Die Einheit von Dogma und Liebe

Vom falschen Eifer zum Sumpf der Häresie
„Es gibt keinen Widerspruch zwischen Dogma und Liebe“
Nach einem Text aus dem Journal „Orthodox Tradition“, Vol. XVI (1999), No. 1, S. 2-5).

Wir halten es für angebracht, anläßlich des Gedenkens der Dritten Heiligen Ökumenischen Synode in Ephesus (9. September) auf das immer aktuelle Thema der richtigen Haltung und des rechten Verhaltens gegenüber Häretikern und allgemein gegenüber denjenigen, die eine andere Meinung als wir selbst vertreten, zurückzukommen.
Wir müssen uns der Tatsache zutiefst bewußt werden, daß, falls die Haltung von Orthodoxen gegenüber Menschen, die sich im Irrtum befinden, nicht mit der Tradition der Väter im Einklang ist, dies viele Gefahren mit sich bringt und zu negativen Auswirkungen führt.
A. Patriarch Nestorius von Konstantinopel ist ein immerwährendes Beispiel eines glühenden Verfechters des Orthodoxen Glaubens, der aufgrund seines falschen Eifers und seines ungezügelten Fanatismus zu seiner berüchtigten und gotteslästerlichen Christologischen Häresie gebracht wurde und der darüber hinaus für die monophysitische Kontroverse mit all ihren zerstörerischen Konsequenzen verantwortlich war.
1. Kaum war Nestorius, der aus Antiochia kam, zum Bischof in der Kaiserstadt geweiht worden, als er sich – gemäß dem Historiker Sokrates – als „leidenschaftlicher Verfolger“ von Häretikern zeigte und als jemand, der „gegen die üblichen Gepflogenheiten der Kirche handelte“ (1), indem er unablässig mit Häretikern stritt und Gewalttaten gegen sie plante. Auf diese Art und Weise machte er sich zunehmend verhaßt und „stellte ‘im Alleingang’ die Stadt auf den Kopf“ (2a).
2. Zuallererst wurde er sofort wegen seiner „ungezügelten (redseligen, frechen) Zunge“ (2b) bekannt. Bei seiner Weihe (10. April 428) äußerte er tatsächlich jene berühmten und hochmütigen Worte: „Gib mir, o Kaiser, die Erde gereinigt von Häretikern, und ich werde dir als Belohnung das Himmelreich geben. Unterstütze mich bei der Vernichtung der Häretiker und ich werde dich bei der Bezwingung der Perser unterstützen!“ (3a)
Alle, die Häretiker haßten, so macht es Sokrates deutlich, nahmen diese Worte mit Freuden an, den Aufrechten jedoch entging weder die leichtfertige Einstellung, „noch das gewalttätige (zornige, leicht reizbare) Temperament“ (3b) von Nestorius.
3. Am fünften Tag nach seiner Weihe wendete sich Nestorius mit Wut gegen die Arianer (Arius und seine Nachfolger behaupteten, daß der Sohn Gottes nicht mit dem Vater eines Wesens ist und ihm die gleiche Ehre gebührt, sondern nur das erste und vollkommenste Geschöpf Gottes – Anm. Übers.) und versuchte ihre Kirche zu zerstören. In ihrer Verzweiflung steckten die Arianer ihre Kirche in Brand. Das Feuer breitete sich auf die angrenzenden Häuser aus, in der Stadt brach Chaos aus und die Häretiker trafen Vorkehrungen sich zu verteidigen. (4a)
Danach nannte jedermann Nestorius den Aufwiegler (den Brandstifter) „und zwar nicht nur die Häretiker, sondern auch seine eigenen Glaubensbrüder“. (4b)
4. Dann wendete er sich gegen die Novatianer (der römische Presbyter Novatian, nach dem diese Häresie benannt ist, forderte entgegen der Gepflogenheit der Kirche und der Verfügung der Lokalsynoden, daß die bei den Verfolgungen abgefallenen und gewisser Todsünden schuldigen Christen nicht anders in die Kirche wiederaufzunehmen sind, als durch eine Wiederholung der Taufe – Anm. Übers.), „aber die Regierung zügelte seine Rage durch Ermahnungen“. (5a)
5. Als Nächstes verfolgte er rücksichtslos die Quatrodecimaner (Nach dem Konzil von Nikäa wurden jene Arianer so bezeichnet, die Ostern am 14. Tag des Monats Nisan zusammen mit den Juden feierten – Anm. Übers.) und als es zu Konflikten kam, „starben viele Menschen in der Umgebung von Milet und Sardis“. (5b)
6. Danach begann er die Macedonianer (Macedonius verwarf die göttliche Natur des Heiligen Geistes und nannte Ihn ein Geschöpf oder eine Kraft, aber diese Kraft anerkannte er als dem Vater und dem Sohn gleichermaßen untergeordnet – Anm. Übers.) anzugreifen, die er mit Hilfe von Bischof Antonius, der mit ihm eines Sinnes war, übel quälte, woraufhin die Häretiker „nicht länger in der Lage, die grausame Behandlung zu ertagen, Bischof Antonius umbrachten“. (6)
7. Schließlich jedoch, nachdem sich Nestorius in fanatischer und unchristlicher Weise bemüht hatte, andere zu verfolgen, „wurde er selbst aus der Kirche ausgeschlossen“ (7). Als er begann, diejenigen zu unterstützen, die die Allheilige Mutter unseres Erlösers nicht Theotokos (die „Gottesgebärerin“), sondern Christotokos („Christusgebärerin“) oder Anthropotokos („Menschengebärerin“) nannten, und seine Häresie zu verkünden, kam er mit seinen eigenen Gläubigen in Konflikt und wandte seinen Verfolgungseifer gegen sie.
8. Der Klerus, der die Abendmahlsgemeinschaft mit Nestorius aufkündigte, erlitt „was sonst nicht einmal unter den Barbaren geschah“ (8): Verhaftungen, Gefängnis, Exil, öffentliche Bloßstellung, Schläge, Geißelungen, Hunger, etc.
„Sie stellten uns an den Pranger, schlugen uns zu Boden und traten uns, nackt und gefesselt wie wir waren“, erzählten die Opfer, „was Menschen nicht einmal in weltlichen Verhandlungen als Laien hätten erdulden müssen – umsoweniger Archimandriten und Mönche –, erlitten wir gesetzeswidrig in der Kirche von der Hand dieses Missetäters“. (9)
In seinem Mangel an Feingefühl zeigte der Fanatiker Nestorius nicht einmal Respekt für den Allerheiligsten Erzbischof Kyrill von Alexandria, der voller Bangen dem Aufwiegler nahelegte, seine häretischen Ansichten zu korrigieren und „so einen weltweiten Skandal zu Ende zu bringen“. (10)
Nestorius antwortete in sehr unhöflicher Weise, indem er die Bedenken des Heiligen Kyrill als aus „ägyptischen Quellen“ kommend bezeichnete und seine Briefe als „Beleidigungen“ bezeichnete, die die Geduld eines Arztes strapazieren würden, da sie anscheinend mit „verworrener und unverdaulicher Langatmigkeit“ angefüllt zu sein schienen und „Übelkeit“ hervorriefen. (11)
10. Und schließlich wandte sich die Grobheit des erbärmlichen Nestorius gegen die Dritte Heilige Synode, die bei ihrem Zusammentreten in Ephesus im Juni 431 den Hierarchen der Kaiserstadt entsprechend dem gültigen Protokoll herbeirief – dreimal in schriftlicher Form durch bischöfliche Boten und dabei sogar in flehentlichem Ton („wir ersuchen Sie zu kommen“) (12) –, „dieser Heiligen Synode beizuwohnen“. (13)
Nestorius, der in Ephesus war, befahl einem „Soldatentrupp mit Knüppeln“ sich auf der Schwelle seines Wohnsitzes zu postieren und „niemandem von der Synode Einlaß zu gewähren“. (14)
Nestorius ging nicht zur Heiligen Synode. Die Heiligen Väter sprachen ihr Urteil über ihn ‘in Abwesenheit’: „Unter vielen Tränen“ (kursiv vom Autor) erklärten sie, daß „der nämliche Nestorius vom bischöflichen Rang und aller priesterlichen Gemeinschaft auszuschließen sei“. (15)

B. Auf der Grundlage des oben gesagten ist vollkommen klar, daß Nestorius einen sehr schmerzlichen Sturz erlitt, weil er in seiner Haltung gegenüber Häretikern nicht der Tradition der Väter folgte. Er mißachtete in Wort und Tat die kristallklare Lehre seines großen Vorgängers in Konstantinopel, des Allerheiligsten Johannes Chrysostomus, ebenso wie die des anderen Vorgängers, des Heiligen Gregor des Theologen.
1. Obwohl er als der ‘von der goldenen Rede’ sich ausgezeichnet hatte als ein antihäretischer Hirte von ungewöhnlicher Kraft, lehrte oder tat er niemals etwas wie Nestorius, da er die Liebe als die wichtigste Waffe der Orthodoxen gegen Häretiker betrachtete.
Das Ziel unseres Kampfes ist nicht Auslöschung der Häretiker oder die erzwungene Unterwerfung unter die Kirche, denn solche Maßnahmen würden zeigen, daß unser Glaube „nicht durch Liebe verbreitet“ (16) wird. Gemäß dem Heiligen Johannes „ist es nicht alles zu glauben, sondern man muß es auch in Liebe ertragen“. (17)
2. Der Heilige Johannes Goldmund lehrt uns, folgendes nicht zu vergessen, wenn wir uns an diejenigen wenden, die sich im Irrtum befinden:
a) „wir sprechen nicht feindselig, sondern um sie zu korrigieren“, (18)
b) unsere Absicht ist nicht, „unsere Gegner niederzuschlagen, sondern sie aufzurichten, wenn sie gefallen sind“, (19)
c) die Macht unserer Worte „schlägt keine Wunden, sondern heilt Wunden“, (20a)
d) wir sollten „nicht ärgerlich mit ihnen sein oder unseren Zorn zur Schau stellen, sondern wir sollten sanft mit ihnen reden, denn nichts ist wirkungsvoller als Sanftheit und Milde“. (20b)
3. Desgleichen dürfen wir nicht versäumen unsere tiefe Liebe für Häretiker nicht nur in Worten, schriftlich und mündlich, sondern auch in heißem Gebet auszudrücken: „Überlassen wir alles dem Gebet“, sagt der Heilige Johannes Chrysostomus, “je ungläubiger sie sind, desto mehr sollten wir um ihretwillen beten und flehen, so daß sie irgendwann von ihrem Wahnsinn Abstand nehmen... Laßt uns unaufhörlich für sie beten.“ (21)
4. Unsere Beharrlichkeit bei der Aufgabe denjenigen, die sich im Irrtum befinden, Liebe zu erweisen, sollte nie nachlassen, und selbst wenn Häretiker uns beleidigen und uns unmenschlich behandeln, sollten wir nicht zurückweichen, sondern -“weinen“ (22), „klagen“ (23) und „trauern“ (24a) über ihre geistige Krankheit. „Die Klage... ist ein vielfältiges Heilmittel und von großer Wirksamkeit bei der Ermahnung“. (24b)
5. Und eine letzte Versicherung: Wenn Häretiker nicht bereuen, liegt das im Wesentlichen daran, daß die Gläubigen kein „strahlendes Leben“, kein heiligmäßiges Leben, dessen wichtigstes Kennzeichen die Liebe ist, vorleben.
Wenn wir unseren antihäretischen Äußerungen Glaubwürdigkeit verleihen wollen, laßt uns sicherstellen, daß wir uns zuerst und vor allem durch die Praxis unseres orthodoxen Glaubens auszeichnen, deren Abwesenheit nach dem heiligen Johannes Chrysostomus „die vorbildlichen Aspekte unseres Glaubens in Verruf gebracht hat. Dies hat alles durcheinander gebracht“. (25)
6. Einer der die Lehren des Heiligen Johannes Chrysostomus und der Heiligen Väter allgemein in Bezug auf unsere Haltung gegenüber Häretikern absolut wortgetreu weitergegeben hat, war der demütige und duldsame Heilige von Ägina, Nektarius von Pentapolis.
„Dogmatische Differenzen, reduziert auf eine Glaubensangelegenheit, lassen den Aspekt der Liebe unberührt und ungefragt. Das Dogma stellt sich nicht selbst gegen die Liebe... Christliche Liebe ist dauerhaft, und daher kann der verzerrte Glaube der Nicht-Rechtgläubigen unsere Gefühle der Liebe ihnen gegenüber nicht ändern... Glaubensangelegenheiten dürfen in keinster Weise das Gefühl der Liebe verringern“. (26)
Falscher Eifer und ungezügelter Fanatismus sind in unserer Zeit zu einer gewalttätigen und gefährlichen Strömung geworden, die wie des Nestorius Abweichung, selbst wenn sie nicht neue Häresien im Kampf gegen die „Pan-Häresie“ des Ökumenismus entstehen lassen, dennoch ein wirklich anti-ökumenisches Zeugnis unwirksam machen und eine rettende Botschaft entwerten: „... dies hat alles durcheinander gebracht“. „Laßt uns recht stehen – laßt uns mit Furcht stehen!“

Anmerkungen:
1. Patrologia Graeca, Vol. LXVII, col. 808A.
2a,b. Ibid., col. 805A.
3a,b. Ibid., col. 804B.
4a,b. Ibid., col. 804C.
5a.b. Ibid., col. 805A.
6. Ibid., col. 808AB.
7. Ibid., col. 808C.
8. Protokolle der Heiligen Ökumenischen Konzile (griech.), ed. Spyridon Melia Athos: Kalyve der ehrwürdigen Vorläufers, 1981), Vol. I, p. 462b.
9. Ibid., p. 463a.
10. Ibid., p. 436a; s. auch, Patrologia Graeca, Vol. LXXVII, col. 41.
11. Ibid., p. 438a.
12. Ibid., p. 470a.
13. Ibid., p. 469b.
14. Ibid., pp. 470-471.
15. Ibid., p. 490a
16. Gal. 5,6.
17. Patrologia Graeca, Vol. LXI, col. 666.
18. Ibid., Vol. XLVIII, col. 742.
19. Ibid., col. 707.
20a,b. Ibid., col. 708.
21. Ibid., col. 743.
22. Ibid., col. 718.
23. Ibid., Vol. LXI, col. 666.
24a,b, Ibid., col. 661.
25. Ibid., Vol. LX, col. 331.
26. Pastorale Theologie (griech.), S. 192.
(Nach einem Text aus dem Journal „Orthodox Tradition“, Vol. XVI (1999), No. 1, S. 2-5).