Der ehrwürdige Paisij Velickovskij, Bischof Ignatij Brjanchaninov und das russische Starzentum

Der Boote >1994 >1994 - 1

Der ehrwürdige Paisij Veli¡ckovskij, Bischof Ignatij Brjan¡caninov und das russische Starzentum

Priester Michail Ardov und Priester Stefan Krassovitzkij

“... Starzen und Starzentum gibt es im gesamten orthodoxen Osten bereits über tausend Jahre lang. Wiederbelebt wurde es bei uns gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts durch den ehrwürdigen Paisij Veli¡ckovskij und seine Schüler, aber auch heute, beinahe hundert Jahre danach, ist es durchaus noch nicht in allen Klöstern heimisch und wird sogar zuweilen als eine unerhörte Neuerung beinahe verfolgt. Zu besonderer Blüte gelangte es... in der berühmten Klostereinsiedelei Optina bei Kozelsk. Was ist also ein Starez? Starez ist derjenige, der deine Seele, deinen Willen in seine Seele und in seinen Willen aufnimmt. Wenn du einen Starez wählst, dann sagst du dich von deinem Willen los und übergibst ihn ihm in völligem Gehorsam, mit voller Selbstentäußerung... Die Verpflichtungen dem Starez gegenüber sind nicht genau das, was schon immer die üblichen ‘Obedienzen’ in unseren russischen Klöstern waren... Es geht darum: hier ist ein unzerstörbares Band zwischen dem Bindenden und dem Gebundenen... das Starzentum ist in gewissen Fällen mit beispielloser und unbegreiflicher Autorität ausgestattet. Daher wurde es in vielen Klöstern nahezu verfolgt. Übrigens genossen die Starzen von Anfang an eine große Achtung im Volke.” (F.M. Dostojevskij, Brüder Karamasov, Kap. 5).
“... das enge Band zwischen dem Starez und seinem Schüler - sei er nun Mönch oder Laie - ist ein Band, durch welches der Schüler, durchdrungen vom Geist seines Meisters, danach strebte, seinen Willen dem von ihm erwählten geistigen Führer voll zu unterwerfen, um auf diesem Wege den Hochmut in sich zu besiegen und sein Tun im besten christlichen Sinne auszurichten. Solch ein Opfer der Demut fällt nicht jedem leicht, besonders schwer jedoch fällt es einem Menschen mit umfassender weltlicher Bildung” (V. Ljaskovskij, Brüder Kirejevskij – Leben und Werk, Sankt Petersburg 1899, S. 50).
“Das Starzentum ist für den total rationalistischen Eigenwillen, für diese beispiellose Einsamkeit des menschlichen Verstandes, der auf sich selbst zurückgeworfen ist, ein Unsinn in Potenz. Die Freiheit, sich unterzuordnen und die Freiheit diese Unterordnung nicht anzunehmen, ist im Starzentum sehr groß, wie überhaupt im Christentum. Das Starzentum wie das Christentum beruht ganz auf der Gnade und nicht auf Gesetzen und dennoch führt gerade diese Freiheit zur größten Unterordnung. ‘Ich möchte heiraten, Batjuschka’. ‘Nein, das ist nicht gut für dich’. Und er heiratet nicht. ‘Ich möchte ins Kloster gehen’. ‘Nein, gehe in die Welt’. Und er geht. ‘Ich will die Welt nicht, ich will ins Kloster’. ‘Nein, schreibe einen Roman’. Und er schreibt ihn ( Gespräch zwischen K. Leontjev und dem großen Starez Ambrosij). Solcher Art ist das Starzentum.” (Vater Pavel Florenskij, “Meister der Stille”, 1916).

Schema-Archimandrit Paisij (in der Welt Petr Veli¡ckovskij) wurde am 21. Dez. 1722 in Poltava geboren, wo sein Vater, Großvater und Urgroßvater als Erzpriester gewirkt hatten. Mit 13 Jahren wurde der zukünftige Geistesheld auf die für die damalige Zeit beste orthodoxe Schule, die Kiewer Mogiljanskaja Akademija, die im Bruderkloster der Theophanie untergebracht war, geschickt. Hier begegnete der junge Petr Veli¡ckovskij seinem ersten Lehrer in Sachen Religion, dem Hieromonachos des Klosters Pachomij, der den Knaben mit geistlicher Literatur versorgte. Von den ersten Tagen in der Akademie an bildete sich in Petr der Wunsch heran, der Welt zu entsagen und sich gänzlich Gott zu weihen.
Während der drei Jahre seiner Lehrzeit hatte er Gelegenheit, gründlich die Kiewer Klöster kennenzulernen, das Höhlenkloster (Lavra) und das Michajlovskij Kloster. Besonders beeindruckte ihn der Kitajev Skit der Lavra und er machte sogar den Versuch, in diese Gemeinschaft einzutreten. Doch 1739, noch nicht siebzehnjährig, verläßt Petr die Akademie und begibt sich auf die Wanderschaft, indem er sich dem Allgütigen Herrn anheimstellt. Der Weg des jungen Weltentsagers führte durch viele Städte und Klöster. Er weilte in @Cernigov, in Ljube¡c, wo er als Novize ins Kloster eintrat, und wo seine geistlichen Präzeptoren Igumen Nikifor und Hieromonachos Ioakim waren.
Gezwungen Ljube¡c zu verlassen, besuchte er noch einige Klöster in der Ukraine und begab sich dann zu dem Kloster des hl. Bischofs Nikolaj, dem Medvedovskij-Kloster, wo er mit dem Namen Platon zum Rjasofor-Mönch geschoren wurde. Sein geistlicher Ratgeber dort war der erfahrene Mönch Martirij. Als nächstes wurde er in die Bruderschaft des Kiewer Höhlenklosters (Lavra) aufgenommen, wo ihn Hieromonachos Makarij lehrte, Ikonen in Kupfer zu stechen. Der junge Mönch erfreute sich der Sympathie und guten Ratschläge nicht nur seines Lehrers, sondern auch des Hiero-Schemamönches Ioann, des geistlichen Vaters der Bruderschaft, sowie des Hieromonachos Veniamin, des Leiters der Klosterdruckerei, des Hieromonachos Pavel....
Nachdem er die Lavra verlassen hatte, weilte Bruder Platon einige Zeit im Matroninskij Kloster, wo er mit dem Moldauer Hiero-Schemamönch Michail in Berührung kam, mit dessen Segen er sich in die moldauische Walachei aufmachte. Zuerst besuchte er das Skit des hl. Kyprian namens Kondrit, und darauf ließ er sich im Skit der hll. Erzengel namens Dolgoutzy nieder. Hier führte ihn das Schicksal mit einigen geistlichen Persönlichkeiten zusammen, u.a. mit dem Leiter des Skits, Schemamönch Vasilij, mit Hieromonachos Raphael, Mönch Dosifej, Schemamönch Timofei...
Von Dolgoutzy kam Platon in das Skit des hl. Nikolaus namens Treisteny, wo die Zahl der Asketen den Vorsteher Hieromonach Dometij, den Schemamönch Proterij und den ihm bereits aus dem Matroninskij Kloster bekannten Hieromonachos Michail umfaßte.
Als nächstes führte der Herr Platon in das Skit des Himmlischen Heerführers MIchael namens Kjarnul, wo er mit dem Einsiedler und Schemamönch Onufrij und mit Hieromonachos Aleksij bekannt wurde... Danach ließ Gott den jungen Mönch noch einige moldauische Klöster besuchen, darunter das Kloster der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin und die Stätte, wo er zuletzt wirken und sein seliges Ende finden sollte – das Njametzkij Kloster. 1746 gelangt Bruder Platon zum Berg Athos. Vier Jahre lang übte er sich in einem einsamen Kellion in Askese, und schloß unterdessen mit den dortigen Klöstern Bekanntschaft, darunter der Lavra des ehrwürdigen Athanasios, den Klöstern Pantokrator, Chilandar und vielen anderen...

Hier sein eigenes Zeugnis über jene Zeit:
“Als ich die Welt in dem brennenden Verlangen, Gott im Mönchsstand zu dienen, hinter mir ließ, war es mir zu Anfang meines Mönchsdaseins nicht vergönnt, bei irgend jemand auch nur eine Spur gesunder und echter Unterscheidungskraft, Belehrung und einen Rat übereinstimmend mit den Lehren der heiligen Väter zu finden – darüber, auf welcher Basis und wie ich, ein Unerfahrener und Anfänger, mein Mönchsleben gestalten sollte. Ich ließ mich also in einem Kloster in der Wildnis nieder, wo ich durch Gottes Barmherzigkeit den Grund der monastischen Berufung legte, aber ich bekam von niemandem die gebührende Aufklärung, was Gehorsam eigentlich ist, in welchem Sinn und mit welchem Ziel er geboten wird und was für einen Nutzen er dem Novizen bringt. Weder der Vorsteher des Klosters noch mein geistlicher Vater und Starez gaben mir irgendeine diesbezügliche Unterweisung. Indem sie mich ohne vorhergehende Prüfung zum Mönche weihten, überließen sie mich mir selber ohne jegliche spirituelle Führung. Mein geistlicher Vater, der nach meiner Mönchsweihe nur noch eine Woche im Kloster blieb, ging mit unbekanntem Ziel davon und sagte mir zum Abschied nur: ‘Bruder, du bist gescheit genug, lebe so, wie Gott dich lehrt’. Wie ein Schaf ohne Hirte begann ich hierhin und dorthin zu wandern, in dem Bemühen für meine Seele Nutzen, Ruhe und Erbauung zu finden, aber ich fand sie nicht, mit Ausnahme der seligen Starzen Vasilij und Michail, von denen ich monastische Belehrung und großen geistlichen Nutzen erhielt, bei denen ich jedoch nicht bleiben konnte, da ich fürchtete, man würde mich zum Priester weihen.
So gelangte ich schließlich zu dem ruhigen und windstillen Hafen des Heiligen Berges und hoffte, wenigstens hier ein wenig Erquickung für meine Seele zu finden. Aber auch hier fand ich nur wenige Brüder russischer Abkunft, welche in der Heiligen Schrift bewandert, also schreib- und schriftkundig waren. Wiederum die meiner Seele so nötige Führung nicht findend, ließ ich mich für einige Zeit in einer entlegenen Zelle nieder und indem ich mich auf den Willen Gottes verließ, widmete ich mich immer mehr dem Studium der patristischen Bücher, die mir meine Wohltäter, serbische und bulgarische Klöster, zur Verfügung stellten, und in diese Bücher vertiefte ich mich mit großem Interesse. Durch das Studium dieser Bücher sah ich wie in einem Spiegel, womit ich genau mein armes Mönchsdasein beginnen mußte, ich begriff, daß mein armseliger, sogenannter Hesychiasmus mir nicht zu Kräften stand, daß dies eine Angelegenheit der Vollkommenen und Leidenschaftslosen ist. Im Zweifel, was ich tun sollte und wem ich mich im Gehorsam anvertrauen sollte, trauerte und weinte ich, wie ein Kind seine gestorbene Mutter beklagt.” (Erzpriester Sergij @Cetverikov, Der Moldauer Starez Paisij Veli¡ckovskij, Paris, S. 97-98).

Anfang 1750 gelangte auch der bereits erwähnte Moldauer Starez, Schemamönch Vasilij zum Heiligen Berg. Diese neuerliche Begegnung war für den Mönch Platon überaus bedeutsam. Erstens zerstreute Vater Vasilij viele Zweifel des jungen Asketen, und zweitens weihte er ihn zum Mantijamönch mit dem Namen Paisij.
“Drei Monate nach der Einkleidung Paisijs in die Mantija kam aus der Moldau-Walachei der junge Mönch Vissarion zu ihm. Unter Tränen flehte dieser ihn an, ihm Unterweisungen zur Errettung seiner Seele zu geben und ihm einen im geistlichen Leben erfahrenen Führer zu zeigen. Schwer seufzend fing Paisij zu weinen an und etwas innehaltend betete er still und sagte: ‘Bruder, du nötigst mich, über traurige Dinge zu reden, du fügst meinem bekümmerten Herzen weiteren Schmerz zu. Wie du, so suchte auch ich selber mit großem Eifer einen Lehrer, aber fand ihn nicht. Das gereichte mir und gereicht mir noch immer zu großem Leid. Deshalb verstehe ich dich gut, wenn ich dich so von solchem Kummer ergriffen sehe und ich will dir ein wenig sagen, soweit es in Kräften meines armen Verstandes steht. Die Rettung der Seele, über die du mich fragst, kann nicht ohne die Hilfe eines wahren geistlichen Präzeptors erlangt werden, der sich selbst nötigt, nach den Geboten Gottes zu leben, in Übereinstimmung mit dem Wort des Herrn: Wer sie aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Reich der Himmel (Mt 5,19). Und in der Tat, wie könnte man einen anderen auf einem Pfad führen, den man selbst nicht gegangen ist? Man muß selber bis aufs Blut gegen alle psychischen und physischen Leidenschaften kämpfen, mit Hilfe Christi die Lüsternheit und den Zorn besiegen, durch Weisheit, Bescheidenheit und Gebet das Vernunftsmoment der Seele von Torheit und Hochmut befreien, Wollust, Ruhmsucht, Gewinngier und alle übrigen üblen Leidenschaften bezähmen; in diesem Kampf sollte man unsern Herrn Jesus Christus als Führer und Wegweiser haben, gemäß der Schrift: als Jesus in die Wüste geführt wurde, wies er durch Fasten, Demut, Armut, Wachen und Gebet, und die Worte der heiligen Schrift den Satan zurück; auf diese Weise krönte Er unser Wesen mit einer Siegeskrone und gab uns eine Lehre und die Kraft, den Teufel zu besiegen. Derjenige, welcher in all diesem mit Demut und Liebe seinem Herrn nachfolgt und von Ihm den Auftrag bekommt, auch andere Seelen zu kurieren und sie in den Geboten Gottes zu lehren, erhält gleichzeitig vom Herrn für seine Demut die Kraft, alle oben genannten Leidenschaften zu überwinden. Wenn er dies verwirklicht, wenn mit Christi Gnade eine solche Gabe des Geistes Gottes in ihm leuchtet, dann wird er in der Lage sein, seinem Schüler in der Tat und ohne ihn zu täuschen alle Gebote Christi und alle Tugenden zu weisen, wovon die hauptsächlichsten sind: Demut, Sanftmut, die Entäußerung Christi, Langmut in allem, übermenschliches Erbarmen, brennende Liebe zu Gott, ungeheuchelte Liebe dem Nächsten gegenüber, aus der echte geistige Unterscheidungskraft entsteht. Solch ein wahrer Präzeptor lehrt seinen Schüler, seine Seele auf alle Gebote Christi auszurichten. Der Schüler, der bei seinem Lehrer alles bisher gesagte sieht und hört, und ihm in Vertrauen und Liebe nachfolgt, kann mit Gottes Hilfe und wenn er den Ratschlägen des Lehrers folgt, in den Geboten Christi voranschreiten und das Heil gewinnen. Solch einen Lehrer, mein Bruder, müßten wir eben finden! Aber, o weh, wir leben in einer miserablen Zeit und diese Armseligkeit sahen unsere gottragenden Väter im Heiligen Geist voraus und aus Mitleid zu uns, zu unserer Bestärkung, warnten sie uns in ihren Schriften. So spricht der göttliche Simeon, der Neue Theologe: ‘Es gibt wenige, besonders in unserer Zeit, die fähig wären, strebsame Seelen richtig zu weiden und zu heilen. Fasten und Wachen, den äußeren Anschein der Frömmigkeit wahren, bringen vielleicht einige zustande, sie vermögen auch andere mit Worten erfolgreich zu lehren, aber nur wenige gibt es, die in demütiger Bescheidenheit und beständigem Weinen ihre Leidenschaften ausreißen und die wichtigsten Tugenden pflegen.’ Dabei beruft sich der ehrwürdige Simeon auch auf die heiligen Väter, die sagten: ‘Wer die Leidenschaften ausrotten will, der reiße sie unter Weinen aus, und wer Tugenden erwerben will, der strebe unter Tränen nach ihnen”. Von daher ist klar, daß ein Mönch, der nicht jeden Tag weint, weder seine Leidenschaften ausrottet, noch Tugenden gewinnt und keinen Anteil an irgendwelchen Geistesgaben haben kann. Denn eine Geistesgabe ist etwas anderes als eine Tugend. Etwas ähnliches sagt auch der uns zeitlich am nächsten stehende Vater, der ehrwürdige Nil Sorskij, die Leuchte Rußlands, der, nachdem er aufmerksam die Heilige Schrift studiert hatte, in Anbetracht der traurigen Lage der Dinge und der menschlichen Nachlässigkeit im Vorwort zu seinem Buch den Aspiranten folgenden Rat gibt: ‘Es ist unerläßlich, mit der größten Mühe einen wohl bewanderten Lehrer zu suchen, und wenn sich ein solcher nicht findet, dann befehlen uns die heiligen Väter, sich an der Heiligen Schrift und an den Lehren der gottragenden Väter zu orientieren nach dem Wort des Heilandes, der sprach: Ihr forschet in den Schriften, weil ihr glaubt, darin das ewige Leben zu besitzen (Jh 5,39)’. Obgleich der hl. Nil Sorskij dies nur im Hinblick auf das Herzensgebet sagte, macht sich die Notwendigkeit, einen erfahrenen Lehrer zu haben, im Kampf mit den schlechten Leidenschaften und bei der Erfüllung der Gebote Gottes nicht weniger fühlbar. So ist, mein Bruder, aus allem Gesagten ersichtlich, daß es uns äußerst nottut, tiefbekümmert und mit vielen Tränen Tag und Nacht in den heiligen und kirchenväterlichen Schriften zu studieren; außerdem sollten wir uns mit gleichgesinnten Aspiranten und älteren Vätern beraten, wodurch wir lernen, die Gebote Gottes zu erfüllen und das Beispiel unserer heiligen Väter nachzuahmen. Nur auf diesem Weg können wir mit Gottes Erbarmen und durch unsere eigenen Mühen das Seelenheil gewinnen”.
Vissarion fiel zu den Füßen Paisijs und flehte ihn unter Tränen an, ihn als Schüler zu sich zu nehmen. Paisij war tief ergriffen durch dieses Ansuchen. Er wollte doch so gerne selber Schüler sein, wenn er nur einen erfahrenen geistlichen Führer hätte finden können. Drei Tage ohne Unterlaß bettelte Vissarion Paisij, er möge ihm gestatten, bei ihm zu wohnen. Gerührt durch die Tränen und die Unterwürfigkeit Vissarions gab Paisij schließlich nach und zeigte sich einverstanden, ihn bei sich aufzunehmen, aber nicht als Schüler, sondern als Freund, um zusammen den mittleren Pfad zu beschreiten: daß einer dem anderen den Willen Gottes eröffne, je nachdem, wem gerade Gott mehr Einsicht in die Heilige Schrift gibt, daß sie sich gegenseitig zur Erfüllung der göttlichen Gebote und zu allem Edlen ermuntern und jeder vor dem anderen seinen eigenen Willen und seine Beurteilung hintanstelle, daß sie sich gegenseitig in allem der Seele Zuträglichen fügen, nur eine Seele und ein Begehren haben und alles für das Leben Unerläßliche gemeinsam besitzen. Es erfüllte sich so der ständige Wunsch Paisijs, mit einem gleichgesinnten Bruder in gegenseitiger Liebe und Gehorsam zusammenzuleben. Als Ratgeber und Führer hatten sie dabei die Heilige Schrift und die Lehren der heiligen und gottragenden Väter. So lebten sie in tiefem Frieden, brannten mit jedem Tag mehr im Geist und legten eine neue Grundlage für ihr geistiges Wachstum.” (@Cetverikov, S. 82-85).
Auf diese Weise wurde der Grundstein für die berühmte Paisij-Bruderschaft gelegt. Etwa von jener Zeit an begann Veli¡ckovskij seine Bemühungen zur Sammlung, Korrektur, Neuübersetzung und Verbreitung der patristischen Literatur, eine Aufgabe, die er bis zu seinem Tod fortsetzte. In einem Brief an den Vorsteher der Sofronij-Einsiedelei, Archimandrit Feodosij, erläuterte er die Ursachen, die ihn zu diesem Werk inspirierten:
“Damals lebte ich noch auf dem Heiligen Berg Athos und wußte genau aus der Lehre und den Geboten unserer gottragenden Väter, daß es dem geistlichen Führer der Bruderschaft nicht gebührt, sich auf seine eigene Vernunft und sein Urteil zu verlassen, sondern daß er sich an den wahren und rechten Sinn der Heiligen Schrift halten muß, wie ihn die göttlichen Väter, die ökumenischen Lehrer und die Lehrmeister des monastischen Lebens, erleuchtet von der Gnade des Heiligen Geistes, lehrten. Dabei war ich mir wohl meiner Geistesarmut bewußt und fürchtend, daß ich als Folge meiner mangelnden Erfahrung nicht selber wie ein Blinder in die Grube stürze und andere noch hineinstoße, beschloß ich, zur unerschütterlichen Grundlage einer wahren und echten Unterweisung die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes und deren rechte Auslegung in der Gnade des Heiligen Geistes zu machen: nämlich die Lehre unserer gottragenden Väter, ökumenischen Lehrer und Mentoren im monastischen Leben, sowie alle apostolischen, konziliarischen und kirchenväterlichen Kanones, welche die heilige, katholische, apostolische Kirche des Ostens umfaßt, ebenso wie all ihre Gebote und Verordnungen. All das akzeptierte ich als Führung für mich selbst und die Bruderschaft, damit sowohl ich, als auch die mit mir wohnenden Brüder unter Wirkung und Mithilfe der göttlichen Gnade Nutzen daraus ziehen und in keinem Punkt von dem gesunden und lauteren konziliaren Geist der heiligen Orthodoxen Kirche abweichen. Und vor allem machte ich mich mit Eifer daran, unter großen Mühen und Unkosten, mit Gottes Hilfe patristische Literatur zu sammeln über den Geist des Gehorsams und der Nüchternheit, über Konzentration und Gebet. Einige Werke schrieb ich eigenhändig ab, andere kaufte ich um das Geld, das ich durch meine Arbeit für das Unentbehrlichste zu unserem Lebensunterhalt erworben hatte; so mußten wir uns äußerst in Nahrung und Kleidung einschränken. Wir kauften die oben erwähnten patristischen Bücher in slawischer Sprache und betrachteten sie wie einen himmlischen, uns von oben von Gott gesandten Schatz.” (@@Cetverikov, S. 98-99).
1758, mit 36 Jahren, wurde Paisij, nachdem er schließlich den inständigen Bitten der gesamten Bruderschaft nachgegeben hatte, zum Priester geweiht. Bereits 1763 jedoch nötigten ihn die Umstände, zusammen mit der zahlenmäßig ziemlich angewachsenen Bruderschaft den Berg Athos zu verlassen und in die Moldauer Walachei überzusiedeln. Dort wurde ihnen das Kloster des Heiligen Geistes Dragomirna in der Bukovina zur Verfügung gestellt. Dies war jedoch nicht der letzte Umzug der Bruderschaft: aus Dragomirna mußte sie in das Sekulskij Kloster übersiedeln (1775), und von dort nach Njametz (1779), wo der selige Schema-Archimandrit Paisij am 15. November 1794 im Herrn entschlief.
Nachdem er sich in Dragomirna niedergelassen hatte, legte Vater Paisij innerhalb kurzer Zeit dem Moldauer Metropoliten und dessen Synod die Satzung seiner Bruderschaft vor. Folgende Punkte daraus sind von besonderem Interesse für uns:
Art. 2: Der zweite Angelpunkt, an dem unserer Ansicht nach das gesamte monastische Leben hängt, ist, den Geist des Gehorsams zu pflegen, d.h. jede eigene Willensregung und Erwägung oder Eigenmächtigkeit zu bespeien und zu verwerfen, den Willen und die Meinung und die Anordnungen seines Vaters, die mit der Heiigen Schrift übereinstimmen, beflissentlich zu erfüllen suchen, und der Bruderschaft als dem Herrn Selber, jedoch nicht Menschen, mit Gottesfurcht und Demut bis zum Tode zu dienen.
Art. 3: Welcher Art muß der Vorsteher sein? Er muß die Heilige Schrift und die Lehren der gottragenden Väter studieren und darf außer deren Zeugnisse nichts von sich selber aus den Brüdern vortragen, weder in Form von Lehren noch Anweisungen, sondern er soll sie oft unterweisen und ihnen den Willen Gottes enthüllen. Er soll sich in der Festlegung des Gehorsams von der Schrift leiten lassen und wissen, daß das Wort Gottes ihm und den Brüdern Meister und Wegweiser zum Heil ist. Er soll ein Vorbild der Demut sein und in allem die Eintracht geistiger Liebe widerspiegeln. Er soll keine Sache ohne Beratschlagung unternehmen, sondern in geistiger Unterscheidung erfahrene Brüder versammeln und mit ihrem Rat nach Erforschung der Schrift ans Werk gehen. Wenn jedoch eine Angelegenheit aufkommt, die vor der gesamten Gemeinschaft besprochen werden muß, dann mögen sich alle versammeln, und mit allgemeiner Anteilnahme und Erwägung möge die Sache in Angriff genommen werden. So wird unter den Brüdern Frieden und Gleichgesinntheit herrschen, und alle werden in unzerstörbarer Liebe verbunden sein.
Art. 7: Der Vorsteher wird um der Übung der Demut und des Gehorsams willen und zur Ausrottung des Eigenwillens in allen Belangen – der Leiter, welche die Novizen zum Himmlischen Reich emporführt – angehalten, die Brüder in die Küche, die Bäckerei, das Lager, das Refektorium und zu allen sonstigen innerklösterlichen Diensten zu beordern.
Zur Erläuterung, wie diese Prinzipien im alltäglichen Leben des Klosters verwirklicht werden können, führen wir einen Auszug aus einem Brief des Schema-Archimandriten Paisij an die Bruderschaft des Poljanomerulskij Kloster an:
“Von Gott und von den heiligen Vätern her gilt folgende Ordnung: in jeder Sache, selbst wenn irgendein Bruder sehr erfahren wäre, muß man zuerst den Vorsteher fragen, man darf ihn nicht zu seiner eigenen Meinung nötigen, vielmehr muß man warten, wie er urteilt und entscheidet. Der Bruder sollte seine Gedanken vollständig ignorieren, und als ob er nichts wüßte, an den Vater herantreten und ihn fragen, ob er diese oder jene Angelegenheit gutheißt und segnet, und so wie dieser sagt, muß er verfahren. Dann gibt Gott, der die Demut des Bruders und seinen echten Gehorsamswillen sieht (denn ohne Demut gibt es auch keinen Gehorsam), durch Seinen Heiligen Geist dem Vorsteher ein, welche Antwort dem Fragenden frommt und hilft dem Novizen durch Seine unsichtbare Gnade bei dem begonnenen Werk. Wenn der Vorsteher, nicht genötigt, von selbst antwortet: ‘Handle nach deinem Gutdünken’, dann mache dich mit Gottesfurcht und auf die Gebete deines Vaters vertrauend ans Werk, wie Gott es dir eingibt. Wenn du den Auftrag erfüllt hast oder von der Reise zurückgekehrt bist, gehe wieder zu deinem Vater und berichte ausführlich alles Verrichtete, falle zu seinen Füßen, bitte um Verzeihung, wenn du in irgend etwas nicht richtig gehandelt hast, denn alleine Engel sind völlig sündlos. So demütigt euch voreinander, achtet einander, pflegt göttliche Liebe untereinander und durch Christi Gnade möget ihr eine Seele und eines Herzens sein.” (@Cetverikov, S. 214-215).
Etwas ganz ähnliches lesen wir in der Lebensbeschreibung eines geistigen Streiters aus neuerer Zeit, nämlich des seligen Schemamönches Siluan, der sich im Russischen Panteleimon-Kloster in Askese übte, wo er im Jahre 1938 im Herrn entschlief. Bedenken wir, daß auch die Bruderschaft Paisijs auf dem Heiligen Berg ihren Anfang nahm:
“Starez Siluan hatte keine Schüler im üblichen Sinn dieses Wortes und erhob keinen Anspruch darauf, ein Lehrer zu sein; auch war er selber nicht Schüler irgendeines bestimmten Starez, sondern er wurde wie die Mehrheit der Athosmönche vom Fluß der allgemeinen Überlieferung geformt: durch die ständige Anwesenheit in der Kirche bei den Gottesdiensten, durch das Hören und Lesen des Wortes Gottes und der Werke der Kirchenväter, durch Gespräche mit anderen Novizen auf dem Heiligen Berg, durch strenges Einhalten der vorgeschriebenen Fasten, durch Gehorsam gegenüber dem Abt, Beichtvater und Vorgesetzten bei der Arbeit. Besonders tiefe Aufmerksamkeit widmete er dem inneren geistlichen Gehorsam dem Abt und Beichtvater gegenüber und erachtete diesen für ein Sakrament der Kirche und ein Geschenk der Gnade. Wenn er sich an den geistlichen Vater wandte, betete er, daß der Herr sich durch Seinen Diener seiner erbarmen möge, ihm Seinen Willen und Weg zum Heil auftun möge; und da er wußte, daß der erste Gedanke, der nach dem Gebet in der Seele aufsteigt, ein Hinweis von oben ist, erhaschte er das erste Wort des geitlichen Vaters, seine erste Andeutung und führte das Gespräch dann nicht weiter. Darin liegt die Weisheit und das Geheimnis des wahren Gehorsams, dessen Ziel die Erkenntnis und Erfüllung des göttlichen und nicht des menschlichen Willens ist. Solch geistlicher Gehorsam ohne Widerrede und Entgegnung – nicht nur einer in Worten ausgedrückten, sondern sorgar einer innerlichen unsichtbaren – ist im allgemeinen die einzige Bedingung zur Wahrnehmung einer lebendigen Ergebung.
Die lebendige Hingabe in der Kirche, die von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte fließt, ist eine der wesentlichsten und zugleich substilsten Seiten ihres Lebens. Dort, wo es von seiten des Schülers keinen Widerstand dem Lehrer gegenüber gibt, öffnet sich die Seele des letzteren als Antwort auf das Vertrauen und die Demut leicht und vielleicht sogar vollständig. Aber sobald auch nur ein kleiner Widerstand dem geistlichen Vater gegenüber aufkommt, reißt unvermeidlich der Faden reiner Ergebung ab und die Seele des Lehrers verschließt sich.
Vergeblich meinen viele, daß der geistliche Vater ‘ebenso ein unvollkommener Mensch’ ist, daß man ‘ihm alles ausführlich erklären muß, denn sonst begreift er nichts’, daß er ‘leicht irren kann’, und daß man ihn deshalb ‘korriegieren’ muß. Wer dem geistlichen Vater widerredet oder ihn verbessert, stellt sich über ihn und ist bereits kein Schüler mehr. Ja, keiner ist vollkommen und es gibt keinen Menschen, der sich erkühnen könnte zu lehren, wie der ‘mit Vollmacht’ redende Christus. Denn der Gegenstand der Lehre ist nicht ‘Menschenwerk’ und auch nicht ‘von einem Menschen empfangen’ (Gal 1,11-12), sondern in den ‘armseligen Gefäßen’ wird der kostbare Schatz des Heiligen Geistes aufbewahrt, der nicht nur kostbar ist, sondern seinem Charakter nach auch nicht leicht aufzutun ist, und nur derjenige, der auf dem Weg ungeheuchelten und vollkommenen Gehorsams voranschreitet, dringt zu dieser geheimen Schatzkammer vor.
Der verständige Novize oder Beichtende verhält sich bei dem geistlichen Vater folgendermaßen: in wenigen Worten äußert er seinen Gedanken oder das Wichtigste über seinen Zustand und läßt dann dem Geistlichen freie Hand. Der Geistliche, der vom ersten Augenblick der Unterredung an betet, wartet auf die Eingebung von Gott, und wenn er in seiner Seele eine ‘Benachrichtigung’ fühlt, dann gibt er seine Antwort, bei der man es auch belassen sollte, denn nachdem dem Geistlichen das ‘erste Wort’ entschlüpfte, schwächt sich die Wirkung des Sakramentes bereits ab und die Beichte kann zu einer rein menschlichen Erörterung werden.
Wenn der Novize (Beichtende) und der geistliche Vater die gebührende Haltung zum Sakrament bewahren, dann kommt die Eingebung von Gott schnell; wenn aber aus irgendeinem Grunde keine ‘Benachrichtigung’ erfolgt, dann kann der Geistliche um weitere Erklärungen bitten, und nur dann sind sie am Platze. Wenn der Beichtende, der dem ersten Wort des Geistlichen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkte, ihn mit seinen Erklärungen überschüttet, dann beweist er schon dadurch seinen Mangel an Vertrauen und Einsicht und verfolgt den verdeckten Wunsch, den Geistlichen seiner Meinung geneigt zu machen. In diesem Fall beginnt bereits ein psychologischer Kampf, welchen der Apostel Paulus als ‘nicht nutzbringend’ bezeichnet (Hebr 13,17).” (Hieromonachos Sofronij, Starez Siluan, S. 37-38).

Kehren wir nun zu der Ansicht von Schema-Archimandrit Paisij zurück. Es folgt ein Auszug aus einem Brief an seinen Freund und Schüler, den Priester Dimitrij (1766):
“Das Vorbild des Herrn nachahmend lebten in der Urkirche 8000 Christen einmütig zusammen, wobei sie nichts als ihr eigen betrachteten, sondern alles gemeinsam hatten, und dank eines solchen Lebens waren sie eines Herzens und einer Seele. In solch einer Gemeinschaft lebten auch unsere ehrwürdigen Väter allerorten, in den Lavren und in den Klöstern, wobei sie die vom hl. Basilius dem Großen aufgestellte Regel befolgten und wie die Sonne leuchteten. Keine andere Lebensform als die Koinonia in seligem Gehorsam bringt dem Menschen solchen Fortschritt, befreit ihn so schnell von allen psychischen und physischen Leidenschaften: dank der Demut, welche aus dem seligen Gehorsam geboren wird und den Menschen in seinen ursprünglichen lauteren Zustand zurückversetzt, in ihm das Ebenbild und die Ähnlichkeit Gottes erneuert und die durch die Heilige Taufe verliehene Gabe Gottes wiederherstellt, und ihm auch noch andere Vorzüge verleiht, deren der wahre Novize durch Gottes Gnade und wegen seiner Demut teilhaftig wird, was er auch selbst zuweilen in seiner Seele fühlen kann. Die Koinonia von im Namen Christi versammelten Brüdern vereinigt diese – welchem Volk oder Geschlecht sie auch angehören mögen – durch so große gegenseitige Liebe, daß sie alle, einer für den anderen, ein Leib mit seinen Gliedern werden, der ein gemeinsames Haupt, nämlich Christus hat. So glühen sie in Liebe zu Gott, zu ihrem geistlichen Vater und zu einander, und haben alle einmütig und einträchtig ein und dasselbe Ziel, nämlich emsig die Gebote Gottes zu erfüllen und zu halten, sich dazu gegenseitig zu ermuntern, sich einander unterzuordnen, einer des anderen Last zu tragen, einer dem anderen Herr und zugleich Diener zu sein. Im Namen dieser heiligen und gesinnungsgleichen Liebe werden sie Nachahmer des Lebens des Herrn Selbst und Seiner Heiligen Apostel, indem sie sich in allem ihrem geistlichen Vater unterordnen, ihm die Geheimnisse ihres Herzens anvertrauen, seine Worte und Weisungen, als wären sie aus dem Munde Gottes Selber, akzeptieren, ihren eigenen Willen und ihre Erwägungen, die der Ansicht ihres Vaters widersprechen, wie ein schmutziges Kleid verachten, das man verflucht und weit von sich wirft: sie fliehen diese wie eine teuflische Verlockung, sie fürchten sie wie das Höllenfeuer und bitten beständig Gott, Er möge sie durch Seine Gnade vor solchem Übel bewahren und ihnen helfen, sich ganzen Herzens an ihren Vater zu wenden, wie Kinder an die Mutter, ihm in allem folgen, wie Schafe dem Hirten, und sich ihm unterordnen, wie das Kunstwerk dem Künstler, und in nichts nach ihrem eigenen Urteil handeln. Dieser göttliche Gehorsam, als die Wurzel und Grundlage des gesamten monastischen Lebens, ist ganz eng mit dem Gemeinschaftsleben verbunden, so wie die Seele mit dem Körper liiert ist und eines ohne das andere nicht existieren kann”. (@Cetverikov, S. 93-94).
In einem anderen Brief unterstreicht der selige Geistesheld von Njametz erneut, daß der wahre Gehorsam eine Tugend ist, die nur dem Mönchsstand zu eigen ist (es geht in diesem Zusammenhang um das tiefe Herzensgebet):
“Die patristischen Bücher, besonders jene, die wahren Gehorsam lehren, sowie Nüchternheit und Schweigen, Konzentration auf das innere Gebet, also jenes, das geistig im Herzen erfolgt, sind ausschließlich dem Mönchsstand, und nicht allen orthodoxen Christen allgemein, angemessen. Die gottragenden Väter, welche Belehrungen zu diesem Gebet gaben, bekräftigen, daß sein Prinzip und seine unerschütterliche Grundlage der wahre Gehorsam ist, aus dem wahre Demut erwächst: die Demut schützt den im Gebet sich Mühenden vor allen Verführungen, welche eine Folge der Eigenmächtigkeit sind. Echten monastischen Gehorsam und totale Aufgabe des eigenen Willens und Urteils in allem ist weltlichen Menschen gänzlich unmöglich zu verwirklichen. Wie wäre es Weltlingen möglich, ohne Gehorsamsübung, aus der stets von Trug begleiteten Eigenmächtigkeit, so etwas Schreckliches und Fürchterliches, nämlich solch ein Gebet ohne jegliche Anweisung zu unternehmen? Wie sollten sie den vielfäligten und unterschiedlichsten feindlichen Verlockungen entkommen, die auf dieses Gebet und diejenigen, die es praktizieren, heimtückisch hereinbrechen? So schrecklich ist diese Sache: das Gebet, jedoch nicht das rein mentale Gebet, das einfach in Gedanken gesprochen wird, sondern das mit bestimmter Methode vom Geist im Herzen vollzogene, daß auch echte Novizen, die Willen und Eigenurteil ihren Vätern, wirklichen und erfahrenen Lehrmeistern auf diesem Gebet, nicht nur übergeben, sondern sogar völlig abgetötet haben, beständig in Furcht und Zittern verweilen, daß sie in diesem Gebet nicht irgendeinem Trug zum Opfer fallen mögen, obwohl sie Gott, dank ihrer wahren Demut, die sie durch die Gnade Gottes und ihren aufrichtigen Gehorsam erwarben, immerdar vor solchem Unheil bewahrt. So laufen Weltlinge, die keinen Gehorsam gelobt haben, wenn sie sich nur durch Lesen von diesbezüglichen Büchern an das Gebet machen, Gefahr, in irgendeine Verlockung zu fallen, was denen, die eigenmächtig seine Praxis unternehmen, leicht passieren kann.” (Leben und Schriften des Moldauer Starez Paisij Veli¡ckovskij, hrsg. in Vvedenskaja Optina Pustyn’, 1847, zit. nach Bd. 2, ges. Werke Bischof Ignatij, 3. Ausg. Sankt Petersburg 1905).

Die immer größer gewordene Berühmtheit Paisijs und seiner Bruderschaft, besonders gegen Ende seines Lebens, bewog nicht nur Mönche, sondern auch Laien, bei ihm Rat zu suchen. Viele davon kamen selber nach Njametz, aber es gab auch solche, die sich brieflich an den für sein erhabenes Leben berühmten Asketen wandten, und sie erhielten immer gründliche und ausführliche Antworten von ihm. Sein Nachlaß an Briefen erlaubt uns ziemlich genau festzustellen, welche Beziehung der Schema-Archimandrit von Njametz zu den Laien hatte, und welche Art von Empfehlungen er ihnen gab.
1794 erhielt der selige Paisij einen Brief aus Rußland, worin ihm einige Gläubige Fragen stellten, die er selber als “wahre Knechte Gottes, Befolger der Gebote Evangeliums” bezeichnete. Seine Antwort leitet der Schema-Archimandrit mit folgenden Worten ein: “Ihren zweiten Brief erhielt ich mit besonderer Freude durch unseren geliebten Bruder, den Mönch Theophylakt, und ich preise Gott ob Ihres Eifers, den Sie hinsichtlich der makellosen Bewahrung des orthodoxen Glaubens und der von der Heiligen Kirche gepflegten apostolischen Überlieferungen und Regeln beweisen. Dieser Ihr Eifer ist von Gott und anerkennenswert. Beflügelt von ihm erweisen Sie mir derartige Liebe und Vertrauen, daß Sie sich ungeachtet meiner mangelnden Bildung mit Fragen an mich wenden, die bei weitem meine Kraft und mein Verständnis übersteigen und eher einer konziliaren Beurteilung durch die Kirche, als der Erläuterung eines Unwissenden obliegen würden. Übrigens legten Sie mir Ihre Fragen auf eine solch verständige Weise dar, daß Sie meine Antworten und Entscheidungen ohne jeden Zweifel und in vollem Vertrauen annehmen werden. Sehr lobe ich Sie wegen Ihres Eifers, aber urteilen Sie selber, wie ich ihre Fragen lösen sollte, obwohl ich dies von Herzen gerne tun möchte, wo ich erstens, wie ich schon sagte, ein einfacher und unwissender Mensch bin, und zweitens nicht die hierzu einschlägigen Bücher bei mir habe. So weiß ich nicht, was tun: Ihre Fragen ohne Antwort lassen oder irgend etwas antworten, wie es mein schwacher Verstand gestattet? Nachdem ich einige Zeit darüber nachgedacht habe, beschloß ich, Ihrer Liebe zu mir und Ihrem Eifer nachzugeben. Am meisten rührte mich, daß Sie mich um eine Antwort durch die Heilige und Lebensschaffende Dreieinigkeit bitten. All dies in Betracht ziehend fühlte ich mich durch Ihre Liebe inspiriert und bitte nun den Allmächtigen Gott-Christus, daß Er mir durch Seine Gnade helfe, diese Sache in Angriff zu nehmen und sie nach der wahren und makellosen Vernunft der heiligen katholischen Kirche auszuführen”.
Indem wir die ersten zehn Punkte des Briefes, welche die Raskolniki (Altgläubigen) und einige praktische Fragen betreffen, beiseite lassen, wenden wir uns nun dem zu, was der Asket von Njametz auf die letzte und wichtigste Fage dieser “Eiferer der Frömmigkeit” antwortet:
“Auf Ihren letzten Punkt, wo Sie die Frage stellen, wie Sie, die Sie mit Frau und Kindern in der Welt leben, Erlösung finden können, antworte ich: Wer könnte mit wenigen Worten das Thema der Erlösung erfassen? Ich kann Ihnen nur raten, daß Sie mit dem größten Eifer die Heilige Schrift und die Lehren unserer heiligen Väter studieren, denen es gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreiches einzusehen, d.h. den wahren Sinn der Heiligen Schrift. In ihrer, vom göttlichen Geist erleuchteten Lehre finden sich zur Genüge alle Belehrungen, die für die Errettung der Seele notwendig sind und die alle erlösungssuchenden Menschen zu guten Werken anspornen und gottwidriges Tun fliehen heißen. Wenn Sie eifrig und beflissen, mit Glauben und Liebe, mit Gottesfurcht und Aufmerksamkeit die Lehren der Väter studieren, werden Sie eine ständige Belehrung zu jedem guten, für die Rettung der Seele unerläßlichem Werk erhalten. Bei all meiner Unvollkommenheit berücksichtige ich jedoch, daß Sie von mir Unterweisung suchen und will Sie daher nicht enttäuschen: Der Allbarmherzige Gott errettet die orthodoxen Christen durch den orthodoxen Glauben, gute Werke und Seine Gnade. Der orthodoxe Glaube ist derjenige, welchen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche aufrechterhält, und ohne diesen Glauben kann überhaupt niemand erlöst werden. Die guten Werke sind die Erfüllung der Gebote des Evangeliums, ohne welche es, wie ohne den orthodoxen Glauben, ebenfalls nicht möglich ist, daß jemand gerettet werde. Der orthodoxe Glaube ohne gute Werke ist tot, und die guten Werke ohne orthodoxen Glauben sind tot. Wer gerettet werden will, muß unbedingt das eine mit dem anderen verbinden und auf diese Weise durch die Gnade des göttlichen Christus, der gesagt hat ohne Mich könnt ihr nichts tun das Heil gewinnen.
Man sollte im Auge behalten, daß Christus, der Heiland, für alle orthodoxen Christen gleichermaßen gute Werke vorschrieb, für Mönche ebenso wie für Laien, die in der Welt mit Frau und Kindern leben: Er sucht und fordert von allen die allereifrigste Erfüllung Seiner Gebote, so daß jene, die sie verletzen und nicht bereuen, keine Entschuldigung haben und bei Seiner schrecklichen zweiten Wiederkunft nicht Rede stehen können. Alle orthodoxen Christen, männlichen wie weiblichen Geschlechtes, jeden Alters und Ranges, gesunde wie mit allerlei Gebrechen auf dem Krankenlager darniederliegende, schwache und alte: alle können sie mit Hilfe der Gnade Gottes allein durch ihren guten Willen und eine demütige Haltung ohne jede Schwierigkeit die Gebote Christi erfüllen und auf diese Weise Erlösung finden. Die Gebote des Evangeliums, wenigstens die wichtigsten und allgemeinsten davon, sind dermaßen unerläßlich für die Erlösung, daß es keine Rettung für die Seele geben kann, wenn auch nur die Beherzigung eines einzigen unterbleibt. Es sind dies: Liebe zu Gott und zum Nächsten, Sanftmut und Demut, Friede mit allen und Langmut, Verzeihen der Verfehlungen des Nächsten von ganzem Herzen, Liebe zu den Feinden, Mildtätigkeit dem Nächsten gegenüber sowohl seelischer als auch körperlicher Art. Diese und andere im heiligen Evangelium aufgezählten Gebote Christi muß man unbedingt mit allem Eifer zu erfüllen suchen; insbesondere jedoch sollte man Gott aus ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen und mit all seinem Gemüt lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, der Sanftmut Christi nacheifern, also bis zum Blute der Leidenschaft des Zornes widerstehen, in Frieden mit allen leben, was dermaßen wichtig ist, daß Christus Selbst oftmals zu Seinen Jüngern sprach: Friede sei mit euch, Meinen Frieden lasse ich euch, Meinen Frieden schenke ich euch. Wo der Friede Christi ist, dort ist auch Christus anwesend; in der Seele, die Christi Frieden nicht besitzt, weilt Christus auch nicht. Geduld ist so sehr unerläßlich für das Heil, daß Christus sprach: In eurer Geduld gewinnt ihr eure Seelen. Der Gewinn der Seele ist jedoch nichts anderes als die Errettung der Seele. Und Geduld muß man nicht nur für eine bestimmte Zeit üben, sondern bis zum Tod, denn derjenige, der bis zum Ende ausharrt, wird gerettet werden. Wer aus ganzem Herzen seinem Nächsten dessen Sünden erläßt, wer seinen Nächsten nicht veruteilt, der wird auch selbst von Gott nicht verurteilt werden. Wer könnte in Kürze alle Gebote des Evangeliums aufzählen, die ein jeder, der gerettet werden will, einhalten und wie seinen Augapfel hüten muß?
Die Demut, welche die Grundlage aller Evangeliumsgebote ist, ist ebenso notwenig zum Heil, wie der Atem für das physische Leben. Die Heiligen gewannen die Erlösung auf verschiedenen Wegen, aber ohne Demut wurde noch keiner gerettet, noch kann jemand gerettet werden. Daher muß jeder, der erlöst werden will, sich aus ganzem Herzen als der letzte vor Gott fühlen und bei jeder Versündigung nur sich selber und niemals einen anderen für schuldig halten. Wenn man auf diese Weise, mit Gottes Hilfe die Evangeliumsgebote einhält und sich vor Gott erniedrigt, wird man der Barmherzigkeit Gottes und der Vergebung seiner Sünden und des Empfangs der Gnade Gottes würdig. Durch das Erbarmen Gottes erlangt man das Heil seiner Seele mit aller Gewißheit. Außerdem muß ein orthodoxer Christ auch alle kirchlichen Vorschriften sorgfältig beachten. Das Sakrament der Reue besteht darin, wahrhaft vor Gott zu bereuen, von seinen Sünden abzulassen, einen festen Entschluß mit Gottes Hilfe zu fassen, nicht mehr zu ihnen zurückzukehren; dann soll man all seine Sünden vor dem Beichtvater, wie vor Gott Selbst bekennen, von ihm die Lösung der Sünden erhalten und gegebenenfalls auch eine Epithymie für begangene Sünden nach der kirchlichen Ordnung von ihm annehmen. Über die Vorbereitung zu der Kommunion der Göttlichen Geheimnisse will ich folgendes sagen: Es ist unerläßlich, daß man zur Kommunion der Heiligen Geheimnisse Christi mit lauterem Herzen herantrete, mit Fasten und Zerknirschung, nachdem man sich vollkommen mit allen versöhnt hat, nach christlichem Brauch die ganze Regel angehört hat und unter keiner Epithymie, welche die Kommunion verbietet, stehe; mit Furcht und Zittern, mit Glauben und Liebe und Verbeugungen, die dem Einzigen Gott gebühren, damit die Kommunion zur Nachlassung der Sünden und zum ewigen Leben gereiche. Darüber, wie das häusliche Leben mit Frau und Kindern zu gestalten ist, über alle sonstigen christlichen Pflichten können Sie die besten Unterweisungen in den Schriften des hl. Johannes Chrysostomos und anderer Heiliger lesen.
Hier sind also meine Antworten auf Ihre Fragen, die ich auf Ihre inständige Bitte hin, richtiger gesagt, auf Ihre Nötigung hin, gegen meinen Willen geben mußte, und mit Gottes Hilfe sind wir zu Ende gekommen. Ihr jedoch, Christusliebende, die ihr mir eure Fragen vorgelegt habt, vergebt mir Sünder, wenn ich Euch nicht nach Eurem Wunsch, als Folge meines Nichtvermögens die passenden Antworten auf eure Fragen nach den heiligen Regeln geben konnte: denn ich konnte keine Regeln finden, die auf alle Antworten passen. Nachdem Ihr meine Antwort erhalten habt, lest sie aufmerksam, und wenn ihr darin irgend etwas in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und dem wahren Geist der Kirche findet, dann folgt dem. Wenn ich jedoch in meinen Antworten als Mensch in irgend etwas fehlte, dann folgt nicht meinen Fehlern, sondern haltet Euch in allem an den gesunden Verstand und das Urteil der heiligen katholischen Kirche; auf diese Weise werdet ihr nie sündigen. Möge Gottes Liebe und Frieden mit euch sein. Amen.” (@Cetverikov, S. 219, 237-240).

Ansichten, die dem Standpunkt des seligen Schema-Archimandrit Paisij ganz nahe kommen, brachte bereits im vergangenen Jahrhundert einer der bedeutendsten geistlichen Schriftsteller Rußlands, nämlich Bischof Ignatij Brjan¡caninov, zum Ausdruck.
Bischof Ignatij (in der Welt Dimitrij Akeksandrovi¡c Brjan¡caninov) wurde 1807 geboren. Sein Vater war ein Adeliger aus edlem Geschlecht und ein reicher Grundbesitzer aus dem Gouvernement Vologda. Auf Drängen der Eltern, aber gegen seinen Willen, trat Dimitrij Alexandrovi¡c in die Petersburger Militär-Ingenieur-Akademie ein, die er erfolgreich abschloß; danach betätigte er sich ein halbes Jahr lang als Offizier beim Bau der Festung von Dinaburg. Mit 20 Jahren nahm er seinen Abschied vom Militär und trat als Novize in das Alexander-Svirskij-Kloster ein. Von seinen ersten Schritten an war hier sein geistlicher Führer Vater Leonid, der in Zukunft so gefeierte Starez der Optina Pustyn’. Ein Jahr später begab sich Vater Leonid in das Plo¡s¡cank Kloster der Eparchie Orel, wohin ihm der junge Novize ebenfalls folgte. Im Frühjahr 1829 wechselten sie zum Skit der Optina Vvedenskaja Pustyn’ der Eparchie Kaluga über.
Im Herbst 1830 ließ sich Dimitrj Alexandrovi¡c mit dem Segen des hochgeweihten Stefan, Bischof von Vologda, in der Einsiedelei von Semigrad nieder, und im Winter 1831 wurde er in das weiter entfernte Dionysios-Kloster von Glu¡sitz versetzt.
Am 28. Juni 1831 wurde Brjan¡caninov von Bischof Stefan zum Mönch mit Namen Ignatij (zu Ehren des heiligen Märtyrers Ignatius des Gottesträgers) geweiht. Am 4. Juli desselben Jahres wurde er zum Mönchsdiakon geweiht, und am 25. bereits zum Mönchspriester. Am 6. Januar 1832 wurde Hieromonach Ignatij Vorsteher des Lopotov-Klosters von Pel¡sensk, und wegen seiner eifrigen Bemühungen um dieses Kloster wurde er am 28. Mai 1833 mit dem Titel eines Igumen ausgezeichnet.
Am 1. Januar 1834 fand in der Kazan-Kathedrale von Sankt Petersburg die Beförderung von Igumen Ignatij zum Archimandriten statt, und bald darauf wurde er auf Wunsch des Zaren Vorsteher der unweit der Hauptstadt gelegenen Sergievaja Pustyn’. Am 23. Oktober 1857 fand im Heiligen Synod die Ernennung von Archimandrit Ignatij zum Bischof vom Kaukasus und Schwarzen Meer statt, und am 27. wurde er in der Kazan-Kathedrale zum Bischof geweiht. Am 4. Januar 1858 kam Vladyka Ignatij in Stavropol’ im Kaukasus an.
Der unvergeßliche Bischof wirkte in den drei Jahren seiner pastoralen Tätigkeit ungeheuer viel, aber bereits im Herbst 1861 sah er sich wegen ernster Unpäßlichkeiten gezwungen in den Ruhestand zu treten. Seine letzten Jahre verbrachte Vladyka Ignatij in dem Nikolo-Babajevskij Kloster an der Wolga, in der Eparchie Kostroma. Hier konnte sich der Hierarch seinen schriftstellerischen Aufgaben widmen. Am 30. April 1867, am Sonntag der Myronträgerinnen, entschlief der selige Bischof friedlich im Herrn.
Das literarische Erbe des hochwürdigen Bischofs umfaßt fünf große Bände. Sehr viele seiner Schriften berühren unser Thema, am meisten handelt der fünfte Band, der den Titel Beitrag zum zeitgenössischen Monastizismus trägt und mit den Regeln zum äußerlichen Verhalten für Anfänger im Mönchstum beginnt, davon. Hier folgen die ersten Punkte dieser “Regeln”:
“1. Die heiligen Väter bezeichnen das Kloster als eine Heilsanstalt (Krankenhaus). Sie haben recht: Das Kloster ist eine moralische Heilsanstalt. Wir kamen aus der Welt ins Kloster, um unsere sündigen Gewohnheiten, die wir uns im weltlichen Leben angeeignet haben, fallen zu lassen und außerhalb der Reichweite der Verlockungen, von denen die Welt so voll ist, im echt christlichen Sinne zu wandeln. Als Lohn für das wahre christliche Leben auf Erden hoffen wir auf ewige Seligkeit im Himmel. So müssen wir also alle Bemühungen daran setzen, das Ziel, mit dem wir ins Kloster eintraten, zu verwirklichen, damit uns das Leben im Kloster zum Heil gereiche und keinen Anlaß zu unserer Verurteilung bei dem letzten Gericht gebe. Diejenigen, die sich in ein Krankenhaus begeben, verpflichten sich zu ihrem eigenen Nutzen, in allem den Anweisungen des Arztes zu folgen, und sie dürfen in puncto Essen, Kleidung, Bewegung, Arznei nicht ihrem eigenen Gutdünken folgen; sonst fügen sie sich
Schaden statt Nutzen zu. Ebenso verpflichtet sich auch jeder ins Kloster Eintretende, sich nicht Askeseübungen und Praktiken hinzugeben, wie sie ihm selbst heilsam und notwendig erscheinen, sondern solchen, die ihm vom Vorsteher persönlich oder durch die klösterliche Obrigkeit angezeigt und aufgetragen werden.
3. Im Allgemeinen werden alle monastischen Übungen als Obedienz bezeichnet. Diese Gehorsamsaufgaben muß man mit aller Sorgfalt, mit strenger Gewissenhaftigkeit ausführen und fest überzeugt sein, daß das Aufsichnehmen solcher Obedienzen unabdinglich für die Errettung ist. Die klösterlichen Arbeiten heißen auch deshalb Gehorsamsübungen, weil sie mit der Abkehr vom eigenen Willen und allem eigenen Räsonieren verbunden sind. Daher wird bei der Ausführung der Gehorsamsaufgaben das Gewissen einer ständigen Prüfung unterworfen. Die Früchte der Übung im Gehorsam sind: wahre Demut und geistiges Verständnis. Praktiken und Mühen, die aus Eigenwillen oder besonderer Lust unternommen werden, vor allem wenn die Unterwürfigkeit dabei außer acht gelassen wird, bringen, so groß sie auch sein mögen, keinen geistigen Nutzen, und weil sie eben eine Folge von Eigendünkel und Stolz sind, verstärken sie im Gegenteil diese Leidenschaften noch ungemein und entfernen den Mönch vollkommen von der christlichen, gnadenerfüllten Gesinnung, also von der evangelischen demütigen Weisheit. Der hl. Kassian sagte: ‘Die hauptsächliche Sorge des Starez, dem die Novizen anvertraut wurden, besteht darin, daß der Anfänger als erstes lerne, seinen Willen zu besiegen, wodurch er, schrittweise eingewiesen, zu den Höhen der Vollkommenheit emporsteigen kann. Um ihn dazu mit aller Sorgfalt und allem Fleiß zu erziehen, versucht der Starez, ihm absichtlich das aufzutragen, was seinem Willen widerstrebt. Die großen ägyptischen Wüstenväter bekräftigen, aus ihrer reichen Erfahrung schöpfend, daß der Mönch, besonders der junge, nicht imstande ist, die Anwandlungen der Begierde zu zähmen, wenn er nicht zuvor gelernt hat, seinen Willen durch Gehorsam abzutöten. Sie zeugen entschieden davon, daß derjenige, der nicht zuvor gelernt hat, seinen Willen zu besiegen, Zorn und Unmut oder den Geist der Buhlerei einfach nicht auslöschen, geschweige denn wahre Herzensdemut, noch die beständige Einmütigkeit mit den Brüdern erwerben kann, und es auch nicht lange im Kloster aushalten wird. Sie bemühen sich, den Anfängern diese Regeln, wie ein ABC, das zur Vollkommenheit führt, beizubringen und sie prüfen daran, welcher Art die Demut der Anfänger ist, ob sie echt oder geheuchelt oder imaginär ist.’”
Nach den Regeln zum richtigen Wandel gibt Bischof Ignatij “Ratschläge hinsichtlich des seelischen Tuns des Mönches”. Hier betreffen zwei Kapitel unmittelbar unser Thema, die wir deshalb zitieren wollen (das erste davon stark verkürzt).

Kapitel XII: Über das Leben in Gehorsam bei einem Starez.
Das, was über das Einsiedler- und Klausnertum gesagt wurde, gilt auch für das Leben in Gehorsam bei einem Starez , in der Form, wie es im antiken Mönchstum gepflegt wurde: solch eine Art von Gehormsam ist unserer Zeit nicht gegeben. Der hl. Kassian der Römer sagt, daß die ägyptischen Wüstenväter, bei denen das Mönchstum besonders blühte und erstaunliche geistliche Früchte trug, versicherten, daß die Fähigkeit, gut zu führen und gut geführt zu werden, den Weisen eigen ist, und sie spezifizieren, daß dies die größte Gabe und Gnade des Heiligen Geistes ist. Eine unerläßliche Bedingung für eine solche Unterwerfung ist ein geisttragender Lehrmeister, der durch den Willen des Geistes den gefallenden Willen des sich ihm im Herrn Anvertrauenden abzutöten und in diesem gefallenen Willen auch alle Leidenschaften auszurotten vermag.
Der gefallene und verderbte Wille des Menschen schließt den Hang zu allen Leidenschaften ein. Es ist offensichtlich, daß die Abtötung des gefallenen Willens, die so großartig und siegreich durch den Willen des Göttlichen Geistes vollbracht wird, nicht durch einen Lehrer mit gefallenem Willen erwirkt werden kann, d.h. wenn der Lehrer noch selbst ein Knecht der Leidenschaften ist. “Wenn du der Welt entsagen willst – spricht der hl. Simeon, der Neue Theologe zu den Mönchen seiner Zeit – und dich im evangelischen Leben üben möchtest, dann überantworte dich nicht einem unerfahrenen oder mit Leidenschaften behafteten Lehrer, um nicht statt im evenglischen, im diabolischen Leben herangebildet zu werden, denn die Belehrung edler Lehrer ist edel, und die übler übel: böse Samen bringen unweigerlich auch böse Früchte hervor. Jeder, der blind ist und dabei meint, andere lehren zu können, ist ein Betrüger und wirft denjenigen, der ihm folgt, in die Grube des Verderbens, gemäß dem Worte des Herrn: Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen (Mt 15,14)”. Ein anderes Mal, als er einem Mönch rät, nach der Weisung des geistlichen Vaters zu handeln, fügt dieser große Gottgefällige hinzu: “Doch möge er so nur verfahren, falls er die Gewißheit hat, daß sein geistlicher Vater des göttlichen Geistes teilhaftig ist, daß er ihm nichts wider den Willen Gottes auftragen wird, sondern daß er seiner Gabe und den Fähigkeiten des sich ihm Anvertrauenden gemäß nur das Gott Gefällige und der Seele Zuträgliche verkünden wird, damit der Mönch nicht am Ende den Menschen, statt Gott gehorcht.” In diesem Sinn mahnt auch der Apostel: Werdet nicht Sklaven von Menschen ( 1 Kor 7,23). Er befiehlt, daß die Diener ihren Herren in geistiger Gesinnung dienen sollen, nicht mit Augendienerei, sondern als Knechte Christi (Eph 6,6). Suche ich denn jetzt Menschen zu gewinnen – spricht der Apostel – oder Gott? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig sein wollte, wäre ich nicht Christi Knecht (Gal 1,10). Wißt ihr nicht: wem ihr euch als Knechte zum Gehorsam hingebt – einem Menschen materiellen Verständnisses oder Gott – dessen Knechte seid ihr, und müßt ihm gehorchen, entweder als Knechte der Sünde zum Tode oder als Knechte des Gehorsams zur Gerechtigkeit (Röm 6,16). Der Gehorsam formt den Gehorchenden nach dem Bild dessen, dem er sich unterwirft: So begatteten sich die Tiere vor den Stäben, spricht die Schrift (Gen 30,39). Jene Starzen, welche diese Rolle auf sich nehmen – verwenden wir einmal dieses unschöne Wort, das aus der heidnischen Welt stammt, um die Sache genauer zu erläutern, die eigentlich nichts anderes ist, als eine seelenvernichtende Schauspielerei und eine sehr traurige Komödie – also Starzen, welche die Rolle der alten heiligen Väter annehmen, aber keine geistigen Gaben besitzen, mögen wissen, daß allein schon ihre Absicht, ihre Gedanken und ihr Begriff von dem erhabenen Tun der Mönche ein verlogener Gehorsam ist, daß bereits schon die Form ihrer Gedanken, ihres Verstandes, ihres Wissens Selbstbetrug und dämonsiche Verblendung sind, die in den von ihnen Unterrichteten nicht die entsprechenden Früchte hervorbringen können. Ihre unrichtige oder falsche Gesinnung kann dem von ihnen geführten unerfahrenen Anfänger nicht lange verborgen bleiben, wenn dieser Anfänger sich nur ein wenig mit dem rechten Verlangen nach der Rettung seiner Seele der patristischen Lektüre widmet. Zur gegebenen Zeit muß dieser Mangel unweigerlich offenbar werden und wird Anlaß zu einer sehr unangenehmen Trennung – zu einer höchst konfliktbeladenen Beziehung zwischen Starez und Schüler, zur seelischen Zerrüttung des einen wie des anderen. Es ist etwas Fürchterliches, aus Eigendünkel und Eigenwillen eine Verantwortung auf sich zu nehmen, die nur auf Weisung des Heiligen Geistes und durch die Wirkung des Geistes getragen werden kann; etwas Schreckliches ist es, sich als ein Gefäß des Heiligen Geistes auszugeben, während die Liaison mit dem Satan noch nicht zerrissen ist, und das Gefäß sich weiterhin durch teuflische Aktivität beschmutzt! Fürchterlich ist solche Heuchelei und Verstellung! Verderblich für sich selber und den Nächsten, ein Verbrechen vor Gott, eine Gotteslästerung. Illusorisch ist es, daß man auf den hl. Zacharias verweist, der Vollkommenheit im Mönchsleben erlangte, obwohl er im Gehorsam eines unwissenden Starez, nämlich seines leiblichen Vaters Karion stand, oder auf den ehrwürdigen Akadios, der bei einem grausamen Starez seine Seele rettete, welcher seinen Schüler durch unmenschliche Schläge vorzeitig ins Grab schickte. Der eine wie der andere standen bei unwürdigen Starzen im Gehorsamsdienst, aber sie orientierten sich an den Ratschlägen der heiligen Väter sowie an all den erbaulichen Vorbildern, die sie in großer Zahl vor sich hatten: allein aus diesem Grund vermochten sie, in äußerem Gehorsam bei ihrem Starez auszuhalten. Diese Fälle stellen aber Ausnahmen von der allgemeinen Ordnung dar. “Das Wirkungsmuster der Göttlichen Vorsehung – sagte der hl. Isaak der Syrer – unterscheidet sich völlig von der allgemeinen menschlichen Ordnung”. Man mag einwenden: der Glaube an die Wahrheit rettet, der Glaube an die Lüge und die dämonische Verblendung führt ins Verderben, nach der Lehre des Apostels. Dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, – sagt er von den willentlich dem Verderben Anheimfallenden – damit sie gerettet würden, sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft der Verführung, damit sie der Lüge glauben, auf daß alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen der Ungerechtigkeit gefunden haben (2 Thes 2,10-12). Euch geschehe nach eurem Glauben (Mt 9,29) sprach der Herr, die Wahrheit in Person, zu den zwei Blinden und heilte sie von ihrer Blindheit: Kein Recht hat die Lüge und Heuchelei die Worte der Wahrheit Selbst zur Rechtfertigung ihres verbrecherischen Tuns zu wiederholen, wodurch sie die Menschen in den Untergang stürzt. Es gab zwar sehr seltene Fälle, wo der Glaube durch die besondere Vorsehung Gottes sogar durch Sünder wirkte und die Errettung dieser Sünder vollbrachte. Aber solche Fälle bilden eine Ausnahme und wenn wir sie sehen, tun wir gut daran, über die Vorsehung und die Unfaßbarkeit der Wege des Herrn zu staunen und so in Glauben und Hoffnung zu wachsen. Sehr unrecht würden wir jedoch tun, wenn wir diese Fälle als Vorbilder zur Nachahmung betrachten würden. Zum Wegweiser unseres Wandels wurde uns von Gott Selbst das göttliche Gesetz, d.h. die Heilige Schrift und die Werke der Kirchenväter, gegeben. Der Apostel Paulus sagt mit Nachdruck: Wir gebieten euch aber, ihr Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß ihr euch von jedem Bruder zurückzieht, der unordentlich wandelt und nicht nach der Überlieferung, die sie von uns empfangen haben (2 Thes 3,6). Tradition wird hier die sittliche Überlieferung der Kirche genannt, die in der Heiligen Schrift und in den Schriften der Kirchenväter niedergelegt ist. Der ehrwürdige Pimen der Große befahl, sich von einem Starez, mit dem ein Zusammenleben nachteilig für die Seele wäre, zu trennen – offensichtlich deshalb, weil dieser Starez die ethische Tradition der Kirche verletzt. Etwas anderes ist es, wenn kein seelischer Schaden entsteht und es nur die Gedanken sind, die einen stutzig machen: aufsässige Gedanken sind zweifellos dämonischer Natur, und man braucht ihnen nicht zu gehorchen, insofern sie gerade dort wühlen, wo unserer Seele Nutzen erwächst, und eben den wollen sie uns rauben. Der monastische Gehorsam – auch im Hinblick auf die Charakterbildung – wie er im antiken Mönchstum gepflegt wurde, ist ein hohes spirituelles Geheimnis. Ihn richtig zu begreifen und völlig nachzuahmen, ist außerhalb unserer Reichweite: möglich ist uns nur, mit Ehrfurcht und Verständnis zu ihm aufzuschauen und uns seinen Geist anzueignen. Den Pfad der rechten Unterscheidung und der der Seele heilsamen Klugheit betreten wir dann, wenn wir durch das Studium der Erfahrungen und Regeln der alten Wüstenväter – insbesondere ihrer Gehorsamspraxis, gleicherweise wundersam bei denen, die führten, wie bei denen, die geführt wurden – den allgemeinen Niedergang des Christentums in der heutigen Zeit begreifen und unsere Unfähigkeit eingestehen, der Aktivität der Väter in ihrer ganzen Fülle und ihrem ganzen Reichtum zu folgen. Ein großes Erbarmen Gottes über uns, ein großes Glück für uns ist es, daß uns gewährt wird, uns von den Brosamen zu nähren, die vom geistlichen Tisch der Väter fallen. Diese Brosamen sind natürlich keine genügende Speise, aber sie können uns, obwohl wir dabei Not und Hunger leiden, vor dem seelischen Tod bewahren.

Kapitel XIII: Über das Leben nach Anleitung
Als “Brosamen” wird im vorhergehenden Kapitel das geistige Leben bezeichnet, das durch Gottes Vorsehung unserer Zeit gegeben ist. Es basiert auf der Führung hinsichtlich der Rettung der Seele durch die Heilige Schrift und die Schriften der Kirchenväter, bei dem gutem Rat und der Erbauung durch zeitgenössische Väter und Brüder. Auf gewisse Weise kann dieses Gehorsamsprinzip der Mönche des Altertums eigentlich auf unsere Hilflosigkeit, vornehmlich die innere, angepaßt werden. Den einstigen Novizen verkündeten ihre geistlichen Väter unvermittelt und geradewegs den Willen Gottes: heutzutage müssen die Mönche selber den Willen Gottes in der Schrift suchen, und sind daher häufigeren und langanhaltenden Zweifeln und Aberrationen ausgesetzt. Damals war der Fortschritt gemäß der Eigenart der damaligen Praxis rasch. Gottes Huld für uns bestimmt: unsere Pflicht ist es, Ihm zu gehorchen und uns in Dankbarkeit vor Ihm zu beugen.
Unser zeitgenössisches monastisches Leben nach der Schrift und dem Ratschlag der Väter und Brüder wird von dem Vorbild der Krone des Mönchstums, dem heiligen Antonius dem Großen, erleuchtet. Er stand in keinem Gehorsamsverhältnis bei einem Starez, sondern zu Beginn seiner Laufbahn lebte er alleine und entlehnte seine Anweisungen aus der Schrift und von verschiedenen anderen Vätern und Brüdern: bei dem einen lernte er Enthaltsamkeit, bei dem anderen Sanftmut, Beharrlichkeit, Demut, wieder bei einem anderen die strenge Achtsamkeit auf sich selbst, das Schweigen – so strebte er danach, sich die jeweilige Tugend eines jeden tugendsamen Mönches zu eigen zu machen, wobei er ihnen nach Möglichkeit Gehorsam erwies, sich vor allen demütigte und unaufhörlich zu Gott betete. Verfahre auch du, Neuling auf diesem Pfad, dergestalt! Erweise dem Vorsteher und der übrigen klösterlichen Obrigkeit Gehorsam ohne Heuchelei und Augendienerei: einen Gehorsam, dem Schmeichelei und Kriecherei fremd sind, einen Gehorsam um Gottes willen. Erweise allen Vätern und Brüdern Gehorsam in ihren Befehlen, sofern sie dem göttlichen Gebot, der Satzung und Ordnung des Klosters und den Anordnungen des klösterlichen Vorstandes nicht zuwider sind. Aber lasse dich niemals auf Böses ein, auch wenn dir wegen deiner mangelnden Menschengefälligkeit und Standhaftigkeit einiger Kummer zuteil wird. Beratschlage dich mit tugendsamen und vernünftigen Vätern und Brüdern, aber nimm ihre Ratschläge nur mit äußerster Vorsicht und Behutsamkeit an. Fang einen Ratschlag nicht gleich auf, weil er dich anfänglich beeindruckt. Deiner Leidenschaftlichkeit und Blindheit zufolge mag dir vielleicht irgendein hitziger, aber verderblicher Ratschlag nur deiner Unwissenheit und mangelnden Erfahrung wegen gefallen oder weil er irgendeiner verborgenen, dir unbekannten, aber in dir wohnenden Lust entspricht. Mit Weinen und Herzensseufzern flehe zu Gott, daß Er nicht zulasse, daß du von Seinem Allheiligen Willen zur Befriedigung des gefallenen menschlichen Willens abfallen mögest – sei es des deinigen oder des deines Nachbarn oder des deines Beraters. Wie bei deinen eigenen Gedanken so orientiere dich auch hinsichtlich der Gedanken deines Nächsten und deines Beraters am Evangelium. Eitelkeit und Dünkel gefallen sich darin, zu lehren und zu unterrichten. Sie kümmern sich nicht um den Wert ihres Ratschlages. Sie bedenken nicht, daß sie dem Nächsten durch ihren unsinnigen Ratschlag, welchen der unerfahrene Anfänger mit instinktiver Zutraulichkeit, mit Erregung des Fleisches und des Blutes auffängt, eine nicht zu heilende Wunde beibringen können. Sie brauchen Erfolg, was auch die Qualität dieses Erfolges und sein Ausgangspunkt sein mag. Sie müssen Eindruck auf den Anfänger schinden und ihn sich moralisch hörig machen. Sie wollen für heilig, für weise, hellsichtig, für Starzen, für Lehrer gehalten werden! Sie müssen ihren unersättlichen Ehrgeiz, ihren Stolz füttern. Das rechtschaffene Gebet des Propheten war schon immer, und ist besonders jetzt: Hilf Herr, denn dahin ist der Fromme, verschwunden die Treue unter den Menschenkindern. Lügen reden sie einer zum andern; mit glatter Zunge, mit doppeltem Herzen reden sie (Ps. 11,2-3). Ein verlogenes und heuchlerisches Wort kann nichts als ein böses und verderbliches Wort sein. Es ist unerläßlich, Vorsichtsmaßnahmen gegen solch eine Gesinnung, zu ergreifen.
“Studiere die Heilige Schrift – sagt Simeon der Neue Theologe – sowie die Schriften der heiligen Väter, die besonders gehaltvoll sind, um die Lehre und den Wandel deines Präzeptors und Starez mit ihrer Lehre zu vergleichen, damit du sie (diese Lehre und diesen Wandel) wie in einem Spiegel sehen und unterscheiden kannst: was mit der Schrift in Übereinstimmung steht und was du dir aneignen und behalten kannst, und was falsch und übel daran ist und was du verwerfen sollst, um nicht getäuscht zu werden. Wisse, daß in unseren Tagen bereits viele Betrüger und falsche Lehrer erschienen sind”.
Der ehrwürdige Simeon lebte im 10. Jh. nach Christi Geburt, 9 Jahrhunderte vor unserer Zeit: bereits damals erschallte die Stimme eines Gerechten in der Heiligen Kirche Christi, die den Mangel an echten geisttragenden Führern und die große Zahl der Pseudolehrer beklagte. Im Laufe der Zeit wurden wahre und echte Lehrmeister im Mönchstum immer seltener: da begannen die heiligen Väter, sich hinsichtlich ihrer Wegweisung mehr und mehr auf die Heilige Schrift und die patristischen Werke zu verlassen. Der ehrwürdige Nil Sorskij, der sich auf die Väter, die vor ihm lehrten, bezog, meint: “Es ist kein kleines Stück, sagten sie, einen unverblendeten Lehrer für dieses wunderbare Tun – das wahre monastische Herzens- und innere Gebet – zu finden. Sie bezeichneten denjenigen als unverblendet, welcher die durch die göttliche Schrift bezeugte Tätigkeit und Weisheit besitzt und geistige Unterscheidung erworben hat. Auch sagten die heiligen Väter, daß es bereits damals kaum möglich war, einen unverblendeten Lehrer in solch einer Sache zu finden; und erst recht jetzt, wo sie überaus selten geworden sind, muß man sie mit aller Emsigkeit suchen. Wenn man sie nicht findet, dann geboten die Väter, aus der Göttlichen Schrift zu schöpfen, denn in ihr wird man das ewige Leben finden (Jh 5,39). Denn alles, was vormals geschrieben worden ist, das ist zu unserer Belehrung geschrieben (Röm 15,4)”.
Der ehrwürdige Nil lebte im 15. Jh.; er gründete ein Skit unweit vom Weißen See, wo er sich in tiefer Einsamkeit dem Gebete widmete. Es ist nützlich, die Starzen aus neuerer Zeit anzuhören. Mit welcher Demut und Selbstverleugnung äußert sich doch der ehrwürdige Nil über die Belehrungen, die er den Brüdern gab: “Keiner darf das Wort Gottes aus seiner Nachlässigkeit heraus verheimlichen, sondern er möge sein Unvermögen bekennen, soll aber dabei nicht die Wahrheit Gottes verbergen, damit er sich nicht der Übertretung des Gebotes Gottes schuldig mache. Wollen wir das Wort Gottes nicht verheimlichen, sondern wollen wir es verkünden! Die Göttlichen Schriften und die Worte der heiligen Väter sind zahlreich wie der Sand am Meer: indem wir sie unermüdlich erforschen, unterweisen wir die zu uns Kommenden, die dieser Unterweisung bedürfen (die Fordernden, die Fragenden). Richtiger gesagt: nicht wir unterweisen, weil wir dessen unwürdig sind, sondern es lehren die seligen, heiligen Väter aus der Göttlichen Schrift”.
Da haben wir ein ausgezeichnetes Vorbild für die zeitgenössische Belehrung! Sie frommt in jeder Weise der Seele des Lehrers wie der des Belehrten, sie ist der richtige Ausdruck eines maßvollen Forschrittes; fremd sind ihr Eigendünkel, dumme Frechheit und Verwegenheit, in welche jene verfallen, die äußerlich Barsanophios den Großen und andere berühmte Väter nachahmen wollen, ohne dabei die Gnade jener Väter zu besitzen. Was in jenen der Audruck eines reichen Wirken des Heiligen Geistes war, das wird in den unbesonnenen, heuchlerischen Nachahmern zum Ausdruck einer groben Unwissenheit, von Selbstverblendung, von Stolz und Tollkühnheit. Geliebte Väter! Wollen wir das Wort Gottes unseren Brüdern mit der größtmöglichen Demut und Ehrfurcht verkünden, uns dabei als ungenügend für diesen Dienst erachten und uns vor jener Eitelkeit hüten, welche leidenschaftliche Menschen aufbläht, während sie die Brüder unterweisen. Bedenkt, daß wir Rechenschaft schuldig sind für jedes müßige Wort (Mt 12,36), wie viel mehr also für das Wort Gottes, das mit Gefallsucht und durch den Stachel der Eitelkeit ausgesprochen wurde. Der Herr wolle ausrotten alle falschen Lippen und die Zunge, die hochfahrend redet, die da sagen: durch unsere Zunge sind wir gewaltig, unser Mund ist für uns, wer will uns meistern (Ps 11,4-5). Es vertilgt der Herr diejenigen, die ihren Ruhm suchen, aber nicht Gottes Ruhm. Fürchten wir uns vor der Vergeltung des Herrn! Wollen wir Worte zur Erbauung nur dann sagen, wenn eine wirkliche Notwendigkeit dazu besteht, und auch dann nicht etwa als Lehrmeister, sondern als Menschen, die selber der Unterweisung bedürfen und an der Belehrung, die Gott in Seinem Allheiligen Wort Selbst gab, Anteil haben wollen. Dient einander mit der Gnadengabe – spricht der hl. Apostel Petrus –, wie sie ein jeder empfangen hat, als treue Sachwalter der mannigfachen Gnade Gottes. Wer die Redegabe hat, der trage seine Worte als Worte Gottes vor, und wer ein Amt besitzt, verwalte es aus der Kraft, die Gott verlieh, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem Herrlichkeit und Macht gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit (1 Petr 4,10-11). Wer aus sich selber handelt, handelt zur Selbstgefälligkeit und bringt sich und die ihm Hörigen Satan zum Opfer dar. Wer aus dem Herrn handelt, handelt zum Ruhme des Herrn und bewirkt seine Errettung und die seiner Nächsten im Herrn, dem Einzigen Erlöser der Menschheit. Mögen wir davor zurückschrecken, einem Anfänger irgendwelche unüberlegte Anweisungen zu geben, die nicht auf dem Wort Gottes und auf der spirituellen Einsicht in das Wort Gottes beruhen. Besser seine Unwissenheit einzugestehen, als eine der Seele abträgliche Kompetenz vorzutäuschen. Hüten wir uns vor diesem großen Desaster: einen Anfänger auf leichtmüige Weise aus einem Knecht Gottes zu einen Menschensklaven zu machen (1 Kor 7,23) und ihn zur Ausführung des gefallenen menschlichen Willens, statt des Allheiligen Göttlichen Willens anzustiften.”
Die demütige Beziehung des Ratgebers zu dem zu Belehrenden ist etwas ganz anderes als die des Starez zu dem bedingungslosen Zögling, dem Knecht des Herrn. Der gute Rat beinhaltet nicht die Bedingung, ihn unmittelbar in die Tat umzusetzen: er kann ausgeführt oder kann nicht ausgeführt werden. Auf dem Ratgeber liegt keinerlei Verantwortung für seinen Rat, wenn er ihn mit Gottesfurcht und in demütiger Gesinnung gibt, nachdem er inständig darum gebeten wurde. Sogar derjenige, der den Rat bekommt, ist nicht durch ihn gebunden; es bleibt seinem Urteil und seinem Gutdünken überlassen, ob er den erhaltenen Ratschlag ausführen will oder nicht. Es ist offensichtlich, daß der Weg des geistlichen Rates und der Befolgung der Heiligen Schrift unserer schwachen Zeit angemessen ist. Bemerken wir, daß die Väter verbieten, dem Nächsten einen Rat aus eigenem Antrieb zu geben, ohne daß dieser darum gebeten hätte: die eigenmächtige Erteilung eines Ratschlages beweist, daß jemand das Wissen und die Würde eines Geistlichen für sich in Anspruch nimmt, was offensichtlich ein Zeichen von Stolz und Selbstverblendung ist. Beim Besuch anderer Klöster möge man sich an dem Ratschlag, den der ehrwürdige Makarios von Alexandria dem ehrwürdigen Pachomios dem Großen gab, orientieren. Pachomios fragte Makarios über die Unterweisung der Brüder und ihre Einschätzung. Abba Makarios antwortete: “Belehre und beurteile deine Untergebenen, aber richte über keinen der Fremden”. An dieses Prinzip hielten sich und halten sich noch immer alle Klostervorsteher, die Gott gefallen möchten.”

Fügen wir einen Auszug aus dem Kapitel XXX hinzu, das die Überschrift Leid ist hauptsächlich das Los der Mönche der letzten Zeit trägt.
“Die Hauptursache, warum die Trübsal so besonders schwer auf dem heutigen Mönchstum lastet, liegt in ihm selber und besteht vor allem in dem Mangel an richtiger Erbauung. Ein Mangel an geistlicher Unterweisung muß als ein großes Unglück erkannt werden. Diese mißliche Lage wird jedoch nicht so schnell erkannt, und lange braucht es, bis der Mönch sie begreift. Der von Eifer beseelte Anfänger, bei dem das erhitzte Blut eine viel wichtigere Rolle als die spirituelle Vernunft spielt, begnügt sich gewöhnlicherweise mit der Erbauung, die ihm im Kloster zuteil wird, oder die er sich selbst verschaffen möchte. Bald jedoch wird es den geistigen Aspiranten (jedoch durchaus nicht allen) durch das sorgfältige Studium der Heiligen Schrift und der patristischen Werke nach und nach klar, daß eine geistliche Unterweisung zum spirituellen Fortschritt unerläßlich ist und daß eine rein emotionale Erbauung, wie prächtig und großartig sie dem Anschein nach auch sein mag, wie sehr sie von der in Blindheit gefangenen Welt auch gerühmt werden mag, in Dunkelheit verharrt, und diejenigen, welche sich an sie halten, in Dunkelheit und im Bereich der gefallenen Geister gefangen hält (Jak 3,15). Die Anleitung durch das Wort Gottes aus Büchern, und nicht aus lebendigem Munde, ist die einzige Führung, die uns zur Verfügung steht, wodurch sich der Mönch notwendigerweise selbst in gewissem Grade zum Führer wird, was ungeachtet des beträchtlichen Vorteiles, den es bringt, als eine unvermeidliche Folge der Unwissenheit und der Gefangenschaft durch die Leidenschaften mit großen und häufigen Abweichungen verbunden ist. Die Unwissenheit des Anfängers und die Last seiner Leidenschaften gestatten ihm nicht, die Schrift gebührend zu verstehen und sich mit der notwendigen Beharrlichkeit an sie zu halten. Während wir das Meer der Sünde durchschwimmen, läßt unsere Kraft häufig nach, oftmals fallen wir in Erschöpfung, versinken im Meer, und laufen Gefahr zu ertrinken. Unser Zustand, der durch den Mangel an echter Führung, an lebendigen Gefäßen des Geistes verursacht ist, gibt wegen der zahllosen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, Anlaß zu bitteren Tränen und zu untröstlichem Schluchzen. Wir darben, wir haben uns verirrt und es gibt keine Stimme, die uns aus unserer Verirrung herausführen könnte: das Buch schweigt, der gefallene Geist, der uns in der Verwirrung halten möchte, löscht aus unserer Erinnerung sogar das Wissen um die Existenz des Buches aus. Rette mich, o Herr, rief der Prophet, der mit seinem seherischen Geist unsere Misere voraussah und die Rolle eines Rettungssuchenden annahm, denn die Heiligen schwinden dahin! Es gibt keinen geisttragenden Meister und Führer, der ohne Fehl den Weg zur Erlösung aufzeigen könnte, dem der Rettungswillige sich mit vollem Vertrauen anheimstellen könnte. Dahin ist der Fromme, verschwunden die Treue unter den Menschenkindern, Lügen reden sie einer zum anderen (Ps 11,1-3) – all dies durch den Einfluß der emotionsgeladenen Vernunft, welche nur Verirrung und Eigendünkel entwickeln kann”.

Zweifelsohne veranlaßte eine tragische persönliche Erfahrung den denkwürdigen Bischof zu derart bitteren Zeilen. Sehen wir, was der selige Vladyka Ignatij in seinem Vorwort zum fünften Band schrieb:
“Es ist völlig gerechtfertigt, wenn ich diesen meinen Aufsatz als meine geheime Beichte bezeichne. Ich bitte, dieses Geständnis aufmerksam und mit christlicher Nachsicht zu lesen. Es verdient sowohl das eine wie das andere. Die von mir dargelegte Meinung entstammt gänzlich den heiligen Lehren der heiligen Väter der Orthodoxen Kirche, welche in Theorie und Praxis mit der Lehre des Evangeliums vertraut waren und sie verwirklicht hatten. Als Ursachen meiner vielen innerlichen Erschütterungen kann ich folgendes aufzählen: meine Unterlassungen und Abweichungen, die ungenügende oder nicht strikte Befolgung der Weisungen der Väter, das Nichtvorhandensein von gnadenerfüllten geistlichen Führern, die häufige und fast ausschließliche Begegnung mit Beratern, die von Blindheit und Selbstverblendung geschlagen waren, die freiwillige oder unfreiwillige Abhängigkeit von ihnen, allerorten eine Atmosphäre der Versuchung, aber nicht der Erbauung, das Hören auf eine Lehre, in welcher die Gott feindliche Welt den Glanz höchster Weisheit und Heiligkeit zu sehen wähnt, welche hingegen, da sie Finsternis und Schmutz ist, nichts als Verachtung und Verwerfung verdient. Diese über mich ergangenen Erschütterungen waren zugleich bitter und schwer, grausam und hartnäckig und von quälender Dauer. Die äußere Umstände betreffenden Erschütterungen sind meinem Gefühl nach nichts im Vergleich zu jenen, von denen die Seele ergriffen wird. Wild sind die Wellen des Lebensmeeres, über dem Finsternis und Nebel herrschen, verursacht durch die verstoßenen Geister, erheben sich ständig wütende Stürme auf ihm; die Schiffe sind ohne Steuermann, die hoffnungsvollen Häfen sind in Wasserwirbel und verderbliche Strudel verkehrt: alle Berge und Inseln wurden von den Stellen gerückt (Apk 6,14); die Sintflut erscheint als unausweichlich. Sie wäre auch unvermeidlich gewesen, wenn die so unfaßliche Göttliche Vorsehung und die ebenso unfaßbare Göttliche Barmherzigkeit nicht ihre Erwählten gerettet hätte. Viel hat in der Fremde gewohnt meine Seele (Ps 119,6) und fand weder außen noch innen einen wahren Hafen. Ich stecke im Schlamm der Tiefe, und es gibt keinen Halt – keine richtige und feste Kondition der Seele, wo sie unerschütterlich in Tugenden verharren würde – Ich kam in die Tiefen des Meeres, und der Sturm hat mich überspült. Ich mühte mich ab mit Schreien, heiser ward meine Kehle, es vergingen meine Augen, da ich hoffe auf meinen Gott (Ps 68,3-4). Denn der Feind verfolgte meine Seele, hat erniedrigt bis zur Erde mein Leben, mich ins Finstere gesetzt wie die Toten der Welt (Ps. 142,3). Wie Wasser bin ich ausgegossen, und zerstreut ist all mein Gebein, es wurde mein Herz wie Wachs, das mitten in meinem Leib zerschmolz, vertrocknet ist wie Lehm mein Schlund (Ps. 21,15-16). Mich umfingen Wehen des Todes, und Fluten des Unrechts verstörten mich, Wehen der Unterwelt kreisten mich ein, entgegen kamen mir Schlingen des Todes (Ps. 17,5-6). Und mutlos ward in mir mein Geist, in mir wurde verwirrt mein Herz (Ps. 142,4). Aus diesem elenden Zustand heraus erhebe ich meine Stimme zu den Vätern und Brüdern, es ist die Stimme der besorgten Mahnung. So verhält sich auch ein Wanderer, der auf seiner langen und mühsamen Reise schreckliche Gefahren überstanden hat. Wie einen wertvollen Schatz übergibt er seine Erfahrungen jenen, die beabsichtigen, eine ähnliche Reise zu unternehmen oder die sich bereits auf den Weg gemacht haben, über den sie überhaupt nichts wissen oder sich nur oberflächlich aus veralteten Berichten informiert haben. Hier werden einige Modalitäten angezeigt, die jedoch keine Änderungen im Wesentlichen, sondern in den Umständen darstellen, aber das Wesentliche beträchtlich beeinflussen können; hier wird gezeigt, auf welche Weise man sich die Schriften der Alten zunutze machen und sie auf die gegenwärtige Zeit anwenden kann. Dadurch vermeidet man jene falsche Position, in die sich jeder Unverständige begibt, welcher die Notwendigkeit von Anpassungen nicht wahrhaben will. Der hl. Johannes Klimakos spricht, daß einige, die durch eine sumpfige Gegend gingen, im Schmutz steckenblieben und darin gefangen anderen, dort vorbeiziehenden Wanderern zuriefen, was ihnen zugestoßen war, um sie vor demselben Unglück zu bewahren. Um der Rettung anderer willen befreite der Allmächtige auch jene, die in den Morast geraten waren und ihre Weggenossen vor diesem Mißgeschick bewahrt hatten. Geh stets geradeaus! Auf deines Fußes Bahn hab acht! Sei deines Ziels gewiß! All deine Wege seien fest bestimmt! Bieg nicht zur rechten noch zur linken Seite ab! Halte fern vom Bösen deinen Fuß! (Spr 4,26-29). Amen” (Wir zitierten hier und zuvor aus der zweiten Ausgabe, Sankt Petersburg 1886).

In seinem so umfangreichen Briefwechsel mit Laien äußerte Vladyka Ignatij des öfteren Gedanken, die mit der Lehre des seligen Paisij in Übereinstimmung stehen. Es folgen einige Auszüge:
“Beruhigt euch! Das irdische Leben des Christen ist eine Mischung aus Tröstungen und Versuchungen. So verfügte es die Vorsehung Gottes! Die Tröstungen bestärken uns auf den Wegen des Herrn, während uns die Versuchungen klug und weise machen. Die Gesellschaft und das Gespräch mit gottesfürchtigen Menschen bringen großen Nutzen. Aber um Rat und geistliche Führung zu geben, genügt es nicht, fromm zu sein, man braucht auch geistige Erfahrung und vor allem die geistliche Salbung. Das ist die diesbezügliche Lehre der Schrift und der Väter. Ein frommer, aber nicht erfahrener Ratgeber wird eher in Verwirrung führen als Nutzen bringen. Nicht nur unter den Laien, sondern auch unter den Mönchen ist es äußerst schwierig, einen Ratgeber zu finden, der die bei ihm ratsuchende Seele ‘ausmißt und abwiegt’, und ihr Ratschläge aus ihr selber, aus ihrem eigenen Vermögen gibt. Heutzutage geben die geistlichen Berater und Führer ihre Anweisungen eher von sich und aus Büchern. Die erste Art von Beratung ist besonders nützlich und effektiv; sie ist der Seele nahe, die sich im Schutze ihres eigenen, ihr angemessenen Rates ausruhen möchte – und das fühlt sie. Der hl. Isaak sagte: ‘Nichts ist nützlicher als sein eigener Rat’. Ein fremder Ratschlag jedoch, obwohl er scheinbar aus edlen und vernünftigen Worten besteht, bringt der Seele nur Qual und Verstimmung. Sie fühlt, daß er nicht konform mit ihr geht, fühlt, daß er ihr fremd ist: Gar manche führen Reden gleich Schwertstichen; doch Heilung bringt des Weisen Zunge (Spr 12,18). Haltet euch mehr an das Studium der Kirchenväter; mögen sie euch führen, euch in den Tugenden belehren und auf dem Weg des Herrn unterweisen. Diese Art des Lebens schickt sich für unsere Zeit: sie wurde uns anbefohlen, aufgetragen von den heiligen Vätern der späteren Jahrhunderte. Während sie über den extremen Mangel an gotterleuchteten Lehrmeistern und Ratgebern klagen, weisen sie die geistigen Aspiranten an, sich in ihrem Leben an den patristischen Schriften zu orientieren. Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn (Spr 9,10). (Brief Nr. 18).

“Sehr lobenswert ist Ihr Wunsch – in vollkommenem Gehorsam bei einem erfahrenen Lehrmeister zu sein. Aber diese Art der Askese ist unserer Zeit nicht geschenkt. Es gibt sie weder in der christlichen Gesellschaft noch in den Klöstern. Die Abtötung der Vernunft und des Willens kann nicht von dem emotionsbezogenen Menschen vollzogen werden, so gut und fromm er auch sein mag. Dazu ist ein geisttragender Vater unerläßlich... Die großen Väter nannten den ‘Mönchsgehorsam’ eine besondere Gabe des Heiligen Geistes: so bekundet es ein Schriftsteller der damaligen Zeit, der heilige Kassian. Gehorsam ist ein ‘Wunder des Glaubens’! Vollbringen kann ihn allein Gott. Und es verwirklichten ihn jene Menschen, denen diese Gabe von oben von Gott gegeben wurde. Wenn die Menschen mit eigenen Anstrengungen das erreichen wollen, was alleine von Gott gegeben wird, dann sind ihre Mühen eitel und nichtig; dann sind sie ähnlich den im Evangelium erwähnten Turmbauern, welche das Gebäude ohne Mittel zu seiner Fertigstellung beginnen. Alle Vorübergehenden, d.h. Dämonen und Leidenschaften, lachen sie aus: weil sie dem äußeren nach wohl Tugend ausüben, aber sich innerlich in einem Zustand bitteren Truges, der Blindheit und Selbstverblendung befinden und als ein Knecht ihrer eigenen Leidenschaften führen sie den Willen der Dämonen aus. Viele meinten, daß sie im Gehorsam stehen, aber in der Tat gingen sie ihren eigenen Launen nach, wurden von ihrer eigenen Echauffierung betört. Glücklich derjenige, der im Alter eine Reueträne ob der Eskapaden seiner Jugend zu vergießen vermag. Über die blinden Führer und über die von ihnen Geführten sagte der Herr: Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube (Mt 15,14).
Unserer Zeit wird eine andere Leistung abverlangt, die mit vielen Mühen und Stolpersteinen verbunden ist. Wir müssen die Reise nicht bei Tag, bei hellem Sonnenschein machen, sondern nachts, beim fahlen Licht von Mond und Sternen; uns wurde die geheilgte und heilige Schrift zur Führung anhand gegeben. Das sagen die heiligen Väter der späteren Zeiten ganz deutlich. Neben der Führung durch die Schrift ist auch der Rat der Nächsten nützlich, besonders derer, die sich selber von den Schriften der Väter leiten lassen. Glaubt nicht, daß unser Opferpfad des Leides und der Kronen beraubt wäre: Nein, er entbehrt nicht des Martyriums! Dieses Martyrium ist ähnlich der Seelenpein von Lot in Sodom: die Seele des Gerechten schmachtete beim Anblick der unentwegten und zügellosen Unzucht. Auch wir quälen uns ab, auf allen Seiten von Gemütern umgeben, welche der Wahrheit untreu geworden sind, mit der Lüge in eine buhlerische Verbindung traten, sich von Haß gegen die gottinspirierten Schriften anstecken lassen und sich mit Verleumdung, Lästerung und höllischem Gelächter auf sie stürzen. Unsere spirituelle Mühe hat ihren Wert vor Gott: Auf Seiner Waage werden sowohl unser Unvermögen, als auch unsere Mittel, die Umstände und die Zeit selber abgewogen. Irgendeiner der großen Väter hatte folgende Schau: Vor ihm erschien das irdische Leben des Menschen wie ein Meer. Er sah, daß die Asketen des frühen Monastizismus mit feurigen Flügeln ausgestattet waren und wie Blitze durch das Meer der Leidenschaften schossen. Die Aspiranten der letzten Zeiten hatten keine Flügel mehr: sie begannen am Meeresufer sitzend zu weinen. Da bekamen sie Flügel, aber keine feurigen, sondern irgendwelche mickerigen: auch sie hoben sich über das Meer hinweg. Auf ihrem Weg tauchten sie ihrer Flügel wegen immer wieder im Meer unter; mühevoll erhoben sie sich wieder, setzten ihren Weg fort und überflogen endlich nach vielen Strapazen und Nöten das Meer.
Laßt uns nicht verzagen! Wollen wir auch nicht auf unvernünftige Weise nach Großtaten streben, die unsere Kräfte übersteigen: nehmen wir in Ehrfurcht die bescheidene, unserer Ohnmacht entsprechende Rolle an, die uns so offensichtlich von der Hand Gottes zugeteilt wurde. Vollenden wir diesen Wandel in Treue der heiligen Wahrheit gegenüber, und mitten in der lärmigen, von Menschen wuselnden Welt, die getrieben von ihrem eigenwilligen Rationalismus auf dem breiten, weiten Weg dahineilt, streben wir auf dem engen Pfad des Gehorsams der Kirche und den heiligen Vätern gegenüber zu Gott. Nur wenige gehen diesen Pfad? Was tut es! So sprach doch der Heiland: Fürchte dich nicht, du kleine Herde, es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. Tretet ein durch die enge Pforte: Weit ist ja die Pforte und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte, wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden (Lk 121,32; Mt 7,13-14). (Brief No. 54).

“Euer Herz gehöre alleine dem Herrn, und im Herrn dem Nächsten! Ohne solch eine Maxime den Menschen zu gehören, ist fürchterlich. Seid keine Menschendiener, sprach der Apostel. Stets rührten mich zutiefst die Worte des hl. Johannes des Vorläufers, die er in bezug auf den Herrn und sich selbst sprach und die im Johannes-Evangelium überliefert sind: Wer die Braut hat, ist Bräutigam; der Freund des Bräutigams indes steht da und hört ihn und freut sich herzlich ob der Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist mir in vollem Maße zuteil geworden. Er muß wachsen und ich abnehmen (Jh 3,29-30). Jeder geistliche Lehrer sollte nur ein Diener des Himmlischen Bräutigams sein, er sollte die Seelen zu Ihm führen und nicht zu sich, er sollte ihnen von der unendlichen, unaussprechlichen Schönheit Christi, von Seiner unermeßlichen Gnade und Kraft künden: auf daß sie Christus, der wahrhaft liebenswert ist, lieben mögen! Der Lehrer aber möge, gleich dem großen und demütigen Täufer, beiseite stehen, sich für ein nichts halten und sich vor den Schülern an seinem ‘Abnehmen’ freuen, ein Abnehmen, das als ein Zeichen für ihren geistigen Fortschritt dient. Solange das fleischliche Empfinden in den Schülern die Oberhand hat, steht ihr Lehrer riesengroß vor ihnen, aber wenn die spirituelle Wahrnehmung in ihnen erwacht und Christus in ihnen erhöht wird, dann sehen sie in ihrem Lehrer nur ein gnadenreiches göttliches Werkzeug.
Hütet euch vor der leidenschaftlichen Vorliebe für den Präzeptor. Viele sahen sich nicht vor und gingen zusammen mit ihrem Lehrer dem Teufel ins Netz. Guter Rat und Gehorsam sind nur solange lauter und Gott genehm, als sie nicht von Parteilichkeit beschmutzt sind. Diese ungehörige Zuneigung macht die geliebte Person zu einem Idol: von den diesem Idol dargebrachten Opfern wendet sich Gott mit Zorn ab. Umsonst geht man des Lebens verlustig, das gute Werk verkommt wie Weihrauchduft, der von einem Windstoß zerstäubt oder von einer Welle von üblem Geruch unterdrückt wird. Gebt in eurem Herzen keinen Raum für ein Idol.
Und du, Lehrer, hüte dich vor sündigem Unterfangen! Ersetze nicht für die zu dir gekommene Seele Gott durch dich selbst. Folge dem Vorbild des heiligen Vorläufers: begehre alleine, daß Christus in deinen Schülern gerühmt werde. Wenn Er verherrlicht wird, dann nimmst du ab: und wenn du dich wegen des zunehmenden Christus weniger werden siehst, wirst du von Freude erfüllt sein. Durch solch einen Wandel wird sich eine wunderbare Welt in deinem Herzen auftun: du wirst die Erfüllung der Worte Christi wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden in dir sehen.
Selig sind jene, die, sich selbst verleugnend, der wahren Lehre des Evangeliums folgen, die der Befriedigung der Lüste des Körpers und Begierden der Seele entsagt haben. Das Begehren des gefallenen Leibes ist sündhaft; ebenso sündhaft ist auch das Wollen der gefallenen Seele. Sie sucht überall ihr Ich zu verwirklichen, irgendein gesondertes, eigenständiges, vorrangiges Wesen aus sich zu machen, für das alles übrige da sein soll. Das Evangelium fordert, daß solch eine Mentalität abgebaut werde daß der Mensch Gott als Gott anerkenne und selber auf dem ihm zugewiesenen Platz verbleibe: in Abstufung geschaffen. Nach Abtötung des sinnlosen, träumerischen, eigentlich gar nicht existierenden Lebens kann sich das wahre Leben mit seiner überreichen Seins-Erfahrung manifestieren – das Leben in Gott”. (Brief No. 56).

“Ich rate euch davon ab, eine ausführliche und exakte Analyse eurer Sünden und sündigen Tendenzen vorzunehmen: sammelt sie lieber in einem einzigen Gefäß der Reue und werft sie in den Abgrund der Barmherzigkeit Gottes. Die minutiöse Untersuchung seiner Sünden steht dem Menschen, der ein weltliches Leben führt, nicht zu: sie würde ihn nur in Verzagtheit, Zweifel und Verwirrung stürzen. Gott weiß um unsere Sünden, und wenn wir beständig mit reuigem Herzen beim Ihm Zuflucht suchen, dann heilt Er schrittweise unsere Sündhaftigkeit, d.h. die sündigen Gewohnheiten, die geheimen Tendenzen. Die in Wort, Tat und Gedanken begangenen Sünden müssen bei der Beichte dem geistlichen Vater vorgetragen werden, aber auf die subtile Analyse der sündigen Tendenzen – wiederhole ich – darf sich der weltliche Mensch nicht einlassen: das ist eine Falle, die uns von dem Fänger unserer Seelen gestellt wurde. Man erkennt sie an der Verwirrung und Niedergeschlagenheit, die sie auf uns ausübt, obwohl sie äußerlich als etwas Gutes erscheinen mag. Diesen schwarzen Schleier benötigen die Mönche, um damit die Strahlen der Gnade zu verdecken, die aus ihrem Geist und Herzen kommen; dieser schwarze Schleier ist angemessen für bereits fortgeschrittene Mönche, welche der Anblick ihrer Sündhaftigkeit nicht in Hoffnungslosigkeit stürzt, sondern ihnen Anlaß zu noch größerer Demut ist. So bedeckte einst der Gottesseher Moses sein leuchtendes Angesicht. Man muß zugeben – und dieses Eingeständnis ist vollkommen richtig –*, daß wir Menschen uns alle in einem mehr oder weniger schlimmen Zustand der Verblendung befinden: alle sind wir getäuscht, alle tragen wir die Illusion in uns. Das ist eine Folge unseres Falles, der durch die Annahme der Lüge für Wahrheit verursacht wurde – so fallen wir auch jetzt noch immerdar. Daher ist solche Wankelmütigkeit in uns! Morgens bin ich von derart, um Mittag schon wieder ein anderer, und am Nachmittag noch ein anderer und so fort. Beide Welten wirken auf mich ein, ich bin beiden ausgesetzt, von beiden gefangen. Die Welt der Geister wirkt durch die Gedanken und die Empfindungen des Herzens; die materielle Welt durch die körperlichen Sinne. Beide winken zum Kosten der verbotenen Frucht. Den physischen Sinnen, dem Auge, Ohr, dem Gefühl, bietet sich diese Frucht als wunderbar dar; der Gedanke – das Wort einer unsichtbaren Wesenheit – flöst ein und stichelt: ‘probiere, erkenne!’. Er lockt durch Neugierde, stachelt auf durch Eitelkeit; es klingt in unserer Seele die Stimme des Verführers, die Stimme, welche unsere Ureltern einst im Paradies hörten; es ertönt die Stimme ‘Ihr werdet sein wie Götter’. Sie ertönt und führt uns in Versuchung; sie verführt und tötet. Eben aus diesem Grund wurde den Menschen eine neue Tugend, die Demut nämlich, und ein neue innere Funktion, die Reue nämlich aufgegeben. Sowohl diese Funktion als auch diese Tugend, beide sind eigentümlich! Beide sind dem, wodurch wir fielen, radikal entgegengesetzt. Durch die Reue wird der verderbliche Einfluß der körperlichen Sinne vermindert, durch die Demut wird die Überheblichkeit, Eitelkeit, der Lebensstolz vernichtet – mit einem Wort, sozusagen alles, was den Menschen um den Verstand bringt.
Wie soll man sich nun verhalten? Man darf sich durch die eintretenden Veränderungen nicht verwirren lassen, als ob sie etwas Ungewöhnliches wären. Man soll sich nicht auf die genaue Untersuchung der Sünden einlassen, sondern ein Leben in beständiger Reue führen, sich in jeder Beziehung als sündig wissen und glauben, daß der barmherzige Herr jeden, sofern er nur seine Sündhaftigkeit eingesteht, in Seine erbarmungsreichen Arme schließt und in Seinen Schoß der Erlösung aufnimmt. Das gilt aber nicht für die Todsünden, für welche die Reue nur dann von Gott angenommen wird, wenn der Mensch die Todsünde fahren läßt. Häusliche Beschäftigung ist sehr nützlich: sie hält den Müßiggang fern und bringt dem Geist bei seinem unsichtbaren Kampf Erleichterung. Der geistige Kampf ohne anderweitige Beschäftigung führt zu einer harten spirituellen Praxis, die nur dem gestattet ist, der von den Umständen genötigt oder von Gott dazu berufen ist. Vernünftige Menschen begehren nicht, einen Kampf einzugehen, der ihre Kräfte übersteigt, im Gegenteil, sie suchen eine Möglichkeit, sich den Kampf zu erleichtern. Habt Vertrauen zu dem Allmächtigen Gott, hofft auf Ihn, lebt geduldig und harret aus, lebt in Einfachtkeit, Reue und Demut, stellt euch dem Willen Gottes anheim und wenn ihr vom rechten Weg abgekommen seid, dann begebt euch erneut auf ihn – und ihr werdet Rettung finden”. (Brief Nr. 9).


“Die Reue, von der Sie – wie Sie in ihrem letzten Brief schrieben – einen kleinen Geschmack bekommen haben, war nur eine selbstverblendete Phantasie. Sie dachten und dachten, Sie hörten da etwas, Sie wurden gescheit und die Demut stahl sich davon: Ihr Köpfchen träumte etwas zusammen, baute sich ein bezauberndes Luftschloß. Und an all dem Unglück bin ich schuld: ich gab Ihnen etwas zum Lesen, das über Ihre Kräfte ging und brachte Sie damit aus dem Konzept. An Ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, sagte der Herr. Was ist die Frucht dieses Zustandes, den die Seele sich selber schaffte, mit dem sie sich selber verlockte? Die Frucht ist Aufgeblasenheit, eine absolut leere, im wahren Sinne dieses Wortes leere Aufgeblasenheit, die Sie von Ihrer gewöhnlichen Gemütsverfassung abbringt. Sie schrieben an einen großen Starez – und als einer, der in himmlischen Regionen schwebt, begriff er nicht, daß Sie dummes Zeug plappern, antworte Ihnen wie einem klugen Menschen und bestärkte Sie in Ihrer eingebildeten Reueanwandlung, denn er meinte, daß so wie in ihm selbst auch in ihnen die Vision der Reue wirkt: jene Reue, welche den im Hesychiasmus fortgeschrittenen Mönchen als eine wunderbare Gottesgnade geschenkt wird. Die inmitten der Welt lebenden Christen dürften sich nicht an die höheren monastischen Praktiken heranmachen, besonders nicht an die der Hesychiasten. So warnte auch der Herr, man solle keinen neuen Wein in alte Schläuche füllen. Der neue Wein bringt die alten Schläuche zum Platzen, rinnt selber aus und verdirbt die Schläuche. Wenn Weltlinge für Mönche bestimmte Praktiken unternehmen, dann gereicht ihnen dies selber zum Verderben und sie bringen anderen noch seelischen Schaden.
Gerüchte gelangten aus dem lärmigen und weltlichen Sankt Petersburg an unseren entlegenen, stillen Ort: eine gewisse übergescheite und hochadlige Dame schrieb an irgendeinen Mönch einen prächtigen Brief über den riesengroßen Sündenberg, den sie in sich wahrnimmt, und dieser Mönch, der wie man sieht, kein Akademiker ist, soll geantwortet haben: ‘Mütterchen, steck deine Nase nicht so tief in deine Sünden’! Ich wiederhole nur, was ich hörte. Ob es nun so war, oder nicht, darüber will ich später nachdenken, und ob solche groben Reden in Sankt Petersburg, der Hauptstadt der Aufklärung und Bildung gang und gäbe sind, weiß ich nicht. Wenn man mich fragen würde, welcher Art dieser Rat des Mönches an die Dame der Hauptstadt ist, dann würde ich mit meiner ganzen provinziellen Offenheit antworten: ‘Es ist der Rat eines ungeschlachteten Menschen, aber er haut hin, und diese Dame sollte sich ihn hinter die Ohren schreiben und sich ganz fest daran halten’. Die Form der Reue, die dem frommen, inmitten der Welt lebenden Christen ankommt, ist die allabendliche Gewissenserforschung. Das ist übergenug! Wenn der Christ sich bemüht, nach den Geboten zu leben, und sich täglich überprüft, dann erlangt er allmählich die Zerknirschung des Gemütes, die aber noch weit von der Reue als geistiger Schau entfernt ist. Sie haben nur Torheiten (verzeihen Sie den Ausdruck, aber er trifft genau) im Kopf, und dazu noch stolze! Ich kenne diese, ich bin auch ständig von ihnen umgarnt: und deshalb warne ich Sie”. (Brief No. 17, hier und oben zitierten wir nach der dritten Ausgabe, SPb 1905, Bd. IV).

Aufgrund dieser Auszüge, kann man einige Schlüsse ziehen. Diejenigen, die das russische, oder einfacher gesagt das Optina-Starzentum populär machen, führen es zu unrecht auf den seligen Schema-Archimandriten Paisij Veli¡ckovskij zurück. Definitionen wie “Starez – das ist jemand, der deine Seele, deinen Willen in seine Seele, in seinen Willen aufnimmt” (Dostojevskij) und “der Schüler, durchdrungen von dem Geist des Lehrers, bemühte sich, die völlige Unterwerfung seines Willens unter den Willen des von ihm erwählten Führers zu erreichen” (Ljaskovskij) – stehen nicht in Übereinstimmung mit der Lehre des Schema-Archimandriten, der in seiner Regel schrieb, daß der Vorsteher “die Heilige Schrift und die Lehren der gottragenden Väter studieren soll und außer ihrem Zeugnis nichts von sich aus den Brüdern vorlegen darf, weder Lehren, noch Gebote....”. Schema-Archimandrit Paisij und nach ihm sein wahrer Nachfolger Bischof Ignatij Brjan¡çaninov bezeichnen die Praxis des absoluten Gehorsams des monastischen Anfängers seinem Lehrmeister gegenüber als ein Gut des Altertums, in unserer armseligen Zeit jedoch, empfehlen sie als geeignetstes Mittel zum Heil die Koinobia – das klösterliche Gemeinschaftsleben, wo der Vorsteher, die Klosterleitung und alle Brüder sich an der Heiligen Schrift und den patristischen Werken orientieren.
Schema-Archimandrit Paisij und Bischof Ignatij bezeugen beide gleichermaßen, daß selbst die allerfrömmsten in der Welt lebenden Gläubigen “wahren Gehorsam” nicht verwirklichen können, weil er “aufs allerengste mit dem Gemeinschaftsleben verbunden ist, so wie die Seele mit dem Körper verbunden ist, und das eine ohne das andere nicht existieren kann”, und sie warnen die Laien verschiedentlich vor “höheren monastischen Praktiken”.
In der Orthodoxie war man sich schon immer des grundlegenden Unterschiedes zwischen Leben in der Welt und im Kloster bewußt, wo die Brüder durch eine gemeinsame Regel, annähernd einheitliche Lebensumstände und alles übrige vereint, sozusagen gemeinsam dem Heil entgegeneilen. Und soweit uns bekannt ist, gibt es für die Versuche, Weltlinge nach dem Vorbild der antiken Mönchspraxis – in vollkommener Unterwerfung des Schülers unter seinen Abba – zu führen, bis zur Optina Pustyn’ keine Präzedenzfälle in der Kirchengeschichte.
Gott allein weiß, zu wie vielen persönlichen Tragödien das durch nichts gerechtfertigte Auftreten des Starzentums in der heutigen Zeit führte und noch immer führt, und mit Gewißheit kann man sagen, daß es sich für die Geschichte Rußlands als eine schreckliche Tragödie erwies – weit öffnete es die Türen der Petersburger Salone für den “Gottesmann”, den “Wundertäter und Seher” Grigorij Rasputin. Wir wollen ein wichtiges Zeugnis dazu anführen, aus der Feder des letzten Erzpriesters der Russischen Armee und Flotte:
“Rasputin war nicht geldgierig oder auf Gewinn aus. Er konnte soviel Mittel wie er wollte, bekommen: und er bekam auch viel. Dafür verteilte er das Erhaltene freigiebig. In seinem Empfangszimmer, am Tor seines Hauses drängten sich die Bedürftigen, und Rasputin beschenkte sie.... An seiner traurigen Karriere ist er viel weniger selber schuld als der morbide Zustand der damaligen hohen Gesellschaft.. Wie allgemein im Leben so suchte man damals auch in der Religion brisante Empfindungen, außerordentliche Offenbarungen, Wunder... Weltliche Leute interessierten sich für Spiritismus, Okkultismus, und ehrwürdigen Bischöfe wie Feofan und Germogen, alle suchten sie eine besondere Sorte von Gerechten auf... Rasputin schien ihre Forderungen zu erfüllen, die man an solch eine Art von Gerechten stellt, und sie führten ihn in den Zarenpalast ein. Dort vermochte Rasputin die exaltiert frömmelnde Zarin für sich einzunehmen. Sie suchte mehr als viele andere in der Religion das Geheimnisvolle, Zeichen, Wunder, lebendige Heilige. Rasputin gelangte in den Zarenpalast mit dem schon etablierten Ruf eines ‘Gottesmannes’, der von den damals für Zarskoje Selo außer Zweifel stehenden Autoriäten, den Bischöfen Feofan und Germogen, sanktioniert worden war.”
“Rasputin sprach nicht einfach oder gab etwas von sich oder teilte etwas mit: er riet nicht, sondern er befahl, forderte. Auf einen bereits geknechteten Willen wirkte dies alles demprimierend.”
Die Maske des “Starez” in der schrecklichen Figur Rasputins drängt sich einem derart auf, daß sogar Ausländer nicht umhin können, sie zu bemerken. Dabei führt der zweite der zitierten Autoren in seinem Buch einen Abschnitt von F.M. Dostojevskij an – denselben, welchen unsere Auswahl enthält.
“Bei ihnen waren alle Grundlagen vorhanden, diesem ‘Fremden’ zu glauben, der alle heiligen Stätten Rußlands abgegrast und sogar eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen hatte, der ein asketisches Leben führte – er aß z.B. niemals Fleisch – und der durch den ungewöhnlichen Ausdruck seiner Augen imponierte, durch eine besondere Kraft, die sich in ihnen widerspiegelte, und der so tiefschürfend über geistige Themen reden konnte.... Abgesehen davon, daß er die Anfälle von Hämophilie beim Thronfolger, selbst wenn er sich tausend Kilometer vom Kranken entfernt befand, stoppen konnte, wurde eine ganze Reihe von anderen von ihm ausgeführten Wunderheilungen genau festgestellt. Das bestärkte natürlich das Vertrauen zu dem ‘heiligen Starez’, dem ‘Gottesmann’ bei denjenigen, die diesen Glauben hatten.”
“Rasputin trat in Sankt Petersburg als Starez auf, als ein Mann Gottes, der sein Leben in Armut, Einsamkeit und Askese verbringt und als Führer anderer Seelen im Augenblick von Krisen und Leiden fungiert. Alle Russen lauschten diesen heiligen Männern... sogar die Gebildeten zeigten ihnen Achtung. Dostojevskij schreibt in den Brüdern Karamasow: ‘Starez – das ist einer, der Ihre Seele, Ihren Willen in seine Seele und seinen Willen aufnimmt. Wenn Sie einen Starez gewählt haben, dann sagen Sie sich von dem eigenen Willen los und übergeben sich ihm in vollem Gehorsam, in gänzlicher Selbstverleugnung...’”.


Anhang

“Nur das Christentum ist eine hoffnungsvolle und nützliche Philosophie. Nur so und auf dieser Grundlage kann ich Philosoph sein”. Hl. Justin der Philosoph.

In der obengenannten Broschüre “Die Brüder Kirejevskij. Leben und Werk” schreibt V. Ljaskovskij, welch wohltuenden Einfluß die Tatsache, daß er im Gehorsam des Starez Markarij von Optina stand, auf I.V. Kirejevskij ausübte: “... auf diesem Weg wurde sein Gesichtskreis nicht etwa eingeengt, im Gegenteil, sein Denken und Wort gewannen eine bis dahin nicht dagewesene Kraft”. Wir versuchen, diese Behauptung zu prüfen, indem wir die Meinung von I.V. Kirejevskij, die in seiner letzten Arbeit “Über die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Anfänge in der Philosophie” zum Ausdruck kommt, dem Urteil von Bischof Ignatij Brjan¡caninov und einiger anderer christlicher Denker gegenüberstellen:

I.V. Kirejevskij:
“Zu meinen, daß wir eine bereits fertige Philosophie haben, die in den heiligen Vätern beschlossen liegt, wäre völlig falsch. Unsere Philosophie muß noch weiter geschaffen werden, wie ich bereits sagte, aber nicht von einem Menschen, sondern sie muß auf der Grundlage der anteilnehmenden Mitwirkung der gesellschaftlichen Einmütigkeit wachsen”.
“Die Weisheitsliebe der heiligen Väter ist nur ein Keim dieser zukünftigen Philosophie, welche die Gesamtheit der heutigen russischen Intelligenz fordert – ein lebendiger und deutlicher Keim, der jedoch noch der Entwicklung bedarf und noch nicht die eigentliche philosophische Wissenschaft ausmacht.”
“Die deutsche Philosophie kann uns als eine willkommene Stufe des Denkens dienen von den entlehnten Systemen zur selbständigen Weisheitsliebe, welche den Grundprinzipien der altrussischen Bildung Genüge tut und fähig ist, die gespaltene Bildung des Westens dem holoistischen Bewußtsein der gläubigen Vernunft zu unterwerfen.”

Bischof Ignatij:
“Sie fragen, was meine Meinung über die menschlichen Wissenschaften ist? Nach dem Sündenfall fühlten die Menschen die Notwendigkeit von Kleidung und anderen zahllosen erforderlichen Dingen, von denen unsere irdische Pilgerfahrt begleitet wird; mit einem Wort sie bedurften der materiellen Entwicklung – ein Bestreben, das einen so charakteristischen Zug unseres Jahrhunderts darstellt. Die Wissenschaften sind die Frucht unseres Falles, ein Produkt unserer defekten, gefallenen Vernunft. Gelehrsamkeit ist: der Erwerb und die Aufbewahrung von Eindrücken und Erkenntnissen, die von den Bürgern der gefallenen Welt zusammengetragen wurden. Gelehrsamkeit ist ein fahles Licht, durch welche ‘das Dunkel der Finsternis auf ewig bewahrt wird’. Der Erlöser gab den Menschen jene Leuchte zurück, die ihnen bei der Erschaffung der Welt vom Schöpfer gegeben wurde und derer sie bei ihrem Sündenfall verlustig gingen. Diese Leuchte ist der Heilige Geist, Er ist der Geist der Wahrheit, Er lehrt jede Wahrheit, erforscht die Tiefen der Gottheit, offenbart und erläutert die Geheimnisse und gibt auch materielle Kenntnisse, wenn sie dem Menschen zum geistigen Nutzen gereichen. Die Gelehrsamkeit ist nicht eigentlich Weisheit, sondern die Auslegung der Weisheit. Die Erkenntnis der Wahrheit, die dem Menschen von Gott geöffnet wurde und zu welcher der Zugang allein im Glauben liegt – unzugänglich der gefallenen menschliche Vernunft – wird durch Ahnungen und Mutmaßungen von der Gelehrsamkeit substituiert. Die Weisheit dieser Welt, in der viele Heiden und Gottlose geachtete Positionen einnehmen, ist in ihrem Grundprinzip der geistigen, göttlichen Weisheit direkt entgegengesetzt: Man kann nicht Anhänger der einen und der anderen zugleich sein, von einer muß man sich unbedingt lossagen. Der gefallene Mensch ist ‘Lüge’, und aus seinen Klügeleien entstand die ‘Pseudovernunft’, das heißt, ein Muster, eine Ansammlung von falschen Begriffen und falschem Wissen, das nur den Mantel der Vernunft trägt, aber in seinem Wesen Wankelmut, Unsinn und Besessenheit des Verstandes ist, der von der tödlichen Wunde der Sünde und des Falles geschlagen ist. Dieses Dilemma des Verstandes tritt in den philosophischen Wissenschaften in seiner ganzen Fülle zutage.” (Bd. IV, Brief No. 45).

I.V. Kirejevskij:
“... diese frommen Leute merken gar nicht, daß sie durch ihre Hetze auf die Vernunft mehr noch als den eigentlichen Philosophen den religiösen Überzeugungen schaden. Denn was für eine Religion wäre das, welche das Licht von Wissenschaft und Wissen nicht ertragen könnte? Was für ein Glaube ist das, der mit der Vernunft nicht zu vereinbaren ist? Unterdessen scheint es, daß der gläubige Menschen im Westen fast kein Mittel mehr hat, um seinen Glauben zu retten, seine Blindheit aufrechtzuerhalten und ihn furchtsam vor der Berührung mit der Vernunft zu schützen sucht.”

Bischof Ignatij:
“Der heilige Glaube, über den die Materialisten sich lustig machen und fortfahren zu lachen, ist dermaßen subtil und erhaben, daß er nur von der spirituellen Vernunft verwirklicht und vermittelt werden kann. Die Vernunft der Welt ist wider ihn, verwirft ihn. Wenn sie ihn aus irgendeiner materiellen Notwendigkeit heraus notwendig und passabel findet, dann faßt sie ihn falsch auf und deutet ihn unrichtig, weil die Blindheit, die sie diesem Glauben anlastet, ihr selber zu eigen ist” (Brief No. 61).

I.V. Kirejevskij:
“Glauben und Vernunft in Übereinstimmung bringen, den leeren Raum ausfüllen, welcher die zwei Welten trennt und endlich die beiden Wahrheiten (die spirituelle und die natürliche) in ein lebendiges Denken zusammenfügen...”

Bischof Feofan, der Klausner:
“Der Verstand muß sich entblößen und sich wie eine reine Schreibtafel dem Glauben darbieten, damit er sich ohne jegliche Beimischung außenstehender Thesen und Behauptungen auf ihr einpräge: sonst gerät das Bewußtsein zwischen dem Wirken des Glaubens und den Reflexionen des Verstandes in Verwirrung. Solcherart war Simon ein Exempel für alle Häretiker, solcherart sind alle, die mit ihren Überlegungen in die Domäne des Glaubens eindringen, wie in vergangener Zeit so auch heute noch. Sie verirren sich im Glauben und nichts bringen sie als Schaden: für sich – wenn sie so einäugig bleiben und für andere – wenn ihre Konfusion nicht auf sie selbst beschränkt bleibt, sondern sich infolge ihres Durstes, als Lehrer zu fungieren, nach außen manifestiert. Das Ergebnis ist stets eine Clique von Leuten, die mehr oder weniger im Glauben sündigen und mit einer unglückseligen Überzeugung ihrer Fehlerlosigkeit und einem ärmlichen Verlangen, alles nach ihrer Laune umzumodeln, behaftet sind”. (Gedanken für jeden Tag des Jahres, S. 55).

Bischof Ignatij:
“Das Studium des göttlichen Gesetzes erfoldert Geduld. Dieses Studium ist die Errungenschaft der eigenen Seele: In eurer Geduld – so gebietet der Herr – werdet ihr eure Seelen gewinnen (Lk 21,19). Das ist die Wissenschaft der Wissenschaften! Das ist die himmlische Wissenschaft! Das ist die Wissenschaft, die dem Menschen von Gott geboten wurde! Ihre Pfade sind weit entfernt von jenen gewöhnlichen Pfaden, welche die irdischen Wissenschaften beschreiten, die menschlichen Wissenschaften, die aus unserer gefallenen Vernunft geboren sind – aus dem ihr eigenen Licht für unseren gefallenen Zustand. Die menschlichen Wissenschaften brüsten sich, blasen den Verstand auf, verwirklichen das eigene Ich, lassen es wachsen. Die göttliche Wissenschaft offenbart sich der Seele, die dazu bereitet wurde, die durch Erschütterungen gehärtet, von Selbstverleugnung geglättet wurde, als ob sie sich ihrer Demut wegen ihrer Eigenart entkleidet hätte; die zu einem Spiegel geworden ist, der kein eigenes Gesicht hat, und deshalb fähig ist die göttlichen Züge aufzunehmen und widerzuspiegeln. Die göttliche Wissenschaft – das ist die göttliche Weisheit, der göttliche Logos. Über sie sagt Ben Sira (Sohn von Sirach): Nach Kindern hat die Weisheit Sehnsucht und nimmt sich derer, die sie suchen, an. Das Leben liebt, wer diese liebt; des Frohsinns voll wird, wer sie sucht. Wer sie zu eigen hat, erwirbt sich Ruhm, und wo sie einzieht, gibt der Herr den Segen. Dem Heiligen dienen, die ihr dienen, und die sie lieben, liebt der Herr. Wer ihr gehorcht, wird richtig richten, und sicher wohnt, wer auf sie merkt (Sirach 4, 12-17) Derart ist die göttliche Wissenschaft! Derart ist die Weisheit Gottes! Sie ist die Göttliche Offenbarung! In ihr ist Gott! Der Zugang zu ihr liegt in der Demut! Der Zugang zu ihr liegt in der Abkehr von der eigenen Vernunft! Unerreichbar ist sie für den menschlichen Verstand! Verworfen wird er von ihr, als irrsinnig ausgemacht! Und er, der Dreiste, ist ihr stolzer Feind, in gotteslästerlicher Weise befindet er sie als närrisch, wird irre an ihr, weil sie sich den Menschen am Kreuz offenbarte, und sie vom Kreuz her erleuchtet. Der Zugang zu ihr ist durch die Selbstverleugnung! Der Zugang zu ihr ist durch die Kreuzigung! Der Zugang zu ihr ist durch den Glauben! Ben Sira fährt fort: Wenn du Glauben hast, so wirst du sie erben.

L.T. Tichomirov:
Die Predigt der Geistlichen ... ist angeblich unverständlich. Als verständlich gilt die Predigt der weltlichen Missionare, bei denen der Schwerpunkt, die Sorgen und Gedanken auf das Gebiet rein weltlicher, irdischer Interessen übertragen werden. Ihre ‘Religion’ erweist sich stets als Werkzeug irdischen Wohlstandes. Von der Orthodoxie redet man immerfort als von der Religion des russischen Volkes. Auf die Bedeutung der Orthodoxie pflegt man nicht von ihrem essentiellen Aspekt (als sich selbst genügende Wahrheit und als Pfad zur Rettung der Seele) her zu verweisen, sondern von der Seite ihrer Bedeutung für den russischen Staat, die russische Gesellschaft her... Überall und allerorten verdrängt das irdische und zeitliche Interesse die religiösen und ewigen Belange. Zweifelsohne besitzt die Religion riesigen Einfluß und Auswirkung auf ‘irdische’ Dinge. Aber wichtig ist der Ausgangspunkt das zentrale Interesse. Wichtig ist, ob wir an die irdischen Belange vom Standpunkt der absoluten Wahrheit der Religion aus herangehen oder, umgekehrt, ob wir von der irdischen Sorgewaltung ausgehend, danach streben, auf diese oder jene Weise die religiöse Wahrheit zu definieren. Die einen unterwerfen die Erde dem Himmel – die anderen den Himmel der Erde. Es handelt sich um eine grundlegende Kontradiktion.” (Geistlichkeit und Gesellschaft in der zeitgenössischen religiösen Bewegung, Moskau 1893).

Bote 1994-2
Der ehrwürdige Paisij Veli¡ckovskij,
Bischof Ignatij Brjan¡caninov und das russische Starzentum

Etwas ganz ähnliches lesen wir in der Lebensbeschreibung eines geistigen Streiters aus neuerer Zeit, nämlich des seligen Schemamönches Siluan, der sich im Russischen Panteleimon-Kloster in Askese übte, wo er im Jahre 1938 im Herrn entschlief. Bedenken wir, daß auch die Bruderschaft Paisijs auf dem Heiligen Berg ihren Anfang nahm:
“Starez Siluan hatte keine Schüler im üblichen Sinn dieses Wortes und erhob keinen Anspruch darauf, ein Lehrer zu sein; auch war er selber nicht Schüler irgendeines bestimmten Starez, sondern er wurde wie die Mehrheit der Athosmönche vom Fluß der allgemeinen Überlieferung geformt: durch die ständige Anwesenheit in der Kirche bei den Gottesdiensten, durch das Hören und Lesen des Wortes Gottes und der Werke der Kirchenväter, durch Gespräche mit anderen Novizen auf dem Heiligen Berg, durch strenges Einhalten der vorgeschriebenen Fasten, durch Gehorsam gegenüber dem Abt, Beichtvater und Vorgesetzten bei der Arbeit. Besonders tiefe Aufmerksamkeit widmete er dem inneren geistlichen Gehorsam dem Abt und Beichtvater gegenüber und erachtete diesen für ein Sakrament der Kirche und ein Geschenk der Gnade. Wenn er sich an den geistlichen Vater wandte, betete er, daß der Herr sich durch Seinen Diener seiner erbarmen möge, ihm Seinen Willen und Weg zum Heil auftun möge; und da er wußte, daß der erste Gedanke, der nach dem Gebet in der Seele aufsteigt, ein Hinweis von oben ist, erhaschte er das erste Wort des geistlichen Vaters, seine erste Andeutung und führte das Gespräch dann nicht weiter. Darin liegt die Weisheit und das Geheimnis des wahren Gehorsams, dessen Ziel die Erkenntnis und Erfüllung des göttlichen und nicht des menschlichen Willens ist. Solch geistlicher Gehorsam ohne Widerrede und Entgegnung – nicht nur einer in Worten ausgedrückten, sondern sogar einer innerlichen unsichtbaren – ist im allgemeinen die einzige Bedingung zur Wahrnehmung einer lebendigen Ergebung.
Die lebendige Hingabe in der Kirche, die von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte fließt, ist eine der wesentlichsten und zugleich subtilsten Seiten ihres Lebens. Dort, wo es von seiten des Schülers keinen Widerstand dem Lehrer gegenüber gibt, öffnet sich die Seele des letzteren als Antwort auf das Vertrauen und die Demut leicht und vielleicht sogar vollständig. Aber sobald auch nur ein kleiner Widerstand dem geistlichen Vater gegenüber aufkommt, reißt unvermeidlich der Faden reiner Ergebung ab und die Seele des Lehrers verschließt sich.
Vergeblich meinen viele, daß der geistliche Vater ‘ebenso ein unvollkommener Mensch’ ist, daß man ‘ihm alles ausführlich erklären muß, denn sonst begreift er nichts’, daß er ‘leicht irren kann’, und daß man ihn deshalb ‘korrigieren’ muß. Wer dem geistlichen Vater widerredet oder ihn verbessert, stellt sich über ihn und ist bereits kein Schüler mehr. Ja, keiner ist vollkommen und es gibt keinen Menschen, der sich erkühnen könnte zu lehren, wie der ‘mit Vollmacht’ redende Christus. Denn der Gegenstand der Lehre ist nicht ‘Menschenwerk’ und auch nicht ‘von einem Menschen empfangen’ (Gal 1,11-12), sondern in den ‘armseligen Gefäßen’ wird der kostbare Schatz des Heiligen Geistes aufbewahrt, der nicht nur kostbar ist, sondern seinem Charakter nach auch nicht leicht aufzutun ist, und nur derjenige, der auf dem Weg ungeheuchelten und vollkommenen Gehorsams voranschreitet, dringt zu dieser geheimen Schatzkammer vor.
Der verständige Novize oder Beichtende verhält sich bei dem geistlichen Vater folgendermaßen: in wenigen Worten äußert er seinen Gedanken oder das Wichtigste über seinen Zustand und läßt dann dem Geistlichen freie Hand. Der Geistliche, der vom ersten Augenblick der Unterredung an betet, wartet auf die Eingebung von Gott, und wenn er in seiner Seele eine ‘Benachrichtigung’ fühlt, dann gibt er seine Antwort, bei der man es auch belassen sollte, denn nachdem dem Geistlichen das ‘erste Wort’ entschlüpfte, schwächt sich die Wirkung des Sakramentes bereits ab und die Beichte kann zu einer rein menschlichen Erörterung werden.
Wenn der Novize (Beichtende) und der geistliche Vater die gebührende Haltung zum Sakrament bewahren, dann kommt die Eingebung von Gott schnell; wenn aber aus irgendeinem Grunde keine ‘Benachrichtigung’ erfolgt, dann kann der Geistliche um weitere Erklärungen bitten, und nur dann sind sie am Platze. Wenn der Beichtende, der dem ersten Wort des Geistlichen nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkte, ihn mit seinen Erklärungen überschüttet, dann beweist er schon dadurch seinen Mangel an Vertrauen und Einsicht und verfolgt den verdeckten Wunsch, den Geistlichen seiner Meinung geneigt zu machen. In diesem Fall beginnt bereits ein psychologischer Kampf, welchen der Apostel Paulus als ‘nicht nutzbringend’ bezeichnet (Hebr 13,17).” (Hieromonachos Sofronij, Starez Siluan, S. 37-38).
Kehren wir nun zu der Ansicht von Schema-Archimandrit Paisij zurück. Es folgt ein Auszug aus einem Brief an seinen Freund und Schüler, den Priester Dimitrij (1766):
“Das Vorbild des Herrn nachahmend lebten in der Urkirche 8000 Christen einmütig zusammen, wobei sie nichts als ihr eigen betrachteten, sondern alles gemeinsam hatten, und dank eines solchen Lebens waren sie eines Herzens und einer Seele. In solch einer Gemeinschaft lebten auch unsere ehrwürdigen Väter allerorten, in den Lavren und in den Klöstern, wobei sie die vom hl. Basilius dem Großen aufgestellte Regel befolgten und wie die Sonne leuchteten. Keine andere Lebensform als die Koinonia in seligem Gehorsam bringt dem Menschen solchen Fortschritt, befreit ihn so schnell von allen psychischen und physischen Leidenschaften: dank der Demut, welche aus dem seligen Gehorsam geboren wird und den Menschen in seinen ursprünglichen lauteren Zustand zurückversetzt, in ihm das Ebenbild und die Ähnlichkeit Gottes erneuert und die durch die Heilige Taufe verliehene Gabe Gottes wiederherstellt, und ihm auch noch andere Vorzüge verleiht, deren der wahre Novize durch Gottes Gnade und wegen seiner Demut teilhaftig wird, was er auch selbst zuweilen in seiner Seele fühlen kann. Die Koinonia von im Namen Christi versammelten Brüdern vereinigt diese – welchem Volk oder Geschlecht sie auch angehören mögen – durch so große gegenseitige Liebe, daß sie alle, einer für den anderen, ein Leib mit seinen Gliedern werden, der ein gemeinsames Haupt, nämlich Christus hat. So glühen sie in Liebe zu Gott, zu ihrem geistlichen Vater und zu einander, und haben alle einmütig und einträchtig ein und dasselbe Ziel, nämlich emsig die Gebote Gottes zu erfüllen und zu halten, sich dazu gegenseitig zu ermuntern, sich einander unterzuordnen, einer des anderen Last zu tragen, einer dem anderen Herr und zugleich Diener zu sein. Im Namen dieser heiligen und gesinnungsgleichen Liebe werden sie Nachahmer des Lebens des Herrn Selbst und Seiner Heiligen Apostel, indem sie sich in allem ihrem geistlichen Vater unterordnen, ihm die Geheimnisse ihres Herzens anvertrauen, seine Worte und Weisungen, als wären sie aus dem Munde Gottes Selber, akzeptieren, ihren eigenen Willen und ihre Erwägungen, die der Ansicht ihres Vaters widersprechen, wie ein schmutziges Kleid verachten, das man verflucht und weit von sich wirft: sie fliehen diese wie eine teuflische Verlockung, sie fürchten sie wie das Höllenfeuer und bitten beständig Gott, Er möge sie durch Seine Gnade vor solchem Übel bewahren und ihnen helfen, sich ganzen Herzens an ihren Vater zu wenden, wie Kinder an die Mutter, ihm in allem folgen, wie Schafe dem Hirten, und sich ihm unterordnen, wie das Kunstwerk dem Künstler, und in nichts nach ihrem eigenen Urteil handeln. Dieser göttliche Gehorsam, als die Wurzel und Grundlage des gesamten monastischen Lebens, ist ganz eng mit dem Gemeinschaftsleben verbunden, so wie die Seele mit dem Körper liiert ist und eines ohne das andere nicht existieren kann”. (@Cetverikov, S. 93-94).
In einem anderen Brief unterstreicht der selige Geistesheld von Njametz erneut, daß der wahre Gehorsam eine Tugend ist, die nur dem Mönchsstand zu eigen ist (es geht in diesem Zusammenhang um das tiefe Herzensgebet):
“Die patristischen Bücher, besonders jene, die wahren Gehorsam lehren, sowie Nüchternheit und Schweigen, Konzentration auf das innere Gebet, also jenes, das geistig im Herzen erfolgt, sind ausschließlich dem Mönchsstand, und nicht allen orthodoxen Christen allgemein, angemessen. Die gottragenden Väter, welche Belehrungen zu diesem Gebet gaben, bekräftigen, daß sein Prinzip und seine unerschütterliche Grundlage der wahre Gehorsam ist, aus dem wahre Demut erwächst: die Demut schützt den im Gebet sich Mühenden vor allen Verführungen, welche eine Folge der Eigenmächtigkeit sind. Echten monastischen Gehorsam und totale Aufgabe des eigenen Willens und Urteils in allem ist weltlichen Menschen gänzlich unmöglich zu verwirklichen. Wie wäre es Weltlichen möglich, ohne Gehorsamsübung, aus der stets von Trug begleiteten Eigenmächtigkeit, so etwas Schreckliches und Fürchterliches, nämlich solch ein Gebet ohne jegliche Anweisung zu unternehmen? Wie sollten sie den vielfäligten und unterschiedlichsten feindlichen Verlockungen entkommen, die auf dieses Gebet und diejenigen, die es praktizieren, heimtückisch hereinbrechen? So schrecklich ist diese Sache: das Gebet, jedoch nicht das rein mentale Gebet, das einfach in Gedanken gesprochen wird, sondern das mit bestimmter Methode vom Geist im Herzen vollzogene, daß auch echte Novizen, die Willen und Eigenurteil ihren Vätern, wirklichen und erfahrenen Lehrmeistern auf diesem Gebet, nicht nur übergeben, sondern sogar völlig abgetötet haben, beständig in Furcht und Zittern verweilen, daß sie in diesem Gebet nicht irgendeinem Trug zum Opfer fallen mögen, obwohl sie Gott, dank ihrer wahren Demut, die sie durch die Gnade Gottes und ihren aufrichtigen Gehorsam erwarben, immerdar vor solchem Unheil bewahrt. So laufen Weltliche, die keinen Gehorsam gelobt haben, wenn sie sich nur durch Lesen von diesbezüglichen Büchern an das Gebet machen, Gefahr, in irgendeine Verlockung zu fallen, was denen, die eigenmächtig seine Praxis unternehmen, leicht passieren kann.” (Leben und Schriften des Moldauer Starez Paisij Veli¡ckovskij, hrsg. in Vvedenskaja Optina Pustyn’, 1847, zit. nach Bd. 2, ges. Werke Bischof Ignatij, 3. Ausg. Sankt Petersburg 1905).
Die immer größer gewordene Berühmtheit Paisijs und seiner Bruderschaft, besonders gegen Ende seines Lebens, bewog nicht nur Mönche, sondern auch Laien, bei ihm Rat zu suchen. Viele davon kamen selber nach Njametz, aber es gab auch solche, die sich brieflich an den für sein erhabenes Leben berühmten Asketen wandten, und sie erhielten immer gründliche und ausführliche Antworten von ihm. Sein Nachlaß an Briefen erlaubt uns ziemlich genau festzustellen, welche Beziehung der Schema-Archimandrit von Njametz zu den Laien hatte, und welche Art von Empfehlungen er ihnen gab.
1794 erhielt der selige Paisij einen Brief aus Rußland, worin ihm einige Gläubige Fragen stellten, die er selber als “wahre Knechte Gottes, Befolger der Gebote des Evangeliums” bezeichnete. Seine Antwort leitet der Schema-Archimandrit mit folgenden Worten ein: “Ihren zweiten Brief erhielt ich mit besonderer Freude durch unseren geliebten Bruder, den Mönch Theophylakt, und ich preise Gott ob Ihres Eifers, den Sie hinsichtlich der makellosen Bewahrung des orthodoxen Glaubens und der von der Heiligen Kirche gepflegten apostolischen Überlieferungen und Regeln beweisen. Dieser Ihr Eifer ist von Gott und anerkennenswert. Beflügelt von ihm erweisen Sie mir derartige Liebe und Vertrauen, daß Sie sich ungeachtet meiner mangelnden Bildung mit Fragen an mich wenden, die bei weitem meine Kraft und mein Verständnis übersteigen und eher einer konziliaren Beurteilung durch die Kirche, als der Erläuterung eines Unwissenden obliegen würden. Übrigens legten Sie mir Ihre Fragen auf eine solch verständige Weise dar, daß Sie meine Antworten und Entscheidungen ohne jeden Zweifel und in vollem Vertrauen annehmen werden. Sehr lobe ich Sie wegen Ihres Eifers, aber urteilen Sie selber, wie ich ihre Fragen lösen sollte, obwohl ich dies von Herzen gerne tun möchte, wo ich erstens, wie ich schon sagte, ein einfacher und unwissender Mensch bin, und zweitens nicht die hierzu einschlägigen Bücher bei mir habe. So weiß ich nicht, was tun: Ihre Fragen ohne Antwort lassen oder irgend etwas antworten, wie es mein schwacher Verstand gestattet? Nachdem ich einige Zeit darüber nachgedacht habe, beschloß ich, Ihrer Liebe zu mir und Ihrem Eifer nachzugeben. Am meisten rührte mich, daß Sie mich um eine Antwort durch die Heilige und Lebensschaffende Dreieinigkeit bitten. All dies in Betracht ziehend fühlte ich mich durch Ihre Liebe inspiriert und bitte nun den Allmächtigen Gott-Christus, daß Er mir durch Seine Gnade helfe, diese Sache in Angriff zu nehmen und sie nach der wahren und makellosen Vernunft der heiligen katholischen Kirche auszuführen”.
Indem wir die ersten zehn Punkte des Briefes, welche die Raskolniki (Altgläubigen) und einige praktische Fragen betreffen, beiseite lassen, wenden wir uns nun dem zu, was der Asket von Njametz auf die letzte und wichtigste Fage dieser “Eiferer der Frömmigkeit” antwortet:
“Auf Ihren letzten Punkt, wo Sie die Frage stellen, wie Sie, die Sie mit Frau und Kindern in der Welt leben, Erlösung finden können, antworte ich: Wer könnte mit wenigen Worten das Thema der Erlösung erfassen? Ich kann Ihnen nur raten, daß Sie mit dem größten Eifer die Heilige Schrift und die Lehren unserer heiligen Väter studieren, denen es gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreiches einzusehen, d.h. den wahren Sinn der Heiligen Schrift. In ihrer, vom göttlichen Geist erleuchteten Lehre finden sich zur Genüge alle Belehrungen, die für die Errettung der Seele notwendig sind und die alle erlösungssuchenden Menschen zu guten Werken anspornen und gottwidriges Tun fliehen heißen. Wenn Sie eifrig und beflissen, mit Glauben und Liebe, mit Gottesfurcht und Aufmerksamkeit die Lehren der Väter studieren, werden Sie eine ständige Belehrung zu jedem guten, für die Rettung der Seele unerläßlichem Werk erhalten. Bei all meiner Unvollkommenheit berücksichtige ich jedoch, daß Sie von mir Unterweisung suchen und will Sie daher nicht enttäuschen: Der Allbarmherzige Gott errettet die orthodoxen Christen durch den orthodoxen Glauben, gute Werke und Seine Gnade. Der orthodoxe Glaube ist derjenige, welchen die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche aufrechterhält, und ohne diesen Glauben kann überhaupt niemand erlöst werden. Die guten Werke sind die Erfüllung der Gebote des Evangeliums, ohne welche es, wie ohne den orthodoxen Glauben, ebenfalls nicht möglich ist, daß jemand gerettet werde. Der orthodoxe Glaube ohne gute Werke ist tot, und die guten Werke ohne orthodoxen Glauben sind tot. Wer gerettet werden will, muß unbedingt das eine mit dem anderen verbinden und auf diese Weise durch die Gnade des göttlichen Christus, der gesagt hat ohne Mich könnt ihr nichts tun das Heil gewinnen.
Man sollte im Auge behalten, daß Christus, der Heiland, für alle orthodoxen Christen gleichermaßen gute Werke vorschrieb, für Mönche ebenso wie für Laien, die in der Welt mit Frau und Kindern leben: Er sucht und fordert von allen die allereifrigste Erfüllung Seiner Gebote, so daß jene, die sie verletzen und nicht bereuen, keine Entschuldigung haben und bei Seiner schrecklichen zweiten Wiederkunft nicht Rede stehen können. Alle orthodoxen Christen, männlichen wie weiblichen Geschlechtes, jeden Alters und Ranges, gesunde wie mit allerlei Gebrechen auf dem Krankenlager darniederliegende, schwache und alte: alle können sie mit Hilfe der Gnade Gottes allein durch ihren guten Willen und eine demütige Haltung ohne jede Schwierigkeit die Gebote Christi erfüllen und auf diese Weise Erlösung finden. Die Gebote des Evangeliums, wenigstens die wichtigsten und allgemeinsten davon, sind dermaßen unerläßlich für die Erlösung, daß es keine Rettung für die Seele geben kann, wenn auch nur die Beherzigung eines einzigen unterbleibt. Es sind dies: Liebe zu Gott und zum Nächsten, Sanftmut und Demut, Friede mit allen und Langmut, Verzeihen der Verfehlungen des Nächsten von ganzem Herzen, Liebe zu den Feinden, Mildtätigkeit dem Nächsten gegenüber sowohl seelischer als auch körperlicher Art. Diese und andere im heiligen Evangelium aufgezählten Gebote Christi muß man unbedingt mit allem Eifer zu erfüllen suchen; insbesondere jedoch sollte man Gott aus ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen und mit all seinem Gemüt lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, der Sanftmut Christi nacheifern, also bis zum Blute der Leidenschaft des Zornes widerstehen, in Frieden mit allen leben, was dermaßen wichtig ist, daß Christus Selbst oftmals zu Seinen Jüngern sprach: Friede sei mit euch, Meinen Frieden lasse ich euch, Meinen Frieden schenke ich euch. Wo der Friede Christi ist, dort ist auch Christus anwesend; in der Seele, die Christi Frieden nicht besitzt, weilt Christus auch nicht. Geduld ist so sehr unerläßlich für das Heil, daß Christus sprach: In eurer Geduld gewinnt ihr eure Seelen. Der Gewinn der Seele ist jedoch nichts anderes als die Errettung der Seele. Und Geduld muß man nicht nur für eine bestimmte Zeit üben, sondern bis zum Tod, denn derjenige, der bis zum Ende ausharrt, wird gerettet werden. Wer aus ganzem Herzen seinem Nächsten dessen Sünden erläßt, wer seinen Nächsten nicht veruteilt, der wird auch selbst von Gott nicht verurteilt werden. Wer könnte in Kürze alle Gebote des Evangeliums aufzählen, die ein jeder, der gerettet werden will, einhalten und wie seinen Augapfel hüten muß?
Die Demut, welche die Grundlage aller Evangeliumsgebote ist, ist ebenso notwenig zum Heil, wie der Atem für das physische Leben. Die Heiligen gewannen die Erlösung auf verschiedenen Wegen, aber ohne Demut wurde noch keiner gerettet, noch kann jemand gerettet werden. Daher muß jeder, der erlöst werden will, sich aus ganzem Herzen als der letzte vor Gott fühlen und bei jeder Versündigung nur sich selber und niemals einen anderen für schuldig halten. Wenn man auf diese Weise, mit Gottes Hilfe die Evangeliumsgebote einhält und sich vor Gott erniedrigt, wird man der Barmherzigkeit Gottes und der Vergebung seiner Sünden und des Empfangs der Gnade Gottes würdig. Durch das Erbarmen Gottes erlangt man das Heil seiner Seele mit aller Gewißheit. Außerdem muß ein orthodoxer Christ auch alle kirchlichen Vorschriften sorgfältig beachten. Das Sakrament der Reue besteht darin, wahrhaft vor Gott zu bereuen, von seinen Sünden abzulassen, einen festen Entschluß mit Gottes Hilfe zu fassen, nicht mehr zu ihnen zurückzukehren; dann soll man all seine Sünden vor dem Beichtvater, wie vor Gott Selbst bekennen, von ihm die Lösung der Sünden erhalten und gegebenenfalls auch eine Epithymie für begangene Sünden nach der kirchlichen Ordnung von ihm annehmen. Über die Vorbereitung zu der Kommunion der Göttlichen Geheimnisse will ich folgendes sagen: Es ist unerläßlich, daß man zur Kommunion der Heiligen Geheimnisse Christi mit lauterem Herzen herantrete, mit Fasten und Zerknirschung, nachdem man sich vollkommen mit allen versöhnt hat, nach christlichem Brauch die ganze Regel angehört hat und unter keiner Epithymie, welche die Kommunion verbietet, stehe; mit Furcht und Zittern, mit Glauben und Liebe und Verbeugungen, die dem Einzigen Gott gebühren, damit die Kommunion zur Nachlassung der Sünden und zum ewigen Leben gereiche. Darüber, wie das häusliche Leben mit Frau und Kindern zu gestalten ist, über alle sonstigen christlichen Pflichten können Sie die besten Unterweisungen in den Schriften des hl. Johannes Chrysostomos und anderer Heiliger lesen.
Hier sind also meine Antworten auf Ihre Fragen, die ich auf Ihre inständige Bitte hin, richtiger gesagt, auf Ihre Nötigung hin, gegen meinen Willen geben mußte, und mit Gottes Hilfe sind wir zu Ende gekommen. Ihr jedoch, Christusliebende, die ihr mir eure Fragen vorgelegt habt, vergebt mir Sünder, wenn ich Euch nicht nach Eurem Wunsch, als Folge meines Nichtvermögens die passenden Antworten auf eure Fragen nach den heiligen Regeln geben konnte: denn ich konnte keine Regeln finden, die auf alle Antworten passen. Nachdem Ihr meine Antwort erhalten habt, lest sie aufmerksam, und wenn ihr darin irgend etwas in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und dem wahren Geist der Kirche findet, dann folgt dem. Wenn ich jedoch in meinen Antworten als Mensch in irgend etwas fehlte, dann folgt nicht meinen Fehlern, sondern haltet Euch in allem an den gesunden Verstand und das Urteil der heiligen katholischen Kirche; auf diese Weise werdet ihr nie sündigen. Möge Gottes Liebe und Frieden mit euch sein. Amen.” (@Cetverikov, S. 219, 237-240). Fortsetzung folgt

Bote 1994-3
Hll. Neomärtyrer und Bekenner Rußlands
Maxim, Bischof von Serpuchov Anfang siehe Bote 2/1994

Der geheime Bischof verhielt sich sehr vorsichtig und als er auf eine Denunziation hin verhaftet wurde, antwortete er so weise auf die Fragen, daß in der Folge die GPU-Machthaber ihm nichts zur Last legen konnten, als die Tatsache seines geheimen Mönchstums, während er gleichzeitig als Chefarzt des Taganka Gefängnisses tätig war. Daher begnügten sie sich mit der Strafe „drei Jahre Haft im Lager Solovezkij Inseln“ (nach Art. 58, Punkt 10, d.h. für konterrevolutionäre Propaganda).
Beim Verhör wiederholte Vladyka Maxim unentwegt ein und dasselbe: das geheime Mönchstum hätte er angenommen, weil er vor der Sowjetmacht seine persönlichen religiösen Überzeugungen nicht zur Schau stellen wollte. Auf die Frage, welche Eparchie er denn verwalte, antwortete Vladyka Maxim, daß er keinerlei administrative Verpflichtungen hätte, und daß er als Bischof im Ruhestand lebe. Über seine religiösen Überzeugungen und über sein spirituelles Leben weigerte er sich kategorisch auszusagen, weil dies eine zu intime Sphäre seiner Seele sei, in die er niemand Einblick gewähren könne. Seine Freundschaft mit dem Patriarchen war dem Untersuchungsführer bekannt. Auf die Frage, was sie einander nahe gebracht hätte, antwortete Vladyka Maxim: „Die vollkommen apolitische Einstellung , die volle Loyalität der Sowjetmacht gegenüber und die spirituelle Verwandtschaft im Gebetsstreben und den asketischen Erfahrungen“.
Ende Oktober 1929 traf im 4. Bezirk des Konzentrationslagers mit Sonder-Zweckbestimmung auf den Solovezkij Inseln im Weißen Meer (SLON) mit einer der Häftlingsetappen der neue Arzt ein. Der Lagerkommandant brachte ihn in die 10. Kompanie, wo die Arbeiter des Sanitätsdienstes untergebracht waren, führte ihn ins Ärztezimmer und stellte ihn vor: „Da habt ihr einen neuen Arzt, Michail Alexandrovi¡c @Zi¡zilenko, Professor und Doktor der Medizin“.
Wir - so erzählte Professor I.M. Andreev - die inhaftierten Ärzte des Sanitätsdienstes des Lagers, gingen zu dem neuen Haftgefährten und stellten uns vor. Der neu eingetroffene Kollege war hohen Wuchses, hatte einen grauen Bart, einen grauen Schnurrbart und Augenbrauen, die streng über seinen gutmütigen blauen Augen wucherten.
Noch eine Woche vor dem Eintreffen von Doktor @Zi¡zilenko teilten uns unsere Freunde aus dem Büro der Sanitätsabteilung mit, daß der neue Arzt kein gewöhnlicher Mensch sei, sondern mit einem besonderen „geheimen Paket“ belastet sei, und sich unter Sonderaufsicht befinde, und daß er vielleicht gar nicht zum ärztlichen Dienst herangezogen würde, sondern in die Sonderkompanie No. 14 versetzt würde, für die sogenannten „Geächteten“, denen untersagt ist, in ihrem Beruf zu arbeiten und die ihre gesamte Haftfrist mit allgemeiner körperlicher Schwerarbeit verbringen müssen. Die Ursache für solch einen „besonderen“ Status des Doktors @Zi¡zilenko war folgender Umstand: In seiner Eigenschaft als Chefarzt des Taganka Gefängnisses in Moskau war er gleichzeitig ein geheimer Bischof, der den Mönchstitel Bischof von Serpuchov trug.
Nach einem Meinungsaustausch über allgemeine Fragen erklärten wir alle drei Ärzte dem Neuankömmling, daß wir wüßten, wer er sei, warum er verhaftet und auf Solovki inhaftiert sei und wir empfingen seinen Segen. Das Gesicht des Arzt-Bischofs war konzentriert, die grauen Brauen zogen sich noch mehr zusammen und er segnete uns gemessen und feierlich. Seine blauen Augen wurden noch liebevoller, zärtlicher und leuchteten freudig auf. Die ganze Woche verfloß für uns in quälender Erwartung, bis sich endlich die Lage des neuen Arztes geklärt hatte. Er kam nicht in die Kompanie der „Geächteten“. Der Chef der gesamten Sanitätsabteilung des Solovezkij Lagers, Doktor V.I. Jachontov (der früher wegen eines strafrechtlichen Vergehens eingesessen hatte und nach Ableistung der Haftperiode blieb, um als Arzt der GPU zu dienen) wollte Doktor @Zi¡zilenko als erfahrenen Arzt zum Chef des Sanitätsdienstes des 4. Bezirks (d.h. für die ganze Insel Solovki) ernennen, aber dem widersetzte sich der Leiter des Informations- und Untersuchungs-Dienstes (ISO), der gefürchtetsten Abteilung im Lager, von der gänzlich Schicksal und Leben aller Häftlinge abhing. Auch der Dienst als Chefarzt im Zentrallazarett wurde Doktor Zi¡zilenko untersagt. Und so wurde der erfahrene alte Arzt (er schien 60 Jahre, während er in Wirklichkeit nur 44 Jahre alt war) zum Verwalter einer der Typhusbaracken bestimmt und jüngeren Ärzten, die administrative Vollmacht besaßen, untergeordnet. Doch bald zeigte sie die außergewöhnliche Begabung und Erfahrung von Doktor Zi¡zilenko als Behandlungsarzt und man zog ihn in allen schwierigen Fällen zur Konsultation heran. Sogar Lagerchefs, gewichtige Kommunisten und Tschekisten wandten sich um medizinische Hilfe für sich und ihre Familien an ihn. Beinahe alle Ärzte, junge wie alte, ließen sich von dem neuen Kollegen gern belehren, hörten auf seine Ratschläge und lernten an den Fallgeschichten seiner Patienten.
Ende 1929 brach im Solovezkij Lager eine Flecktyphus-Epidemie aus, die bald ungeheure Ausmaße annahm: von 18.000 Häftlingen auf der Insel erkrankten 5.000 gegen Ende Januar 1930. Die Sterblichkeit lag ungeheuer hoch, bis zu 20-30 %. Und nur in der Abteilung, die von Doktor @Zi¡zilenko verwaltet wurde, war die Sterblichkeitsrate unter 8-10 %.
Jeden neu eingelieferten Kranken untersuchte der Arzt-Bischof sehr gründlich und die erste Eintragung in den Krankeitsrapport war stets besonders ausführlich. Außer der Basisdiagnose der Haupterkrankung schrieb Doktor @Zi¡zilenko immer eine Diagnose aller Begleiterkrankungen nieder und zog exakte Schlußfolgerungen über die Funktion aller Organe. Seine Diagnosen waren stets genau und fehlerfrei, was sich nach Obduktion der Leichen bestätigte. Niemals beobachtete man irgendwelche Abweichungen seiner klinischen Diagnosen von den patologisch-anatomischen Befunden. Die Verschreibung von Medikamenten war in den meisten Fällen spärlich, aber oft kamen zu den Grundarzneien irgendwelche ergänzende hinzu, deren Zweck oft sogar nicht einmal den Ärzten klar war. In den schweren und vom medizinischen Standpunkt aus hoffnungslosen Fällen ordnete er zuweilen eine sehr komplizierte Therapie an und verlangte, daß sie strikt eingehalten wurde, ungeachtet dessen, daß rund um die Uhr verschiedenartige Medikamente stündlich verabreicht werden mußten. Nachdem er die neu eingelieferten Kranken einmal aufmerksam untersucht hatte und ihnen die notwendige Arznei verschrieben hatte, schien es, daß Doktor @Zi¡zilenko bei den folgenden Visiten ihnen wenig Aufmerksamkeit schenkte und sich an ihren Krankenbetten nicht länger als eine Minute aufhielt, den Puls fühlte und den Patienten dabei unverwandt in die Augen sah. Die Mehrheit der Kranken war damit sehr unzufrieden und viele beklagten sich, dieser Arzt würde sie vernachlässigen. Einmal wurde Doktor @Zi¡zilenko deswegen sogar zur Erklärung zum Chef der Sanitätsabteilung gerufen. In seiner Rechtfertigung verwies der Arzt-Bischof auf die Statistik der Exitus-Fälle in seiner Abteilung (die äußerst selten waren im Vergleich zu der Sterblichkeitsrate in allen anderen Abteilungen bei den anderen Ärzten) und die Genauigkeit seiner Diagnosen. Obwohl er „lässig“ seine Krankenrunde machte, blieb er manchmal unvermittelt vor irgend einem Bett stehen, untersuchte den Patienten gründlich, wie beim ersten Mal und machte dann eine neue Verordnung. Das war immer ein Zeichen dafür, daß im Befinden des Patienten eine ernste Verschlimmerung eingetreten war, von der der Kranke selber noch gar nichts merkte. Die Kranken starben stets in seinen Händen. Es schien, daß der Augenblick des Todes ihm immer genau bekannt war. Sogar bei Nacht kam er plötzlich einige Minuten vor Eintritt des Todes in seine Abteilung zu dem Sterbenden. Jedem Sterbenden schloß er die Augen, legte die Hände in Kreuzform auf die Brust und stand einige Minuten schweigend da, ohne sich zu rühren. Offensichtlich betete er. Bereits nach einem knappen Jahr verstanden wir, seine Kollegen, daß er nicht nur ein bemerkenswerter Arzt, sondern auch ein großer Beter war.
Im persönlichen Umgang war der Arzt-Bischof, den wir alle in unserem Ärztezimmer mit „Vladyka“ anredeten, sehr zurückhaltend, trocken, zuweilen sogar streng, verschlossen und außerordentlich wenig gesprächig. Über sich selbst teilte er gar nicht gerne etwas mit. Die Gesprächsthemen waren stets die Kranken oder (im Kreise von ihm nahestehenden Geistlichen) die Lage der Kirche.
Die Anwesenheit von Vladyka Maxim auf Solovki rief einen großen Wandel in der Haltung der dort inhaftierten Geistlichen hervor. Zu jener Zeit erfolgte im 4. Bezirk des Solovezkij Lagers (d.h. auf der Insel Solovki selber) unter den gefangenen Bischöfen und Priestern dieselbe Spaltung, die auch bei jenen „in der Freiheit“ nach der berühmten Deklaration des Metropoliten Sergij eingetreten war. Ein Teil des Episkopates und des weißen Klerus brach vollkommen jegliche Gemeinschaft mit Metropolit Sergij ab, indem sie sich unerschütterlich an die Position der Metropoliten Pjotr, Kirill, Agafangel und Iosif, des Erzbischofs Serafim von Ugli¡c und vieler anderer hielten, die durch ihr Bekennertum und ihre Martyriumbereitschaft ihre Treue Christus und der Kirche gegenüber bezeugten. Ein anderer Teil dagegen wurde „Sergianer“, denn sie akzeptierten die sogenannte „neue Kirchenpolitik“ des Metropoliten Sergij, welche die Sowjetische Kirche begründete und das Schisma des Neo-Erneurertums hervorrief. Wenn unter den Gefangenen, die vor der Verkündigung der Deklaration des Metropoliten Sergij nach Solovki geraten waren, in der ersten Zeit die meisten „Sergianer“ waren, so überwogen unter den neu Inhaftierten, die nach der Deklaration hinzugekommen waren, umgekehrt die sogenannten „Iosifljaner“ (abgeleitet von dem Namen des Metropoliten Iosif, um den sich in der Hauptsache die unbeugsamen und treuen Kinder der Kirche scharten). Mit dem Eintreffen neuer Gefangener nahm die Zahl der letzteren mehr und mehr zu.
Um die Zeit, als Vladyka Maxim eintraf, befanden sich folgende „Iosiflaner“ Bischöfe auf den Solovezkij Inseln: Bischof Viktor Glasovskij (der erste, der eine Anklageschrift gegen die Deklaration des Metropoliten Sergij verfaßte), Bischof Ilarion, Vikar von Smolensk, und Bischof Nektarij von Tresvinsk. Zu den „Sergianern“ wiederum gehörten: Erzbischof Antonij von Mariupol’ und Bischof Ioasaf (Fürst @Zevachov). Weniger verbissen, aber immerhin „Sergianer“ waren Erzbischof Ilarion Troizkij, der zwar die Deklaration des Metropoliten Sergij verurteilte, aber nicht die Gemeinschaft mit ihm als dem „kanonisch rechtmäßigen“ Ersthierarchen der Russischen Kirche brach.
Das Eintreffen von Vladyka Maxim im Solovezkij Lager verstärkte ungemein (den ohnehin schon überwiegenden) Einfluß der „Iosiflaner“.
Als man infolge der grausamen Verbotsmaßnahmen, die von Metropolit Sergij gegen die „Widerspenstigen“ ergriffen wurden, diese zu verhaften und zu erschießen begann, ging die wahre und christustreue Russische Orthodoxe Kirche in die Katakomben. Metropolit Sergij und seine Gefolgsleute, die „Sergianer“ leugneten kategorisch die Existenz der Katakombenkirche. Die „Sergianer“ auf Solovki glaubten natürlich auch nicht an ihr Bestehen Und da, plötzlich ein lebendes Zeugnis: der erste Katakombenbischof Maxim von Serpuchov kam nach Solovki.
Erzbischof Ilarion Troizkij wurde bald von Solovki fortgebracht und mit ihm verschwand auch bei vielen die „sergianische Gesinnung“. Widerspenstige „Sergianer“ blieben nur Erzbischof Antonij und insbesondere Bischof Ioasaf (@Zevachov). Sie wollten Bischof Maxim nicht einmal sehen oder mit ihm ein Gespräch führen. Dagegen fanden die Bischöfe Viktor, Ilarion von Smolensk und Nektarij ziemlich schnell eine Möglichkeit, wie sie sich nicht nur mit Vladyka Maxim treffen, sondern sogar bei den geheimen Katakomben Gottesdiensten in der Tiefe der Solovezkischen Wälder zusammen mit ihm zelebrieren konnten. Die „Sergianer“ verhielten sich dagegen sehr vorsichtig und hielten niemals irgendwelche geheimen Gottesdienste ab. Dafür war ihnen auch die Lagerleitung freundlicher gesonnen als jenen Bischöfen, Priestern und Laien, von denen bekannt war, daß sie weder Metropolit Sergij noch die „Sowjetische Kirche“ anerkannten.
Alle wegen kirchlicher Belange Verhafteten (und solcher gab es nach offiziellen geheimen Statistiken 1928/29 auf den Solovezkij Inseln bis zu 20%) wurden bei den Verhören unweigerlich gefragt, wie sie zu „unserem“ Metropoliten Sergij, dem Oberhaupt der „Sowjetischen Kirche“ stünden. Mit Schadensfreude und Sarkasmus bewiesen ihnen dabei die frohlockenden Tscheka-Untersuchungsführer die „strenge Kanonizität“ von Metropolit Sergij und seiner Deklaration, welche „weder Kanones noch Dogmen verletzte“.
Die „Sergianer“ im Solovezkij Lager, welche die Katakomben Kirche ablehnten, leugneten auch „Gerüchte“ darüber, daß Metropolit Sergij Anklageschriften erhalten hätte und von den Diözesen Protestdelegationen bei ihm angekommen seien. Erzbischof Antonij von Mariopol’, dem bekannt war, daß ich als Laie bereits an solch einer Delegation teilgenommen hatte, und der sich einmal als Patient im Lazarett befand, wollte meinen Bericht über meine Fahrt zu Metropolit Sergij zusammen mit Vertretern des Episkopats und des weißen Klerus hören. Die Bischöfe Viktor und Maxim gaben mir ihren Segen, um zu Erzbischof Antonij in das Lazarett zu gehen und ihm von jener Fahrt zu berichten. Für den Fall, daß er sich nach meiner Erzählung solidarisch mit den Gegnern der „neuen Kirchenpolitik“ erklären würde, war es mir gestattet, seinen Segen zu empfangen. Zeigte er sich jedoch als ein hartnäckiger „Sergianer“, so durfte ich keinen Segen von ihm annehmen. Meine Unterredung mit Erzbischof Antonij dauerte über zwei Stunden. Ich erzählte ihm ausführlich über die historische Delegation der Petrograder Diözese im Jahre 1927, welche den Beginn der Kirchenspaltung markierte. Als ich meine Erzählung beendet hatte, ersuchte mich Erzbischof Antonij, ihm etwas über die Persönlichkeit und Aktivität von Vladyka Maxim zu berichten. Ich antwortete ihm sehr zurückhaltend und bündig, so daß ihm auffiel, daß ich ihm nicht ganz traute. Er fragte mich deshalb. Ich antwortete offen, daß wir, die Katakombengläubigen, uns nicht nur vor den GPU-Agenten fürchteten, sondern auch vor den „Sergianern“, die uns mehr als einmal der GPU verraten hätten. Erzbischof Antonij war sehr erregt und ging lange im Ärztezimmer auf und ab, wohin ich ihn als konsultierender Arzt angeblich zu einer Untersuchung gerufen hatte. Dann sagte er plötzlich ganz entschlossen: „Und ich bleibe trotzdem bei Metropolit Sergij“. Ich stand auf, verneigte mich und machte Anstalten zu gehen. Er erhob die Hand zum Segen, aber ich erinnerte mich an die Anweisung von Vladyka Viktor und Maxim, wich der zum Segen erhobenen Hand aus und ging hinaus.
Als ich Vladyka Maxim über diese Begegnung berichtete, bestätigte er noch einmal, daß ich niemals den Segen bei den starrköpfigen „Sergianern“ empfangen sollte. „Die Sowjetische und die Katakomben Kirche sind nicht zu vereinbaren“, sagte Vladyka Maxim nachdrücklich, fest und überzeugt und nach einer Pause fügte er leise hinzu: „Die geheime, abgeschiedene Katakombenkirche belegte die ‘Sergianer’ und ihre Gefolgsleute mit dem Anathema“.
Ungeachtet des außerordentlich strengen Regiments, das im Solovezkij Lager herrschte und der Gefahr, gefoltert und erschossen zu werden, zelebrierten die Bischöfe Viktor, Ilarion, Nektarij und Maxim nicht nur häufig geheime Gottesdienste in den Wäldern der Insel, sondern vollzogen sogar die geheime Weihe einiger neuer Bischöfe. Dies geschah unter strengster Verschwiegenheit sogar vor den Allernächsten, damit sie im Falle von Verhaftung und Folterung nicht die Wahrheit über die geheimen Bischöfe der GPU preisgeben können. Erst am letzten Tag, bevor ich das Solovezkij Lager verließ, erfuhr ich von meinem engen Freund, einem unverheirateten Priester, daß er bereits kein gewöhnlicher Priester, sondern insgeheim Bischof war.
An geheimen Katakomben „Kirchen“ gab es bei uns auf Solovki mehrere, doch die „beliebtesten“ waren die „Kathedrale“ der Heiligen Dreieinigkeit und die Kirche des hl. Nikolaus des Wundertäters. Die erstere bildete eine kleine Waldlichtung in der Tiefe des Waldes in Richtung auf den Außenposten „Savatjevo“. Die Kuppel dieser Kirche war der Himmel, ihre Wände stellte der Birkenwald dar... Die Kirche des hl. Nikolaus befand sich im dichten Wald in Richtung auf den Außenposten „Muksol’ma“. Sie war eine „Nadelwaldhütte“, die auf natürliche Weise von einer Gruppe großer Tannen gebildet wurde... Am häufigsten wurden die geheimen Gottesdienste eben hier, in der Kirche des hl. Nikolaus gefeiert. In der „Trinitäts-Kathedrale“ fanden die Gottesdienste nur sommers statt, an hohen Festtagen, und besonders feierlich am heiligen Pfingstfest. Aber manchmal, je nach den Umständen, wurden höchst geheime Gottesdienste auch an anderen Orten abgehalten. So wurde z.B. am Hohen und Heiligen Donnerstag 1929 der Gottesdienst mit der Lesung der 12 Leidensevangelien in unserem Ärztezimmer, in der 10. Kompanie gefeiert. Zu uns kamen - angeblich in Sachen Desinfektion - Vladyka Viktor und Vater Nikolaj. Dann zelebrierten sie einen kirchlichen Gottesdienst bei verriegelter Tür. Am Karfreitag wurde ein Befehl an alle Kompanien verlesen, daß drei Tage lang das Verlassen der Kompanie nach 8 Uhr abends nur in außergewöhnlichen Fällen mit besonderem schriftlichen Passierschein des Lagerkommandanten erlaubt ist.
Um 7 Uhr abends am Freitag, als wir, die Ärzte, nach einem 12-Stunden Arbeitstag gerade in unsere Kammern zurückgekehrt waren, kam Vater Nikolaj zu uns und teilte folgendes mit: das Grabtuch in Handflächengröße wurde von dem Künstler R. fertiggestellt... der Gottesdienst - die Grablegung Christi - findet statt und beginnt in einer Stunde. „Wo?“ fragte Vladyka Maxim. „In dem großen Fisch-Dörr-Kasten, der in der Nähe der Kompanien No. ... am Waldrand steht.. vereinbartes Zeichen: 3 mal und 2 mal klopfen... besser einzeln kommen.“
Eine halbe Stunde später verließen Vladyka Maxim und ich unsere Kompanie und machten uns zum angegebenen Ort auf. Zweimal verlangten die Patrouillen den Passierschein von uns. Wir als Ärzte besaßen diesen. Aber was war mit den anderen: den Bischöfen Viktor, Ilarion, Nektarij und Vater Nikolaj? Vladyka Viktor arbeitete als Buchhalter in der Taufabrik, Vladyka Nektarij war beim Fischfang eingesetzt, die übrigen flochten Netze... Da war also der Waldrand, da war der Kasten von einer Länge von 4 Sashen (ehemaliges russ. Längenmaß: 1 Sashen = 2,13 m), ohne Fenster, der Eingang kaum sichtbar. Es war lichte Dämmerung, der Himmel in dunklen Wolken. Wir klopfen 3 und dann 2 mal. Vater Nikolaj öffnet. Vladyka Viktor und Vladyka Ilarion sind bereits hier... Einige Minuten später kommt Vladyka Nektarij. Das Innere des Kastens ist in eine Kirche verwandelt. Auf dem Boden, an den Wänden Tannenzweige. Es werden einige Kerzen angezündet. Die Ikonen klein, aus Papier. Das winzige Grabtuch von der Größe einer Handfläche verschwindet fast im Grün der Zweige. Es haben sich 10 Betende versammelt. Später kamen noch 4-5 weitere, darunter zwei Mönche. Der Gottesdienst beginnt, im Flüsterton.
Es war, als ob wir keinen Körper mehr hatten, sondern nur noch Seelen. Nichts zerstreute uns und störte uns beim Gebet. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir „nach Hause“ gelangten, d.h. zu unseren jeweiligen Kompanien. Der Herr behütete uns.
Die Utrenja am Fest der Lichten Auferstehung war in unserem Ärztezimmer angesetzt. Um 12 Uhr nachts versammelten sich alle, die die Absicht hatten, zu kommen - etwa 15 Personen - unter verschiedenen Vorwänden dringend benötigter ärztlicher Hilfe, ohne jegliche schriftliche Bewilligung. Nach der Utrenja und Liturgie setzten wir uns zum „Osterfestmahl“ nieder. Auf dem Tisch waren Kulitsch, Pascha, gefärbte Eier, Imbiß, Wein (flüssige Hefe mit Mosbeerenextrakt und Zucker). Um etwa 3 Uhr gingen wir auseinander. Der Lagerkommandant hatte Kontrollrundgänge in unserer Kompanie vor und nach dem Gottesdienst, um 11 Uhr abends und um 4 Uhr früh durchgeführt. Bei seinem letzten Rundgang traf er uns, die vier Ärzte mit Vladyka Maxim an der Spitze, zu seiner Verwunderung nicht schlafend vor und fragte: „Was Ärzte, schlaft ihr nicht?“ und fügte sogleich hinzu: „Solch eine Nacht... da ist es einem gar nicht zu schlafen zumute“. Dann ging er hinaus.
„Herr Jesus Christus, wir danken Dir für Dein Wunder der Erbarmung und Stärke“, sprach Vladyka Maxim feierlich mit durchdringender Stimme und brachte so unser aller Gefühle zum Ausdruck.
Die weiße Solovezkische Nacht neigte sich dem Ende zu. Der zarte rosa Osterhimmel von Solovki, an dem die jubelnde Sonne spielte, begrüßte das Kloster-KZ: er verwandelte es in eine unsichtbare Märchenstadt „Kitesch“ und erfüllte unsere freien Seelen mit einer stillen überirdischen Freude. Viele Jahre sind seitdem vergangen, aber der Wohlgeruch, der über diesem lieblichen Ostermorgen lag, ist uns unvergeßlich, als ob es erst gestern gewesen war. Und im Herzen empfinden wir, daß damals unter uns ein Heiliger weilte...
Vladyka Maxim war besonders befreundet mit Vladyka Viktor, der das genaue Gegenstück zu dem Bischofs-Arzt war. Vladyka Viktor war klein, füllig, lebensfroh, offen, zugänglich, zu allen höflich und gesprächig. „Jeden Menschen muß man irgendwie trösten“, pflegte er zu sagen und er vermochte auch jeden, den er traf zu „trösten“, zu erfreuen, ihm ein Lächeln zu entlocken. Er kam oft zu Vladyka Maxim und unterhielt sich lange mit ihm über das Schicksal der Russisch Orthodoxen Kirche. Er war ein Optimist und versuchte ständig, mit seinem Glauben an eine lichte Zukunft Rußlands Vladyka Maxim „anzustecken“, aber jener blieb ein Pessimist, oder wie er sich selber mit den Worten K. Leontjews charakterisierte „ein optimistischer Pessimist“. Es naht das tragische Ende der Weltgeschichte, und daher muß man nach den Worten des Herrn „den Kopf aufrichten“ in Erwartung des unbedingten Triumphes der Wahrheit Christi...
Am 21. Januar/3. Febuar 1930, am Tag, der dem ehrwürdigen Maxim dem Bekenner (dem Namenstag Vladyka Maxims) geweiht ist, kauften wir Ärzte, indem wir zusammenlegten, in unserem Lagerladen eine riesige, einem Hierarchen würdige Porzellan-Teetasse - eine außerordentlich kunstvolle Arbeit - und überreichten sie feierlich unserem teuren Vladyka als Geschenk. Vladyka aß wenig, aber er trank gerne Tee. Das Geschenk hatte einen großen Erfolg. Diesen ganzen Tag verbrachten wir wieder wie den Ostersonntag zusammen in unserem Zimmer, während uns Vladyka Viktor viele interessante Einzelheiten über den Prozeß gegen den hl. Maxim den Bekenner erzählte . „Glücklich sind Sie Vladyka, daß Sie den Namen eines so großen himmlischen Beschützers und Bekenners gerade in dieser Zeit tragen“, schloß Vladyka Viktor froh seine zu Herzen gehenden Worte.
Am 5/18. Juli 1930, am Tag des hl. Sergij von Radone¡z, informierten uns unsere Freunde aus dem Sanitätsbüro, daß ich in dieser Nacht verhaftet und mit einem „Sonderkonvoi“ nach Leningrad „in neuer Sache“ geschickt werden würde. Vorgewarnt, bereitete ich mich vor, verabschiedete mich von meinen Freunden und legte mich schlafen, indem ich die Verhaftung erwartete. Als ich um 2 Uhr nachts Lärm und Schritte unten hörte (unser Zimmer befand sich im 2. Stock), verneigte ich mich bis zur Erde vor Vladya Maxim (der auch nicht schlief) und bat um seinen Segen und um sein Gebet, daß der Herr mir Kraft schenken würde zum Ertragen der kommenden Trübsal, Leiden, eventuell sogar Folter und Tod. Vladyka stand vom Bett auf, richtete sich zur ganzen Größe seines Riesenwuchses auf (es war mir, als ob er noch größer geworden war), segnete mich langsam, küßte mich dreimal und sprach feierlich: „Viel Leid und schwere Prüfungen müssen Sie ertragen, aber Ihr Leben wird letzten Endes geschont und Sie werden in die Freiheit gehen. Und mich werden sie auch nach einigen Monaten verhaften und ... erschießen. Beten auch Sie für mich, jetzt solange ich noch lebe, und besonders nach meinem Tod...“.
Die Voraussagen von Vladyka Maxim trafen genau ein: Im Dezember 1930 wurde er verhaftet, nach Moskau gebracht und dort durch Erschießung hingerichtet.
Laß ruhen, o Herr, mit den Heiligen, die Seele Deines Knechtes - des ersten Katakomben-Bischofs der leidgeprüften Russisch Orthodoxen Kirche, Maxim.
Eine russische Emigranten-Zeitung teilte 1931 folgendes mit: „Vatikan, 30. November (Gavas). Erst heute erhielt die Vatikan-Kommission ‘Pro-Russia’ die Nachricht von dem Tod des Magister Maxim, des orthodoxen Bischofs von Serpuchov. Bischof Maxim wurde am 6. Juli von den Bolschewiken erschossen wegen seiner Weigerung Metropolit Sergius, der sich bekanntlich mit der Sowjetmacht* arrangiert hat, anzuerkennen.“

* Weiterhin teilt diese Quelle mit: „Vater Roman Medved’, der zum Amtsbereich des orthodoxen Erzbischofs Bartholomäus gehörte, wurde ebenfalls zum Tode verurteilt, aber dann wurde das Urteil in zehn Jahre Zwangsarbeit umgeändert“.

Bote 1994-3
Der ehrwürdige Paisij Veli¡ckovskij,
Bischof Ignatij Brjan¡caninov und das russische Starzentum

Ansichten, die dem Standpunkt des seligen Schema-Archimandrit Paisij ganz nahe kommen, brachte bereits im vergangenen Jahrhundert einer der bedeutendsten geistlichen Schriftsteller Rußlands, nämlich Bischof Ignatij Brjan¡caninov, zum Ausdruck.
Bischof Ignatij (in der Welt Dimitrij Akeksandrovi¡c Brjan¡caninov) wurde 1807 geboren. Sein Vater war ein Adeliger aus edlem Geschlecht und ein reicher Grundbesitzer aus dem Gouvernement Vologda. Auf Drängen der Eltern, aber gegen seinen Willen, trat Dimitrij Alexandrovi¡c in die Petersburger Militär-Ingenieur-Akademie ein, die er erfolgreich abschloß; danach betätigte er sich ein halbes Jahr lang als Offizier beim Bau der Festung von Dinaburg. Mit 20 Jahren nahm er seinen Abschied vom Militär und trat als Novize in das Alexander-Svirskij-Kloster ein. Von seinen ersten Schritten an war hier sein geistlicher Führer Vater Leonid, der in Zukunft so gefeierte Starez der Optina Pustyn’. Ein Jahr später begab sich Vater Leonid in das Plo¡s¡cank Kloster der Eparchie Orel, wohin ihm der junge Novize ebenfalls folgte. Im Frühjahr 1829 wechselten sie zum Skit der Optina Vvedenskaja Pustyn’ der Eparchie Kaluga über.
Im Herbst 1830 ließ sich Dimitrj Alexandrovi¡c mit dem Segen des hochgeweihten Stefan, Bischof von Vologda, in der Einsiedelei von Semigrad nieder, und im Winter 1831 wurde er in das weiter entfernte Dionysios-Kloster von Glu¡sitz versetzt.
Am 28. Juni 1831 wurde Brjan¡caninov von Bischof Stefan zum Mönch mit Namen Ignatij (zu Ehren des heiligen Märtyrers Ignatius des Gottesträgers) geweiht. Am 4. Juli desselben Jahres wurde er zum Mönchsdiakon geweiht, und am 25. bereits zum Mönchspriester. Am 6. Januar 1832 wurde Hieromonach Ignatij Vorsteher des Lopotov-Klosters von Pel¡sensk, und wegen seiner eifrigen Bemühungen um dieses Kloster wurde er am 28. Mai 1833 mit dem Titel eines Igumen ausgezeichnet.
Am 1. Januar 1834 fand in der Kazan-Kathedrale von Sankt Petersburg die Beförderung von Igumen Ignatij zum Archimandriten statt, und bald darauf wurde er auf Wunsch des Zaren Vorsteher der unweit der Hauptstadt gelegenen Sergievaja Pustyn’. Am 23. Oktober 1857 fand im Heiligen Synod die Ernennung von Archimandrit Ignatij zum Bischof vom Kaukasus und Schwarzen Meer statt, und am 27. wurde er in der Kazan-Kathedrale zum Bischof geweiht. Am 4. Januar 1858 kam Vladyka Ignatij in Stavropol’ im Kaukasus an.
Der unvergeßliche Bischof wirkte in den drei Jahren seiner pastoralen Tätigkeit ungeheuer viel, aber bereits im Herbst 1861 sah er sich wegen ernster Unpäßlichkeiten gezwungen in den Ruhestand zu treten. Seine letzten Jahre verbrachte Vladyka Ignatij in dem Nikolo-Babajevskij Kloster an der Wolga, in der Eparchie Kostroma. Hier konnte sich der Hierarch seinen schriftstellerischen Aufgaben widmen. Am 30. April 1867, am Sonntag der Myronträgerinnen, entschlief der selige Bischof friedlich im Herrn.
Das literarische Erbe des hochwürdigen Bischofs umfaßt fünf große Bände. Sehr viele seiner Schriften berühren unser Thema, am meisten handelt der fünfte Band, der den Titel Beitrag zum zeitgenössischen Monastizismus trägt und mit den Regeln zum äußerlichen Verhalten für Anfänger im Mönchstum beginnt, davon. Hier folgen die ersten Punkte dieser „Regeln“:
„1. Die heiligen Väter bezeichnen das Kloster als eine Heilsanstalt (Krankenhaus). Sie haben recht: Das Kloster ist eine moralische Heilsanstalt. Wir kamen aus der Welt ins Kloster, um unsere sündigen Gewohnheiten, die wir uns im weltlichen Leben angeeignet haben, fallen zu lassen und außerhalb der Reichweite der Verlockungen, von denen die Welt so voll ist, im echt christlichen Sinne zu wandeln. Als Lohn für das wahre christliche Leben auf Erden hoffen wir auf ewige Seligkeit im Himmel. So müssen wir also alle Bemühungen daran setzen, das Ziel, mit dem wir ins Kloster eintraten, zu verwirklichen, damit uns das Leben im Kloster zum Heil gereiche und keinen Anlaß zu unserer Verurteilung bei dem letzten Gericht gebe. Diejenigen, die sich in ein Krankenhaus begeben, verpflichten sich zu ihrem eigenen Nutzen, in allem den Anweisungen des Arztes zu folgen, und sie dürfen in puncto Essen, Kleidung, Bewegung, Arznei nicht ihrem eigenen Gutdünken folgen; sonst fügen sie sich Schaden statt Nutzen zu. Ebenso verpflichtet sich auch jeder ins Kloster Eintretende, sich nicht Askeseübungen und Praktiken hinzugeben, wie sie ihm selbst heilsam und notwendig erscheinen, sondern solchen, die ihm vom Vorsteher persönlich oder durch die klösterliche Obrigkeit angezeigt und aufgetragen werden.
3. Im Allgemeinen werden alle monastischen Übungen als Obedienz bezeichnet. Diese Gehorsamsaufgaben muß man mit aller Sorgfalt, mit strenger Gewissenhaftigkeit ausführen und fest überzeugt sein, daß das Aufsichnehmen solcher Obedienzen unabdinglich für die Errettung ist. Die klösterlichen Arbeiten heißen auch deshalb Gehorsamsübungen, weil sie mit der Abkehr vom eigenen Willen und allem eigenen Räsonieren verbunden sind. Daher wird bei der Ausführung der Gehorsamsaufgaben das Gewissen einer ständigen Prüfung unterworfen. Die Früchte der Übung im Gehorsam sind: wahre Demut und geistiges Verständnis. Praktiken und Mühen, die aus Eigenwillen oder besonderer Lust unternommen werden, vor allem wenn die Unterwürfigkeit dabei außer acht gelassen wird, bringen, so groß sie auch sein mögen, keinen geistigen Nutzen, und weil sie eben eine Folge von Eigendünkel und Stolz sind, verstärken sie im Gegenteil diese Leidenschaften noch ungemein und entfernen den Mönch vollkommen von der christlichen, gnadenerfüllten Gesinnung, also von der evangelischen demütigen Weisheit. Der hl. Kassian sagte: ‘Die hauptsächliche Sorge des Starez, dem die Novizen anvertraut wurden, besteht darin, daß der Anfänger als erstes lerne, seinen Willen zu besiegen, wodurch er, schrittweise eingewiesen, zu den Höhen der Vollkommenheit emporsteigen kann. Um ihn dazu mit aller Sorgfalt und allem Fleiß zu erziehen, versucht der Starez, ihm absichtlich das aufzutragen, was seinem Willen widerstrebt. Die großen ägyptischen Wüstenväter bekräftigen, aus ihrer reichen Erfahrung schöpfend, daß der Mönch, besonders der junge, nicht imstande ist, die Anwandlungen der Begierde zu zähmen, wenn er nicht zuvor gelernt hat, seinen Willen durch Gehorsam abzutöten. Sie zeugen entschieden davon, daß derjenige, der nicht zuvor gelernt hat, seinen Willen zu besiegen, Zorn und Unmut oder den Geist der Buhlerei einfach nicht auslöschen, geschweige denn wahre Herzensdemut, noch die beständige Einmütigkeit mit den Brüdern erwerben kann, und es auch nicht lange im Kloster aushalten wird. Sie bemühen sich, den Anfängern diese Regeln, wie ein ABC, das zur Vollkommenheit führt, beizubringen und sie prüfen daran, welcher Art die Demut der Anfänger ist, ob sie echt oder geheuchelt oder imaginär ist.’“
Nach den Regeln zum richtigen Wandel gibt Bischof Ignatij „Ratschläge hinsichtlich des seelischen Tuns des Mönches“. Hier betreffen zwei Kapitel unmittelbar unser Thema, die wir deshalb zitieren wollen (das erste davon stark verkürzt).
Kapitel XII: Über das Leben in Gehorsam bei einem Starez.
Das, was über das Einsiedler- und Klausnertum gesagt wurde, gilt auch für das Leben in Gehorsam bei einem Starez , in der Form, wie es im antiken Mönchstum gepflegt wurde: solch eine Art von Gehorsam ist unserer Zeit nicht gegeben. Der hl. Kassian der Römer sagt, daß die ägyptischen Wüstenväter, bei denen das Mönchstum besonders blühte und erstaunliche geistliche Früchte trug, versicherten, daß die Fähigkeit, gut zu führen und gut geführt zu werden, den Weisen eigen ist, und sie spezifizieren, daß dies die größte Gabe und Gnade des Heiligen Geistes ist. Eine unerläßliche Bedingung für eine solche Unterwerfung ist ein geisttragender Lehrmeister, der durch den Willen des Geistes den gefallenden Willen des sich ihm im Herrn Anvertrauenden abzutöten und in diesem gefallenen Willen auch alle Leidenschaften auszurotten vermag.
Der gefallene und verderbte Wille des Menschen schließt den Hang zu allen Leidenschaften ein. Es ist offensichtlich, daß die Abtötung des gefallenen Willens, die so großartig und siegreich durch den Willen des Göttlichen Geistes vollbracht wird, nicht durch einen Lehrer mit gefallenem Willen erwirkt werden kann, d.h. wenn der Lehrer noch selbst ein Knecht der Leidenschaften ist. „Wenn du der Welt entsagen willst – spricht der hl. Simeon, der Neue Theologe zu den Mönchen seiner Zeit – und dich im evangelischen Leben üben möchtest, dann überantworte dich nicht einem unerfahrenen oder mit Leidenschaften behafteten Lehrer, um nicht statt im evenglischen, im diabolischen Leben herangebildet zu werden, denn die Belehrung edler Lehrer ist edel, und die übler übel: böse Samen bringen unweigerlich auch böse Früchte hervor. Jeder, der blind ist und dabei meint, andere lehren zu können, ist ein Betrüger und wirft denjenigen, der ihm folgt, in die Grube des Verderbens, gemäß dem Worte des Herrn: Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen (Mt 15,14)“. Ein anderes Mal, als er einem Mönch rät, nach der Weisung des geistlichen Vaters zu handeln, fügt dieser große Gottgefällige hinzu: „Doch möge er so nur verfahren, falls er die Gewißheit hat, daß sein geistlicher Vater des göttlichen Geistes teilhaftig ist, daß er ihm nichts wider den Willen Gottes auftragen wird, sondern daß er seiner Gabe und den Fähigkeiten des sich ihm Anvertrauenden gemäß nur das Gott Gefällige und der Seele Zuträgliche verkünden wird, damit der Mönch nicht am Ende den Menschen, statt Gott gehorcht.“ In diesem Sinn mahnt auch der Apostel: Werdet nicht Sklaven von Menschen (1 Kor 7,23). Er befiehlt, daß die Diener ihren Herren in geistiger Gesinnung dienen sollen, nicht mit Augendienerei, sondern als Knechte Christi (Eph 6,6). Suche ich denn jetzt Menschen zu gewinnen – spricht der Apostel – oder Gott? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig sein wollte, wäre ich nicht Christi Knecht (Gal 1,10). Wißt ihr nicht: wem ihr euch als Knechte zum Gehorsam hingebt – einem Menschen materiellen Verständnisses oder Gott – dessen Knechte seid ihr, und müßt ihm gehorchen, entweder als Knechte der Sünde zum Tode oder als Knechte des Gehorsams zur Gerechtigkeit (Röm 6,16). Der Gehorsam formt den Gehorchenden nach dem Bild dessen, dem er sich unterwirft: So begatteten sich die Tiere vor den Stäben, spricht die Schrift (Gen 30,39). Jene Starzen, welche diese Rolle auf sich nehmen – verwenden wir einmal dieses unschöne Wort, das aus der heidnischen Welt stammt, um die Sache genauer zu erläutern, die eigentlich nichts anderes ist, als eine seelenvernichtende Schauspielerei und eine sehr traurige Komödie – also Starzen, welche die Rolle der alten heiligen Väter annehmen, aber keine geistigen Gaben besitzen, mögen wissen, daß allein schon ihre Absicht, ihre Gedanken und ihr Begriff von dem erhabenen Tun der Mönche ein verlogener Gehorsam ist, daß bereits schon die Form ihrer Gedanken, ihres Verstandes, ihres Wissens Selbstbetrug und dämonische Verblendung sind, die in den von ihnen Unterrichteten nicht die entsprechenden Früchte hervorbringen können. Ihre unrichtige oder falsche Gesinnung kann dem von ihnen geführten unerfahrenen Anfänger nicht lange verborgen bleiben, wenn dieser Anfänger sich nur ein wenig mit dem rechten Verlangen nach der Rettung seiner Seele der patristischen Lektüre widmet. Zur gegebenen Zeit muß dieser Mangel unweigerlich offenbar werden und wird Anlaß zu einer sehr unangenehmen Trennung – zu einer höchst konfliktbeladenen Beziehung zwischen Starez und Schüler, zur seelischen Zerrüttung des einen wie des anderen. Es ist etwas Fürchterliches, aus Eigendünkel und Eigenwillen eine Verantwortung auf sich zu nehmen, die nur auf Weisung des Heiligen Geistes und durch die Wirkung des Geistes getragen werden kann; etwas Schreckliches ist es, sich als ein Gefäß des Heiligen Geistes auszugeben, während die Liaison mit dem Satan noch nicht zerrissen ist, und das Gefäß sich weiterhin durch teuflische Aktivität beschmutzt! Fürchterlich ist solche Heuchelei und Verstellung! Verderblich für sich selber und den Nächsten, ein Verbrechen vor Gott, eine Gotteslästerung. Illusorisch ist es, daß man auf den hl. Zacharias verweist, der Vollkommenheit im Mönchsleben erlangte, obwohl er im Gehorsam eines unwissenden Starez, nämlich seines leiblichen Vaters Karion stand, oder auf den ehrwürdigen Akadios, der bei einem grausamen Starez seine Seele rettete, welcher seinen Schüler durch unmenschliche Schläge vorzeitig ins Grab schickte. Der eine wie der andere standen bei unwürdigen Starzen im Gehorsamsdienst, aber sie orientierten sich an den Ratschlägen der heiligen Väter sowie an all den erbaulichen Vorbildern, die sie in großer Zahl vor sich hatten: allein aus diesem Grund vermochten sie, in äußerem Gehorsam bei ihrem Starez auszuhalten. Diese Fälle stellen aber Ausnahmen von der allgemeinen Ordnung dar. „Das Wirkungsmuster der Göttlichen Vorsehung – sagte der hl. Isaak der Syrer – unterscheidet sich völlig von der allgemeinen menschlichen Ordnung“. Man mag einwenden: der Glaube an die Wahrheit rettet, der Glaube an die Lüge und die dämonische Verblendung führt ins Verderben, nach der Lehre des Apostels. Dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, – sagt er von den willentlich dem Verderben Anheimfallenden – damit sie gerettet würden, sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft der Verführung, damit sie der Lüge glauben, auf daß alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen der Ungerechtigkeit gefunden haben (2 Thes 2,10-12). Euch geschehe nach eurem Glauben (Mt 9,29) sprach der Herr, die Wahrheit in Person, zu den zwei Blinden und heilte sie von ihrer Blindheit: Kein Recht hat die Lüge und Heuchelei die Worte der Wahrheit Selbst zur Rechtfertigung ihres verbrecherischen Tuns zu wiederholen, wodurch sie die Menschen in den Untergang stürzt. Es gab zwar sehr seltene Fälle, wo der Glaube durch die besondere Vorsehung Gottes sogar durch Sünder wirkte und die Errettung dieser Sünder vollbrachte. Aber solche Fälle bilden eine Ausnahme und wenn wir sie sehen, tun wir gut daran, über die Vorsehung und die Unfaßbarkeit der Wege des Herrn zu staunen und so in Glauben und Hoffnung zu wachsen. Sehr unrecht würden wir jedoch tun, wenn wir diese Fälle als Vorbilder zur Nachahmung betrachten würden. Zum Wegweiser unseres Wandels wurde uns von Gott Selbst das göttliche Gesetz, d.h. die Heilige Schrift und die Werke der Kirchenväter, gegeben. Der Apostel Paulus sagt mit Nachdruck: Wir gebieten euch aber, ihr Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß ihr euch von jedem Bruder zurückzieht, der unordentlich wandelt und nicht nach der Überlieferung, die sie von uns empfangen haben (2 Thes 3,6). Tradition wird hier die sittliche Überlieferung der Kirche genannt, die in der Heiligen Schrift und in den Schriften der Kirchenväter niedergelegt ist. Der ehrwürdige Pimen der Große befahl, sich von einem Starez, mit dem ein Zusammenleben nachteilig für die Seele wäre, zu trennen – offensichtlich deshalb, weil dieser Starez die ethische Tradition der Kirche verletzt. Etwas anderes ist es, wenn kein seelischer Schaden entsteht und es nur die Gedanken sind, die einen stutzig machen: aufsässige Gedanken sind zweifellos dämonischer Natur, und man braucht ihnen nicht zu gehorchen, insofern sie gerade dort wühlen, wo unserer Seele Nutzen erwächst, und eben den wollen sie uns rauben. Der monastische Gehorsam – auch im Hinblick auf die Charakterbildung – wie er im antiken Mönchstum gepflegt wurde, ist ein hohes spirituelles Geheimnis. Ihn richtig zu begreifen und völlig nachzuahmen, ist außerhalb unserer Reichweite: möglich ist uns nur, mit Ehrfurcht und Verständnis zu ihm aufzuschauen und uns seinen Geist anzueignen. Den Pfad der rechten Unterscheidung und der der Seele heilsamen Klugheit betreten wir dann, wenn wir durch das Studium der Erfahrungen und Regeln der alten Wüstenväter – insbesondere ihrer Gehorsamspraxis, gleicherweise wundersam bei denen, die führten, wie bei denen, die geführt wurden – den allgemeinen Niedergang des Christentums in der heutigen Zeit begreifen und unsere Unfähigkeit eingestehen, der Aktivität der Väter in ihrer ganzen Fülle und ihrem ganzen Reichtum zu folgen. Ein großes Erbarmen Gottes über uns, ein großes Glück für uns ist es, daß uns gewährt wird, uns von den Brosamen zu nähren, die vom geistlichen Tisch der Väter fallen. Diese Brosamen sind natürlich keine genügende Speise, aber sie können uns, obwohl wir dabei Not und Hunger leiden, vor dem seelischen Tod bewahren.

Kapitel XIII: Über das Leben nach Anleitung
Als „Brosamen“ wird im vorhergehenden Kapitel das geistige Leben bezeichnet, das durch Gottes Vorsehung unserer Zeit gegeben ist. Es basiert auf der Führung hinsichtlich der Rettung der Seele durch die Heilige Schrift und die Schriften der Kirchenväter, bei dem gutem Rat und der Erbauung durch zeitgenössische Väter und Brüder. Auf gewisse Weise kann dieses Gehorsamsprinzip der Mönche des Altertums eigentlich auf unsere Hilflosigkeit, vornehmlich die innere, angepaßt werden. Den einstigen Novizen verkündeten ihre geistlichen Väter unvermittelt und geradewegs den Willen Gottes: heutzutage müssen die Mönche selber den Willen Gottes in der Schrift suchen, und sind daher häufigeren und langanhaltenden Zweifeln und Aberrationen ausgesetzt. Damals war der Fortschritt gemäß der Eigenart der damaligen Praxis rasch. Gottes Huld für uns bestimmt: unsere Pflicht ist es, Ihm zu gehorchen und uns in Dankbarkeit vor Ihm zu beugen.
Unser zeitgenössisches monastisches Leben nach der Schrift und dem Ratschlag der Väter und Brüder wird von dem Vorbild der Krone des Mönchstums, dem heiligen Antonius dem Großen, erleuchtet. Er stand in keinem Gehorsamsverhältnis bei einem Starez, sondern zu Beginn seiner Laufbahn lebte er alleine und entlehnte seine Anweisungen aus der Schrift und von verschiedenen anderen Vätern und Brüdern: bei dem einen lernte er Enthaltsamkeit, bei dem anderen Sanftmut, Beharrlichkeit, Demut, wieder bei einem anderen die strenge Achtsamkeit auf sich selbst, das Schweigen – so strebte er danach, sich die jeweilige Tugend eines jeden tugendsamen Mönches zu eigen zu machen, wobei er ihnen nach Möglichkeit Gehorsam erwies, sich vor allen demütigte und unaufhörlich zu Gott betete. Verfahre auch du, Neuling auf diesem Pfad, dergestalt! Erweise dem Vorsteher und der übrigen klösterlichen Obrigkeit Gehorsam ohne Heuchelei und Augendienerei: einen Gehorsam, dem Schmeichelei und Kriecherei fremd sind, einen Gehorsam um Gottes willen. Erweise allen Vätern und Brüdern Gehorsam in ihren Befehlen, sofern sie dem göttlichen Gebot, der Satzung und Ordnung des Klosters und den Anordnungen des klösterlichen Vorstandes nicht zuwider sind. Aber lasse dich niemals auf Böses ein, auch wenn dir wegen deiner mangelnden Menschengefälligkeit und Standhaftigkeit einiger Kummer zuteil wird. Beratschlage dich mit tugendsamen und vernünftigen Vätern und Brüdern, aber nimm ihre Ratschläge nur mit äußerster Vorsicht und Behutsamkeit an. Fang einen Ratschlag nicht gleich auf, weil er dich anfänglich beeindruckt. Deiner Leidenschaftlichkeit und Blindheit zufolge mag dir vielleicht irgendein hitziger, aber verderblicher Ratschlag nur deiner Unwissenheit und mangelnden Erfahrung wegen gefallen oder weil er irgendeiner verborgenen, dir unbekannten, aber in dir wohnenden Lust entspricht. Mit Weinen und Herzensseufzern flehe zu Gott, daß Er nicht zulasse, daß du von Seinem Allheiligen Willen zur Befriedigung des gefallenen menschlichen Willens abfallen mögest – sei es des deinigen oder des deines Nachbarn oder des deines Beraters. Wie bei deinen eigenen Gedanken so orientiere dich auch hinsichtlich der Gedanken deines Nächsten und deines Beraters am Evangelium. Eitelkeit und Dünkel gefallen sich darin, zu lehren und zu unterrichten. Sie kümmern sich nicht um den Wert ihres Ratschlages. Sie bedenken nicht, daß sie dem Nächsten durch ihren unsinnigen Ratschlag, welchen der unerfahrene Anfänger mit instinktiver Zutraulichkeit, mit Erregung des Fleisches und des Blutes auffängt, eine nicht zu heilende Wunde beibringen können. Sie brauchen Erfolg, was auch die Qualität dieses Erfolges und sein Ausgangspunkt sein mag. Sie müssen Eindruck auf den Anfänger schinden und ihn sich moralisch hörig machen. Sie wollen für heilig, für weise, hellsichtig, für Starzen, für Lehrer gehalten werden! Sie müssen ihren unersättlichen Ehrgeiz, ihren Stolz füttern. Das rechtschaffene Gebet des Propheten war schon immer, und ist besonders jetzt: Hilf Herr, denn dahin ist der Fromme, verschwunden die Treue unter den Menschenkindern. Lügen reden sie einer zum andern; mit glatter Zunge, mit doppeltem Herzen reden sie (Ps. 11,2-3). Ein verlogenes und heuchlerisches Wort kann nichts als ein böses und verderbliches Wort sein. Es ist unerläßlich, Vorsichtsmaßnahmen gegen solch eine Gesinnung, zu ergreifen. „Studiere die Heilige Schrift – sagt Simeon der Neue Theologe – sowie die Schriften der heiligen Väter, die besonders gehaltvoll sind, um die Lehre und den Wandel deines Präzeptors und Starez mit ihrer Lehre zu vergleichen, damit du sie (diese Lehre und diesen Wandel) wie in einem Spiegel sehen und unterscheiden kannst: was mit der Schrift in Übereinstimmung steht und was du dir aneignen und behalten kannst, und was falsch und übel daran ist und was du verwerfen sollst, um nicht getäuscht zu werden. Wisse, daß in unseren Tagen bereits viele Betrüger und falsche Lehrer erschienen sind“.
Der ehrwürdige Simeon lebte im 10. Jh. nach Christi Geburt, 9 Jahrhunderte vor unserer Zeit: bereits damals erschallte die Stimme eines Gerechten in der Heiligen Kirche Christi, die den Mangel an echten geisttragenden Führern und die große Zahl der Pseudolehrer beklagte. Im Laufe der Zeit wurden wahre und echte Lehrmeister im Mönchstum immer seltener: da begannen die heiligen Väter, sich hinsichtlich ihrer Wegweisung mehr und mehr auf die Heilige Schrift und die patristischen Werke zu verlassen. Der ehrwürdige Nil Sorskij, der sich auf die Väter, die vor ihm lehrten, bezog, meint: „Es ist kein kleines Stück, sagten sie, einen unverblendeten Lehrer für dieses wunderbare Tun – das wahre monastische Herzens- und innere Gebet – zu finden. Sie bezeichneten denjenigen als unverblendet, welcher die durch die göttliche Schrift bezeugte Tätigkeit und Weisheit besitzt und geistige Unterscheidung erworben hat. Auch sagten die heiligen Väter, daß es bereits damals kaum möglich war, einen unverblendeten Lehrer in solch einer Sache zu finden; und erst recht jetzt, wo sie überaus selten geworden sind, muß man sie mit aller Emsigkeit suchen. Wenn man sie nicht findet, dann geboten die Väter, aus der Göttlichen Schrift zu schöpfen, denn in ihr wird man das ewige Leben finden (Jh 5,39). Denn alles, was vormals geschrieben worden ist, das ist zu unserer Belehrung geschrieben (Röm 15,4)“.
Der ehrwürdige Nil lebte im 15. Jh.; er gründete ein Skit unweit vom Weißen See, wo er sich in tiefer Einsamkeit dem Gebete widmete. Es ist nützlich, die Starzen aus neuerer Zeit anzuhören. Mit welcher Demut und Selbstverleugnung äußert sich doch der ehrwürdige Nil über die Belehrungen, die er den Brüdern gab: „Keiner darf das Wort Gottes aus seiner Nachlässigkeit heraus verheimlichen, sondern er möge sein Unvermögen bekennen, soll aber dabei nicht die Wahrheit Gottes verbergen, damit er sich nicht der Übertretung des Gebotes Gottes schuldig mache. Wollen wir das Wort Gottes nicht verheimlichen, sondern wollen wir es verkünden! Die Göttlichen Schriften und die Worte der heiligen Väter sind zahlreich wie der Sand am Meer: indem wir sie unermüdlich erforschen, unterweisen wir die zu uns Kommenden, die dieser Unterweisung bedürfen (die Fordernden, die Fragenden). Richtiger gesagt: nicht wir unterweisen, weil wir dessen unwürdig sind, sondern es lehren die seligen, heiligen Väter aus der Göttlichen Schrift“.
Da haben wir ein ausgezeichnetes Vorbild für die zeitgenössische Belehrung! Sie frommt in jeder Weise der Seele des Lehrers wie der des Belehrten, sie ist der richtige Ausdruck eines maßvollen Fortschrittes; fremd sind ihr Eigendünkel, dumme Frechheit und Verwegenheit, in welche jene verfallen, die äußerlich Barsanophios den Großen und andere berühmte Väter nachahmen wollen, ohne dabei die Gnade jener Väter zu besitzen. Was in jenen der Audruck eines reichen Wirken des Heiligen Geistes war, das wird in den unbesonnenen, heuchlerischen Nachahmern zum Ausdruck einer groben Unwissenheit, von Selbstverblendung, von Stolz und Tollkühnheit. Geliebte Väter! Wollen wir das Wort Gottes unseren Brüdern mit der größtmöglichen Demut und Ehrfurcht verkünden, uns dabei als ungenügend für diesen Dienst erachten und uns vor jener Eitelkeit hüten, welche leidenschaftliche Menschen aufbläht, während sie die Brüder unterweisen. Bedenkt, daß wir Rechenschaft schuldig sind für jedes müßige Wort (Mt 12,36), wie viel mehr also für das Wort Gottes, das mit Gefallsucht und durch den Stachel der Eitelkeit ausgesprochen wurde. Der Herr wolle ausrotten alle falschen Lippen und die Zunge, die hochfahrend redet, die da sagen: durch unsere Zunge sind wir gewaltig, unser Mund ist für uns, wer will uns meistern (Ps 11,4-5). Es vertilgt der Herr diejenigen, die ihren Ruhm suchen, aber nicht Gottes Ruhm. Fürchten wir uns vor der Vergeltung des Herrn! Wollen wir Worte zur Erbauung nur dann sagen, wenn eine wirkliche Notwendigkeit dazu besteht, und auch dann nicht etwa als Lehrmeister, sondern als Menschen, die selber der Unterweisung bedürfen und an der Belehrung, die Gott in Seinem Allheiligen Wort Selbst gab, Anteil haben wollen. Dient einander mit der Gnadengabe – spricht der hl. Apostel Petrus –, wie sie ein jeder empfangen hat, als treue Sachwalter der mannigfachen Gnade Gottes. Wer die Redegabe hat, der trage seine Worte als Worte Gottes vor, und wer ein Amt besitzt, verwalte es aus der Kraft, die Gott verlieh, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem Herrlichkeit und Macht gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit (1 Petr 4,10-11). Wer aus sich selber handelt, handelt zur Selbstgefälligkeit und bringt sich und die ihm Hörigen Satan zum Opfer dar. Wer aus dem Herrn handelt, handelt zum Ruhme des Herrn und bewirkt seine Errettung und die seiner Nächsten im Herrn, dem Einzigen Erlöser der Menschheit. Mögen wir davor zurückschrecken, einem Anfänger irgendwelche unüberlegte Anweisungen zu geben, die nicht auf dem Wort Gottes und auf der spirituellen Einsicht in das Wort Gottes beruhen. Besser seine Unwissenheit einzugestehen, als eine der Seele abträgliche Kompetenz vorzutäuschen. Hüten wir uns vor diesem großen Desaster: einen Anfänger auf leichtmüige Weise aus einem Knecht Gottes zu einen Menschensklaven zu machen (1 Kor 7,23) und ihn zur Ausführung des gefallenen menschlichen Willens, statt des Allheiligen Göttlichen Willens anzustiften.“
Die demütige Beziehung des Ratgebers zu dem zu Belehrenden ist etwas ganz anderes als die des Starez zu dem bedingungslosen Zögling, dem Knecht des Herrn. Der gute Rat beinhaltet nicht die Bedingung, ihn unmittelbar in die Tat umzusetzen: er kann ausgeführt oder kann nicht ausgeführt werden. Auf dem Ratgeber liegt keinerlei Verantwortung für seinen Rat, wenn er ihn mit Gottesfurcht und in demütiger Gesinnung gibt, nachdem er inständig darum gebeten wurde. Sogar derjenige, der den Rat bekommt, ist nicht durch ihn gebunden; es bleibt seinem Urteil und seinem Gutdünken überlassen, ob er den erhaltenen Ratschlag ausführen will oder nicht. Es ist offensichtlich, daß der Weg des geistlichen Rates und der Befolgung der Heiligen Schrift unserer schwachen Zeit angemessen ist. Bemerken wir, daß die Väter verbieten, dem Nächsten einen Rat aus eigenem Antrieb zu geben, ohne daß dieser darum gebeten hätte: die eigenmächtige Erteilung eines Ratschlages beweist, daß jemand das Wissen und die Würde eines Geistlichen für sich in Anspruch nimmt, was offensichtlich ein Zeichen von Stolz und Selbstverblendung ist. Beim Besuch anderer Klöster möge man sich an dem Ratschlag, den der ehrwürdige Makarios von Alexandria dem ehrwürdigen Pachomios dem Großen gab, orientieren. Pachomios fragte Makarios über die Unterweisung der Brüder und ihre Einschätzung. Abba Makarios antwortete: „Belehre und beurteile deine Untergebenen, aber richte über keinen der Fremden“. An dieses Prinzip hielten sich und halten sich noch immer alle Klostervorsteher, die Gott gefallen möchten.“

Fügen wir einen Auszug aus dem Kapitel XXX hinzu, das die Überschrift Leid ist hauptsächlich das Los der Mönche der letzten Zeit trägt.
„Die Hauptursache, warum die Trübsal so besonders schwer auf dem heutigen Mönchstum lastet, liegt in ihm selber und besteht vor allem in dem Mangel an richtiger Erbauung. Ein Mangel an geistlicher Unterweisung muß als ein großes Unglück erkannt werden. Diese mißliche Lage wird jedoch nicht so schnell erkannt, und lange braucht es, bis der Mönch sie begreift. Der von Eifer beseelte Anfänger, bei dem das erhitzte Blut eine viel wichtigere Rolle als die spirituelle Vernunft spielt, begnügt sich gewöhnlicherweise mit der Erbauung, die ihm im Kloster zuteil wird, oder die er sich selbst verschaffen möchte. Bald jedoch wird es den geistigen Aspiranten (jedoch durchaus nicht allen) durch das sorgfältige Studium der Heiligen Schrift und der patristischen Werke nach und nach klar, daß eine geistliche Unterweisung zum spirituellen Fortschritt unerläßlich ist und daß eine rein emotionale Erbauung, wie prächtig und großartig sie dem Anschein nach auch sein mag, wie sehr sie von der in Blindheit gefangenen Welt auch gerühmt werden mag, in Dunkelheit verharrt, und diejenigen, welche sich an sie halten, in Dunkelheit und im Bereich der gefallenen Geister gefangen hält (Jak 3,15). Die Anleitung durch das Wort Gottes aus Büchern, und nicht aus lebendigem Munde, ist die einzige Führung, die uns zur Verfügung steht, wodurch sich der Mönch notwendigerweise selbst in gewissem Grade zum Führer wird, was ungeachtet des beträchtlichen Vorteiles, den es bringt, als eine unvermeidliche Folge der Unwissenheit und der Gefangenschaft durch die Leidenschaften mit großen und häufigen Abweichungen verbunden ist. Die Unwissenheit des Anfängers und die Last seiner Leidenschaften gestatten ihm nicht, die Schrift gebührend zu verstehen und sich mit der notwendigen Beharrlichkeit an sie zu halten. Während wir das Meer der Sünde durchschwimmen, läßt unsere Kraft häufig nach, oftmals fallen wir in Erschöpfung, versinken im Meer, und laufen Gefahr zu ertrinken. Unser Zustand, der durch den Mangel an echter Führung, an lebendigen Gefäßen des Geistes verursacht ist, gibt wegen der zahllosen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, Anlaß zu bitteren Tränen und zu untröstlichem Schluchzen. Wir darben, wir haben uns verirrt und es gibt keine Stimme, die uns aus unserer Verirrung herausführen könnte: das Buch schweigt, der gefallene Geist, der uns in der Verwirrung halten möchte, löscht aus unserer Erinnerung sogar das Wissen um die Existenz des Buches aus. Rette mich, o Herr, rief der Prophet, der mit seinem seherischen Geist unsere Misere voraussah und die Rolle eines Rettungssuchenden annahm, denn die Heiligen schwinden dahin! Es gibt keinen geisttragenden Meister und Führer, der ohne Fehl den Weg zur Erlösung aufzeigen könnte, dem der Rettungswillige sich mit vollem Vertrauen anheimstellen könnte. Dahin ist der Fromme, verschwunden die Treue unter den Menschenkindern, Lügen reden sie einer zum anderen (Ps 11,1-3) – all dies durch den Einfluß der emotionsgeladenen Vernunft, welche nur Verirrung und Eigendünkel entwickeln kann“.

Zweifelsohne veranlaßte eine tragische persönliche Erfahrung den denkwürdigen Bischof zu derart bitteren Zeilen. Sehen wir, was der selige Vladyka Ignatij in seinem Vorwort zum fünften Band schrieb:
„Es ist völlig gerechtfertigt, wenn ich diesen meinen Aufsatz als meine geheime Beichte bezeichne. Ich bitte, dieses Geständnis aufmerksam und mit christlicher Nachsicht zu lesen. Es verdient sowohl das eine wie das andere. Die von mir dargelegte Meinung entstammt gänzlich den heiligen Lehren der heiligen Väter der Orthodoxen Kirche, welche in Theorie und Praxis mit der Lehre des Evangeliums vertraut waren und sie verwirklicht hatten. Als Ursachen meiner vielen innerlichen Erschütterungen kann ich folgendes aufzählen: meine Unterlassungen und Abweichungen, die ungenügende oder nicht strikte Befolgung der Weisungen der Väter, das Nichtvorhandensein von gnadenerfüllten geistlichen Führern, die häufige und fast ausschließliche Begegnung mit Beratern, die von Blindheit und Selbstverblendung geschlagen waren, die freiwillige oder unfreiwillige Abhängigkeit von ihnen, allerorten eine Atmosphäre der Versuchung, aber nicht der Erbauung, das Hören auf eine Lehre, in welcher die Gott feindliche Welt den Glanz höchster Weisheit und Heiligkeit zu sehen wähnt, welche hingegen, da sie Finsternis und Schmutz ist, nichts als Verachtung und Verwerfung verdient. Diese über mich ergangenen Erschütterungen waren zugleich bitter und schwer, grausam und hartnäckig und von quälender Dauer. Die äußere Umstände betreffenden Erschütterungen sind meinem Gefühl nach nichts im Vergleich zu jenen, von denen die Seele ergriffen wird. Wild sind die Wellen des Lebensmeeres, über dem Finsternis und Nebel herrschen, verursacht durch die verstoßenen Geister, erheben sich ständig wütende Stürme auf ihm; die Schiffe sind ohne Steuermann, die hoffnungsvollen Häfen sind in Wasserwirbel und verderbliche Strudel verkehrt: alle Berge und Inseln wurden von den Stellen gerückt (Apk 6,14); die Sintflut erscheint als unausweichlich. Sie wäre auch unvermeidlich gewesen, wenn die so unfaßliche Göttliche Vorsehung und die ebenso unfaßbare Göttliche Barmherzigkeit nicht ihre Erwählten gerettet hätte. Viel hat in der Fremde gewohnt meine Seele (Ps 119,6) und fand weder außen noch innen einen wahren Hafen. Ich stecke im Schlamm der Tiefe, und es gibt keinen Halt – keine richtige und feste Kondition der Seele, wo sie unerschütterlich in Tugenden verharren würde – Ich kam in die Tiefen des Meeres, und der Sturm hat mich überspült. Ich mühte mich ab mit Schreien, heiser ward meine Kehle, es vergingen meine Augen, da ich hoffe auf meinen Gott (Ps 68,3-4). Denn der Feind verfolgte meine Seele, hat erniedrigt bis zur Erde mein Leben, mich ins Finstere gesetzt wie die Toten der Welt (Ps. 142,3). Wie Wasser bin ich ausgegossen, und zerstreut ist all mein Gebein, es wurde mein Herz wie Wachs, das mitten in meinem Leib zerschmolz, vertrocknet ist wie Lehm mein Schlund (Ps. 21,15-16). Mich umfingen Wehen des Todes, und Fluten des Unrechts verstörten mich, Wehen der Unterwelt kreisten mich ein, entgegen kamen mir Schlingen des Todes (Ps. 17,5-6). Und mutlos ward in mir mein Geist, in mir wurde verwirrt mein Herz (Ps. 142,4). Aus diesem elenden Zustand heraus erhebe ich meine Stimme zu den Vätern und Brüdern, es ist die Stimme der besorgten Mahnung. So verhält sich auch ein Wanderer, der auf seiner langen und mühsamen Reise schreckliche Gefahren überstanden hat. Wie einen wertvollen Schatz übergibt er seine Erfahrungen jenen, die beabsichtigen, eine ähnliche Reise zu unternehmen oder die sich bereits auf den Weg gemacht haben, über den sie überhaupt nichts wissen oder sich nur oberflächlich aus veralteten Berichten informiert haben. Hier werden einige Modalitäten angezeigt, die jedoch keine Änderungen im Wesentlichen, sondern in den Umständen darstellen, aber das Wesentliche beträchtlich beeinflussen können; hier wird gezeigt, auf welche Weise man sich die Schriften der Alten zunutze machen und sie auf die gegenwärtige Zeit anwenden kann. Dadurch vermeidet man jene falsche Position, in die sich jeder Unverständige begibt, welcher die Notwendigkeit von Anpassungen nicht wahrhaben will. Der hl. Johannes Klimakos spricht, daß einige, die durch eine sumpfige Gegend gingen, im Schmutz steckenblieben und darin gefangen anderen, dort vorbeiziehenden Wanderern zuriefen, was ihnen zugestoßen war, um sie vor demselben Unglück zu bewahren. Um der Rettung anderer willen befreite der Allmächtige auch jene, die in den Morast geraten waren und ihre Weggenossen vor diesem Mißgeschick bewahrt hatten. Geh stets geradeaus! Auf deines Fußes Bahn hab acht! Sei deines Ziels gewiß! All deine Wege seien fest bestimmt! Bieg nicht zur rechten noch zur linken Seite ab! Halte fern vom Bösen deinen Fuß! (Spr 4,26-29). Amen“ (Wir zitierten hier und zuvor aus der zweiten Ausgabe, Sankt Petersburg 1886).

In seinem so umfangreichen Briefwechsel mit Laien äußerte Vladyka Ignatij des öfteren Gedanken, die mit der Lehre des seligen Paisij in Übereinstimmung stehen. Es folgen einige Auszüge:
„Beruhigt euch! Das irdische Leben des Christen ist eine Mischung aus Tröstungen und Versuchungen. So verfügte es die Vorsehung Gottes! Die Tröstungen bestärken uns auf den Wegen des Herrn, während uns die Versuchungen klug und weise machen. Die Gesellschaft und das Gespräch mit gottesfürchtigen Menschen bringen großen Nutzen. Aber um Rat und geistliche Führung zu geben, genügt es nicht, fromm zu sein, man braucht auch geistige Erfahrung und vor allem die geistliche Salbung. Das ist die diesbezügliche Lehre der Schrift und der Väter. Ein frommer, aber nicht erfahrener Ratgeber wird eher in Verwirrung führen als Nutzen bringen. Nicht nur unter den Laien, sondern auch unter den Mönchen ist es äußerst schwierig, einen Ratgeber zu finden, der die bei ihm ratsuchende Seele ‘ausmißt und abwiegt’, und ihr Ratschläge aus ihr selber, aus ihrem eigenen Vermögen gibt. Heutzutage geben die geistlichen Berater und Führer ihre Anweisungen eher von sich und aus Büchern. Die erste Art von Beratung ist besonders nützlich und effektiv; sie ist der Seele nahe, die sich im Schutze ihres eigenen, ihr angemessenen Rates ausruhen möchte – und das fühlt sie. Der hl. Isaak sagte: ‘Nichts ist nützlicher als sein eigener Rat’. Ein fremder Ratschlag jedoch, obwohl er scheinbar aus edlen und vernünftigen Worten besteht, bringt der Seele nur Qual und Verstimmung. Sie fühlt, daß er nicht konform mit ihr geht, fühlt, daß er ihr fremd ist: Gar manche führen Reden gleich Schwertstichen; doch Heilung bringt des Weisen Zunge (Spr 12,18). Haltet euch mehr an das Studium der Kirchenväter; mögen sie euch führen, euch in den Tugenden belehren und auf dem Weg des Herrn unterweisen. Diese Art des Lebens schickt sich für unsere Zeit: sie wurde uns anbefohlen, aufgetragen von den heiligen Vätern der späteren Jahrhunderte. Während sie über den extremen Mangel an gotterleuchteten Lehrmeistern und Ratgebern klagen, weisen sie die geistigen Aspiranten an, sich in ihrem Leben an den patristischen Schriften zu orientieren. Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn (Spr 9,10). (Brief Nr. 18).

„Sehr lobenswert ist Ihr Wunsch – in vollkommenem Gehorsam bei einem erfahrenen Lehrmeister zu sein. Aber diese Art der Askese ist unserer Zeit nicht geschenkt. Es gibt sie weder in der christlichen Gesellschaft noch in den Klöstern. Die Abtötung der Vernunft und des Willens kann nicht von dem emotionsbezogenen Menschen vollzogen werden, so gut und fromm er auch sein mag. Dazu ist ein geisttragender Vater unerläßlich... Die großen Väter nannten den ‘Mönchsgehorsam’ eine besondere Gabe des Heiligen Geistes: so bekundet es ein Schriftsteller der damaligen Zeit, der heilige Kassian. Gehorsam ist ein ‘Wunder des Glaubens’! Vollbringen kann ihn allein Gott. Und es verwirklichten ihn jene Menschen, denen diese Gabe von oben von Gott gegeben wurde. Wenn die Menschen mit eigenen Anstrengungen das erreichen wollen, was alleine von Gott gegeben wird, dann sind ihre Mühen eitel und nichtig; dann sind sie ähnlich den im Evangelium erwähnten Turmbauern, welche das Gebäude ohne Mittel zu seiner Fertigstellung beginnen. Alle Vorübergehenden, d.h. Dämonen und Leidenschaften, lachen sie aus: weil sie dem äußeren nach wohl Tugend ausüben, aber sich innerlich in einem Zustand bitteren Truges, der Blindheit und Selbstverblendung befinden und als ein Knecht ihrer eigenen Leidenschaften führen sie den Willen der Dämonen aus. Viele meinten, daß sie im Gehorsam stehen, aber in der Tat gingen sie ihren eigenen Launen nach, wurden von ihrer eigenen Echauffierung betört. Glücklich derjenige, der im Alter eine Reueträne ob der Eskapaden seiner Jugend zu vergießen vermag. Über die blinden Führer und über die von ihnen Geführten sagte der Herr: Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube (Mt 15,14).
Unserer Zeit wird eine andere Leistung abverlangt, die mit vielen Mühen und Stolpersteinen verbunden ist. Wir müssen die Reise nicht bei Tag, bei hellem Sonnenschein machen, sondern nachts, beim fahlen Licht von Mond und Sternen; uns wurde die geheilgte und heilige Schrift zur Führung anhand gegeben. Das sagen die heiligen Väter der späteren Zeiten ganz deutlich. Neben der Führung durch die Schrift ist auch der Rat der Nächsten nützlich, besonders derer, die sich selber von den Schriften der Väter leiten lassen. Glaubt nicht, daß unser Opferpfad des Leides und der Kronen beraubt wäre: Nein, er entbehrt nicht des Martyriums! Dieses Martyrium ist ähnlich der Seelenpein von Lot in Sodom: die Seele des Gerechten schmachtete beim Anblick der unentwegten und zügellosen Unzucht. Auch wir quälen uns ab, auf allen Seiten von Gemütern umgeben, welche der Wahrheit untreu geworden sind, mit der Lüge in eine buhlerische Verbindung traten, sich von Haß gegen die gottinspirierten Schriften anstecken lassen und sich mit Verleumdung, Lästerung und höllischem Gelächter auf sie stürzen. Unsere spirituelle Mühe hat ihren Wert vor Gott: Auf Seiner Waage werden sowohl unser Unvermögen, als auch unsere Mittel, die Umstände und die Zeit selber abgewogen. Irgendeiner der großen Väter hatte folgende Schau: Vor ihm erschien das irdische Leben des Menschen wie ein Meer. Er sah, daß die Asketen des frühen Monastizismus mit feurigen Flügeln ausgestattet waren und wie Blitze durch das Meer der Leidenschaften schossen. Die Aspiranten der letzten Zeiten hatten keine Flügel mehr: sie begannen am Meeresufer sitzend zu weinen. Da bekamen sie Flügel, aber keine feurigen, sondern irgendwelche mickerigen: auch sie hoben sich über das Meer hinweg. Auf ihrem Weg tauchten sie ihrer Flügel wegen immer wieder im Meer unter; mühevoll erhoben sie sich wieder, setzten ihren Weg fort und überflogen endlich nach vielen Strapazen und Nöten das Meer.
Laßt uns nicht verzagen! Wollen wir auch nicht auf unvernünftige Weise nach Großtaten streben, die unsere Kräfte übersteigen: nehmen wir in Ehrfurcht die bescheidene, unserer Ohnmacht entsprechende Rolle an, die uns so offensichtlich von der Hand Gottes zugeteilt wurde. Vollenden wir diesen Wandel in Treue der heiligen Wahrheit gegenüber, und mitten in der lärmigen, von Menschen wuselnden Welt, die getrieben von ihrem eigenwilligen Rationalismus auf dem breiten, weiten Weg dahineilt, streben wir auf dem engen Pfad des Gehorsams der Kirche und den heiligen Vätern gegenüber zu Gott. Nur wenige gehen diesen Pfad? Was tut es! So sprach doch der Heiland: Fürchte dich nicht, du kleine Herde, es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. Tretet ein durch die enge Pforte: Weit ist ja die Pforte und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte, wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden (Lk 121,32; Mt 7,13-14). (Brief No. 54).

„Euer Herz gehöre alleine dem Herrn, und im Herrn dem Nächsten! Ohne solch eine Maxime den Menschen zu gehören, ist fürchterlich. Seid keine Menschendiener, sprach der Apostel. Stets rührten mich zutiefst die Worte des hl. Johannes des Vorläufers, die er in bezug auf den Herrn und sich selbst sprach und die im Johannes-Evangelium überliefert sind: Wer die Braut hat, ist Bräutigam; der Freund des Bräutigams indes steht da und hört ihn und freut sich herzlich ob der Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist mir in vollem Maße zuteil geworden. Er muß wachsen und ich abnehmen (Jh 3,29-30). Jeder geistliche Lehrer sollte nur ein Diener des Himmlischen Bräutigams sein, er sollte die Seelen zu Ihm führen und nicht zu sich, er sollte ihnen von der unendlichen, unaussprechlichen Schönheit Christi, von Seiner unermeßlichen Gnade und Kraft künden: auf daß sie Christus, der wahrhaft liebenswert ist, lieben mögen! Der Lehrer aber möge, gleich dem großen und demütigen Täufer, beiseite stehen, sich für ein nichts halten und sich vor den Schülern an seinem ‘Abnehmen’ freuen, ein Abnehmen, das als ein Zeichen für ihren geistigen Fortschritt dient. Solange das fleischliche Empfinden in den Schülern die Oberhand hat, steht ihr Lehrer riesengroß vor ihnen, aber wenn die spirituelle Wahrnehmung in ihnen erwacht und Christus in ihnen erhöht wird, dann sehen sie in ihrem Lehrer nur ein gnadenreiches göttliches Werkzeug.
Hütet euch vor der leidenschaftlichen Vorliebe für den Präzeptor. Viele sahen sich nicht vor und gingen zusammen mit ihrem Lehrer dem Teufel ins Netz. Guter Rat und Gehorsam sind nur solange lauter und Gott genehm, als sie nicht von Parteilichkeit beschmutzt sind. Diese ungehörige Zuneigung macht die geliebte Person zu einem Idol: von den diesem Idol dargebrachten Opfern wendet sich Gott mit Zorn ab. Umsonst geht man des Lebens verlustig, das gute Werk verkommt wie Weihrauchduft, der von einem Windstoß zerstäubt oder von einer Welle von üblem Geruch unterdrückt wird. Gebt in eurem Herzen keinen Raum für ein Idol.
Und du, Lehrer, hüte dich vor sündigem Unterfangen! Ersetze nicht für die zu dir gekommene Seele Gott durch dich selbst. Folge dem Vorbild des heiligen Vorläufers: begehre alleine, daß Christus in deinen Schülern gerühmt werde. Wenn Er verherrlicht wird, dann nimmst du ab: und wenn du dich wegen des zunehmenden Christus weniger werden siehst, wirst du von Freude erfüllt sein. Durch solch einen Wandel wird sich eine wunderbare Welt in deinem Herzen auftun: du wirst die Erfüllung der Worte Christi wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden in dir sehen.
Selig sind jene, die, sich selbst verleugnend, der wahren Lehre des Evangeliums folgen, die der Befriedigung der Lüste des Körpers und Begierden der Seele entsagt haben. Das Begehren des gefallenen Leibes ist sündhaft; ebenso sündhaft ist auch das Wollen der gefallenen Seele. Sie sucht überall ihr Ich zu verwirklichen, irgendein gesondertes, eigenständiges, vorrangiges Wesen aus sich zu machen, für das alles übrige da sein soll. Das Evangelium fordert, daß solch eine Mentalität abgebaut werde daß der Mensch Gott als Gott anerkenne und selber auf dem ihm zugewiesenen Platz verbleibe: in Abstufung geschaffen. Nach Abtötung des sinnlosen, träumerischen, eigentlich gar nicht existierenden Lebens kann sich das wahre Leben mit seiner überreichen Seins-Erfahrung manifestieren – das Leben in Gott“. (Brief No. 56).

„Ich rate euch davon ab, eine ausführliche und exakte Analyse eurer Sünden und sündigen Tendenzen vorzunehmen: sammelt sie lieber in einem einzigen Gefäß der Reue und werft sie in den Abgrund der Barmherzigkeit Gottes. Die minutiöse Untersuchung seiner Sünden steht dem Menschen, der ein weltliches Leben führt, nicht zu: sie würde ihn nur in Verzagtheit, Zweifel und Verwirrung stürzen. Gott weiß um unsere Sünden, und wenn wir beständig mit reuigem Herzen beim Ihm Zuflucht suchen, dann heilt Er schrittweise unsere Sündhaftigkeit, d.h. die sündigen Gewohnheiten, die geheimen Tendenzen. Die in Wort, Tat und Gedanken begangenen Sünden müssen bei der Beichte dem geistlichen Vater vorgetragen werden, aber auf die subtile Analyse der sündigen Tendenzen – wiederhole ich – darf sich der weltliche Mensch nicht einlassen: das ist eine Falle, die uns von dem Fänger unserer Seelen gestellt wurde. Man erkennt sie an der Verwirrung und Niedergeschlagenheit, die sie auf uns ausübt, obwohl sie äußerlich als etwas Gutes erscheinen mag. Diesen schwarzen Schleier benötigen die Mönche, um damit die Strahlen der Gnade zu verdecken, die aus ihrem Geist und Herzen kommen; dieser schwarze Schleier ist angemessen für bereits fortgeschrittene Mönche, welche der Anblick ihrer Sündhaftigkeit nicht in Hoffnungslosigkeit stürzt, sondern ihnen Anlaß zu noch größerer Demut ist. So bedeckte einst der Gottesseher Moses sein leuchtendes Angesicht. Man muß zugeben – und dieses Eingeständnis ist vollkommen richtig –*, daß wir Menschen uns alle in einem mehr oder weniger schlimmen Zustand der Verblendung befinden: alle sind wir getäuscht, alle tragen wir die Illusion in uns. Das ist eine Folge unseres Falles, der durch die Annahme der Lüge für Wahrheit verursacht wurde – so fallen wir auch jetzt noch immerdar. Daher ist solche Wankelmütigkeit in uns! Morgens bin ich von derart, um Mittag schon wieder ein anderer, und am Nachmittag noch ein anderer und so fort. Beide Welten wirken auf mich ein, ich bin beiden ausgesetzt, von beiden gefangen. Die Welt der Geister wirkt durch die Gedanken und die Empfindungen des Herzens; die materielle Welt durch die körperlichen Sinne. Beide winken zum Kosten der verbotenen Frucht. Den physischen Sinnen, dem Auge, Ohr, dem Gefühl, bietet sich diese Frucht als wunderbar dar; der Gedanke – das Wort einer unsichtbaren Wesenheit – flöst ein und stichelt: ‘probiere, erkenne!’. Er lockt durch Neugierde, stachelt auf durch Eitelkeit; es klingt in unserer Seele die Stimme des Verführers, die Stimme, welche unsere Ureltern einst im Paradies hörten; es ertönt die Stimme ‘Ihr werdet sein wie Götter’. Sie ertönt und führt uns in Versuchung; sie verführt und tötet. Eben aus diesem Grund wurde den Menschen eine neue Tugend, die Demut nämlich, und ein neue innere Funktion, die Reue nämlich aufgegeben. Sowohl diese Funktion als auch diese Tugend, beide sind eigentümlich! Beide sind dem, wodurch wir fielen, radikal entgegengesetzt. Durch die Reue wird der verderbliche Einfluß der körperlichen Sinne vermindert, durch die Demut wird die Überheblichkeit, Eitelkeit, der Lebensstolz vernichtet – mit einem Wort, sozusagen alles, was den Menschen um den Verstand bringt.
Wie soll man sich nun verhalten? Man darf sich durch die eintretenden Veränderungen nicht verwirren lassen, als ob sie etwas Ungewöhnliches wären. Man soll sich nicht auf die genaue Untersuchung der Sünden einlassen, sondern ein Leben in beständiger Reue führen, sich in jeder Beziehung als sündig wissen und glauben, daß der barmherzige Herr jeden, sofern er nur seine Sündhaftigkeit eingesteht, in Seine erbarmungsreichen Arme schließt und in Seinen Schoß der Erlösung aufnimmt. Das gilt aber nicht für die Todsünden, für welche die Reue nur dann von Gott angenommen wird, wenn der Mensch die Todsünde fahren läßt. Häusliche Beschäftigung ist sehr nützlich: sie hält den Müßiggang fern und bringt dem Geist bei seinem unsichtbaren Kampf Erleichterung. Der geistige Kampf ohne anderweitige Beschäftigung führt zu einer harten spirituellen Praxis, die nur dem gestattet ist, der von den Umständen genötigt oder von Gott dazu berufen ist. Vernünftige Menschen begehren nicht, einen Kampf einzugehen, der ihre Kräfte übersteigt, im Gegenteil, sie suchen eine Möglichkeit, sich den Kampf zu erleichtern. Habt Vertrauen zu dem Allmächtigen Gott, hofft auf Ihn, lebt geduldig und harret aus, lebt in Einfachtkeit, Reue und Demut, stellt euch dem Willen Gottes anheim und wenn ihr vom rechten Weg abgekommen seid, dann begebt euch erneut auf ihn – und ihr werdet Rettung finden“. (Brief Nr. 9).

„Die Reue, von der Sie – wie Sie in ihrem letzten Brief schrieben – einen kleinen Geschmack bekommen haben, war nur eine selbstverblendete Phantasie. Sie dachten und dachten, Sie hörten da etwas, Sie wurden gescheit und die Demut stahl sich davon: Ihr Köpfchen träumte etwas zusammen, baute sich ein bezauberndes Luftschloß. Und an all dem Unglück bin ich schuld: ich gab Ihnen etwas zum Lesen, das über Ihre Kräfte ging und brachte Sie damit aus dem Konzept. An Ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, sagte der Herr. Was ist die Frucht dieses Zustandes, den die Seele sich selber schaffte, mit dem sie sich selber verlockte? Die Frucht ist Aufgeblasenheit, eine absolut leere, im wahren Sinne dieses Wortes leere Aufgeblasenheit, die Sie von Ihrer gewöhnlichen Gemütsverfassung abbringt. Sie schrieben an einen großen Starez – und als einer, der in himmlischen Regionen schwebt, begriff er nicht, daß Sie dummes Zeug plappern, antworte Ihnen wie einem klugen Menschen und bestärkte Sie in Ihrer eingebildeten Reueanwandlung, denn er meinte, daß so wie in ihm selbst auch in ihnen die Vision der Reue wirkt: jene Reue, welche den im Hesychiasmus fortgeschrittenen Mönchen als eine wunderbare Gottesgnade geschenkt wird. Die inmitten der Welt lebenden Christen dürften sich nicht an die höheren monastischen Praktiken heranmachen, besonders nicht an die der Hesychiasten. So warnte auch der Herr, man solle keinen neuen Wein in alte Schläuche füllen. Der neue Wein bringt die alten Schläuche zum Platzen, rinnt selber aus und verdirbt die Schläuche. Wenn Weltlinge für Mönche bestimmte Praktiken unternehmen, dann gereicht ihnen dies selber zum Verderben und sie bringen anderen noch seelischen Schaden.
Gerüchte gelangten aus dem lärmigen und weltlichen Sankt Petersburg an unseren entlegenen, stillen Ort: eine gewisse übergescheite und hochadlige Dame schrieb an irgendeinen Mönch einen prächtigen Brief über den riesengroßen Sündenberg, den sie in sich wahrnimmt, und dieser Mönch, der wie man sieht, kein Akademiker ist, soll geantwortet haben: ‘Mütterchen, steck deine Nase nicht so tief in deine Sünden’! Ich wiederhole nur, was ich hörte. Ob es nun so war, oder nicht, darüber will ich später nachdenken, und ob solche groben Reden in Sankt Petersburg, der Hauptstadt der Aufklärung und Bildung gang und gäbe sind, weiß ich nicht. Wenn man mich fragen würde, welcher Art dieser Rat des Mönches an die Dame der Hauptstadt ist, dann würde ich mit meiner ganzen provinziellen Offenheit antworten: ‘Es ist der Rat eines ungeschlachteten Menschen, aber er haut hin, und diese Dame sollte sich ihn hinter die Ohren schreiben und sich ganz fest daran halten’. Die Form der Reue, die dem frommen, inmitten der Welt lebenden Christen ankommt, ist die allabendliche Gewissenserforschung. Das ist übergenug! Wenn der Christ sich bemüht, nach den Geboten zu leben, und sich täglich überprüft, dann erlangt er allmählich die Zerknirschung des Gemütes, die aber noch weit von der Reue als geistiger Schau entfernt ist. Sie haben nur Torheiten (verzeihen Sie den Ausdruck, aber er trifft genau) im Kopf, und dazu noch stolze! Ich kenne diese, ich bin auch ständig von ihnen umgarnt: und deshalb warne ich Sie“. (Brief No. 17, hier und oben zitierten wir nach der dritten Ausgabe, SPb 1905, Bd. IV).

Aufgrund dieser Auszüge, kann man einige Schlüsse ziehen. Diejenigen, die das russische, oder einfacher gesagt das Optina-Starzentum populär machen, führen es zu unrecht auf den seligen Schema-Archimandriten Paisij Veli¡ckovskij zurück. Definitionen wie „Starez – das ist jemand, der deine Seele, deinen Willen in seine Seele, in seinen Willen aufnimmt“ (Dostojevskij) und „der Schüler, durchdrungen von dem Geist des Lehrers, bemühte sich, die völlige Unterwerfung seines Willens unter den Willen des von ihm erwählten Führers zu erreichen“ (Ljaskovskij) – stehen nicht in Übereinstimmung mit der Lehre des Schema-Archimandriten, der in seiner Regel schrieb, daß der Vorsteher „die Heilige Schrift und die Lehren der gottragenden Väter studieren soll und außer ihrem Zeugnis nichts von sich aus den Brüdern vorlegen darf, weder Lehren, noch Gebote....“. Schema-Archimandrit Paisij und nach ihm sein wahrer Nachfolger Bischof Ignatij Brjan¡çaninov bezeichnen die Praxis des absoluten Gehorsams des monastischen Anfängers seinem Lehrmeister gegenüber als ein Gut des Altertums, in unserer armseligen Zeit jedoch, empfehlen sie als geeignetstes Mittel zum Heil die Koinobia – das klösterliche Gemeinschaftsleben, wo der Vorsteher, die Klosterleitung und alle Brüder sich an der Heiligen Schrift und den patristischen Werken orientieren.
Schema-Archimandrit Paisij und Bischof Ignatij bezeugen beide gleichermaßen, daß selbst die allerfrömmsten in der Welt lebenden Gläubigen „wahren Gehorsam“ nicht verwirklichen können, weil er „aufs allerengste mit dem Gemeinschaftsleben verbunden ist, so wie die Seele mit dem Körper verbunden ist, und das eine ohne das andere nicht existieren kann“, und sie warnen die Laien verschiedentlich vor „höheren monastischen Praktiken“.
In der Orthodoxie war man sich schon immer des grundlegenden Unterschiedes zwischen Leben in der Welt und im Kloster bewußt, wo die Brüder durch eine gemeinsame Regel, annähernd einheitliche Lebensumstände und alles übrige vereint, sozusagen gemeinsam dem Heil entgegeneilen. Und soweit uns bekannt ist, gibt es für die Versuche, Weltlinge nach dem Vorbild der antiken Mönchspraxis – in vollkommener Unterwerfung des Schülers unter seinen Abba – zu führen, bis zur Optina Pustyn’ keine Präzedenzfälle in der Kirchengeschichte.
Gott allein weiß, zu wie vielen persönlichen Tragödien das durch nichts gerechtfertigte Auftreten des Starzentums in der heutigen Zeit führte und noch immer führt, und mit Gewißheit kann man sagen, daß es sich für die Geschichte Rußlands als eine schreckliche Tragödie erwies – weit öffnete es die Türen der Petersburger Salone für den „Gottesmann“, den „Wundertäter und Seher“ Grigorij Rasputin. Wir wollen ein wichtiges Zeugnis dazu anführen, aus der Feder des letzten Erzpriesters der Russischen Armee und Flotte:
„Rasputin war nicht geldgierig oder auf Gewinn aus. Er konnte soviel Mittel wie er wollte, bekommen: und er bekam auch viel. Dafür verteilte er das Erhaltene freigiebig. In seinem Empfangszimmer, am Tor seines Hauses drängten sich die Bedürftigen, und Rasputin beschenkte sie.... An seiner traurigen Karriere ist er viel weniger selber schuld als der morbide Zustand der damaligen hohen Gesellschaft.. Wie allgemein im Leben so suchte man damals auch in der Religion brisante Empfindungen, außerordentliche Offenbarungen, Wunder... Weltliche Leute interessierten sich für Spiritismus, Okkultismus, und ehrwürdigen Bischöfe wie Feofan und Germogen, alle suchten sie eine besondere Sorte von Gerechten auf... Rasputin schien ihre Forderungen zu erfüllen, die man an solch eine Art von Gerechten stellt, und sie führten ihn in den Zarenpalast ein. Dort vermochte Rasputin die exaltiert frömmelnde Zarin für sich einzunehmen. Sie suchte mehr als viele andere in der Religion das Geheimnisvolle, Zeichen, Wunder, lebendige Heilige. Rasputin gelangte in den Zarenpalast mit dem schon etablierten Ruf eines ‘Gottesmannes’, der von den damals für Zarskoje Selo außer Zweifel stehenden Autoriäten, den Bischöfen Feofan und Germogen, sanktioniert worden war.“
„Rasputin sprach nicht einfach oder gab etwas von sich oder teilte etwas mit: er riet nicht, sondern er befahl, forderte. Auf einen bereits geknechteten Willen wirkte dies alles demprimierend.“
Die Maske des „Starez“ in der schrecklichen Figur Rasputins drängt sich einem derart auf, daß sogar Ausländer nicht umhin können, sie zu bemerken. Dabei führt der zweite der zitierten Autoren in seinem Buch einen Abschnitt von F.M. Dostojevskij an – denselben, welchen unsere Auswahl enthält.
„Bei ihnen waren alle Grundlagen vorhanden, diesem ‘Fremden’ zu glauben, der alle heiligen Stätten Rußlands abgegrast und sogar eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen hatte, der ein asketisches Leben führte – er aß z.B. niemals Fleisch – und der durch den ungewöhnlichen Ausdruck seiner Augen imponierte, durch eine besondere Kraft, die sich in ihnen widerspiegelte, und der so tiefschürfend über geistige Themen reden konnte.... Abgesehen davon, daß er die Anfälle von Hämophilie beim Thronfolger, selbst wenn er sich tausend Kilometer vom Kranken entfernt befand, stoppen konnte, wurde eine ganze Reihe von anderen von ihm ausgeführten Wunderheilungen genau festgestellt. Das bestärkte natürlich das Vertrauen zu dem ‘heiligen Starez’, dem ‘Gottesmann’ bei denjenigen, die diesen Glauben hatten.“
„Rasputin trat in Sankt Petersburg als Starez auf, als ein Mann Gottes, der sein Leben in Armut, Einsamkeit und Askese verbringt und als Führer anderer Seelen im Augenblick von Krisen und Leiden fungiert. Alle Russen lauschten diesen heiligen Männern... sogar die Gebildeten zeigten ihnen Achtung. Dostojevskij schreibt in den Brüdern Karamasow: ‘Starez – das ist einer, der Ihre Seele, Ihren Willen in seine Seele und seinen Willen aufnimmt. Wenn Sie einen Starez gewählt haben, dann sagen Sie sich von dem eigenen Willen los und übergeben sich ihm in vollem Gehorsam, in gänzlicher Selbstverleugnung...’“.


Anhang

„Nur das Christentum ist eine hoffnungsvolle und nützliche Philosophie. Nur so und auf dieser Grundlage kann ich Philosoph sein“. Hl. Justin der Philosoph.

In der obengenannten Broschüre „Die Brüder Kirejevskij. Leben und Werk“ schreibt V. Ljaskovskij, welch wohltuenden Einfluß die Tatsache, daß er im Gehorsam des Starez Markarij von Optina stand, auf I.V. Kirejevskij ausübte: „... auf diesem Weg wurde sein Gesichtskreis nicht etwa eingeengt, im Gegenteil, sein Denken und Wort gewannen eine bis dahin nicht dagewesene Kraft“. Wir versuchen, diese Behauptung zu prüfen, indem wir die Meinung von I.V. Kirejevskij, die in seiner letzten Arbeit „Über die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Anfänge in der Philosophie“ zum Ausdruck kommt, dem Urteil von Bischof Ignatij Brjan¡caninov und einiger anderer christlicher Denker gegenüberstellen:

I.V. Kirejevskij:
„Zu meinen, daß wir eine bereits fertige Philosophie haben, die in den heiligen Vätern beschlossen liegt, wäre völlig falsch. Unsere Philosophie muß noch weiter geschaffen werden, wie ich bereits sagte, aber nicht von einem Menschen, sondern sie muß auf der Grundlage der anteilnehmenden Mitwirkung der gesellschaftlichen Einmütigkeit wachsen“.
„Die Weisheitsliebe der heiligen Väter ist nur ein Keim dieser zukünftigen Philosophie, welche die Gesamtheit der heutigen russischen Intelligenz fordert – ein lebendiger und deutlicher Keim, der jedoch noch der Entwicklung bedarf und noch nicht die eigentliche philosophische Wissenschaft ausmacht.“
„Die deutsche Philosophie kann uns als eine willkommene Stufe des Denkens dienen von den entlehnten Systemen zur selbständigen Weisheitsliebe, welche den Grundprinzipien der altrussischen Bildung Genüge tut und fähig ist, die gespaltene Bildung des Westens dem holoistischen Bewußtsein der gläubigen Vernunft zu unterwerfen.“

Bischof Ignatij:
„Sie fragen, was meine Meinung über die menschlichen Wissenschaften ist? Nach dem Sündenfall fühlten die Menschen die Notwendigkeit von Kleidung und anderen zahllosen erforderlichen Dingen, von denen unsere irdische Pilgerfahrt begleitet wird; mit einem Wort sie bedurften der materiellen Entwicklung – ein Bestreben, das einen so charakteristischen Zug unseres Jahrhunderts darstellt. Die Wissenschaften sind die Frucht unseres Falles, ein Produkt unserer defekten, gefallenen Vernunft. Gelehrsamkeit ist: der Erwerb und die Aufbewahrung von Eindrücken und Erkenntnissen, die von den Bürgern der gefallenen Welt zusammengetragen wurden. Gelehrsamkeit ist ein fahles Licht, durch welche ‘das Dunkel der Finsternis auf ewig bewahrt wird’. Der Erlöser gab den Menschen jene Leuchte zurück, die ihnen bei der Erschaffung der Welt vom Schöpfer gegeben wurde und derer sie bei ihrem Sündenfall verlustig gingen. Diese Leuchte ist der Heilige Geist, Er ist der Geist der Wahrheit, Er lehrt jede Wahrheit, erforscht die Tiefen der Gottheit, offenbart und erläutert die Geheimnisse und gibt auch materielle Kenntnisse, wenn sie dem Menschen zum geistigen Nutzen gereichen. Die Gelehrsamkeit ist nicht eigentlich Weisheit, sondern die Auslegung der Weisheit. Die Erkenntnis der Wahrheit, die dem Menschen von Gott geöffnet wurde und zu welcher der Zugang allein im Glauben liegt – unzugänglich der gefallenen menschliche Vernunft – wird durch Ahnungen und Mutmaßungen von der Gelehrsamkeit substituiert. Die Weisheit dieser Welt, in der viele Heiden und Gottlose geachtete Positionen einnehmen, ist in ihrem Grundprinzip der geistigen, göttlichen Weisheit direkt entgegengesetzt: Man kann nicht Anhänger der einen und der anderen zugleich sein, von einer muß man sich unbedingt lossagen. Der gefallene Mensch ist ‘Lüge’, und aus seinen Klügeleien entstand die ‘Pseudovernunft’, das heißt, ein Muster, eine Ansammlung von falschen Begriffen und falschem Wissen, das nur den Mantel der Vernunft trägt, aber in seinem Wesen Wankelmut, Unsinn und Besessenheit des Verstandes ist, der von der tödlichen Wunde der Sünde und des Falles geschlagen ist. Dieses Dilemma des Verstandes tritt in den philosophischen Wissenschaften in seiner ganzen Fülle zutage.“ (Bd. IV, Brief No. 45).

I.V. Kirejevskij:
„... diese frommen Leute merken gar nicht, daß sie durch ihre Hetze auf die Vernunft mehr noch als den eigentlichen Philosophen den religiösen Überzeugungen schaden. Denn was für eine Religion wäre das, welche das Licht von Wissenschaft und Wissen nicht ertragen könnte? Was für ein Glaube ist das, der mit der Vernunft nicht zu vereinbaren ist? Unterdessen scheint es, daß der gläubige Menschen im Westen fast kein Mittel mehr hat, um seinen Glauben zu retten, seine Blindheit aufrechtzuerhalten und ihn furchtsam vor der Berührung mit der Vernunft zu schützen sucht.“

Bischof Ignatij:
„Der heilige Glaube, über den die Materialisten sich lustig machen und fortfahren zu lachen, ist dermaßen subtil und erhaben, daß er nur von der spirituellen Vernunft verwirklicht und vermittelt werden kann. Die Vernunft der Welt ist wider ihn, verwirft ihn. Wenn sie ihn aus irgendeiner materiellen Notwendigkeit heraus notwendig und passabel findet, dann faßt sie ihn falsch auf und deutet ihn unrichtig, weil die Blindheit, die sie diesem Glauben anlastet, ihr selber zu eigen ist“ (Brief No. 61).

I.V. Kirejevskij:
„Glauben und Vernunft in Übereinstimmung bringen, den leeren Raum ausfüllen, welcher die zwei Welten trennt und endlich die beiden Wahrheiten (die spirituelle und die natürliche) in ein lebendiges Denken zusammenfügen...“

Bischof Feofan, der Klausner:
„Der Verstand muß sich entblößen und sich wie eine reine Schreibtafel dem Glauben darbieten, damit er sich ohne jegliche Beimischung außenstehender Thesen und Behauptungen auf ihr einpräge: sonst gerät das Bewußtsein zwischen dem Wirken des Glaubens und den Reflexionen des Verstandes in Verwirrung. Solcherart war Simon ein Exempel für alle Häretiker, solcherart sind alle, die mit ihren Überlegungen in die Domäne des Glaubens eindringen, wie in vergangener Zeit so auch heute noch. Sie verirren sich im Glauben und nichts bringen sie als Schaden: für sich – wenn sie so einäugig bleiben und für andere – wenn ihre Konfusion nicht auf sie selbst beschränkt bleibt, sondern sich infolge ihres Durstes, als Lehrer zu fungieren, nach außen manifestiert. Das Ergebnis ist stets eine Clique von Leuten, die mehr oder weniger im Glauben sündigen und mit einer unglückseligen Überzeugung ihrer Fehlerlosigkeit und einem ärmlichen Verlangen, alles nach ihrer Laune umzumodeln, behaftet sind“. (Gedanken für jeden Tag des Jahres, S. 55).

Bischof Ignatij:
„Das Studium des göttlichen Gesetzes erfoldert Geduld. Dieses Studium ist die Errungenschaft der eigenen Seele: In eurer Geduld – so gebietet der Herr – werdet ihr eure Seelen gewinnen (Lk 21,19). Das ist die Wissenschaft der Wissenschaften! Das ist die himmlische Wissenschaft! Das ist die Wissenschaft, die dem Menschen von Gott geboten wurde! Ihre Pfade sind weit entfernt von jenen gewöhnlichen Pfaden, welche die irdischen Wissenschaften beschreiten, die menschlichen Wissenschaften, die aus unserer gefallenen Vernunft geboren sind – aus dem ihr eigenen Licht für unseren gefallenen Zustand. Die menschlichen Wissenschaften brüsten sich, blasen den Verstand auf, verwirklichen das eigene Ich, lassen es wachsen. Die göttliche Wissenschaft offenbart sich der Seele, die dazu bereitet wurde, die durch Erschütterungen gehärtet, von Selbstverleugnung geglättet wurde, als ob sie sich ihrer Demut wegen ihrer Eigenart entkleidet hätte; die zu einem Spiegel geworden ist, der kein eigenes Gesicht hat, und deshalb fähig ist die göttlichen Züge aufzunehmen und widerzuspiegeln. Die göttliche Wissenschaft – das ist die göttliche Weisheit, der göttliche Logos. Über sie sagt Ben Sira (Sohn von Sirach): Nach Kindern hat die Weisheit Sehnsucht und nimmt sich derer, die sie suchen, an. Das Leben liebt, wer diese liebt; des Frohsinns voll wird, wer sie sucht. Wer sie zu eigen hat, erwirbt sich Ruhm, und wo sie einzieht, gibt der Herr den Segen. Dem Heiligen dienen, die ihr dienen, und die sie lieben, liebt der Herr. Wer ihr gehorcht, wird richtig richten, und sicher wohnt, wer auf sie merkt (Sirach 4, 12-17) Derart ist die göttliche Wissenschaft! Derart ist die Weisheit Gottes! Sie ist die Göttliche Offenbarung! In ihr ist Gott! Der Zugang zu ihr liegt in der Demut! Der Zugang zu ihr liegt in der Abkehr von der eigenen Vernunft! Unerreichbar ist sie für den menschlichen Verstand! Verworfen wird er von ihr, als irrsinnig ausgemacht! Und er, der Dreiste, ist ihr stolzer Feind, in gotteslästerlicher Weise befindet er sie als närrisch, wird irre an ihr, weil sie sich den Menschen am Kreuz offenbarte, und sie vom Kreuz her erleuchtet. Der Zugang zu ihr ist durch die Selbstverleugnung! Der Zugang zu ihr ist durch die Kreuzigung! Der Zugang zu ihr ist durch den Glauben! Ben Sira fährt fort: Wenn du Glauben hast, so wirst du sie erben.

L.T. Tichomirov:
Die Predigt der Geistlichen ... ist angeblich unverständlich. Als verständlich gilt die Predigt der weltlichen Missionare, bei denen der Schwerpunkt, die Sorgen und Gedanken auf das Gebiet rein weltlicher, irdischer Interessen übertragen werden. Ihre ‘Religion’ erweist sich stets als Werkzeug irdischen Wohlstandes. Von der Orthodoxie redet man immerfort als von der Religion des russischen Volkes. Auf die Bedeutung der Orthodoxie pflegt man nicht von ihrem essentiellen Aspekt (als sich selbst genügende Wahrheit und als Pfad zur Rettung der Seele) her zu verweisen, sondern von der Seite ihrer Bedeutung für den russischen Staat, die russische Gesellschaft her... Überall und allerorten verdrängt das irdische und zeitliche Interesse die religiösen und ewigen Belange. Zweifelsohne besitzt die Religion riesigen Einfluß und Auswirkung auf ‘irdische’ Dinge. Aber wichtig ist der Ausgangspunkt das zentrale Interesse. Wichtig ist, ob wir an die irdischen Belange vom Standpunkt der absoluten Wahrheit der Religion aus herangehen oder, umgekehrt, ob wir von der irdischen Sorgewaltung ausgehend, danach streben, auf diese oder jene Weise die religiöse Wahrheit zu definieren. Die einen unterwerfen die Erde dem Himmel – die anderen den Himmel der Erde. Es handelt sich um eine grundlegende Kontradiktion.“ (Geistlichkeit und Gesellschaft in der zeitgenössischen religiösen Bewegung, Moskau 1893).

Bote 1994-4
Der ehrwürdige Paisij Veli¡ckovskij,
Bischof Ignatij Brjan¡caninov und das russische Starzentum

Die demütige Beziehung des Ratgebers zu dem zu Belehrenden ist etwas ganz anderes als die des Starez zu dem bedingungslosen Zögling, dem Knecht des Herrn. Der gute Rat beinhaltet nicht die Bedingung, ihn unmittelbar in die Tat umzusetzen: er kann ausgeführt oder kann nicht ausgeführt werden. Auf dem Ratgeber liegt keinerlei Verantwortung für seinen Rat, wenn er ihn mit Gottesfurcht und in demütiger Gesinnung gibt, nachdem er inständig darum gebeten wurde. Sogar derjenige, der den Rat bekommt, ist nicht durch ihn gebunden; es bleibt seinem Urteil und seinem Gutdünken überlassen, ob er den erhaltenen Ratschlag ausführen will oder nicht. Es ist offensichtlich, daß der Weg des geistlichen Rates und der Befolgung der Heiligen Schrift unserer schwachen Zeit angemessen ist. Bemerken wir, daß die Väter verbieten, dem Nächsten einen Rat aus eigenem Antrieb zu geben, ohne daß dieser darum gebeten hätte: die eigenmächtige Erteilung eines Ratschlages beweist, daß jemand das Wissen und die Würde eines Geistlichen für sich in Anspruch nimmt, was offensichtlich ein Zeichen von Stolz und Selbstverblendung ist. Beim Besuch anderer Klöster möge man sich an den Ratschlag, den der ehrwürdige Makarios von Alexandria dem ehrwürdigen Pachomios dem Großen gab, orientieren. Pachomios fragte Makarios über die Unterweisung der Brüder und ihre Einschätzung. Abba Makarios antwortete: “Belehre und beurteile deine Untergebenen, aber richte über keinen der Fremden”. An dieses Prinzip hielten sich und halten sich noch immer alle Klostervorsteher, die Gott gefallen möchten.
Fügen wir einen Auszug aus dem Kapitel XXX hinzu, das die Überschrift Leid ist hauptsächlich das Los der Mönche der letzten Zeit trägt.
“Die Hauptursache, warum die Trübsal so besonders schwer auf dem heutigen Mönchtum lastet, liegt in ihm selber und besteht vor allem in dem Mangel an richtiger Erbauung. Ein Mangel an geistlicher Unterweisung muß als ein großes Unglück erkannt werden. Diese mißliche Lage wird jedoch nicht so schnell erkannt, und lange braucht es, bis der Mönch sie begreift. Der von Eifer beseelte Anfänger, bei dem das erhitzte Blut eine viel wichtigere Rolle als die spirituelle Vernunft spielt, begnügt sich gewöhnlicherweise mit der Erbauung, die ihm im Kloster zuteil wird, oder die er sich selbst verschaffen möchte. Bald jedoch wird es den geistigen Aspiranten (jedoch durchaus nicht allen) durch das sorgfältige Studium der Heiligen Schrift und der patristischen Werke nach und nach klar, daß eine geistliche Unterweisung zum spirituellen Fortschritt unerläßlich ist und daß eine rein emotionale Erbauung, wie prächtig und großartig sie dem Anschein nach auch sein mag, wie sehr sie von der in Blindheit gefangenen Welt auch gerühmt werden mag, in Dunkelheit verharrt, und diejenigen, welche sich an sie halten, in Dunkelheit und im Bereich der gefallenen Geister gefangen hält (Jak. 3,15). Die Anleitung durch das Wort Gottes aus Büchern, und nicht aus lebendigem Munde, ist die einzige Führung, die uns zur Verfügung steht, wodurch sich der Mönch notwendigerweise selbst in gewissem Grade zum Führer wird, was ungeachtet des beträchtlichen Vorteiles, den es bringt, als eine unvermeidliche Folge der Unwissenheit und der Gefangenschaft durch die Leidenschaften mit großen und häufigen Abweichungen verbunden ist. Die Unwissenheit des Anfängers und die Last seiner Leidenschaften gestatten ihm nicht, die Schrift gebührend zu verstehen und sich mit der notwendigen Beharrlichkeit an sie zu halten. Während wir das Meer der Sünde durchschwimmen, läßt unsere Kraft häufig nach, oftmals fallen wir in Erschöpfung, versinken im Meer und laufen Gefahr zu ertrinken. Unser Zustand, der durch den Mangel an echter Führung, an lebendigen Gefäßen des Geistes verursacht ist, gibt wegen der zahllosen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, Anlaß zu bitteren Tränen und zu untröstlichem Schluchzen. Wir darben, wir haben uns verirrt, und es gibt keine Stimme, die uns aus unserer Verirrung herausführen könnte: Das Buch schweigt, der gefallene Geist, der uns in der Verwirrung halten möchte, löscht aus unserer Erinnerung sogar das Wissen um die Existenz des Buches aus. Rette mich, o Herr, rief der Prophet, der mit seinem seherischen Geist unsere Misere voraussah und die Rolle eines Rettungssuchenden annahm, denn die Heiligen schwinden dahin! Es gibt keinen geisttragenden Meister und Führer, der ohne Fehl den Weg zur Erlösung aufzeigen könnte, dem der Rettungswillige sich mit vollem Vertrauen anheimstellen könnte. Dahin ist der Fromme, verschwunden die Treue unter den Menschenkindern, Lügen reden sie einer zum anderen (Ps. 11,1-3) – all dies durch den Einfluß der emotionsgeladenen Vernunft, welche nur Verirrung und Eigendünkel entwickeln kann”.
Zweifelsohne veranlaßte eine tragische persönliche Erfahrung den denkwürdigen Bischof zu derart bitteren Zeilen. Sehen wir, was der selige Vladyka Ignatij in seinem Vorwort zum fünften Band schrieb:
“Es ist völlig gerechtfertigt, wenn ich diesen meinen Aufsatz als meine geheime Beichte bezeichne. Ich bitte, dieses Geständnis aufmerksam und mit christlicher Nachsicht zu lesen. Es verdient sowohl das eine wie das andere. Die von mir dargelegte Meinung entstammt gänzlich den heiligen Lehren der heiligen Väter der Orthodoxen Kirche, welche in Theorie und Praxis mit der Lehre des Evangeliums vertraut waren und sie verwirklicht hatten. Als Ursachen meiner vielen innerlichen Erschütterungen kann ich folgendes aufzählen: meine Unterlassungen und Abweichungen, die ungenügende oder nicht strikte Befolgung der Weisungen der Väter, das Nichtvorhandensein von gnadenerfüllten geistlichen Führern, die häufige und fast ausschließliche Begegnung mit Beratern, die von Blindheit und Selbstverblendung geschlagen waren, die freiwillige oder unfreiwillige Abhängigkeit von ihnen, allerorten eine Atmosphäre der Versuchung, aber nicht der Erbauung, das Hören auf eine Lehre, in welcher die Gott feindliche Welt den Glanz höchster Weisheit und Heiligkeit zu sehen wähnt, welche hingegen, da sie Finsternis und Schmutz ist, nichts als Verachtung und Verwerfung verdient. Diese über mich ergangenen Erschütterungen waren zugleich bitter und schwer, grausam und hartnäckig und von quälender Dauer. Die äußere Umstände betreffenden Erschütterungen sind meinem Gefühl nach nichts im Vergleich zu jenen, von denen die Seele ergriffen wird. Wild sind die Wellen des Lebensmeeres, über dem Finsternis und Nebel herrschen, verursacht durch die verstoßenen Geister, erheben sich ständig wütende Stürme auf ihm; die Schiffe sind ohne Steuermann, die hoffnungsvollen Häfen sind in Wasserwirbel und verderbliche Strudel verkehrt: Alle Berge und Inseln wurden von den Stellen gerückt (Apk. 6,14); die Sintflut erscheint als unausweichlich. Sie wäre auch unvermeidlich gewesen, wenn die so unfaßliche Göttliche Vorsehung und die ebenso unfaßbare Göttliche Barmherzigkeit nicht ihre Erwählten gerettet hätte. Viel hat in der Fremde gewohnt meine Seele (Ps. 119,6) und fand weder außen noch innen einen wahren Hafen. Ich stecke im Schlamm der Tiefe, und es gibt keinen Halt – keine richtige und feste Kondition der Seele, wo sie unerschütterlich in Tugenden verharren würde – Ich kam in die Tiefen des Meeres, und der Sturm hat mich überspült. Ich mühte mich ab mit Schreien, heiser ward meine Kehle, es vergingen meine Augen, da ich hoffe auf meinen Gott (Ps. 68,3 - 4). Denn der Feind verfolgte meine Seele, hat erniedrigt bis zur Erde mein Leben, mich ins Finstere gesetzt wie die Toten der Welt (Ps. 142,3). Wie Wasser bin ich ausgegossen, und zerstreut ist all mein Gebein, es wurde mein Herz wie Wachs, das mitten in meinem Leib zerschmolz, vertrocknet ist wie Lehm mein Schlund (Ps. 21,15-16). Mich umfingen Wehen des Todes, und Fluten des Unrechts verstörten mich, Wehen der Unterwelt kreisten mich ein, entgegen kamen mir Schlingen des Todes (Ps. 17,5-6). Und mutlos ward in mir mein Geist, in mir wurde verwirrt mein Herz (Ps. 142,4). Aus diesem elenden Zustand heraus erhebe ich meine Stimme zu den Vätern und Brüdern, es ist die Stimme der besorgten Mahnung. So verhält sich auch ein Wanderer, der auf seiner langen und mühsamen Reise schreckliche Gefahren überstanden hat. Wie einen wertvollen Schatz übergibt er seine Erfahrungen jenen, die beabsichtigen, eine ähnliche Reise zu unternehmen oder die sich bereits auf den Weg gemacht haben, über den sie überhaupt nichts wissen oder sich nur oberflächlich aus veralteten Berichten informiert haben. Hier werden einige Modalitäten angezeigt, die jedoch keine Änderungen im Wesentlichen, sondern in den Umständen darstellen, aber das Wesentliche beträchtlich beeinflussen können; hier wird gezeigt, auf welche Weise man sich die Schriften der Alten zunutze machen und sie auf die gegenwärtige Zeit anwenden kann. Dadurch vermeidet man jene falsche Position, in die sich jeder Unverständige begibt, welcher die Notwendigkeit von Anpassungen nicht wahrhaben will. Der Hl. Johannes Klimakos spricht, daß einige, die durch eine sumpfige Gegend gingen, im Schmutz steckenblieben und darin gefangen anderen, dort vorbeiziehenden Wanderern zuriefen, was ihnen zugestoßen war, um sie vor demselben Unglück zu bewahren. Um der Rettung anderer willen befreite der Allmächtige auch jene, die in den Morast geraten waren und ihre Weggenossen vor diesem Mißgeschick bewahrt hatten. Geh stets geradeaus! Auf deines Fußes Bahn hab acht! Sei deines Ziels gewiß! All deine Wege seien fest bestimmt! Bieg nicht zur rechten noch zur linken Seite ab! Halte fern vom Bösen deinen Fuß! (Spr. 4,26-29). Amen” (Wir zitierten hier und zuvor aus der zweiten Ausgabe, Sankt Petersburg 1886).
In seinem so umfangreichen Briefwechsel mit Laien äußerte Vladyka Ignatij des öfteren Gedanken, die mit der Lehre des seligen Paisij in Übereinstimmung stehen. Es folgen einige Auszüge:
“Beruhigt euch! Das irdische Leben des Christen ist eine Mischung aus Tröstungen und Versuchungen. So verfügte es die Vorsehung Gottes! Die Tröstungen bestärken uns auf den Wegen des Herrn, während uns die Versuchungen klug und weise machen. Die Gesellschaft und das Gespräch mit gottesfürchtigen Menschen bringen großen Nutzen. Aber um Rat und geistliche Führung zu geben, genügt es nicht, fromm zu sein, man braucht auch geistige Erfahrung und vor allem die geistliche Salbung. Das ist die diesbezügliche Lehre der Schrift und der Väter. Ein frommer, aber nicht erfahrener Ratgeber wird eher in Verwirrung führen als Nutzen bringen. Nicht nur unter den Laien, sondern auch unter den Mönchen ist es äußerst schwierig, einen Ratgeber zu finden, der die bei ihm ratsuchende Seele ‘ausmißt und abwiegt’, und ihr Ratschläge aus ihr selber, aus ihrem eigenen Vermögen gibt. Heutzutage geben die geistlichen Berater und Führer ihre Anweisungen eher von sich und aus Büchern. Die erste Art von Beratung ist besonders nützlich und effektiv; sie ist der Seele nahe, die sich im Schutze ihres eigenen, ihr angemessenen Rates ausruhen möchte – und das fühlt sie. Der Hl. Isaak sagte: ‘Nichts ist nützlicher als sein eigener Rat’. Ein fremder Ratschlag jedoch, obwohl er scheinbar aus edlen und vernünftigen Worten besteht, bringt der Seele nur Qual und Verstimmung. Sie fühlt, daß er nicht konform mit ihr geht, fühlt, daß er ihr fremd ist: Gar manche führen Reden gleich Schwertstichen; doch Heilung bringt des Weisen Zunge (Spr. 12,18). Haltet euch mehr an das Studium der Kirchenväter; mögen sie euch führen, euch in den Tugenden belehren und auf dem Weg des Herrn unterweisen. Diese Art des Lebens schickt sich für unsere Zeit: Sie wurde uns anbefohlen, aufgetragen von den heiligen Vätern der späteren Jahrhunderte. Während sie über den extremen Mangel an gotterleuchteten Lehrmeistern und Ratgebern klagen, weisen sie die geistigen Aspiranten an, sich in ihrem Leben an den patristischen Schriften zu orientieren. Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn (Spr. 9,10). (Brief Nr. 18).
“Sehr lobenswert ist Ihr Wunsch – in vollkommenem Gehorsam bei einem erfahrenen Lehrmeister zu sein. Aber diese Art der Askese ist unserer Zeit nicht geschenkt. Es gibt sie weder in der christlichen Gesellschaft noch in den Klöstern. Die Abtötung der Vernunft und des Willens kann nicht von dem emotionsbezogenen Menschen vollzogen werden, so gut und fromm er auch sein mag. Dazu ist ein geisttragender Vater unerläßlich... Die großen Väter nannten den ‘Mönchsgehorsam’ eine besondere Gabe des Heiligen Geistes: so bekundet es ein Schriftsteller der damaligen Zeit, der heilige Kassian. Gehorsam ist ein ‘Wunder des Glaubens’! Vollbringen kann ihn allein Gott. Und es verwirklichten ihn jene Menschen, denen diese Gabe von oben von Gott gegeben wurde. Wenn die Menschen mit eigenen Anstrengungen das erreichen wollen, was alleine von Gott gegeben wird, dann sind ihre Mühen eitel und nichtig; dann sind sie ähnlich den im Evangelium erwähnten Turmbauern, welche das Gebäude ohne Mittel zu seiner Fertigstellung beginnen. Alle Vorübergehenden, d.h. Dämonen und Leidenschaften, lachen sie aus: weil sie dem Äußeren nach wohl Tugend ausüben, aber sich innerlich in einem Zustand bitteren Truges, der Blindheit und Selbstverblendung befinden, und als ein Knecht ihrer eigenen Leidenschaften führen sie den Willen der Dämonen aus. Viele meinten, daß sie im Gehorsam stehen, aber in der Tat gingen sie ihren eigenen Launen nach, wurden von ihrer eigenen Echauffierung betört. Glücklich derjenige, der im Alter eine Reueträne ob der Eskapaden seiner Jugend zu vergießen vermag. Über die blinden Führer und über die von ihnen Geführten sagte der Herr: Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube (Mt. 15,14).
Unserer Zeit wird eine andere Leistung abverlangt, die mit vielen Mühen und Stolpersteinen verbunden ist. Wir müssen die Reise nicht bei Tag, bei hellem Sonnenschein machen, sondern nachts, beim fahlen Licht von Mond und Sternen; uns wurde die geheiligte und heilige Schrift zur Führung anhand gegeben. Das sagen die heiligen Väter der späteren Zeiten ganz deutlich. Neben der Führung durch die Schrift ist auch der Rat der Nächsten nützlich, besonders derer, die sich selber von den Schriften der Väter leiten lassen. Glaubt nicht, daß unser Opferpfad des Leides und der Kronen beraubt wäre: Nein, er entbehrt nicht des Martyriums! Dieses Martyrium ist ähnlich der Seelenpein von Lot in Sodom: die Seele des Gerechten schmachtete beim Anblick der unentwegten und zügellosen Unzucht. Auch wir quälen uns ab, auf allen Seiten von Gemütern umgeben, welche der Wahrheit untreu geworden sind, mit der Lüge in eine buhlerische Verbindung traten, sich von Haß gegen die gottinspirierten Schriften anstecken lassen und sich mit Verleumdung, Lästerung und höllischem Gelächter auf sie stürzen. Unsere geistliche Mühe hat ihren Wert vor Gott: auf Seiner Waage werden sowohl unser Unvermögen, als auch unsere Mittel, die Umstände und die Zeit selber abgewogen. Irgendeiner der großen Väter hatte folgende Schau: vor ihm erschien das irdische Leben des Menschen wie ein Meer. Er sah, daß die Asketen des frühen Monastizismus mit feurigen Flügeln ausgestattet waren und wie Blitze durch das Meer der Leidenschaften schossen. Die Aspiranten der letzten Zeiten hatten keine Flügel mehr: sie begannen am Meeresufer sitzend zu weinen. Da bekamen sie Flügel, aber keine feurigen, sondern irgendwelche mickerigen: auch sie hoben sich über das Meer hinweg. Auf ihrem Weg tauchten sie ihrer Flügel wegen immer wieder im Meer unter; mühevoll erhoben sie sich wieder, setzten ihren Weg fort und überflogen endlich nach vielen Strapazen und Nöten das Meer.
Laßt uns nicht verzagen! Wollen wir auch nicht auf unvernünftige Weise nach Großtaten streben, die unsere Kräfte übersteigen: nehmen wir in Ehrfurcht die bescheidene, unserer Ohnmacht entsprechende Rolle an, die uns so offensichtlich von der Hand Gottes zugeteilt wurde. Vollenden wir diesen Wandel in Treue der heiligen Wahrheit gegenüber, und mitten in der lärmigen, von Menschen überquellenden Welt, die getrieben von ihrem eigenwilligen Rationalismus auf dem breiten, weiten Weg dahineilt, streben wir auf dem engen Pfad des Gehorsams der Kirche und den heiligen Vätern gegenüber zu Gott. Nur wenige gehen diesen Pfad? Was tut es! So sprach doch der Heiland: Fürchte dich nicht, du kleine Herde, es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. Tretet ein durch die enge Pforte: Weit ist ja die Pforte und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte, wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden (Lk 12,32; Mt 7,13-14). (Brief No. 54).
“Euer Herz gehöre alleine dem Herrn, und im Herrn dem Nächsten! Ohne solch eine Maxime den Menschen zu gehören, ist fürchterlich. Seid keine Menschendiener, sprach der Apostel. Stets rührten mich zutiefst die Worte des Hl. Johannes des Vorläufers, die er in bezug auf den Herrn und sich selbst sprach und die im Johannes-Evangelium überliefert sind: Wer die Braut hat, ist Bräutigam; der Freund des Bräutigams indes steht da und hört ihn und freut sich herzlich ob der Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist mir in vollem Maße zuteil geworden. Er muß wachsen und ich abnehmen (Jh. 3,29-30). Jeder geistliche Lehrer sollte nur ein Diener des Himmlischen Bräutigams sein, er sollte die Seelen zu Ihm führen und nicht zu sich, er sollte ihnen von der unendlichen, unaussprechlichen Schönheit Christi, von Seiner unermeßlichen Gnade und Kraft künden: auf daß sie Christus, der wahrhaft liebenswert ist, lieben mögen! Der Lehrer aber möge, gleich dem großen und demütigen Täufer, beiseite stehen, sich für ein nichts halten und sich vor den Schülern an seinem ‘Abnehmen’ freuen, ein Abnehmen, das als ein Zeichen für ihren geistigen Fortschritt dient. Solange das fleischliche Empfinden in den Schülern die Oberhand hat, steht ihr Lehrer riesengroß vor ihnen, aber wenn die spirituelle Wahrnehmung in ihnen erwacht und Christus in ihnen erhöht wird, dann sehen sie in ihrem Lehrer nur ein gnadenreiches göttliches Werkzeug.
Hütet euch vor der leidenschaftlichen Vorliebe für den Präzeptor. Viele sahen sich nicht vor und gingen zusammen mit ihrem Lehrer dem Teufel ins Netz. Guter Rat und Gehorsam sind nur solange lauter und Gott genehm, als sie nicht von Parteilichkeit beschmutzt sind. Diese ungehörige Zuneigung macht die geliebte Person zu einem Idol: von den diesem Idol dargebrachten Opfern wendet sich Gott mit Zorn ab. Umsonst geht man des Lebens verlustig, das gute Werk verkommt wie Weihrauchduft, der von einem Windstoß zerstäubt oder von einer Welle von üblem Geruch unterdrückt wird. Gebt in eurem Herzen keinen Raum für ein Idol.
Und du, Lehrer, hüte dich vor sündigem Unterfangen! Ersetze nicht für die zu dir gekommene Seele Gott durch dich selbst. Folge dem Vorbild des heiligen Vorläufers: begehre alleine, daß Christus in deinen Schülern gerühmt werde. Wenn Er verherrlicht wird, dann nimmst du ab, und wenn du dich wegen des zunehmenden Christus weniger werden siehst, wirst du von Freude erfüllt sein. Durch solch einen Wandel wird sich eine wunderbare Welt in deinem Herzen auftun: du wirst die Erfüllung der Worte Christi wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden in dir sehen.
Selig sind jene, die, sich selbst verleugnend, der wahren Lehre des Evangeliums folgen, die der Befriedigung der Lüste des Körpers und Begierden der Seele entsagt haben. Das Begehren des gefallenen Leibes ist sündhaft; ebenso sündhaft ist auch das Wollen der gefallenen Seele. Sie sucht überall ihr Ich zu verwirklichen, irgendein gesondertes, eigenständiges, vorrangiges Wesen aus sich zu machen, für das alles übrige da sein soll. Das Evangelium fordert, daß solch eine Mentalität abgebaut werde, daß der Mensch Gott als Gott anerkenne und selber auf dem ihm zugewiesenen Platz verbleibe: in Abstufung geschaffen. Nach Abtötung des sinnlosen, träumerischen, eigentlich gar nicht existierenden Lebens kann sich das wahre Leben mit seiner überreichen Seins-Erfahrung manifestieren – das Leben in Gott”. (Brief No. 56).
“Ich rate euch davon ab, eine ausführliche und exakte Analyse eurer Sünden und sündigen Tendenzen vorzunehmen: sammelt sie lieber in einem einzigen Gefäß der Reue und werft sie in den Abgrund der Barmherzigkeit Gottes. Die minutiöse Untersuchung seiner Sünden steht dem Menschen, der ein weltliches Leben führt, nicht zu: sie würde ihn nur in Verzagtheit, Zweifel und Verwirrung stürzen. Gott weiß um unsere Sünden, und wenn wir beständig mit reuigem Herzen beim Ihm Zuflucht suchen, dann heilt Er schrittweise unsere Sündhaftigkeit, d.h. die sündigen Gewohnheiten, die geheimen Tendenzen. Die in Wort, Tat und Gedanken begangenen Sünden müssen bei der Beichte dem geistlichen Vater vorgetragen werden, aber auf die subtile Analyse der sündigen Tendenzen – wiederhole ich – darf sich der weltliche Mensch nicht einlassen: das ist eine Falle, die uns von dem Fänger unserer Seelen gestellt wurde. Man erkennt sie an der Verwirrung und Niedergeschlagenheit, die sie auf uns ausübt, obwohl sie äußerlich als etwas Gutes erscheinen mag. Diesen schwarzen Schleier benötigen die Mönche, um damit die Strahlen der Gnade zu verdecken, die aus ihrem Geist und Herzen kommen; dieser schwarze Schleier ist angemessen für bereits fortgeschrittene Mönche, welche der Anblick ihrer Sündhaftigkeit nicht in Hoffnungslosigkeit stürzt, sondern ihnen Anlaß zu noch größerer Demut ist. So bedeckte einst der Gottesseher Moses sein leuchtendes Angesicht. Man muß zugeben – und dieses Eingeständnis ist vollkommen richtig –*, daß wir Menschen uns alle in einem mehr oder weniger schlimmen Zustand der Verblendung befinden: alle sind wir getäuscht, alle tragen wir die Illusion in uns. Das ist eine Folge unseres Falles, der durch die Annahme der Lüge für Wahrheit verursacht wurde – so fallen wir auch jetzt noch immerdar. Daher ist solche Wankelmütigkeit in uns! Morgens bin ich von derart, um Mittag schon wieder ein anderer, und am Nachmittag noch ein anderer und so fort. Beide Welten wirken auf mich ein, ich bin beiden ausgesetzt, von beiden gefangen. Die Welt der Geister wirkt durch die Gedanken und die Empfindungen des Herzens; die materielle Welt durch die körperlichen Sinne. Beide winken zum Kosten der verbotenen Frucht. Den physischen Sinnen, dem Auge, Ohr, dem Gefühl, bietet sich diese Frucht als wunderbar dar; der Gedanke – das Wort einer unsichtbaren Wesenheit – flößt ein und stichelt: ‘Probiere, erkenne!’. Er lockt durch Neugierde, stachelt auf durch Eitelkeit; es klingt in unserer Seele die Stimme des Verführers, die Stimme, welche unsere Ureltern einst im Paradies hörten; es ertönt die Stimme ‘Ihr werdet sein wie Götter’. Sie ertönt und führt uns in Versuchung; sie verführt und tötet. Eben aus diesem Grund wurde den Menschen eine neue Tugend, die Demut nämlich, und eine neue innere Funktion, die Reue nämlich, aufgegeben. Sowohl diese Funktion als auch diese Tugend, beide sind eigentümlich! Beide sind dem, wodurch wir fielen, radikal entgegengesetzt. Durch die Reue wird der verderbliche Einfluß der körperlichen Sinne vermindert, durch die Demut wird die Überheblichkeit, Eitelkeit, der Lebensstolz vernichtet – mit einem Wort, sozusagen alles, was den Menschen um den Verstand bringt.
Wie soll man sich nun verhalten? Man darf sich durch die eintretenden Veränderungen nicht verwirren lassen, als ob sie etwas Ungewöhnliches wären. Man soll sich nicht auf die genaue Untersuchung der Sünden einlassen, sondern ein Leben in beständiger Reue führen, sich in jeder Beziehung als sündig wissen und glauben, daß der barmherzige Herr jeden, sofern er nur seine Sündhaftigkeit eingesteht, in Seine erbarmungsreichen Arme schließt und in Seinen Schoß der Erlösung aufnimmt. Das gilt aber nicht für die Todsünden, für welche die Reue nur dann von Gott angenommen wird, wenn der Mensch die Todsünde fahren läßt. Häusliche Beschäftigung ist sehr nützlich: sie hält den Müßiggang fern und bringt dem Geist bei seinem unsichtbaren Kampf Erleichterung. Der geistige Kampf ohne anderweitige Beschäftigung führt zu einer harten spirituellen Praxis, die nur dem gestattet ist, der von den Umständen genötigt oder von Gott dazu berufen ist. Vernünftige Menschen begehren nicht, einen Kampf einzugehen, der ihre Kräfte übersteigt, im Gegenteil, sie suchen eine Möglichkeit, sich den Kampf zu erleichtern. Habt Vertrauen zu dem Allmächtigen Gott, hofft auf Ihn, lebt geduldig und harret aus, lebt in Einfachkeit, Reue und Demut, stellt euch dem Willen Gottes anheim und wenn ihr vom rechten Weg abgekommen seid, dann begebt euch erneut auf ihn – und ihr werdet Rettung finden”. (Brief Nr. 9).
“Die Reue, von der Sie – wie Sie in Ihrem letzten Brief schrieben – einen kleinen Geschmack bekommen haben, war nur eine selbstverblendete Phantasie. Sie dachten und dachten, Sie hörten da etwas, Sie wurden gescheit und die Demut stahl sich davon: Ihr Köpfchen träumte etwas zusammen, baute sich ein bezauberndes Luftschloß. Und an all dem Unglück bin ich schuld: ich gab Ihnen etwas zum Lesen, das über Ihre Kräfte ging und brachte Sie damit aus dem Konzept. An Ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, sagte der Herr. Was ist die Frucht dieses Zustandes, den die Seele sich selber schaffte, mit dem sie sich selber verlockte? Die Frucht ist Aufgeblasenheit, eine absolut leere, im wahren Sinne dieses Wortes leere Aufgeblasenheit, die Sie von Ihrer gewöhnlichen Gemütsverfassung abbringt. Sie schrieben an einen großen Starez – und als einer, der in himmlischen Regionen schwebt, begriff er nicht, daß Sie dummes Zeug plappern, antwortete Ihnen wie einem klugen Menschen und bestärkte Sie in Ihrer eingebildeten Reueanwandlung, denn er meinte, daß so wie in ihm selbst auch in ihnen die Vision der Reue wirkt: jene Reue, welche den im Hesychasmus fortgeschrittenen Mönchen als eine wunderbare Gottesgnade geschenkt wird. Die inmitten der Welt lebenden Christen dürften sich nicht an die höheren monastischen Praktiken heranmachen, besonders nicht an die der Hesychiasten. So warnte auch der Herr, man solle keinen neuen Wein in alte Schläuche füllen. Der neue Wein bringt die alten Schläuche zum Platzen, rinnt selber aus und verdirbt die Schläuche. Wenn Weltlinge für Mönche bestimmte Praktiken unternehmen, dann gereicht ihnen dies selber zum Verderben und sie bringen anderen noch seelischen Schaden.
Gerüchte gelangten aus dem lärmigen und weltlichen Sankt Petersburg an unseren entlegenen, stillen Ort: eine gewisse übergescheite und hochadlige Dame schrieb an irgendeinen Mönch einen prächtigen Brief über den riesengroßen Sündenberg, den sie in sich wahrnimmt, und dieser Mönch, der wie man sieht, kein Akademiker ist, soll geantwortet haben: “Mütterchen, steck deine Nase nicht so tief in deine Sünden!” Ich wiederhole nur, was ich hörte. Ob es nun so war, oder nicht, darüber will ich später nachdenken, und ob solche groben Reden in Sankt Petersburg, der Hauptstadt der Aufklärung und Bildung, gang und gäbe sind, weiß ich nicht. Wenn man mich fragen würde, welcher Art dieser Rat des Mönches an die Dame der Hauptstadt ist, dann würde ich mit meiner ganzen provinziellen Offenheit antworten: ‘Es ist der Rat eines ungeschlachten Menschen, aber er haut hin, und diese Dame sollte sich ihn hinter die Ohren schreiben und sich ganz fest daran halten’. Die Form der Reue, die dem frommen, inmitten der Welt lebenden Christen ankommt, ist die allabendliche Gewissenserforschung. Das ist übergenug! Wenn der Christ sich bemüht, nach den Geboten zu leben, und sich täglich überprüft, dann erlangt er allmählich die Zerknirschung des Gemütes, die aber noch weit von der Reue als geistiger Schau entfernt ist. Sie haben nur Torheiten (verzeihen Sie den Ausdruck, aber er trifft genau) im Kopf, und dazu noch stolze! Ich kenne diese, ich bin auch ständig von ihnen umgarnt: und deshalb warne ich Sie”. (Brief No. 17, hier und oben zitierten wir nach der dritten Ausgabe, SPb 1905, Bd. IV).

Bote 1994-5
Der ehrwürdige Paisij Veli¡ckovskij,
Bischof Ignatij Brjan¡caninov und das russische Starzentum Anfang s. Bote 2/1994

Aufgrund dieser Auszüge kann man einige Schlüsse ziehen. Diejenigen, die das russische, oder einfacher gesagt das Optina-Starzentum populär machen, führen es zu unrecht auf den seligen Schema-Archimandriten Paisij Veli¡ckovskij zurück. Definitionen wie “Starez – das ist jemand, der deine Seele, deinen Willen in seine Seele, in seinen Willen aufnimmt” (Dostojevskij) und “der Schüler, durchdrungen von dem Geist des Lehrers, bemühte sich, die völlige Unterwerfung seines Willens unter den Willen des von ihm erwählten Führers zu erreichen” (Ljaskovskij) – stehen nicht in Übereinstimmung mit der Lehre des Schema-Archimandriten, der in seiner Regel schrieb, daß der Vorsteher “die Heilige Schrift und die Lehren der gottragenden Väter studieren soll und außer ihrem Zeugnis nichts von sich aus den Brüdern vorlegen darf, weder Lehren, noch Gebote....”. Schema-Archimandrit Paisij und nach ihm sein wahrer Nachfolger Bischof Ignatij Brjan¡çaninov bezeichnen die Praxis des absoluten Gehorsams des monastischen Anfängers seinem Lehrmeister gegenüber als ein Gut des Altertums, in unserer armseligen Zeit jedoch empfehlen sie als geeignetstes Mittel zum Heil die Koinobia – das klösterliche Gemeinschaftsleben, wo der Vorsteher, die Klosterleitung und alle Brüder sich an der Heiligen Schrift und den patristischen Werken orientieren.
Schema-Archimandrit Paisij und Bischof Ignatij bezeugen beide gleichermaßen, daß selbst die allerfrömmsten in der Welt lebenden Gläubigen “wahren Gehorsam” nicht verwirklichen können, weil er “aufs allerengste mit dem Gemeinschaftsleben verbunden ist, so wie die Seele mit dem Körper verbunden ist, und das eine ohne das andere nicht existieren kann”, und sie warnen die Laien verschiedentlich vor “höheren monastischen Praktiken”.
In der Orthodoxie war man sich schon immer des grundlegenden Unterschiedes zwischen Leben in der Welt und im Kloster bewußt, wo die Brüder durch eine gemeinsame Regel, annähernd einheitliche Lebensumstände und alles übrige vereint, sozusagen gemeinsam dem Heil entgegeneilen. Und soweit uns bekannt ist, gibt es für die Versuche, Weltlinge nach dem Vorbild der antiken Mönchspraxis – in vollkommener Unterwerfung des Schülers unter seinen Abba – zu führen, bis zur Optina Pustyn’ keine Präzedenzfälle in der Kirchengeschichte gab.
Gott allein weiß, zu wie vielen persönlichen Tragödien das durch nichts gerechtfertigte Auftreten des Starzentums in der heutigen Zeit führte und noch immer führt, und mit Gewißheit kann man sagen, daß es sich für die Geschichte Rußlands als eine schreckliche Tragödie erwies – weit öffnete es die Türen der Petersburger Salone für den “Gottesmann”, den “Wundertäter und Seher” Grigorij Rasputin. Wir wollen ein wichtiges Zeugnis dazu anführen, aus der Feder des letzten Erzpriesters der Russischen Armee und Flotte:
“Rasputin war nicht geldgierig oder auf Gewinn aus. Er konnte soviel Mittel, wie er wollte, bekommen: und er bekam auch viel. Dafür verteilte er das Erhaltene freigiebig. In seinem Empfangszimmer, am Tor seines Hauses drängten sich die Bedürftigen, und Rasputin beschenkte sie.... An seiner traurigen Karriere ist er viel weniger selber schuld als der morbide Zustand der damaligen hohen Gesellschaft…. Wie allgemein im Leben so suchte man damals auch in der Religion brisante Empfindungen, außerordentliche Offenbarungen, Wunder... Weltliche Leute interessierten sich für Spiritismus, Okkultismus, und ehrwürdigen Bischöfe wie Feofan und Germogen, alle suchten sie eine besondere Sorte von Gerechten auf... Rasputin schien ihre Forderungen zu erfüllen, die man an solch eine Art von Gerechten stellt, und sie führten ihn in den Zarenpalast ein. Dort vermochte Rasputin die exaltiert frömmelnde Zarin für sich einzunehmen. Sie suchte mehr als viele andere in der Religion das Geheimnisvolle, Zeichen, Wunder, lebendige Heilige. Rasputin gelangte in den Zarenpalast mit dem schon etablierten Ruf eines ‘Gottesmannes’, der von den damals für Zarskoje Selo außer Zweifel stehenden Autoritäten, den Bischöfen Feofan und Germogen, sanktioniert worden war.”
“Rasputin sprach nicht einfach oder gab etwas von sich oder teilte etwas mit: er riet nicht, sondern er befahl, forderte. Auf einen bereits geknechteten Willen wirkte dies alles deprimierend.”
Die Maske des “Starez” in der schrecklichen Figur Rasputins drängt sich einem derart auf, daß sogar Ausländer nicht umhin können, sie zu bemerken. Dabei führt der zweite der zitierten Autoren in seinem Buch einen Abschnitt von F.M. Dostojevskij an – denselben, welchen unsere Auswahl enthält.
“Bei ihnen waren alle Grundlagen vorhanden, diesem ‘Fremden’ zu glauben, der alle heiligen Stätten Rußlands abgegrast und sogar eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen hatte, der ein asketisches Leben führte – er aß z.B. niemals Fleisch – und der durch den ungewöhnlichen Ausdruck seiner Augen imponierte, durch eine besondere Kraft, die sich in ihnen widerspiegelte, und der so tiefschürfend über geistige Themen reden konnte.... Abgesehen davon, daß er die Anfälle von Hämophilie beim Thronfolger, selbst wenn er sich tausend Kilometer vom Kranken entfernt befand, stoppen konnte, wurde eine ganze Reihe von anderen von ihm ausgeführten Wunderheilungen genau festgestellt. Das bestärkte natürlich das Vertrauen zu dem ‘heiligen Starez’, dem ‘Gottesmann’ bei denjenigen, die diesen Glauben hatten.”
“Rasputin trat in Sankt Petersburg als Starez auf, als ein Mann Gottes, der sein Leben in Armut, Einsamkeit und Askese verbringt und als Führer anderer Seelen im Augenblick von Krisen und Leiden fungiert. Alle Russen lauschten diesen heiligen Männern... sogar die Gebildeten zeigten ihnen Achtung. Dostojevskij schreibt in den Brüdern Karamasow: ‘Starez – das ist einer, der Ihre Seele, Ihren Willen in seine Seele und seinen Willen aufnimmt. Wenn Sie einen Starez gewählt haben, dann sagen Sie sich von dem eigenen Willen los und übergeben sich ihm in vollem Gehorsam, in gänzlicher Selbstverleugnung...’”. Ende

Anhang:
Äußerungen zum gleichen Thema

Hl. Justin der Philosoph:
“Nur das Christentum ist eine hoffnungsvolle und nützliche Philosophie. Nur so und auf dieser Grundlage kann ich Philosoph sein”.

In der obengenannten Broschüre “Die Brüder Kirejevskij. Leben und Werk” schreibt V. Ljaskovskij, welch wohltuenden Einfluß die Tatsache, daß er im Gehorsam des Starez Makarij von Optina stand, auf I.V. Kirejevskij ausübte: “... auf diesem Weg wurde sein Gesichtskreis nicht etwa eingeengt, im Gegenteil, sein Denken und Wort gewannen eine bis dahin nicht dagewesene Kraft”. Wir versuchen, diese Behauptung zu prüfen, indem wir die Meinung von I.V. Kirejevskij, die in seiner letzten Arbeit “Über die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Anfänge in der Philosophie” zum Ausdruck kommt, dem Urteil von Bischof Ignatij Brjan¡caninov und einiger anderer christlicher Denker gegenüberstellen:

I.V. Kirejevskij:
“Zu meinen, daß wir eine bereits fertige Philosophie haben, die in den heiligen Vätern beschlossen liegt, wäre völlig falsch. Unsere Philosophie muß noch weiter geschaffen werden, wie ich bereits sagte, aber nicht von einem Menschen, sondern sie muß auf der Grundlage der anteilnehmenden Mitwirkung der gesellschaftlichen Einmütigkeit wachsen”.
“Die Weisheitsliebe der heiligen Väter ist nur ein Keim dieser zukünftigen Philosophie, welche die Gesamtheit der heutigen russischen Intelligenz fordert – ein lebendiger und deutlicher Keim, der jedoch noch der Entwicklung bedarf und noch nicht die eigentliche philosophische Wissenschaft ausmacht.”
“Die deutsche Philosophie kann uns als eine willkommene Stufe des Denkens dienen von den entlehnten Systemen zur selbständigen Weisheitsliebe, welche den Grundprinzipien der altrussischen Bildung Genüge tut und fähig ist, die gespaltene Bildung des Westens dem holoistischen Bewußtsein der gläubigen Vernunft zu unterwerfen.”

Bischof Ignatij:
“Sie fragen, was meine Meinung über die menschlichen Wissenschaften ist? Nach dem Sündenfall fühlten die Menschen die Notwendigkeit von Kleidung und anderen zahllosen erforderlichen Dingen, von denen unsere irdische Pilgerfahrt begleitet wird; mit einem Wort sie bedurften der materiellen Entwicklung – ein Bestreben, das einen so charakteristischen Zug unseres Jahrhunderts darstellt. Die Wissenschaften sind die Frucht unseres Falles, ein Produkt unserer defekten, gefallenen Vernunft. Gelehrsamkeit ist: der Erwerb und die Aufbewahrung von Eindrücken und Erkenntnissen, die von den Bürgern der gefallenen Welt zusammengetragen wurden. Gelehrsamkeit ist ein fahles Licht, durch welche ‘das Dunkel der Finsternis auf ewig bewahrt wird’. Der Erlöser gab den Menschen jene Leuchte zurück, die ihnen bei der Erschaffung der Welt vom Schöpfer gegeben wurde und derer sie bei ihrem Sündenfall verlustig gingen. Diese Leuchte ist der Heilige Geist, Er ist der Geist der Wahrheit, Er lehrt jede Wahrheit, erforscht die Tiefen der Gottheit, offenbart und erläutert die Geheimnisse und gibt auch materielle Kenntnisse, wenn sie dem Menschen zum geistigen Nutzen gereichen. Die Gelehrsamkeit ist nicht eigentlich Weisheit, sondern die Auslegung der Weisheit. Die Erkenntnis der Wahrheit, die dem Menschen von Gott geöffnet wurde und zu welcher der Zugang allein im Glauben liegt – unzugänglich der gefallenen menschlichen Vernunft – wird durch Ahnungen und Mutmaßungen von der Gelehrsamkeit substituiert. Die Weisheit dieser Welt, in der viele Heiden und Gottlose geachtete Positionen einnehmen, ist in ihrem Grundprinzip der geistigen, göttlichen Weisheit direkt entgegengesetzt: Man kann nicht Anhänger der einen und der anderen zugleich sein, von einer muß man sich unbedingt lossagen. Der gefallene Mensch ist ‘Lüge’, und aus seinen Klügeleien entstand die ‘Pseudovernunft’, das heißt, ein Muster, eine Ansammlung von falschen Begriffen und falschem Wissen, das nur den Mantel der Vernunft trägt, aber in seinem Wesen Wankelmut, Unsinn und Besessenheit des Verstandes ist, der von der tödlichen Wunde der Sünde und des Falles geschlagen ist. Dieses Dilemma des Verstandes tritt in den philosophischen Wissenschaften in seiner ganzen Fülle zutage.” (Bd. IV, Brief No. 45).

I.V. Kirejevskij:
“... diese frommen Leute merken gar nicht, daß sie durch ihre Hetze auf die Vernunft mehr noch als die eigentlichen Philosophen den religiösen Überzeugungen schaden. Denn was für eine Religion wäre das, welche das Licht von Wissenschaft und Wissen nicht ertragen könnte? Was für ein Glaube ist das, der mit der Vernunft nicht zu vereinbaren ist? Unterdessen scheint es, daß der gläubige Mensch im Westen fast kein Mittel mehr hat, um seinen Glauben zu retten, seine Blindheit aufrechtzuerhalten und ihn furchtsam vor der Berührung mit der Vernunft zu schützen sucht.”

Bischof Ignatij:
“Der heilige Glaube, über den die Materialisten sich lustig machen und fortfahren zu lachen, ist dermaßen subtil und erhaben, daß er nur von der spirituellen Vernunft verwirklicht und vermittelt werden kann. Die Vernunft der Welt ist wider ihn, verwirft ihn. Wenn sie ihn aus irgendeiner materiellen Notwendigkeit heraus notwendig und passabel findet, dann faßt sie ihn falsch auf und deutet ihn unrichtig, weil die Blindheit, die sie diesem Glauben anlastet, ihr selber zu eigen ist” (Brief No. 61).

I.V. Kirejevskij:
“Glauben und Vernunft in Übereinstimmung bringen, den leeren Raum ausfüllen, welcher die zwei Welten trennt, und endlich die beiden Wahrheiten (die spirituelle und die natürliche) in ein lebendiges Denken zusammenfügen...”

Bischof Feofan, der Klausner:
“Der Verstand muß sich entblößen und sich wie eine reine Schreibtafel dem Glauben darbieten, damit er sich ohne jegliche Beimischung außenstehender Thesen und Behauptungen auf ihr einpräge: sonst gerät das Bewußtsein zwischen dem Wirken des Glaubens und den Reflexionen des Verstandes in Verwirrung. Solcherart war Simon ein Exempel für alle Häretiker, solcherart sind alle, die mit ihren Überlegungen in die Domäne des Glaubens eindringen, wie in vergangener Zeit so auch heute noch. Sie verirren sich im Glauben und nichts bringen sie als Schaden: für sich – wenn sie so einäugig bleiben und für andere – wenn ihre Konfusion nicht auf sie selbst beschränkt bleibt, sondern sich infolge ihres Durstes, als Lehrer zu fungieren, nach außen manifestiert. Das Ergebnis ist stets eine Clique von Leuten, die mehr oder weniger im Glauben sündigen und mit einer unglückseligen Überzeugung ihrer Fehlerlosigkeit und einem ärmlichen Verlangen, alles nach ihrer Laune umzumodeln, behaftet sind”. (Gedanken für jeden Tag des Jahres, S. 55).

Bischof Ignatij:
“Das Studium des göttlichen Gesetzes erfordert Geduld. Dieses Studium ist die Errungenschaft der eigenen Seele: In eurer Geduld – so gebietet der Herr – werdet ihr eure Seelen gewinnen (Lk. 21,19). Das ist die Wissenschaft der Wissenschaften! Das ist die himmlische Wissenschaft! Das ist die Wissenschaft, die dem Menschen von Gott geboten wurde! Ihre Pfade sind weit entfernt von jenen gewöhnlichen Pfaden, welche die irdischen Wissenschaften beschreiten, die menschlichen Wissenschaften, die aus unserer gefallenen Vernunft geboren sind – aus dem ihr eigenen Licht für unseren gefallenen Zustand. Die menschlichen Wissenschaften brüsten sich, blasen den Verstand auf, verwirklichen das eigene Ich, lassen es wachsen. Die göttliche Wissenschaft offenbart sich der Seele, die dazu bereitet wurde, die durch Erschütterungen gehärtet, von Selbstverleugnung geglättet wurde, als ob sie sich ihrer Demut wegen ihrer Eigenart entkleidet hätte; die zu einem Spiegel geworden ist, der kein eigenes Gesicht hat, und deshalb fähig ist die göttlichen Züge aufzunehmen und widerzuspiegeln. Die göttliche Wissenschaft – das ist die göttliche Weisheit, der göttliche Logos. Über sie sagt Ben Sira (Sohn von Sirach): Nach Kindern hat die Weisheit Sehnsucht und nimmt sich derer, die sie suchen, an. Das Leben liebt, wer diese liebt; des Frohsinns voll wird, wer sie sucht. Wer sie zu eigen hat, erwirbt sich Ruhm, und wo sie einzieht, gibt der Herr den Segen. Dem Heiligen dienen, die ihr dienen, und die sie lieben, liebt der Herr. Wer ihr gehorcht, wird richtig richten, und sicher wohnt, wer auf sie merkt (Sirach 4, 12-17). Derart ist die göttliche Wissenschaft! Derart ist die Weisheit Gottes! Sie ist die Göttliche Offenbarung! In ihr ist Gott! Der Zugang zu ihr liegt in der Demut! Der Zugang zu ihr liegt in der Abkehr von der eigenen Vernunft! Unerreichbar ist sie für den menschlichen Verstand! Verworfen wird er von ihr, als irrsinnig ausgemacht! Und er, der Dreiste, ist ihr stolzer Feind, in gotteslästerlicher Weise befindet er sie als närrisch, wird irre an ihr, weil sie sich den Menschen am Kreuz offenbarte, und sie vom Kreuz her erleuchtet. Der Zugang zu ihr ist durch die Selbstverleugnung! Der Zugang zu ihr ist durch die Kreuzigung! Der Zugang zu ihr ist durch den Glauben! Ben Sira fährt fort: Wenn du Glauben hast, so wirst du sie erben.

L.T. Tichomirov:
Die Predigt der Geistlichen ... ist angeblich unverständlich. Als verständlich gilt die Predigt der weltlichen Missionare, bei denen der Schwerpunkt, die Sorgen und Gedanken auf das Gebiet rein weltlicher, irdischer Interessen übertragen werden. Ihre ‘Religion’ erweist sich stets als Werkzeug irdischen Wohlstandes. Von der Orthodoxie redet man immerfort als von der Religion des russischen Volkes. Auf die Bedeutung der Orthodoxie pflegt man nicht von ihrem essentiellen Aspekt (als sich selbst genügende Wahrheit und als Pfad zur Rettung der Seele) her zu verweisen, sondern von der Seite ihrer Bedeutung für den russischen Staat, die russische Gesellschaft her... Überall und allerorten verdrängt das irdische und zeitliche Interesse die religiösen und ewigen Belange. Zweifelsohne besitzt die Religion riesigen Einfluß und Auswirkung auf ‘irdische’ Dinge. Aber wichtig ist der Ausgangspunkt das zentrale Interesse. Wichtig ist, ob wir an die irdischen Belange vom Standpunkt der absoluten Wahrheit der Religion aus herangehen oder, umgekehrt, ob wir von der irdischen Sorgewaltung ausgehend, danach streben, auf diese oder jene Weise die religiöse Wahrheit zu definieren. Die einen unterwerfen die Erde dem Himmel – die anderen den Himmel der Erde. Es handelt sich um eine grundlegende Kontradiktion.” (Geistlichkeit und Gesellschaft in der zeitgenössischen religiösen Bewegung, Moskau 1893).