Predigt zum 8. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 1:10-18; Mt. 14:14-22) (07.08.2022)
Liebe Brüder und Schwestern,
in der heutigen Apostellesung warnt der Apostel Paulus im Namen des Herrn eindringlich vor Zerwürfnissen aller Art in der Kirche: „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung. Es wurde mir nämlich, meine Brüder, von den Leuten der Chloё berichtet, dass es Zank und Streit unter euch gibt. Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: ´Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas – ich zu Christus`.“ Und dann wendet er sich mit einer rhetorischen Frage an die Gemeinde in Korinth: „Ist den Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?“ (1 Kor. 1:10-13). Wir sehen also, was geschehen kann, wenn das Ich statt das Wir im Vordergrund steht. Ganz anders verhält es sich mit den Menschen, die sich in einer abgelegenen Gegend unweit des Sees Genezareth um den Herrn Jesus Christus zu Tausenden geschart hatten, um Seiner Verkündigung zuzuhören. Am Ende des Tages machten sich die Jünger Sorgen um die vielen Menschen, welche ihrem Meister in diese einsame Gegend zu Fuß nachgegangen waren und nun, ermüdet von den Strapazen, keinerlei Verpflegung bei sich hatten. Doch der Herr zeigt uns zweierlei Dinge: Erstens, dass Seine zuvor geäußerten Worte untrüglich sind, wonach die Sorge um das Himmelreich und dessen Gerechtigkeit über der Sorge um irdische Bedürfnisse zu stehen hat (s. Mt. 6:33; Lk. 12:31); und zweitens, dass der Herr die aufrichtige Opferbereitschaft von Alt bis Jung aus Liebe zu Ihm und zum Nächsten sehr wohlwollend anzunehmen geruht (vgl. Mk. 12:41-44; Lk. 21:1-4 und Joh. 6:9). Aber um so uneigennützig handeln zu können, bedarf es eines starken Glaubens. Dieser Glaube bewirkt nämlich, dass die zwei kleinen Münzen einer armen Witwe gemäß der besagten Gerechtigkeit des Himmelreichs mehr wert sind als die üppigen Opfergaben der wohlbetuchten Spender im Tempel, und dass der selbstlose Verzicht eines kleinen Jungen zugunsten der Gemeinschaft durch Gottes Kraft den Mangel der ganzen Gemeinschaft kompensiert. Wie unendlich weise, gnädig und wunderbar Gott an uns handelt! Nur müssen wir Ihm unsere Bereitschaft im Herzen zeigen, wirklich Seine Mitarbeiter (s. 1 Kor. 3:9) sein zu wollen. Wenn Er diese Bereitschaft bei uns sieht, wird Er doch gerne unsere Bedürfnisse befriedigen und unsere Wünsche erfüllen. „Er hat Seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben – wie sollte Er uns mit Ihm nicht alles schenken?“ (Röm. 8:32). Aber eine Initialzündung sollte schon von uns selbst kommen, damit Gott Seine Gnade in uns und an uns wirksam machen kann.
Wie viele Gespräche habe ich mit Eltern vor oder unmittelbar nach der Taufe ihrer Kinder darüber geführt, dass es zwingend notwendig sei, die Kinder nachher am Leben der Kirche teilnehmen zu lassen. Doch egal wie viel Zeit man sich für sie nimmt, ganz gleich mit welch einer Überzeugungskraft man es ihnen darreicht, auch völlig unbenommen davon, ob man sie mit kostenloser Literatur ausstattet – am Ende hängt alles davon ab, ob die Menschen tatsächlich das Reich Gottes suchen oder ob sie stattdessen nur irdischen Wohlergehen für sich und ihre Lieben anstreben. Das eine ist Glaube, das andere hingegen ist Aberglaube, der seine Wurzeln im Heidentum hat.
Es ist völlig naiv zu glauben, man könne (besonders in der heutigen Zeit!) den diffusen „Glauben“, den man von der Großeltern vererbt bekommen hat, 1:1 an die Kinder bzw. Enkelkinder weitergeben. Bei Begräbnissen solcher Menschen, die sich zwar selbst für gläubig hielten, aber nicht aktiv danach lebten, beobachte ich beim Abschiednehmen nach der Grabniederlegung, dass die älteren Frauen meistens noch ein paar wenige Worte des Gebets um das Seelenheil sprechen, die mittlere Generation sich vielleicht gerade noch zu bekreuzigen weiß, während die Kinder und Jugendlichen überhaupt keinen Glauben mehr haben. Ein „Na ja, vielleicht gibt es da was da oben“ ist für mich kein Glaube, weil vollkommen wertlos vor Gott, sinnentleert für die Betreffenden selbst und im geistlichen Sinne überhaupt nicht zielführend. Dieses Wischi-Waschi hat überhaupt keinen Einfluss auf die äußere Lebensführung, geschweige denn, auf das Seelenleben des Menschen. Wenn Gott nämlich aus Sicht der Betreffenden weiter entfernt als der Mars ist, kommt man eben gar nicht erst auf den Gedanken, Ihn vielleicht in der nächstgelegenen orthodoxen Kirche zu suchen. Gott ist zwar nach wie vor dank Omas Kindheitserzählungen „im Herzen“, aber alles andere im Leben hat Ihm gegenüber Vorrang.
Das Wunder der Speisung der Menschenmassen in der Einöde zeigt uns, dass alle irdischen Probleme mit Gottes Beistand gelöst werden können. Gott kommt auch denen zu Hilfe, die erst sehr, sehr spät – in größter Not – zu Ihm kommen, aber nur, wenn dies aus reinem Herzen, voller Reue und Demut geschieht. Aber noch besser ist es, wenn wir alle Gott gegenüber „in Vorleistung treten“, d.h. Seinen Willen auch dann erfüllen, wenn sich kein sofort erkennbarer irdischer Vorteil absehen lässt bzw. wenn uns keine ausweglose Situation nach einem allerletzten Rettungsanker dazu veranlasst. Gott will uns stets das Notwendige zum Leben geben (s. Mt. 6:32; Lk. 12:30). Notfalls ist Er sogar bereit, uns aus dem ärgsten selbstverschuldeten Schlamassel herauszuholen. Aber noch viel mehr will Gott, dass wir uns von uns aus nach den himmlischen Gütern sehen und diese im vollkommenen Glauben an die Mildherzigkeit Gottes anstreben. Im Sinne des eingangs Gesagten heißt das: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ (Eph. 4:2-3). Amen.