Predigt zum Sonntag der Samariterin (13.05.2012) (Apg 11, 19-26, 29-30. Joh 4, 5-42)

Christus ist auferstanden!


Liebe Brüder und Schwestern,

der heutige Evangeliumstext (Jh. 4: 5-42) erzählt uns von der Begegnung unseres Herrn mit der Samariterin am Brunnen Jakobs nahe der Stadt Sychar. Zugleich fällt der heutige Tag auf das Nachfest von Mitpfingsten. Zusammen mit dem vorherigen Sonntag (vom Gelähmten) und dem nächsten Sonntag (vom Blindgeborenen) sollen uns diese Tage mit ihren dazugehörenden Lesungen auf das nun näherrückende Pfingstfest einstimmen. Die 50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten sind ja quasi eine geistliche Remineszenz an den Beginn der langen Reise des Volkes Israel durch die Wüste: nach der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft im Schilfmeer (s. Exod. Kap. 14: das Urbild für Ostern) besteigt Moses den Berg Sinai, um die Gesetzestafeln entgegenzunehmen (s. Exod. Kap. 19, 20: das Urbild für Pfingsten). Dazwischen liegt Massa und Meriba („Probe und Streit“) - das wundersame Entspringen der Wasserquelle am Berg Horeb durch den Stab Moses (s. Exod. 17: 1-7).

Es ist nicht schwer zu erraten, dass das Wasser hier als Sinnbild für die lebenspendende Gnade des Heiligen Geistes steht, der zu Pfingsten, - also 50 Tage nach der Auferstehung, auf die erste Gemeinde in Jerusalem herabgesandt wurde. Der Teich am Schaftor in Jerusalem (s. Jh. 5: 1-18), der Heilkraft gegen alle Krankheiten besaß; unser heutiges Gespräch am Brunnen mit der Samariterin über das „lebendige Wasser“ (s. Jh. 4: 10, 11); die Heilung des Blinden mittels der Waschung im Teich Schiloach (s. Jh. Kap. 9); das Auftreten im Tempel zur Mitte (Jh. 7: 14-30) und zum Abschluß des Laubhüttenfestes mit den Worten: „Wer Durst hat, komme zu Mir, und es trinke, wer an Mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ (Jh. 7: 37, 38). Der Evangelist Johannes, der als Einziger von diesen wundersamen Ereignissen berichtet, gibt uns gleich unumwunden zu verstehen, dass damit explizit der Heilige Geist gemeint ist, „den alle empfangen sollten, die an Christus glauben“ (7: 39).

Somit schafft der Evangelist Johannes einen einzigartigen Zyklus, der uns die Notwendigkeit der Inspiration durch den Heiligen Geist für unser Leben vor Augen führen soll. So auch im Gespräch des Herrn mit der Samariterin, dem wir uns gleich zuwenden werden.

Zunächst aber noch dies: an vielen anderen Stellen des Neuen Testamentes prangert der Herr die Besessenheit der Juden bei der buchstabengetreuen Befolgung des Gesetzes an. Ganz bewusst heilt er Kranke am Sabbat, um den peniblen Rigorismus der Pharisäer bloßzustellen. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen finden wir ebenfalls im Johannesevangelium, als es um die vom Gesetz vorgeschriebene Steinigung der Ehebrecherin geht (8: 1-12). Die Lehre, die wir aus diesen Beispielen ziehen ist: die buchstäbliche Auslegung macht das Gesetz zu einem toten Gebilde, das einzig aus der Liebe Gottes seine heiligende Kraft bezieht. Die Liebe steht über allem. Gewiss, Gott drohte die Steinigung für Ehebruch an, aber nur, um den Menschen vor dem Verderben zu bewahren (auch das ist Liebe!), denn Sein Ziel war und ist ja nicht die Vernichtung des Menschen, sondern dessen Errettung. Das ist es wohl, was der Herr den Pharisäern und Schriftgelehrten, aber auch uns, mitteilen will.

Nun zurück zum Jakobsbrunnen, der nicht in Judäa, sondern in Samarien liegt. Wir befinden uns kurz vor unserem Ziel – Pfingsten. Das Alte Testament – dafür stand der Berg Sinai mit seinen zahlreichen Geboten und noch zahlreicheren Verboten – wird nun bald endgültig abgelöst vom Neuen Testament, das uns ermöglicht, Gott „im Geist und in der Wahrheit“ (Jh. 4: 23, 24) anzubeten. Nun werden wir mit dem Apostel Paulus rufen können: „Der Herr aber ist Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor. 3: 17).

Aber, Moment mal, wie ist das denn mit der Freiheit? … Wohin zügellose Freiheit führt, das sehen wir heute an der Samariterin (die Bemerkung sei hier gestattet, dass die Samariter zwar auch das Gesetz des Mose anerkannten, sich aber wohl offenbar nicht so streng daran hielten wie die Juden). Beispiel gefällig? - Eine Frau, die fünf Ehemänner gehabt hat, was symbolisch für die seelische und körperliche Verkommenheit (der fünf Sinne!) steht. Ihr Beispiel soll allen eine Lehre sein, dass nicht nur eine extrem beengte selbstgerechte Herangehensweise der Pharisäer, sondern auch eine allzu breite Sichtweise der Sünder Verderben bringt.

Gibt es da keinen goldenen Mittelweg? - Doch, den gibt es.

Denn wir wissen: „Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir“ (1 Kor. 6: 12). Aber wo ist das Kriterium, das mir den Sinn der Freiheit offenbart? Mit anderen Worten: wie kann ich frei sein und Nutzen haben? - Die Antwort: „Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich“ (1. Kor. 6: 12). Wenn wir von der Gnade Gottes beseelt sind, werden wir nicht unterjocht, sondern die Salbung mit dem Heiligen Geist lehrt uns zu erkennen, was „wahr und keine Lüge ist“ (1 Joh. 2: 26).

Es hängt also auch etwas von uns ab. Das ist ja gerade die Freiheit der Kinder Gottes (Kinder, und keine Knechte!). Frei ist der, der herrscht. Ein Sklave ist der, der beherrscht wird – von Neid, von Zorn, von Hass, von Eigenliebe, von Wollust etc.. Jemand, der seine Sinne, sein Gemüt, seine Begierden nicht kontrolliert ist ein Sklave dieser Leidenschaften, die „Macht haben“ (s. 1. Kor. 6: 12) über ihn.

Noch sind wir alle nicht soweit, um die volle Freiheit für uns in Anspruch nehmen zu können, denn schließlich sind wir ja noch Kinder (Gottes). Freiheit bedeutet ja immer, die Wahl zu haben. Und wählen zu dürfen ist immer mit Verantwortung verbunden. Die Kirche bietet uns mit ihren Regelungen und Empfehlungen einen Kompass, der uns hilft, die richtige Entscheidung in unserem Leben zu treffen. Einen Kompass, und keine Zwangsjacke! Ein Kompass ist auch dazu da, notfalls einen Kurswechsel zu vollziehen – wie die Samariterin es tut, die nun ihrerseits zu einer Verkünderin des Lichtes wird und von der Kirche als heilige Photini (Svetlana) verehrt wird.

Wollen wir also Kinder Gottes sein? - Dann lasst uns gemeinsam die Erlangung der Gnade Gottes anstreben. Lasst uns zunächst Enthaltsamkeit üben in schlechten, Verderben bringenden Dingen. Und lasst uns daraufhin die Gaben des Heiligen Geistes in den Mysterien der Kirche empfangen, - Gaben, die uns infolge des Pfingstereignisses im Übermaß zuteil werden.

Amen.

Jahr:
2012
Orignalsprache:
Deutsch