Predigt zum 12. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 15:1-11; Mt. 19:16-26) (27.08.2023)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

heute hörten wir von dem Gespräch unseres Herrn mit einen Mann aus der Elite des Volkes. Palästina war zu Zeiten des Wirkens unseres Herrn Jesus Christus römische Provinz, war politisch also nicht unabhängig. Meist waren die Tetrarchen (Vierfürsten) aus Rom entsandte, in kulturellen und religiösen Fragen völlig unbedarfte Statthalter (z.B. Quirinius, Lysanias, Pontius Pilatus, Felix, Porcius Festus) oder willfährige, von den Fremdherrschern assimilierte einheimische Kollaborateure (z.B. Herodes der Große, Archelaus, Herodes Antipas, sein Bruder Philippus, König Agrippa). Dabei gewährten die Römer den unterworfenen Völkern weitgehende kulturelle Autonomie, so dass in Israel bis zur Vernichtung des jüdischen Staatswesens unter Titus im Jahre 70 n. Chr. neben der politischen Führungsklasse auch eine religiöse Oberschicht existierte, deren Vertreter im Sanhedrin („Hoher Rat“, bestehend aus den Fraktionen der Pharisäer und Sadduzäer) die geistlichen Geschicke des Volkes bestimmten. Müßig zu erwähnen, dass die Vertreter sowohl der weltlichen als auch der geistlichen Führungsriege im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung gesellschaftlich bessergestellt waren. Zu der religiösen Oberschicht, deren Vertreter in der Regel hochgebildet und sehr wohlhabend waren, gehörte auch unser heutiger Fragesteller. Die geistliche Führungsschicht der Juden konnte unter römischer Herrschaft zwar nicht nach politischer Macht streben, wohl aber nach gesellschaftlichem Ansehen und, damit verbunden, auch nach materiellen Vorteilen. All das genoss der Mann, der unserem Herrn durchaus ehrerbietig begegnet (s. Mk. 10:17) und welcher trotz seiner jungen Jahre eine führende soziale Stellung einnahm (s. Lk. 18:18). Er lebte fromm und hatte das ernsthafte Bestreben, das ewige Leben zu erlangen. Im Verlauf der Konversation eröffnet ihm nun der Herr, dass Er der Messias, und nicht bloß ein Gesetzeslehrer ist, für den Ihn die Leute halten und wie dies die Anrede („Guter Meister“) und die Art der Fragestellung impliziert. Zunächst geht Christus aber noch auf die Gesprächsführung des jungen Mannes ein und weist diesem als vermeintlicher „Meister“ (hebr. Rabbi) auf die Gebote, durch deren Einhaltung er das Leben erlangen wird (s. Mt. 19:17; vgl. Dtn. 8:1; 16:20). Vereinfacht formuliert, bedient Sich unser Herr zunächst noch der althergebrachten Denkmuster des Alten Bundes, zählt einige der elementarsten Gebote auf (s. Mt. 19:18-19), die für jeden anständigen Menschen eine pure Selbstverständlichkeit darstellen, womit Er die erwartete Reaktion Seines Gesprächspartners hervorruft: „Alle diese Gebote habe ich befolgt. Was fehlt mir jetzt noch?“ (19:20). Ein eindeutiger Irrtum, denn niemand ist gerecht vor Gott (s. Ps. 13:1-3; Koh. 7:20; Röm. 3:20, Gal. 2:16)! Der Herr entlarvt darauf in sehr sanfter und liebevoller Weise die Verirrungen, welche die überwiegende Mehrheit auch der heutigen Christen begeht, nämlich zu meinen, dass man Gott gegenüber „die Norm“ erfüllen kann (der abendländische Ablasshandel baut darauf auf, dass Heilige sogar einen Vorrat an guten Werken angehäuft haben, von dem sie den Sündern etwas abgeben und diese dadurch von Qualen im Fegefeuer befreien können). In den gesammelten Werken des hl. Bischofs Ignatij (Briantchaninov, +1867) lesen wir aus dessen Korrespondenz mit einer weltlichen Dame, wie diese darüber klagt, dass sie sich jedes Mal gewissenhaft durch Beten, Fasten und Beichte auf die Heilige Kommunion vorbereitet, aber keine „Belohnung“ in Form von irgendwelchen wahrnehmbaren spirituellen Empfindungen erhält. Der hl. Ignatij weist sie darauf hin, dass ihre enttäuschte Hoffnung auf der fälschlichen Annahme gründet, man könne durch rituelle Frömmigkeit mit Gott „abrechnen“, also mit Ihm „quitt sein“. Diese Vorstellung aber ist absurd, um nicht zu sagen gotteslästerlich (vgl. Mt. 18:23-35)! Sie zeugt von einem totalen Unverständnis der geistlichen Realität, vom absoluten Nichtvorhandensein auch nur der grundlegendsten Erkenntnis unseres Zustandes vor Gott. Die vorliegende Erzählung zeigt uns, wie wichtig es aber ist, Gott wahrhaft zu preisen, d.h. im wahrsten Sinne des Wortes orthodox zu sein! Für dieses rechte Verständnis (zu dem kein Mensch in dessen ganzer Fülle fähig ist) bedarf es jedoch der demütigen Selbsterkenntnis unserer vollkommenen Unwürdigkeit vor Gott. Anerkennung, Dank oder eine Vergütung dafür, dass wir uns redlich bemühen, Gott unsere Huld zu erweisen, sollen wir nicht erwarten (s. Lk. 17:7-10). Gott weiß aber Selber, ob, wann und wie Er uns Seine Gnade schenkt (s. Röm. 9:16). 

Wenn wir uns wieder unserem reichen Jüngling aus der heutigen Perikope des Evangeliums zuwenden, müssen wir einen weiteren kapitalen Irrtum in seiner zwar aufrichtigen, aber fehlerhaften Denkweise feststellen. Als der Herr „die Probe aufs Exempel“ macht und ihm anbietet, sich all seiner Besitztümer zu entledigen und Ihm nachzufolgen, damit er sich einen unvergleichlich höheren Schatz im Himmel erwerben kann, zeigt sich, dass der fromme junge Mann noch nicht dazu bereit ist, das zeitlich begrenzte irdische Wohlergehen gegen niemals endende himmlische Seligkeit einzutauschen (s. Mt. 19:21-22). Das aber ist ein untrügliches Indiz dafür, dass es ihm am Glauben fehlt. Im Grunde straft er sein vorgebliches Streben nach dem ewigen Leben Lügen. Sein Kardinalfehler bestand in diesem konkreten Fall darin, dass er den materiellen Reichtum als seinen, ihm zustehenden Besitz ansah. Nach Deutung der heiligen Väter sind Vermögende aber nur Treuhänder der irdischen Güter, die sie im Auftrag Gottes zum Nutzen ihrer minderbemittelten Brüder und Schwestern einsetzen sollen. Und jeder hat von Gott diverse materielle oder immaterielle Gaben erhalten, die er zum Wohle Bedürftiger einsetzen kann. So können auch wir uns bleibende Schätze im Himmel erwerben (s. Mt. 6:19-21; Lk. 12:33-34). Amen.  

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch

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