Predigt zum 25. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 4:1-6; Lk. 10:25-37) (26.11.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
die beiden uns heute angebotenen Lesungen sind wie zwei Seiten einer Medaille – sie zeigen uns den Weg des Heils a) durch die vollkommene Einmütigkeit im Glauben innerhalb des Leibes Christi sowie b) durch die tätige Nächstenliebe über jegliche konfessionellen, ethnischen und politischen Grenzen hinweg.
Wenden wir uns zuerst der Lesung aus dem Epheserbrief zu. Der im Gefängnis sitzende Apostel ermahnt die Gemeinde in Ephesos, „ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an sie erging“. Und er fährt fort: „Seid demütig, friedlich und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, Der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph. 4:1-5).
Wenn ich diese Worte auf die prekäre Lage der orthodoxen Kirche in der Wiege des russischen Christentums projiziere, dann kann ich denen, die immer noch nicht den Unterschied zwischen der Kirche Christi und der „Versammlung der Übeltäter“ (Ps. 25:5) begriffen haben, nur noch nahelegen, sich anhand dieser Worte zu vergewissern, wessen Repräsentanten demütig, friedlich und geduldig sind, einander in Liebe ertragen und bemüht sind, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der sie zusammenhält, und wessen Vertreter dagegen „unnützer Ratsversammlung“ (Ps.25:4) angehören. Sie werden dann ohne Mühe selbst feststellen können, auf welcher Seite Gott „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh. 4:23,24) angebetet wird, und welche Gruppierung die Liebe zu Gott nicht in sich hat (s. Joh. 5:42). Um zu verdeutlichen, wer hinter der von der Regierung gestützten „Kirche“ steht, möchte ich auf folgende Gegebenheit verweisen: Michael Pence, Vizepräsident der USA von 2017 bis 2021 und Kandidat für das Präsidentenamt 2024 gab ein Interview, nachdem er aus Kiew zurückgekommen war. Pence konvertierte übrigens vom römisch-katholischen Glauben zum Protestantismus evangelikaler Prägung und geriert sich heute als Protagonist der konservativen Christen in den USA, deren Wählerstimmen meist den Ausschlag über die nächste Präsidentschaft geben. Darauf angesprochen, ob er denn mit dem Präsidenten dort über die massiven Verfolgungen der größten Konfession des Landes gesprochen habe, bejahte er dieses und erklärte, der Präsident habe ihm versichert, dass es in seinem Lande keine Kirchenverfolgungen gebe (a-ha!). Außerdem habe Pence mit dem „Oberhaupt der Orthodoxen Kirche in der Ukraine“ (= Sergej Dumenko, alias „Metropolit Epifanij“) gesprochen, der ihm ebenfalls glaubhaft versicherte, dass es im ganzen Lande keinerlei Feindseligkeiten gegen die Kirche gebe…
Wenn wir das globale politische Geschehen auf unsere Gemeinden in der Diaspora übertragen, sehen wir, dass ukrainische Staatsbürger, die bei uns in Westeuropa die Mehrheit der Gottesdienstbesucher ausmachen, von ihren nationalistisch gesinnten Landsleuten dafür angefeindet werden, dass sie sich weigern, ihre Brüder und Schwestern eines Glaubens, die mit ihnen vor tausend Jahren eine Taufe (s. Eph. 4:5) erhalten hatten, zu hassen.
Seit dem 24. Februar 2022 tun wir in unseren Gemeinden das, was wir ohnehin immer getan haben. Wir äußern uns nicht zu politischen Vorgängen, und noch viel weniger wollen wir den Glauben für politische Zwecke instrumentalisieren. Für uns zählt: Wir sind ein Leib und ein Geist, und wir sind (unabhängig von der politischen Konjunktur) stets bemüht, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der uns zusammenhält. Es ist der Herr Jesus Christus Selbst, Der die Trennmauern der Feindschaft durchbrach, „Denn Er ist unser Friede. Er vereinigte uns alle und riss durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder (...) Er stiftete Frieden und versöhnte uns alle miteinander durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in Seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden“ (Eph. 2:14,15c-17a). Wollen wir das durch Hasstiraden aufs Spiel setzen? „Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod Seines Sohnes, als wir noch (Gottes) Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch Sein Leben. Mehr noch, wir rühmen uns Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn, durch Den wir jetzt schon die Versöhnung empfangen haben“ (Röm. 5:10-11)...
Jeder muss erkennen, dass es in der Wiege des russischen Christentums eine Kirche gibt, welche die Menschen vereint bzw. versöhnt, und seit neuestem auch eine „Kirche“, welche die Menschen spaltet und nur nationalistischen Hass sät. Man müsste eigentlich meinen, dass auf dem europäischen Kontinent kein Platz für solches Gedankengut sein dürfte.
Das Fazit des heutigen Tages ergibt sich demnach aus der allegorischen Deutung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter, welcher, anders als der Priester und der Levit, dem Leidenden zu Hilfe kam. Bezugnehmend auf die abschließende Frage unseres Herrn: „Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von der Räubern überfallen wurde?“ (Lk. 10:36), erwarten wir die Antwort, welche relevant für unser aller Seelenheil ist. Einzig und allein die Kirche Christi, in der wir alle, ungeachtet unserer Sprache, Kultur, Hautfarbe etc. ein Leib und ein Geist sind, weist uns den Weg in das „ewige Leben“, denn durch den „barmherzigen Samariter“ Jesus Christus haben wir „Zugang zum Vater“ (Eph. 2:18). Er ist das Maß aller Dinge, denn Er ist die Liebe. Durch Ihn erlangen wir das ewige Leben (s. Lk. 10:25b). Und für den, welcher dies Beispiel unseres Herrn vor Augen hat, gelten ab jetzt die Worte: „Dann geh und handle genauso!“ (Lk. 10:37c). Amen.