeln. Da tauchte gerade der Sbitenbrauer mit dem Dolmetscher, d.h. mit Kurgusyj im Kreml auf.
- Kommt näher heran -, befahl Napoleon, und als sie sich näherten, fragte er  den Jaroslavjez, ob er nicht solch einen Mönch kenne: dürr, aber majestätisch und schneeweiß. Der Sbitenbrauer fragte seinerseits, wo er, der Kaiser, denn solch einen Mönch getroffen hätte. In Moskau gibt es mehrere Klöster, es kann folglich viele Mönche geben?...
- Dort, vor dem Heer..., - rief der Kaiser ungeduldig aus.
Kurgusyj übersetzte. Der Alte nahm eine würdevolle Haltung ein und jedes Wort deutlich betonend sagte er:
- Eurer Hoheit muß doch bekannt sein, daß einfache Mönche nicht durch die Luft fliegen; die Macht des Himmels hat sich euch offenbart. Keiner von den heute lebenden Mönchen führte die Krieger, sondern es war unfehlbar ein Gottgefälliger, der Moskau und Rußland beschützt.
- So, so - sagte Napoleon zu seinen Leuten - das russische Volk und die russischen Städte haben also ihre heiligen Beschützer.  - Und indem er sich an den Sbitenbrauer wandte, fügte er hinzu:  -Wer ist der Schirmherr Moskaus?
- Der heilige und gerechte Sergius, der Wundertäter von Radonesch,- lautete die Antwort.
Napoleon drehte sich um, gab dem Alten ein Zeichen mit der Hand, daß er ihm folgen solle, und alle - Napoleon, seine Begleiter, der Sbitenbrauer und Kurgusyj begaben sich zur Kathedrale Mariä Verkündigung. Der Alte stellte das Geschirr mit dem Sbiten auf die Treppenstufen und entblößte als einziger sein Haupt.
- Zeigt mir eine Darstellung des Heiligen! - befahl Napoleon.
Der Greis führte ihn zur Ikone des hl. Sergius.
- Das ist er! - rief Napoleon aus. Er wankte und wurde plötzlich von einer schrecklichen Kälte ergriffen. Lange konnte er den Blick nicht von dem heiligen Bildnis wenden, und ein Gedanke nach dem anderen schoß ihm durch den Kopf; die Gedanken belästigten ihn... Die Vision hatte ihn in Verwirrung gebracht, ihn aufgewühlt und erschreckt; sie nahm den stolzen Eroberer gefangen. Etwas Ähnliches war ihm noch nicht zugestoßen. Napoleon wollte sich sofort von dieser drückenden Fessel befreien, aber er konnte es nicht. Irgendwie gab ihm das Schicksal unerbittlich zu verstehen, daß es der Finger Gottes ist, der den Völkern und Regierungen ihre Wege zeigt, sowohl den demütigen als auch den stolzen: Wege zum Sieg und zur Größe als auch Wege zum Fall und Verderb. Napoleon versank in tiefes Nachdenken. Er nahm in Gedanken alle Ereignisse durch, von jener Stunde angefangen, als er und "zwölf andere Völker" am 11. Juni über die Grenzen des russischen Imperiums hereinfielen, bis zu der heutigen Vision im brennenden, unfreundlichen Moskau. Wenig Tröstliches entfiel auf das Los der großen Armee. Rußland erwies sich als eine gute Falle, und diese Falle konnte nicht einmal die Schlacht auf dem Borodino-Feld brechen. "Welche Freude macht es, - so dachte Napoleon, - sich als Sieger zu betrachten, wenn es keine Besiegten gibt?" Tief in Gedanken ging er aus der Kathedrale und sprach zu sich selber: "Was für ein Volk ist das russische nur, wenn Heilige seine Armee anführen?... diese muß man ja überwinden!" Und er fuhr zusammen.
- Ein Pferd! - Man brachte ihm ein großartiges arabisches Pferd. Napoleon setzte sich in den Sattel und von seinem Gefolge begleitet, galoppierte er aus dem Kreml. Er wollte die Vision vergessen. Er galoppierte durch die ganze Hauptstadt bis er zum Peterspalast kam; er wollte dort bleiben, konnte aber nicht. Nirgends konnte er sich aufhalten, er wurde einfach die schweren, durch die Vision hervorgerufenen Gedanken nicht los. Der laute Jubelschrei jener drei Heere, die vom hl. Sergius angeführt wurden, tönte ihm in den Ohren, und es schien, daß dieses Kriegsgeschrei lauter und lauter wurde. Das bedeutet, daß die Armeen heranrücken - und werden sie ihn und die mit ihm gekommenen "zwölf anderen Völker" nicht überrumpeln? Und Napoleon wurde es unheimlich, noch länger in Moskau zu bleiben...
(Pavel Rossiev)

Bericht aus "TROITZKOE SLOVO"
 zum Gedenken für künftige Generationen

In Erinnerung an die kummervolle Zeit des Notstandes und der Belagerung der Lavra und auch in Dankbarkeit für die göttliche Gnade der Aufhebung derselben durch die Gebete des hl. Sergius, möchte ich an das für die Lavra so denkwürdige Jahr 1812 erinnern, in dem sie durch die Gebete des Gott wohlgefälligen Mannes vor dem Einfall der Franzosen bewahrt wurde. Über dieses Ereignis heißt es  in der Chronik der Lavra:
"Nach der Verwüstung Moskaus erhielt eine in Dimitrov stationierte Einheit der französischen Truppen den Befehl, die Lavra einzunehmen. Aber am 1. Oktober, als die Franzosen zur Lavra vorrücken sollten, vollzogen die Mönche ein Moleben (Bittgottesdienst) und eine Kreuzprozession um die ganze Anlage der Lavra und die Feinde kehrten an jenem Tag ganz plötzlich nach Moskau zurück."
Zur Ergänzung dieses Berichtes ist es unerläßlich, die Erzählung über die Beschützung der Lavra im Jahre 1812 anzuführen, die der Statthalter der Lavra Antonij von der Gräfin Z. hörte, die einige Jahre zuvor aus Paris zurückgekehrt war und sich damals in der Dreifaltigkeits-Lavra aufhielt. Während ihres Aufenthaltes in Paris lernte sie den Herzog De-Mortemare kennen, und als sie auf das Jahr 1812, auf Moskau und die Dreifaltigkeits-Lavra zu sprechen kamen, erzählte er ihr folgendes:
"Damals war ich noch Oberst. In der zweiten Septemberhälfte rief mich der Stabchef, Marschall Bortier zu sich und übergab mir den Befehl Napoleons, mit einer Truppeneinheit auf die Dreifaltigkeits-Lavra zu rücken und den ganzen Klosterschatz zu beschlagnahmen. Der Marschall sagte, daß es in der Nähe des Klosters keine Truppen gäbe, daß das Volk durch die Erfolge der französischen Waffengewalt eingeschüchtert sei und daß es daher ein leichtes sei, das Kloster einzunehmen. Nach Erhalt des Befehls übernahm ich die Truppeneinheit und begab mich um 4 Uhr nachmittags auf den Weg zur Lavra. Der Abend war kalt und unfreundlich. Nachdem wir 10 Werst oder etwas mehr zurückgelegt hatten, kamen wir vom Weg ab. In der Truppeneinheit gab es auch einige Polen, die ganz ordentlich russisch sprachen. Unterwegs nahmen wir einige Bauern und Wegführer mit, die wir durch Schmeicheleien und Drohungen zwingen wollten, uns den Weg zu zeigen, aber sie sagten alle ganz entschieden, daß sie keine Ahnung hätten, welcher Weg zur Troitza führt. Auf die Frage, ob es dort Truppen gäbe, antworteten sie, daß es dort eine Unmenge gäbe und daß alle Kosaken seien. Unsere Lage wurde von Stunde zu Stunde beschwerlicher: es wurde schon recht dunkel, die Örtlichkeit war uns völlig unbekannt und wir hätten leicht in die Hände der Feinde oder Partisanen fallen können, die sich auf allen Wegen um Moskau versteckt hatten; wir hielten es daher für vernünftig, nach Moskau zurückzukehren. Als Napoleon dies hörte, ärgerte er sich und nach einer Woche schickte mich Bortier wieder zur Dreifaltigkeits-Lavra; er verstärkte die Truppeneinheit und befahl zwei Kanonen mitzunehmen. Am nächsten Tag verließ ich früh morgens Moskau. Noch am Abend, als ich von dem Marschall kam, bemerkte ich, daß draußen dichter Nebel war. Gegen Morgen verstärkte sich dieser noch erheblich. Als wir Moskau verließen, war der Nebel so stark, daß wir einander auf zwei Schritte nicht sehen konnten, und je weiter wir fuhren, desto dichter wurde der Nebel. Nachdem wir etwa 15 Werst zurückgelegt hatten, hielten wir an und berieten, ob wir weiter gehen oder warten sollten, bis der Nebel sich zerstreut hat, oder nach Moskau zurückkehren sollten. Alle beschlossen einstimmig, daß es besser sei, zurückzukehren. Man muß noch dazu sagen, daß die Soldaten erfahrene und in Schlachten abgehärtete Leute waren, aber hier ergriff sie eine so panische Angst, daß alle sich vorstellten, die Feinde könnten sie in dieser Dunkelheit gefangennehmen. Der Nebel hielt den ganzen Tag an und am nächsten Morgen waren wir schon wieder in Moskau. Mit größtem Vergnügen meldete ich mich beim Marschall mit dem Bericht über die zweite erfolglose Kampagne auf die Lavra. Der Marschall begab sich zu Napoleon und fand ihn im Kreml-Palast am Fenster stehend: wegen des dichten Nebels konnte man vom Palast aus nicht einmal die nächsten Gebäude sehen. Nach Anhörung des Berichtes äußerte er sich sarkastisch über das russische Klima, und damit war die Sache beendet. Der Marschall gab mir die Bemerkung des Kaisers weiter und beruhigte mich. Dies sind also die zwei Vorfälle - so beschloß der Herzog seine Erzählung -, denen die Lavra ihre Rettung verdankt."

"Nein, Herzog, - bemerkte die Gräfin Z., - ganz gewiß konnten diese zwei Ereignisse nicht das bedeutende Kloster des hl. Sergius retten. Der Heilige selber verfolgte eure Unternehmungen und ließ euch nicht bis zu seiner Lavra vordringen, deren Beschützer er schon einmal gewesen war, wie aus der Geschichte ersichtlich ist. Erinnern Sie sich an die schwere Belagerung der Lavra zu Anfang des 17. Jh. und Sie werden feststellen, daß damals die Stärke des Feindes nicht so groß war wie die Ihrer Einheit: 30.000 Soldaten standen 16 Monate lang vor den Mauern der Lavra und konnten mit etwa 2.000 Leuten nicht fertig werden. Ist da nicht das wunderbare Wirken des Verteidigers der russischen Erde, des Heiligen Sergius, deutlich sichtbar?"

Und hier ist die Stimme des Glaubens und der tiefen Dankbarkeit gegenüber Gott und Seinem wohlgefälligen Heiligen, die Stimme eines Zeitgenossen dieses Ereignisses, nämlich des großen geistigen Lichtträgers und Starez, des Metropoliten Platon von Moskau, der in seinem Bericht an den Heiligen Synod folgendes schrieb: "Heiligster Regierender Synod! Die scharfe Klinge des blutigen Schwertes wurde über den unglückseligen Kindern der Hauptstadt, unserer Mutter, aufgezogen: unterdessen wurden die Lavra und Bethanien durch den Ratschluß der Vorsehung vor dem Unheil des Perun (Donnergott der Slaven) verschont. "Tausende fallen aus deinem Lande und Zehntausende werden zu deiner Rechten niedergeschmettert, aber dir naht sich kein Verderben!" Dies sind Orte, wo Friede und Stille ihre Wohnung errichtet haben. Dies sind die Reste der Weintrauben, welche hier die fürsorglichen Blicke des russischen Imperators entzückten. Oh seltenes Wunder! Von Moskau aus, wo das Feuer seine Kraft erschöpfte, ist keine größere Entfernung zur Lavra und zu Bethanien, als von einer Seite von Dimitrov und von der anderen bis Bogorodsk, wo das Schwert seine Wut austobte; in der Entfernung besteht überhaupt kein Unterschied oder nur ein ganz kleiner. Wunderbar ist Gott in Seinen Heiligen, wunderbar ist Er im hl. Sergius! 'Wäre es nicht um seinetwillen, so hätte Ich euch verdorben!' Daran glaube ich, davon bin ich überzeugt und dies bezeuge ich".
Möge dieser Glaube und dieses Bekenntnis des Metropoliten Platon auch uns als Lektion der Gottesfurcht dienen, damit wir im Gedenken an die Tage der Vergangenheit und an das damals waltende Erbarmen Gottes unsere Sünden bereuen, Gott danken und die Gebete der Heiligen zu unserem Schutz und unserer Verteidigung herabflehen mögen.
Mitgeteilt von A.T. in der Zeitschrift Troickoe Slovo, Nr.1, 7. Febr.1910