Dem seligen Andenken von Bischof Jonas († 7./20. Okt. 1925)

Das Bischofskonzil, das im November dieses Jahres im Lesnaer Kloster in Frankreich stattfand, dankte den ehemaligen Bewohnern von Tientsin, die jetzt in Amerika leben, für ihre Liebe zu Bischof Jonas. Sie hatten versucht, seine Gebeine aufzufinden, um sie nach Amerika zu bringen, und hatten dafür die Erlaubnis der chinesischen Behörden erhalten. Bei den in diesem Jahr unternommenen Grabungen konnten sie die Gebeine des Bischofs jedoch nicht auffinden. Man nimmt an, daß die von den Kommunisten vorgenommene Sprengung der Kirche, neben welcher die Gebeine beigesetzt waren, eine derartige Wucht besaß, daß die Gebeine dabei verstreut wurden. Die Gruppe von Gläubigen in San Francisco ist weiterhin darum bemüht, Material über Bischof Jonas zu sammeln. (Red.).

Der selige Jonas (im Laienstand Vladimir Pokrov-skij) wurde am 17. April 1888 in einer Bauernfamilie des Gouvernement Kaluga geboren. Im Alter von zwei Jahren verlor er seine Mutter und mit acht Jahren den Vater. Er wurde daraufhin von dem Dorfdiakon Pokrovskij adoptiert. Nachdem er die Geistliche Schule und das Seminar in Kaluga beendet hatte, trat Vladimir 1909 in die Geistliche Akademie von Kazan ein, die er 1914 mit einem Professoren-Stipendium glänzend abschloß. Der außergewöhnlich begabte Absolvent wurde als Privatdozent für den Lehrstuhl Heilige Schrift angestellt. Bereits im dritten Akademiejahr trat Vladimir Pokrovskij in den Mönchstand mit Namen Jonas ein und wurde in die Bruderschaft der Optina Einsiedelei aufgenommen. Seine geistlichen Lehrer dort waren die Starzen Josif und Anatolij. So kehrte er bereits als Hieromonachos in die Akademie zurück. Zu Kriegsbeginn wird der junge Priestermönch Jonas Regimentspriester, und 1916 zum Hauptmilitärgeistlichen der 11. Armee ernannt. 1918 wurde Hieromonachos Jonas in der Stadt @Cistopol’ verhaftet, geschlagen, dem Revolutionstribunal ausgehändigt und nach Tjumen geschickt. Der Herr beschützte jedoch seinen Erwählten und von Tjumen gelang es ihm, sich nach Omsk durchzuschlagen, von wo aus er mit einem Teil der zurückgewichenen Armee des Generals Dutov, durch Turkestan und die Wüste Gobi nach China gelangte. Dort wurde er in der Pekinger Geistlichen Mission zum Archimandriten ernannt, und bald darauf im September 1922 erfolgte seine Chirotonie zum Bischof von Tientsin mit gleichzeitiger Ernennung zum Vorsteher der Missionskirche des Hl. Innokentij in der Stadt  Mandschuria. Dort ereilte ihn bald, bereits nach drei Jahren, am 7./20. Oktober 1925 um 1.30 Uhr nachts der Tod.
“In der Nacht auf den 20. Oktober ertönte in der Stadt das Trauerläuten der Kathedralglocke und so begriffen die Leute, daß ein Unglück geschehen war. Alle stürzten sich in die Kirche. In ihrer Mitte stand bereits der Eichensarg und Bischof Jonas begann, von Geistlichen umgeben selbst die Sterbegebete für sich zu zelebrieren. Die Kirche erbebte von dem Schluchzen der Betenden, viele verloren das Bewußtsein, da sie nicht fähig waren, die Trennung von ihrem geliebten Oberhirten zu ertragen. Vladyka fand noch die Kraft, sich mit einem Abschiedswort an seine Gemeinde zu wenden. Um eines bat er, man möge die Waisen nicht ohne Hilfe lassen. Nach Beendigung des Gottesdienstes legte sich Bischof Jonas in den Sarg und ging still ins ewige Leben hinüber...”.
Dieses sind Erinnerungen einer Zeitgenossin, die damals siebeneinhalb Jahre alt war. In dem großartigen und ergreifenden Bild des volksnahen Endes des Bischofs gibt es viele sachliche Ungenauigkeiten, aber um so getreuer gibt es das innere Wesen der Ereignisse wider.
Genau drei Jahre vor seinem Ende, am 19. Oktober 1922, kam der hochgeweihte Jonas, Bischof von Tientsin, in die der russischen Grenze nahe gelegene chinesische Stadt Mandschuria, die damals hauptsächlich von russischen Flüchtlingen besiedelt war. Diese verzweifelten Menschen, unglücklich und verwirrt durch die schreckliche Zertrümmerung ihrer bisherigen, gewohnten Welt,  diese “zur Beute gewordenen Schafe” waren nach Vorbild der Christen des Altertums nicht mehr fähig, in vieltägigem Fasten und Gebet zum Herrn zu flehen, Er möge ihrer Stadt einen würdigen Bischof senden – sogar der Glaube an das Erbarmen Gottes war in ihren Herzen gebrochen. Aber der Herr, der die menschliche Ohnmacht kennt, sendet selbst den Mandschuriern einen Hirten, durch welchen Er das ewige und ewig neue göttliche Wunder der Auferweckung und Erneuerung der verhärteten, in irdische Sorgen verstrickten Seelen vollbringt. Drei Jahre war Bischof Jonas für seine Herde das, was nach der Weisung der orientalischen Patriarchen jeder Bischof für seine Kirche darstellen sollte: “Was Gott in der Kirche der Erstgeborenen im Himmel und was die Sonne in der Welt ist, das ist jeder Hierarch in seiner jeweiligen Kirche, damit die Herde durch ihn geheiligt, innerlich erwärmt und ein Tempel Gottes werde. Genau drei Jahre lang wurde dieser von Demut, Liebe und unaufhörlichen Mühen erfüllte bischöfliche Dienst vor den Augen aller vollzogen. Die Mannigfaltigkeit, die Weite und der ungewöhnliche Erfolg seiner Unternehmungen setzten die ihn umgebenden Menschen in Erstaunen. Vor allem richtete er den vorgeschriebenen Gottesdienstrhythmus in seiner Kirche, die bis dahin trotz ihres prächtigen Inneren wenig besucht war, wieder ein. Bald füllte sich die Kirche mit Betenden, die sich von dem wunderschönen Kirchengesang und den Predigten des jungen Bischofs angezogen fühlten. Er kümmerte sich auch um die Erziehung der Kinderseelen und gab im örtlichen Gymnasium Religionsunterricht. Durch seine Bemühungen entstanden in Mandschuria an ein Dutzend wohltätiger Einrichtungen. Ein Augenzeuge erinnert sich: “Ohne große Anstrengung gelang es ihm, alle lebendigen Kräfte der Stadt zur öffentlichen Arbeit um sich zu scharen. Die Öffentlichkeitsarbeit von Bischof Jonas verlief unter der Flagge des Internationalen Mandschurischen Komittees zur Hilfe für Waisenkinder und Bedürftige, dessen Vorsitzender er vom Tag seiner Ankunft in Mandschuria an bis zu seinem Tode war. Als er 1922 nach Mandschuria kam, fand Bischof Jonas das Komittee in jenem kläglichen Zustand vor, der für alle wohltätigen Einrichtungen, die von gelegentlichen Spenden leben, kennzeichnend ist.” Die energische Arbeit des neuen Vorsitzenden rief einen reichen Spendenzustrom hervor. Alte Einrichtungen lebten auf, neue entstanden. Um das Komittee finanziell unabhängig zu machen, schuf Bischof Jonas daneben eine Handelsabteilung, die all seine vielzähligen öffentlichen Unternehmungen mit Geldmitteln versorgen sollte. Das Vertrauen zu dem Bischof war so groß, daß auf eines seiner Worte hin Zehntausende von Rubeln gespendet wurden. Es versteht sich, daß Bischof Jonas keinerlei kommerzielle Erfahrung besaß. Ein Mönch, ein Zögling der Starzen von Optina, ein Dozent der Geistlichen Akademie, zuletzt ein Militärgeistlicher: Schwer kann man sich einen Lebensweg vorstellen, der dem kommerziellen Geist fremder wäre. Dennoch waren alle seine finanziellen Unternehmungen außergewöhnlich erfolgreich, während in seiner Umgebung von erfahrenen Kaufleuten geleitete Kommerzgesellschaften Bankrott gingen. Die bischöfliche, pastorale und gesellschaftliche Aktivität von Vladyka Jonas ging vor den Augen seiner Schützlinge vor sich und setzte die einen durch seine Selbstverleugnung in Verwunderung, erfüllte andere mit tiefer Dankbarkeit, rief mitunter auch Neid bei gewissen von Pharisäergeist und Heuchelei vergifteten Gemütern hervor. Viele riefen nach seinem Tode mit tiefer Reue: “Ach, wir haben unseren Oberhirten nicht geschont! Und er selber schonte sich auch nicht, sondern vertraute auf den Herrn. Die Empfangsstunden bei dem Bischof waren von 7 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts, dann widmete sich Vladyka einer weiteren Arbeit – seiner weitläufigen Korrespondenz, den turnusmäßigen Pastoralbriefen usw. Die schlichte Lebensweise von Bischof Jonas erstaunte die Umgebung, die noch die ganze äußere Pracht und den Prunk, der die kirchliche Hierarchie in früheren, glücklichen Zeiten kennzeichnete, in Erinnerung hatten. “Weder Köche noch eine Küche hatte er. Er ernährte sich sehr bescheiden. Am liebsten aß er Bratkartoffeln und schwarzes Roggenbrot. Kleidung und Schuhwerk von Vladyka waren mehr als bescheiden. Aufgesetzte Flicken stellten gewöhnlich ihre Verzierung dar. Oftmals weigerte sich der Schneider oder Schuhmacher, sie auszubessern, denn die Flicken hielten nicht mehr.”
Seine Umgebung liebte ihn und betrachtete es als ein Glück, mit ihm zu arbeiten und ihm zu helfen, wobei sich die Leute nicht immer bewußt waren, was sie nun genau so sehr zu ihrem Oberhirten hinzog, wodurch er ihr Herz gewann. Die unter dem Eindruck seines plötzlichen, die ganze Stadt erschütternden Endes aufgezeichneten Erinnerungen sind voll von Lobeshymnen auf seine persönlichen menschlichen Fähigkeiten. Nur wenige konnten damals richtig das Wesentliche dessen einschätzen, wovon sie Zeugen wurden – so etwas passiert oft in unserem Leben, wenn die “Mentalität des Fleisches”, die üblichen stereotypen Verhaltensweisen den inneren Sinn des Geschehens verdecken und  verdunkeln. Nicht alle begriffen damals, daß es hier überhaupt nicht um die ausschließlich persönlichen Qualitäten des entschlafenen Bischofs ging, sondern um die sichtbare Manifestation der Gnade Gottes für die verirrten und verlorenen Schafe, in jener überzeugenden Kraft der gnadenerfüllten Liebe, welche der Göttliche Hirte durch den Bischof der Kirche, wie durch eine “Wasserleitung” auf alle, die bereit sind, diese Liebe zu empfangen, ausgießt. Alle übrigen Eigenschaften, wie hoch sie auch entwickelt sind, sind ebenso vergänglich und sterblich, wie der menschliche Körper, sie sind alle nichts vor jener Aufgabe, alles Persönliche in sich auszulöschen und ein Leiter für die göttliche Kraft und Liebe zu werden. Zu solch einem Dienst prädestiniert der Herr einen Menschen und bereitet ihn durch tiefe Demut, Selbstentäußerung und Reinigung des Herzens im asketischen Leben vor. Solch ein Mensch handelt in all seinen Werken bereits nicht mehr mittels seiner menschlichen Kräfte – durch ihn wirkt vielmehr die Kraft des Allmächtigen, die über all seinen Anfängen und Unternehmungen schwebt und sein ganzes irdisches Leben in eine erbauliche Lektion für seine Umgebung verwandelt. So wurde auch das Leben von Bischof Jonas für seine Herde zu einer ständigen Erbauung und einem lebendigen Beispiel der Erfüllung der wichtigsten Evangeliumsgebote: Liebe zu Gott und zu dem Nächsten. Nicht weniger, sondern vielleicht noch lehrreicher war sein Tod, jenes christliche “Ende ohne Schande”, um das jeder Gläubige sein ganzes Leben lang Gott bittet.
Bischof Jonas starb im 38. Lebensjahr an Blutvergiftung in seiner Zelle; er starb bei vollem Bewußtsein, nachdem er gebeichtet und die Heiligen Gaben empfangen hatte, seine letzten Anordnungen getroffen und eigenhändig noch zwei Stunden vor seinem Tod sein geistliches Vermächtnis geschrieben hatte, mit der Auflage, ihn  ohne Blumen und schöne Reden nach monastischer Gepflogenheit zu begraben, und nachdem er selbst den Kanon für den Austritt der Seele aus dem Leib gelesen und alle Anwesenden um Vergebung ersucht hatte. Diese ganze Zeit über beteten in der Katehdrale die Gemeindeglieder um die Gesundung ihres geliebten Hirten. Es beteten auch die Kinder des unter seinem Schutz stehenden Kinderhortes: “Lieber Gott, lasse uns Vladyka!”. Direkt vor dem Ende bat der Sterbende darum, ihn in das Epitrachilion und die Epimanikien seines geistlichen Lehres, des Starez von Optina, zu kleiden, und indem er der Haustür zustrebte, sprach er: “Ich gehe um in der Kirche zu sterben”. Die Umstehenden konnten ihn nur mit Mühe überreden, in seiner Zelle zu bleiben. Dieser Wunsch, sein irdisches Leben vor den Augen seiner geistlichen Kinder zu vollenden, beeindruckte – gleichsam einer irrealen Realität – das kindliche Gemüt der zu Anfang angeführten Erinnerungen so gewaltig.
Der Bischof von Charbin, Mefodij, zelebrierte den Totengottesdienst für Vladyka Jonas in Anwesenheit von 8.000 Gläubigen (die Bevölkerung von Mandschuria betrug damals 10.000 Seelen).
Bischof Nestor, der Bischof Jonas ewigen Andenkens nahe kannte, schrieb nach dessen Ende: “... wie eine reife Kornähre von der Erde genommen wird, so reifte auch die Seele Vladyka Jonas schnell auf dem Opferweg christlicher Liebe und Frömmigkeit für das ewige Leben. Wo das lichte Ende eines Gerechten Tausende von Gläubigen vor Trauer in Schluchzen und weinen stürzt, veranlaßte sein Tod viele von denen, die zu Lebzeiten des Bischofs sich wegen der damaligen allgemeinen Stimmung nicht ehrerbietig oder gar beleidigend ihm gegenüber verhalten hatten, zu andächtigem Schweigen und Nachdenken. Im Verborgenen, ohne viel Aufhebens zu machen, liebten ihn nun vielleicht viele geheime Verehrer vom Typ des “Nikodemus”, und kraft des Vermächtnisses des entschlafenen Bischofs prägten sie seinen lichten Namen zum gebetsvollen Gedenken ihren Herzen ein. So lehrte und veranlaßte er sie, vielleicht sogar gegen ihren Willen, zu beten.
“Nicht wissen wir, ob vielleicht meine und deine Kerze bald niederbrennt” – diese prophetischen Worte schrieb Vladyka in seinem letzten Sendschreiben. Und so flammend und hell, aber auch so schnell brannte die Lebenskerze des denkwürdigen Vladyka Jonas ab. Als das Leben des auf dem Totenbett liegenden Bischofs erlosch, blieb eine Kerze reinen weißen Wachses in seiner Hand brennen. Sie ist das Symbol seiner lichtvollen, unsterblichen Seele, die in reiner und hoher christlicher Liebe zu Gott und zum Nächsten brannte. Ewige Ruhe sei seiner reinen Seele! Ewige Glorie sei seinem lichten Namen!”.

Benutzte Literatur:
1. Personal Reminiscences of Bishop Jonah. Originally printed in China in 1925.
2. Cdtnksq j<hfp. Gfvynb tgbcrjgf Bjzs. Assoziation Charbin. Sonderdruck.