Predigt zum 5. Herrentag nach Ostern / von der Samariterin (Apg. 11:19-26,29-30; Joh. 4:5-42) (30.05.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Gespräch unseres Herrn mit der Samariterin am Jakobsbrunnen bei Sychar reiht sich ein in die Folge der Lesungen, die uns auf das bevorstehende Pfingstfest vorbereiten. Pfingsten wurde im Alten Bund fünfzig Tage nach dem Einbringen der Ernte (s. Lev. 23:9-14) gefeiert. Es wurde auch Wochenfest genannt, weil es in der „Sabbatwoche“, also der siebten Woche nach dem Erntedankfest begangen werden sollte (s. Lev. 23:15-22; vgl. Ex. 23:16).
Wenn im Alten Bund Speise- und Trankopfer im Tempel dargebracht werden sollten, erwartet Gott im Neuen Bund geistliche Opfer von uns. Er spricht zu der Frau: „Wer von dem Wasser trinkt, das Ich ihm gegen werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das Ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh. 4:14; vgl. 7:37-39). Wir sollen folglich selbst Tempel Gottes sein (s. 1 Kor. 6:19).
Das Gesetz diente zur Vorbereitung des vollkommenen „geistlichen Gesetzes“, nämlich dem der Gnade im Neuen Testament (s. 1 Kor. 5:8). Die im Gesetz des Mose enthaltenen 613 Gebote und Verbote (Mitzwot) waren im Talmud als einer Art Katalog der Rechtsordnung zusammengefasst und sollten die Gerechtigkeit vor Gott garantieren. Das entsprach zur Gänze der Gedankenwelt der Schriftgelehrten, Pharisäer und Sadduzäer (s. Mt. 16:6-12; Mk. 8:14-21; Lk. 12:1). Unser Herr Jesus Christus wandte Sich jedoch stets gegen diese legalistische und pedantische Auslegung des Gesetzes (s. Mt. 15:1-20; Mk. 7:1-23). Er kam aber nicht, um das Gesetz und die Propheten abzuschaffen, sondern, um sie zu erfüllen (s. Mt. 5:17). Erfüllen kann man aber auf zweierlei Art. Erstens, indem man alles im Gesetz Vorgeschriebene pflichtbewusst befolgt – das tat der Herr von frühester Kindheit an (s. Lk. 2:21-24), – und zweitens, indem man es vervollkommnet, auf eine höhere Stufe stellt, seiner endgültigen, von Gott vorgesehenen Bestimmung zuführt. So erfüllte sich alles, „was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen“ über Ihn gesagt war (Lk. 24:44; vgl. 24:27). Und so sind wir nun imstande, Gott „im Geist und in der Wahrheit“ anzubeten (Joh. 4:23,24). Wer heute meint, er müsse als Christ „Dienst nach Vorschrift leisten“, der lässt sich „von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen“ (Gal. 5:1) und ist so „aus der Gnade herausgefallen“, denn wer nur durch äußere Befolgung von Richtlinien Gott gefallen will, der hat „mit Christus nichts mehr zu tun“ (Gal. 5:4). Es ist heute demnach für einen aus Wasser und Geist Geborenen (s. Joh. 3:3-8) nicht ausreichend, mechanisch „die zehn Gebote zu erfüllen“ (aber wer, bitteschön, erfüllt sie denn heute?!), sondern seiner Berufung entsprechend soll er nach den Geboten des Geistes leben (s. z.B. Mt. 5:3-12; Lk. 6:20-23). „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist“ (Joh. 3:6; vgl. Gal. 5:13-26). Nur darum geht es dem Herrn: dass wir Früchte des Geistes erbringen: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal. 5:22-23). Das ist die „Ernte“, die wir erbringen sollen. Der Herr spricht: „Sagt ihr nicht: Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte? Ich aber sage euch: Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte. Schon empfängt der Schnitter Seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, so dass sich der Schnitter und der Sämann gemeinsam freuen. Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät, und ein anderer erntet. Ich habe euch gesandt, zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit“ (Joh. 4:35-38).
Gerade hatte der Herr zu Beginn Seines Erlösungswerks die ersten Jünger um Sich geschart und war mit Seiner Mutter, Seinen Brüdern und Seinen Jüngern nach Galiläa gezogen und hatte Sich in Kafarnaum niedergelassen (s. Joh. 1:43; 2:1-12). Zum ersten Pessachfest während Seiner Mission begab Er Sich erneut nach Jerusalem, wo Er erstmals die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieb. Auf dem Weg wieder zurück nach Galiläa kam Er nach Samaria, wo Er der Frau am Brunnen begegnete. Was sich hier nun in Sychar ereignet, dient als Wegweisung für die gesamte Mission Christi auf Erden. Denn in Jerusalem, der Hauptstadt der Juden, hatte Er Sich da (noch) nicht als der Messias zu erkennen gegeben – erst später, bei Seinem nächsten Aufenthalt in Jerusalem offenbarte Er Sich als Sohn Gottes (s. Joh. 5:1ff)*). Doch den Samaritern gewährt Er diese heilbringende Erkenntnis bereits jetzt, noch vor den Juden. Sie erkennen schon in dieser frühen Phase des Heilwerkes Christi: „Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh. 4:42), gekommen, alle Völker zu retten. Und Seine Rede an die Jünger in dem Augenblick, als die von der Frau herbeigerufenen Bewohner der Stadt zusammenströmten, handelt eben davon: Seine Speise ist es, den Willen Dessen zu tun, Der Ihn gesandt hat, um Sein Werk zu Ende zu führen (s. Joh. 4:34), – nämlich alle Völker zum Heil zu führen. Stadtmenschen trugen für gewöhnlich weiße Kleidung, weshalb der Herr von „weißen Feldern“, die „reif zur Ernte“ sind, spricht. Der Vater ist der „Sämann“, der „Schnitter“ ist Sein Sohn, Die Sich nun gemeinsam über die Ernte freuen. Die Aposteln werden nun bald ausgesandt, diese Ernte einzufahren, für die sich andere bemüht haben – die Patriarchen, Propheten und alle Heiligen des Alten Testamentes.
Auch von uns erwartet der Herr nun entsprechende Früchte: dass wir ständig bemüht sind, Seinen Willen zu tun, und Ihn nicht bedrängen, doch bitte unseren Willen zu erfüllen. Wenn wir das lernen, werden auch wir als Jünger Christi beim Einsammeln der Früchte für das Reich Gottes vertreten sein. Amen.
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*) Lt. hl. Johannes Chrysostomos handelte es sich bei dem „Fest der Juden“ um Pfingsten.
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2021
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