Verschiedenes 1993
1993 - 1
Sendschreiben an die gottesfürchtigen Gläubigen der Deutschen Diözese
Im Herrn geliebte Brüder und Schwestern, Kinder der Deutschen Diözese!
Die Sowjetmacht hat scheinbar ihre äußere Existenz beendet, doch das von ihr ausgesäte Böse lebt weiter. Angesichts der in Rußland in den letzten drei Jahren erfolgten Veränderungen hatten wir auf die Möglichkeit der Heilung der frühreren Wunden und Risse in der einen Wahrheit Gottes, auf das Zusammenwachsen in Christus gehofft. Unsere Diözese ließ keine Möglichkeit und Gelegenheit zum ernsthaften Dialog ungenutzt verstreichen. Vertreter unserer Diözese nahmen wiederholt aktiv an Gesprächen mit Vertretern des Moskauer Patriarchats teil. In der Bereitschaft, den Dialog in Zukunft weiterzuentwickeln, gingen wir bis zur äußersten Grenze dessen, was von unserem Bischofskonzil zugelassen wurde. Das Moskauer Patriarchat äußerte in Worten die Bereitschaft zum Dialog, schuf in der Tat jedoch von höchster Ebene aus Hindernisse zu seiner Vertiefung. Jetzt sehen nicht nur wir mit Schmerzen, sondern auch allen muß klar sein, daß es eben das Moskauer Patriarchat ist, welches immer wieder neue Barrieren errichtet, Gesetzlosigkeit an Gesetzlosigkeit reiht, zu alten Lügen neue Lügen und Täuschungen hinzufügt.
Unser Herr sagt: “Amen, amen sage Ich euch, wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und Räuber” (Jo. 10, 1). Auf dem Territorium unserer Diözese ist soeben ein Vertreter des Moskauer Patriarchats erschienen, welcher wahrhaft “nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern anderswo einsteigt”, vor der Welt falsches Zeugnis ablegt, indem er sich unseren Titel des “Bischofs von Berlin und Deutschland” anmaßt. Aus diesem Grund bin ich gezwungen, Sie zu äußerster Wachsamkeit in allen Angelegenheiten aufzurufen, die in irgendeiner Weise mit der Kirche zu tun haben. “So sehet nun wohl zu, wie ihr wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise” (Eph. 5,15).Von Menschen, die bei dem Versuch, sich unsere Kirchen in Baden-Baden oder Dresden anzueignen, selbst vor grober Täuschung nicht zurückschreckten*, müssen wir leider jeden beliebigen Schritt in derselben Richtung erwarten. Ihnen ist es offensichtlich gleich, daß sie durch ihre Täuschungsmanöver den Namen der Kirche vor der gesamten Welt besudeln.
Das Moskauer Patriarchat demonstriert seine Entschlossenheit, die Macht über die Kirche auch weiterhin zu usurpieren, indem es sich das Recht nimmt, im Namen der Russischen Orthodoxen Kirche zu sprechen. Dabei lebt es weder auf dem Sowjetterritorium noch erst recht in Deutschland in der ungebrochenen historischen Tradition von Gemeinden der Russischen Kirche, die gerade die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland seit der Revolution innehat und die bereits im Jahre 1926 zur Bildung einer Russischen Diözese von Berlin und Deutschland im Verband der Russischen Auslandskirche führte. Als freier Teil der Russischen Gesamtkirche hat die letztere in der ganzen Welt die Rechte und Aufgaben der Russischen Orthodoxen Kirche fortgeführt und das Gewissen der Weltöffentlichkeit wachgehalten für die barbarische und heimtückische Verfolgung des russisch-orthodoxen Glaubens durch das Sowjetregime bis in die allerjüngste Vergangenheit.
Demgegenüber ist das Moskauer Patriarchat - in seiner jetzigen Form und in der Tradition, in der es verwaltet wird - die Frucht eines gewaltigen Umbruchs: über 200 Bischöfe (darunter die rechtmäßigen Ersthierarchen) und Zehntausende von Priestern der Russischen Kirche wurden vernichtet, um - erst eine “Loyalitätsdeklaration” (1927) und nach 1943 aus den vier “loyalen” im Amt belassenen Bischöfen ein Moskauer Patriarchat entstehen zu lassen, das der Russischen Kirche als Verwaltung aufgezwungen, außenpolitisch zweckbestimmt in der ganzen Welt eingesetzt wurde. Erst mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen etablierte sich das Moskauer Patriarchat im Ostteil Deutschlands und in Berlin, in Westdeutschland folgte später die Neugründung einer unbedeutenden Zahl von Gemeinden.
Anstelle eines aufgrund dieser Tatsachen und der derzeitigen politischen Gegebenheiten möglichen Aufeinanderzugehens setzt das Moskauer Patriarchat seine Kraft mit offenkundig machtpolitischer Zielsetzung weiterhin gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland ein.
Wie leid uns das auch tun mag - so müssen wir uns doch darüber im Klaren sein, daß dort, wo in der äußeren Handlungsweise Lüge herrscht, gerade im geistlichen Leben keine Wahrheit Platz haben kann. Und wo die Wahrheit nicht ist, kann es auch keine Rettung geben. Diese Täuschung zeigt nur ein weiteres Mal, daß das Moskauer Patriarchat noch nicht imstande ist, in die Traditionen der Russischen Kirche hineinzuwachsen, welche wir nicht durch unsere Verdienste, sondern ausschließlich durch die Barmherzigkeit Gottes von unseren Vätern im Glauben geerbt haben. Das Moskauer Patriarchat, welches man nicht leichtfertig (nach Stalins Vorlage) mit der Russischen Kirche identifizieren kann, besitzt weder kanonisch noch geistlich oder gar moralisch klare Grundlagen. Deshalb versuchen seine Vertreter, sich mit unserem Namen zu schmükken. 70 Jahre lang hat es sich mit der Lüge verbunden. Am Ruder der kirchlichen Macht befinden sich immer noch die gleichen Bischöfe, die noch vor wenigen Jahren behaupteten, daß es in Rußland oder der Sowjetunion keine Kirchenverfolgung gegeben habe, und jetzt künden sie plötzlich von ihrem angeblichen Bekennertum.So wandte der inzwischen laisierte Filaret von Kiev ohne Umschweife und Zögern auf sich das Bild des vielleidenden Hiob an, doch noch gestern war er der Patriarchatsverweser und einer von drei Kandidaten für das Amt des Patriarchen. Anstatt sich von der früheren Lüge loszusagen, fügen sie zu der früheren Lüge neue Täuschung hinzu.
Ich rufe Sie auf, liebe Brüder und Schwestern, auf keiner Ebene auf diese Lüge zu hören und sich weder mit ”Dieben und Räubern” einzulassen noch mit den ”Kleinen”, die von ihnen getäuscht wurden. Der Weg unserer Kirche war immer eindeutig und geradlinig. Auf dem Weg Christi müssen wir auch bleiben – im Vertrauen darauf, daß die Klarheit und das Licht auch die verirrten Schafe anziehen werde. Uns stehen offensichtlich neue Versuchungen und Schmerzen bevor.
Wir beten zum Allerhöchsten Herrn, daß Er auch die Führung des Moskauer Patriarchats zur Vernunft bringen und der Wahrheit zum Sieg über die Lüge und alles übrige Böse verhelfen möge. Wir hoffen auf den Tag, an dem sich die Russische Kirche von den Fesseln befreit, die ihr von den gottlosen Machthabern auferlegt wurden. Wir wissen, daß es in Rußland unter dem gläubigen Volk und den ehrlichen Hirten viele und aberviele vernünftige und wirklich kirchlich denkende Menschen gibt, die mit der Handlungsweise derer nicht einverstanden sind, die weiterhin den Weg der List beschreiten.Wir hoffen, daß die Treue dieser orthodoxen Menschen zu Gott im weiteren Prozeß der Befreiung der Russischen Kirche den Weg zu einem wahren Allrussischen Konzil eröffnet, auf dem die Vergangenheit überwunden und eine reine Grundlage für die Erneuerung des Lebens unserer einen leidgeprüften Kirche gelegt werden kann. Amen.
MARK, Erzbischof von Berlin und Deutschland
In der Woche der Fleischentsagung 1993
Anmerkung:
*Das Moskauer Patriarchat hat ganz aktuell in den neuen Bundesländern, in Sachsen, versucht, die Kirche in Dresden durch Täuschung an sich zu reißen, wobei der Verweis auf eine Namensänderung (und die entstandene Namensähnlichkeit) zu einer Grundbuchfälschung genutzt wurde. Zwar schlug zuvor ein ähnlicher Täuschungsversuch in Baden-Baden fehl, doch ging dort wertvolles Kirchengut und zugleich deutsches Kulturgut verloren, da es durch das Moskauer Patriarchat dem damaligen Sowjetstaat übereignet wurde. Daran kann auch ein Gerichtsbeschluß zugunsten der Russischen-Orthodoxen Kirche im Ausland nichts mehr ändern“ (Stellungnahme vom 21.01.93).
Ein neues Wort zum Schisma?
Wie aus dem vorangegangenen Sendschreiben ersichtlich, müssen wir mit Bedauern feststellen, daß das Moskauer Patriarchat einen neuen Schritt zur Vertiefung des Grabens zwischen den zwei Teilen der Russischen Orthodoxen Kirche unternommen hat. Zugleich lesen wir aber in der Zeitung “Sovetskaja Rossija” folgende Worte eines Mitglieds der Synode des Moskauer Patriarchats, des Metropoliten von St.-Petersburg und der Ladoga, Johannes, die Anlaß geben anzunehmen, daß nicht alle mit dem Konfrontationskurs des Patriarchats einverstanden sind. Die Worte klingen durchdacht und vernünftig. Könnten solche Gedanken eine Rolle im Hinblick auf die Vorbereitung eines “wahren Allrussischen Konzils” spielen, von dem Erzbischof Mark in seinem Sendschreiben spricht? - Red.
... Endlos wird das Thema des “Schismas” ausgeschlachtet, das zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche in Rußland und im Ausland existiert. Spaltungen und Schismen sind, ohne Zweifel, ein Übel. “Brüder, um des Namens unseres Herrn Jesus Christus willen ermahne ich euch, - ruft der Apostel Paulus den Christen zu, - ...laßt keine Spaltung unter euch aufkommen, seid vielmehr vereint in einem Geist und einer Meinung” (1. Kor. 1, 10).
Aber zu den Mängeln des kirchlichen Lebens sollte man das nicht zählen, was in Wirklichkeit eine wohltuende und heilende Gabe der Vorsehung Gottes ist. Das Leben selbst bestätigt hier eine Grundthese der orthodoxen Glaubenslehre: der Allbarmherzige Herr ist den menschlichen Schwächen und Mißständen gegenüber nachsichtig und verwandelt durch die allmächtige Wirkung Seiner Gnade selbst das Schädliche zu unserem Nutzen, indem er aus bösen Handlungen gute Folgen entstehen läßt.
Seinerzeit mußte sich der VTchK-OGPU-NKVD (Sicherheitsorgane. - Red.) sehr mühen, um 1927 die Kirche zu spalten und den Teil, der im Ausland war, dem anderen Teil im Vaterland entgegenzustellen. Konnten sich aber die Führer der Gottesbekämpfer (z.B. Herschel Jehuda, alias Jagoda, der die Aktivitäten des Kommissariates für innere Angelegenheiten leitete, oder Minej Gubelman, alias Jaroslavskij, an der Spitze des Zentralrates des “Bundes der kämpferischen Gottlosen”) auch nur annähernd vorstellen, daß sie selbst, indem sie den Leib der Russischen Kirche zerreißen und zerschlagen, mit eigenen Händen das Fundament für einen geistigen Organismus legen, der so unüberwindlich stark sein wird, daß alle weiteren Versuche, ihn zu vernichten, vergeblich sein werden?! Wahrhaft wunderbar sind Deine Werke, Herr, und Deiner Weisheit ist kein Ende...
Als die Russische Kirche sich administrativ trennte, verlor sie ihre geistige Einheit nicht. Mehr noch: befreit von etwaigen formalen Banden mit “sowjetunterworfenen” Strukturen, erwarb der im Ausland befindliche Teil der Kirche die notwendige Freiheit, um das Böse zu entlarven, das in der Heimat, in Rußland herrschte. Inmitten einer feindlich gesinnten heterodoxen, andersgläubigen Umgebung erwiesen diese Menschen in der Fremde vor den Augen der Welt ihre Standhaftigkeit in der Wahrheit der Orthodoxie, in Hoffnung und Glauben - Glauben daran, daß die Zeit kommen werde, da die Qual unserer Gefangenschaft beendet sein und der Herr das durch Leiden ausgemergelte Rußland erlösen werde vom Joch der Frevler.
Die Kirche in Rußland ihrerseits konnte sich, befreit vom Vorwurf politischer Unloyalität, auf die pastorale Versorgung ihrer Herde konzentrieren, die einen noch nie dagewesenen Weg beschritt - den Weg des volkshaften Bekenntnisses und Martyriums.
Im vielleidenden Vaterland brachte die Kirche demütig und beständig Scharen von Märtyrern hervor, die “für den Glauben an Christus und das Heilige Rußland den Märtyrerkranz erhielten”. Die Kirche im Ausland aber entlarvte die Verfolger und Henkersknechte, indem sie vor aller Welt Zeugnis ablegte über den wahren Sinn dessen, was in Rußland geschah.
Die geistlichen Hirten in Rußland bewahrten die Herde unter den schwersten Bedingungen. Oft unter Selbstaufopferung weideten sie “die kleine Herde” Christi und trugen das begnadete Feuer des lebendigen, eifernden Glaubens durch Prüfungen und Leiden hindurch. Die Geistlichen im Ausland trugen die Funken desselben Feuers in die ganze Welt hinaus, in die entferntesten Winkel, wohin auch immer der Wirbelwind der sozialen Katastrophe die russischen Emigranten auf ihrer Suche nach Behausung und Lebensunterhalt verschlagen mochte.
So ist die Trennung der Russischen Kirche in einen im Vaterland und einen im Ausland befindlichen Teil auch jetzt - obgleich ihr nur noch ganz wenig Zeit anzudauern beschieden ist - förderlich gemäß der Vorsehung, und zwar für eine eingehende, vielseitige und detaillierte Analyse der wichtigsten und schicksalhaften Fragen und Probleme für unser Volk und unser Vaterland. Die künftige Wiedervereinigung aber wird als Synthese der einzigartigen geistlichen Erfahrung beider Teile der einen Kirche unbedingt eine zusätzliche mächtige Triebkraft der russischen Wiedergeburt darstellen. (Aus dem Artikel “Von Kraft zu Kraft...”, in: “Sovetskaja Rossija” vom 31.12.1992)
Aus dem Leben unserer Kirche
Wie wir im Boten der deutschen Diözese Nr. 5/1992 berichteten, fand zum Festtag der Verklärung des Herrn ein feierlicher Gottesdienst im rumänischen Kloster Slatioara, in dem vier Bischöfe der altkalendarischen Kirche, der griechische Metropolit Kyprianos und Erzbischof Mark konzelebrierten, statt. Im Dezember besuchte eine Delegation der rumänischen, altkalendarischen Kirche unsere Synode in New York und einige Gemeinden in den USA, wo sie mit unseren Bischöfen konzelebrierten.
Im folgendem bringen wir Auszüge aus dem Protokoll No. 704:
Am 25. November / 8. Dezember 1992 wurde dem Bischofsynod der Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland das mündliche Gesuch der Delegation der Rumänisch-Orthodoxen Altkalendarier, die aus dem Hochgeweihten Metropoliten Vlasie, dem Oberhaupt der Rumänisch-Orthodoxen Altkalendarischen Kirche, dem Bischof Demosthen von Njamezki und dem Übersetzer Hieromonachos Kyprian bestand, um die Aufnahme ihrer Kirche mit Klerus und Kirchenvolk in die Gebetsgemeinschaft mit unserer Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland vorgetragen.
Hintergrund:
1) Bereits früher ging von dieser Kirche ein formeller schriftlicher Antrag vom 16./29. Juni 1992 ein, der bei der erweiterten Sitzung des Bischofsynods am 22. Sept /5. Okt. 1992 in der Stadt Cleveland behandelt wurde.
2) Gleichzeitig traf beim Synod ein Brief von Erzbischof Mark von Berlin und Deutschland ein, der davon berichtet, daß die Rumänisch-Orthodoxe Altkalendarische Kirche und ihre Gläubigen bereit sind, für ihren Glauben zu leiden: “... dies ist ein tief gläubiges Märtyrer-Volk”. Daher meint er, daß sie jedwede Unterstützung verdienen.
3) Nach Erörterung dieses Ansuchens und in Betrachtziehung des schriftlichen Appells von Erzbischof Mark wurde am 22. Sept. / 5. Okt. 1992 folgender Beschluß gefaßt:
Die Vertreter der Altkalendarischen Rumänisch-Orthodoxen Kirche zur Prüfung der Möglichkeit ihrer Aufnahme in die Gemeinschaft mit der Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland nach den USA einzuladen.
Auf der heutigen Sitzung legten die Bittsteller kurz die Geschichte der Einführung des Neuen Kalenders in der Rumänisch-Orthodoxen Kirche im Jahre 1932 dar, sowie den folgenden Kampf um den Alten Kalender, der von grausamen Verfolgungen seitens der kommunistischen Staatsmacht und von noch härteren Repressalien seitens der offiziellen Neukalendarier-Kirche begleitet war.
Sie erwähnten auch, daß sie 1985 in Gebetsgemeinschaft mit den griechischen Altkalendariern, deren Oberhaupt Erzbischof Kallistos von Korinth war, getreten sind.
Jetzt, da die politische Lage es erlaubt, suchen sie um die Einrichtung der Gebetsgemeinschaft mit unserer Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland nach.
Nach einer allseitigen Erörterung des zur Frage stehenden Antrages wurde beschlossen:
Die Heilige Orthodoxe Kirche war von Anfang ihrer Geschichte an und ist auch heute noch vielen Prüfungen unterworfen, die besonders hart in unserer üblen Zeit sind, und gerade dieser Umstand erfordert die Einheit vor allem unter jenen, die wahrhaft dem Glauben der Väter treu sind. Dementsprechend verfügt der Bischofsynod:
1) Die Hierarchie der Alkalendarischen Rumänisch-Orthodoxen Kirche als Brüder in Christus in die Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft einzuschließen.
2) Am Tag des Festes der Wurzel-Ikone der Muttergottes von Kursk, unserer Wegführerin im Exil, eine gemeinsame Göttliche Liturgie zum Zeichen unserer brüderlichen Einheit in Christus zu feiern.
3) Den Synod der Altkalendarischen Rumänisch-Orthodoxen Kirche darum zu bitten, ebenfalls die brüderlichen guten Beziehungen zu pflegen und Informationen über das Leben unserer Kirchen auszutauschen, und falls notwendig, moralisch und im Gebet einander zu unterstützen und sich gegenseitig gegen alle feindlichen Angriffe auf unsere Kirchen zu verteidigen.
4) Den Segen Gottes auf den Klerus und die Gläubigen der Rumänisch-Orthodoxen Altkalendarischen Kirche herabzurufen.
5) Welcher Entschluß dem Hochgeweihten Metropolit Vlasie, dem Vorsitzenden des Synods der Rumänisch-Orthodoxen Altkalendarischen Kirche, schriftlich mitzuteilen ist, und wovon auch die Gläubigen unserer Kirche in Kenntnis zu setzen sind.
Vorsitzender des Bischofsynods
Metropolit Vitalij
Mitglieder des Synods:
Erzbischof Antonij von Los Angeles
Bischof Veniamin
Bischof Daniil
Bischof Grigorij
Erzbischof Antonij von Westamerika
Bischof Valentin
Bischof Ilarion
Bischof Mitrofan
Sekretär des Bischofsynods
Erzbischof Lavr
Aus dem Leben der Diözese
p Vom 28. bis 30. Dezember 1992 fand im Kloster des Hl. Hiob von Po¡caev in München das Jugendtreffen der Deutschen Diözese statt.
Es hatten sich ca. 80 Teilnehmer aus verschiedenen Ländern Europas und aus Rußland versammelt. Auf Einladung von Erzbischof Mark kamen als Vortragende zwei Hierarchen aus Rumänien - Bischof Gennadie und Bischof Pahomie.
Den ersten Vortrag hielt Bischof Gennadie: “Über Leben und Wirken der Rumänischen Orthodoxen Kirche”. Für die Zuhörer war es besonders interessant von dem Einfluß und Druck auf die Kirche seitens andersgläubiger und ausländischer Könige zu hören, sowie auch einiger Geistlichen, die unter deren Einfluß standen. Insbesondere führte dieser Druck zur unkanonischen Annahme des staatlichen (neuen) Kalenders im XX Jahrhundert. Weiter beschrieb der Vortragende den Leidensweg der Rumänischen altkalendarischen Kirche während der letzten 60 Jahre.
Am zweiten Tag des Kongresses hielt Erzbischof Mark einen Vortrag mit dem Thema “Dogmatik und Praxis: die Menschwerdung des Wortes Gottes als Grundlage des geistlichen Lebens”.
Am letzten Tag sprach Bischof Gennadie über das geistliche Leben der Rumänischen Kirche. In diesem Zusammenhang stellten die Hörer eine Vielzahl von Fragen über den inneren Aufbau und die Regeln der Klöster, über das Fasten und die Wahrung der kirchlichen Traditionen im gläubigen Volk. Alle Vorträge riefen lebendige Diskussionen hervor.Traditions- gemäß schloß das Jugendtreffen mit einem Gebetsgottesdienst ab, bei dem der Akathist an den Hl. Hiob von Po¡caev gesungen wurde ab.
Wundertätige Ikone von Kursk besucht Deutschland
Der für Ende Januar oder Anfang Februar 1993 erwartete Besuch der Odigitria der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, der Wundertätigen Ikone von der Wurzel von Kursk, mußte aufgeschoben werden, weil die Ikone Anfang des Jahres in Südamerika zum Jugendtreffen reiste. Uns wurde nun fest versprochen, daß die Ikone nach dem Bischofskonzil, das nach Ostern im Lesnaer Frauenkloster stattfindet, nach Deutschland kommen wird. Die Ikone bleibt dann ca. vom 23. Mai bis Mitte Juli in Europa. Der genaue Plan der Reisen der Ikone durch verschiedene Städte wird in der Diözesanverwaltung ausgearbeitet und den Gemeinden rechtzeitig bekannt gegeben.
1993 - 2
Osterbotschaft an die gottfürchtigen Gläubigen der Deutschen Diözese
Der lichteste Tag der Auferstehung Christi erleuchtet die ganze Welt – uns alle zusammen und jeden einzeln. Doch sein Licht trifft in uns jedes Jahr einen anderen Seelenzustand an. So wie wir die Große vierzigtägige Fastenzeit nicht in gleicher Weise durchlaufen, so gelingt es uns auch nicht, das Fest der Feste in ein und derselben Stimmung zu begehen. Da die Hl. Kirche weiß, wo unsere größten Schwierigkeiten und Schwächen liegen, und dies in ihr Leben einbezieht, ruft sie uns Jahr um Jahr von neuem aus der Finsternis. Zu Beginn der dritten Woche der Großen Fastenzeit hören wir daher die Worte über das Land Sebulon und Naphthali aus dem Buch des Hl. Propheten Jesajas: “Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; und die da wohnen im Lande des Todesschattens, über sie scheint es hell” (Jes. 9,2). In welcher geistlichen Stimmung gehen wir in das Heilige Osterfest? Sitzen nicht auch wir im Land der Finsternis und des Todesschattens?
Obwohl der Herr uns reichlich erleuchtet und erhellt, siedeln wir uns sowohl durch unsere Sünden als auch mit der aus ihnen entspringenden Hoffnungslosigkeit, Verzagtheit, durch unseren freudlosen und geist-losen Zustand immer wieder im Land von Sebulon und Naphthali an. Ja, unser irdisches Jammertal ist voll geistlichen und körperlichen Todes, wenn auch die entkirchlichte Gesellschaft unserer Zeit die vielfältigen Erscheinungsformen des geistlichen Todes nicht bemerkt und sich müht, auf ihre Weise das Antlitz des physischen Todes zu verändern. Sie verwickelt sich in den Widersprüchen ihres gottlosen und folglich auch unmenschlichen Weltbildes und mischt sich in gröbster Weise in die Fragen von Leben und Tod ein – von der künstlichen Schaffung des Lebens, über den Mißbrauch von Mitteln, die das Leben nicht erst wachsen lassen, bis hin zum Mord der Persönlichkeit im Mutterleibe oder der mutwilligen Beendigung des Lebens von “hoffnungslos” Kranken. Mehr noch: mit dem Zweck der Organverpflanzung werden Kinder nach dem fünften Monat aus dem Mutterleib gerissen. Das ist, so hören wir, im geistig beraubten Rußland möglich geworden – für Valuta und über Anzeigen in der Presse. Die Finsternis, die solches erzeugt, hält man für normal und vergißt dabei, daß die Schrecken von Kriegen oder Verbechen lediglich die offene Fortsetzung all dessen darstellen, was gewöhnlich heimlich getan wird, und doch mit der Billigung des überwiegenden Teils der Gesellschaft.
Liebe Brüder und Schwestern, diese Fragen können für uns nicht abstrakt bleiben – sie berühren uns alle. Jedes Mitglied der Gesellschaft trägt seinen Teil an Verantwortung, umso mehr aber jedes Glied der Kirche. Daher müssen auch wir uns in unsere Seelen vertiefen, um das Höllendunkel zu erkennen, das wir selbst dort hervorbringen, und unsere eigene innere Finsternis und Todesschatten zu betrachten, doch nur mit dem Ziel, mit umso größerer Kraft und Entschlossenheit den Kampf um den Sieg des Lichtes über das Dunkel führen können.
Unsere Leidenschaften, unsere sündhaften Neigungen werfen uns in Finsternis und Todesschatten. Doch sie verschwinden bei der Berührung mit Christus. “Wie Rauch verschwindet, sollen sie verschwinden,wie Wachs zerschmilzt vor dem Antlitz des Feuers, so sollen die Sünder verderben vor Gottes Antlitz” (Ps. 67,3). Christus ist das Feuer, das jegliche Unreinheit verzehrt. Wenn Er Sein Licht ausgießt, brauchen wir nur unsere Herzen und Seelen zu öffnen, um bereits Seine gnadenvollen Kräfte zu empfangen. Und in uns und um uns verdirbt die Sünde, zerschmelzen die Leidenschaften. Nur wenn unsere inneren Sünder, d.h. die Leidenschaften, vergehen, nur dann können auch die äußeren Sünder, d.h. die Dämonen, verschwinden, die abertausendfachen Tod hervorrufen. Dies fordert von uns lediglich konzentrierte und unaufhörliche Hinwendung im Gebet zu Gott. Hierüber schreibt der Hl. Ephrem der Syrer: “für die Dunkelheit, die du in deiner Kammer sitzend erträgst, leuchtet dir das Licht der Wahrheit auf, wie geschrieben steht: Aufging in Finsternis den Redlichen ein Licht (Psalm 111,4)”, und er fügt hinzu: ”mühe dich in gutem Kampf (1. Tim. 6,12), damit du den Sieg über den Feind davonträgst und dich danach ohne Schande dem König der Herrlichkeit verneigen kannst”.
Das asketische Gebetsleben war Merkmal und Wegweiser für den orthodoxen russischen Menschen vieler Jahrhunderte. Darauf bauten Familienbande auf, auf ihm beruhte das gesellschaftliche Leben. Wie mit Muttermilch nährten sich von ihm die geistlichen Riesen unserer Kirche: der Hl. Sergij von Radone¡z, Nil Sorskij, Seraphim von Sarov, die Starzen von Optina. Und sie gaben ihre Kraft und Erfahrung im Gebet über Generationen weiter. Wir brauchen uns nur in diesen Fluß des Gebetslebens einzubeziehen, um uns sofort aus der Schatzkammer der jahrhundertelangen Erfahrung unserer Heiligen Kirche zu bereichern. In den Mysterien empfangen wir den Herrn Selbst, das Leben, im Gebet aber öffnen wir es für uns. So einfach, scheint es, können wir die Finsternis vertreiben und zum Sieg des Lichtes beitragen.
Was aber stört uns auf diesem Weg? Wovor haben wir Angst? Wir haben uns an die Finsternis gewöhnt. Wenn sie uns auch nicht lieb ist, so wissen wir doch, worauf wir uns stützen. In ihr haben wir uns gemütlich eingerichtet, unsere Luftschlösser gebaut, indem wir uns selbst und andere täuschen, da wir die Finsternis für Licht ausgeben und unsere von der Sünde geblendeten Augen vor dem Licht der Wahrheit nicht öffnen. Doch dort, in dem Land des Lichtes Christi – stoßen wir dort nicht auf allzuviel Unbekanntes? Gehen wir dem Ungewissen nicht einfach aus niederer Angst heraus aus dem Weg, ohne uns auch nur selbst davon Rechnung abzulegen? Doch was sagt die Schrift: “Dort ängstigten sie sich in Furcht, wo keine Furcht war” (Ps. 13,5).
Ja, vor dem Feuer des Herrn verschwindet alle frühere Pracht unseres äußeren Lebens wie Wachs vor dem Antlitz des Feuers. Doch bedenken wir, daß an ihre Stelle – an die Stelle unseres eigenen Götzen – unaussprechliche Schönheit tritt: die reine Seele. Indem sie in Geduld und Demut Frucht bringt, im Gebet durch das göttliche Feuer gestählt wird, reinigt sie sich durch die Buße und wird in der sakramentalen Gemeinschaft mit Christus zur Anverwandten der Gottheit. Sie braucht nichts zu fürchten. Vor ihr liegt alles offen, was Gott schuf. Sie ist berufen, über das Böse zu herrschen, über jeglichen Tod. Denn sie ist zum Leben erneuert – nicht zum zeitlichen und vergänglichen, sondern zum ewigen Leben im unvergänglichen Licht der Auferstehung Christi. Sein allmächtiges Licht empfangen wir in der Osternacht – gereinigt durch 40 – tägiges Fasten. Verschleudern wir dieses große Geschenk nicht, sondern mühen wir uns, es im unbefleckten Heiligtum unseres Herzens zu bewahren, indem wir in Gebet und Gottessuche Ihm entgegenwachsen, dem Einen Lebenspender – dem Auferstandenen Christus. Möge Er uns gewähren, daß wir Sein Licht bewahren – von einem Gebetsseufzer zum nächsten, von Buße zu Buße, von Mysterium zu Mysterium, von Ostern zu Ostern.
Christus ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!
MARK, Erzbischof von Berlin und Deutschland
Fest der Auferstehung Christi – Ostern 1993
Geschichte unserer Kirche
Metropolit Anastasij und die Atombombe
Metropolit Anastasij (Gribanowskij) wurde am Verklärungstag 1873 in Borisoglebsk, im Gouvernement Tambov geboren. Er schloß die Moskauer Geistliche Akademie ab, wurde 1906 zum Bischof von Serpuchov geweiht und nahm 1917-1918 am Allrussischen Konzil als Erzbischof von Kischinev teil. Als Mitglied der Kommission zu Wiederherstellung des Patriarchenamtes verfaßte er den Inthronisationsritus für die Einsetzung des neugewählten Patriarchen Tichon. Letzterer zeichnete ihn mit einem Brilliantkreuz am Klobuk aus. M. Anastasij widersetzte sich der Rumänisierung der Orthodoxen Kirche in Moldawien. Er wurde 1920 Mitglied der provisorischen Kirchenleitung für Südrußland, aus der später das Bischofskonzil der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland erwuchs.
M. Anastasij nahm 1923 am “Panorthodoxen Kongress” in Konstantinopel teil und wurde zum Wortführer der Opposition gegen die modernistischen Initiativen, u.a. des Patiarchen Meletios. Dank der von ihm dem Patriarchen Tichon übermittelten Information, kehrte der russische Patriarch Tichon, der – von den Kommunisten desinformiert – bereits den neuen Kalender übernommen hatte, zum Julianischen Kirchenkalender zurück. M. Anastasij wurde genötigt Konstantinopel zu verlassen und leitete die Russische Jerusalemer Mission bis 1934, wo er mit Patriarch Damian durch Bischofsweihen die Wiederherstellung der gesetzmäßigen Hierarchie des Jerusalemer Patriarchats unternahm; u.a. weihte er den späteren Patriarchen Timotheos zum Bischof. Nach dem Tode des Metropoliten Antonij (Chrapowickij) wurde er am 28. Juli 1936 zum Ersthierarchen der Russischen Auslandskirche gewählt, der er bis 1964 vorstand. Er starb am 9/22. Mai 1965.
Nach dem Krieg rief Patriarch Alexij I. zur Vereinigung mit dem Moskauer Patriachat auf. Zu einer Zeit, als viele wankelmütig waren, wandte sich M. Anastasij mit einem Aufruf an die Priester und Gläubigen, der die reale kirchlich-politische Situation klar aussprach und den weiteren Weg der Kirche in der Emigration bestimmte. Aber die kirchliche Grundhaltung des klugen russischen Hierarchen ebenso wie seine innige Liebe zu Rußland schuf ihm nicht nur Verehrer sondern auch unversöhnliche Feinde, die bereit waren Verleumdung und Haß mit allen Mitteln zu säen.
Als Folge dieser Feindschaft wurde M. Anastasij als Parteigänger der Nazis hingestellt, obwohl in Wirklichkeit die deutschen Besatzer Serbiens zwei Hausdurchsuchungen bei ihm durchführten (wobei das Synodalarchiv beschlagnahmt wurde und für immer verschwand), außerdem verweigerte M. Anastasij trotz Internierungsdrohungen, einen Aufruf an die Emigration zu publizieren, der den Krieg gegen die UdSSR gutheißen würde. Als solche Beschuldigungen dem serbischen Patriarch Gavriil, der selbst aus dem KZ-Dachau befreit worden war, nach dem Kriege zu Ohren kamen, unterstrich dieser öffentlich, daß die Haltung des Metropoliten Anastasij völlig integer gewesen war. Die Untersuchung dieser falschen Anschuldigungen ist Sache der Zukunft. Wir wollen hier ein einfacheres und klareres Beispiel des Mißbrauchs mit dem Wort aufzeigen, damit sichtbar wird, wie reichlich auf dem russischen geistigen Feld das Unkraut gesät wurde, das nunmehr üppig sprießt. Aus den zahllosen Gewächsen dieser Art wollen wir hier wenigstens eines mit der Wurzel ausreißen.
Folgendes ist in einem Dokument zu lesen, das vor nicht allzu langer Zeit seitens des Moskauer Patriarchats auf der Ebene von Regierung und Oberstem Sowjet verbreitet wurde: “...Metropolit Anastasij rief in seiner Osterbotschaft des Jahres 1948 zur ‘Reinigung des russischen Volkes durch Atombombe, Feuer und Blut’ auf. Dasselbe wiederholte er in einer seiner Reden im Juli 1951” (Dokument: “Russische Orthodoxe Kirche im Ausland, das Karlowitzer Schisma, Historisch-kanonische Information”, 31. Mai 1991, Moskau, S. 10).
Wir werden so an entlegenere Zeiten erinnnert: “Metropolit Anastasij rief in einer seiner österlichen Grußbotschaften dazu auf, Atombomben auf die Sowjetunion abzuwerfen” (“Golos Pravoslavija” (= “Stimme der Orthodoxie”), Organ des Moskauer Patriarchats in Berlin-Karlshorst, Nr. 8-12, 1953, S. 28). Oder: “Welchen moralischen und politischen Verfall mußte der Anführer der Karlowitzer Gruppierung erreicht haben, daß er zur Vernichtung von Millionen sowjetischer Menschen aufrufen konnte, die soeben den schwersten und verheerendsten Krieg durchlitten hatten” (N.S.Gordijenko, P.M. Komarov, P.K.Kurotschkin: Politikaster der Religion. Die Wahrheit über die ‘russische Auslandskirche’, Moskau 1975, S. 68). Und die gleichen Autoren: “Die heutigen Verehrer des Andenkens von Metropolit Anastasij vermeiden es, diese Worte zu erwähnen” (Die völlig Hoffnungslosen. Über die russische Emigranten-Pseudokirche, Leningrad 1988, S. 58).
Aus Verehrung für unseren verstorbenen Ersthierarchen möchten wir unseren Lesern die Gelegenheit geben, die besagte Osterbotschaft ungekürzt zu lesen. – Die Redaktion.
Sendschreiben zum Heiligen Osterfest (1948)
Metropolit Anastasij
Jedes Jahr am festgelegten Tag vernehmen wir die frohe Kunde von der Auferstehung: dennoch ist sie uns immer wieder frisch und neu, als ob sie erstmalig für uns erklinge.
Die Auferstehung Christi ist eine “ewige Neuheit” wie ein Prediger es treffend ausdrückte. Wir möchten sie uns immer wieder gegenseitig mitteilen und ihre Bestätigung aus dem Mund der anderen hören. Daher rühren diese nicht verstummenden Ostergrüße, die wir gewohnt sind, wähend dieses Lichten Festes auszutauschen: “Christus ist auferstanden – wahrhaftig ist er auferstanden.”
Mit diesem uralten und stets neuen christlichen Gruß wenden wir uns auch an euch alle, liebe Brüder und Schwestern, die Ihr das Kreuz der Vertreibung tragt und in der ganzen Welt bis an die Enden der Erde zerstreut seid.
Wir möchten gerne, daß ihn auch unsere leidenden Brüder in Rußland hören, denen wir ebenfalls unseren innigen Gruß zu diesem gelobten und heiligen Tag entbieten. Möge die österliche Gnade uns alle, wo wir uns auch befinden mögen, zu einer unteilbaren Familie vereinigen und das harte Los unseres von Trübsal und Entbehrungen gezeichneten Schicksals ein wenig versüßen.
Die Phiolen des göttlichen Zornes ergießen sich eine um die andere auf die sündige Erde. Vor unseren Blicken öffnen sich die geheimen apokalyptischen Siegel: wir haben diese schrecklichen Zeichen nun gleichsam vor Augen, die einstmal der hl. Johannes der Theologe schaute. Es ist, als ob wir zusammen mit ihm die geheimsnisvolle Stimme vernehmen: Komm! Und ich schaute auf, und siehe da, ein fahles Pferd, und der darauf saß, dessen Name ist der Tod; und der Herrscher des Totenreiches folgte ihm nach. Und es wurde ihnen Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit dem Schwert und mit Hunger und mit Pest und durch die wilden Tiere der Erde (Apk 6, 7-8).
Unsere Zeit erfand ihre eigenen Mittel, um alle Menschen und das ganze Leben auf Erden zu vernichten. Sie besitzen eine derartige Zerstörungskraft, daß sie in einem einzigen Augenblick gewaltige Landstriche in eine kompakte Wüste verwandeln können. Alles kann dieses höllische Feuer, das von dem Menschen selber aus dem Abgrund heraufbeschworen wurde, zu Asche machen, und wir hören wieder die Klage des Propheten vor Gott: Wie lange noch soll trauern das Land und das Grün auf dem ganzen Felde verdorren um der Bosheit seiner Bewohner willen? (Jer 12, 4).
Aber dieses schreckliche, verheerende Feuer hat nicht nur eine zerstörerische, sondern auch eine reinigende Wirkung: denn in ihm verbrennen jene, die es entfachten selber und mit ihnen all die Laster, Verbrechen und Freveltaten, durch die sie die Erde schändeten.
Stellt euch einmal vor, daß alle modernen Caligulas und Neros, alle Tyrannen, Wüstlinge und Mörder nicht dem Tode anheimgefallen wären: das Leben auf Erden wäre unerträglich, es würde zu einem Vorhof der Hölle. Es gibt ein unverbrüchliches göttliches Gesetz, nach dem das Böse selbst seine Vergeltung in sich trägt. “Die Frucht der Sünde – sagt der hl. Gregor der Theologe – war der Tod, welcher der Sünde Einhalt gebot, damit das Böse nicht unsterblich würde”.
Aber ihr sagt, daß das vernichtende Schwert des Todes nicht nur auf Wüstlinge und Böse herabfällt, sondern gerade auf tugendsame und sogar heiligmäßige Menschen, und auf die letzteren sogar häufiger als auf die ersteren. Für solche Menschen ist der Tod jedoch kein Unheil, denn er öffnet ihnen den Pfad zu dem unendlich seligen wahren Leben, das uns durch den Tod und die Auferstehung Christi bereitet wurde.
Je gieriger der Tod wird, umso mehr Opfer versucht er unter den guten und bösen Menschen zu verschlingen, wodurch er vielen die Tür zur Unsterblichkeit öffnet, und sie aus der Vergänglichkeit in die Unvergänglichkeit zum ewigen, immer neuen Leben führt.
Daß das Leben aus dem Tod hervorgeht, wie der Schmetterling aus der toten Puppe, das war bereits den antiken Philosophen klar. “Wer weiß – fragte einer von ihnen – ob das Leben nicht der Tod und der Tod nicht das Leben ist?”
Das, worüber die alten Weisen nur Vermutungen anstellen konnten, wurde für alle nach der Auferstehung Christi von den Toten unverbrüchlich und offensichtlich. Die feierlichen Worte des Propheten, mit denen er gleichsam dem Tod einen kühnen Ruf entgegenschleudert: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? (Osee 13, 14) klingen besonders siegesgewiß und großartig in der Osterzeit, wenn wir “die Bezwingung des Todes, die Vernichtung der Hölle, den ewigen Anfang eines neuen Lebens feiern”.
Der ganze Gottesdienst der Lichten Woche ist nichts anderes als die Siegesfeier des Lebens über den Tod, eine nicht aufhörende Hymne zu Ehren des auferstandenen Heilandes, der den Tod durch den Tod überwand und denen in den Gräbern das Leben brachte.
Den Tag der Auferstehung Christi bezeichnen wir nicht umsonst als Lichtes Fest. Es offenbart uns ein neues lichtvolles seliges Leben, das wie ein gnadenreicher Morgentau vom Himmel auf die trauernde Erde herabfällt und uns mit seinen süßen Wellen umfängt. Die Herzen der Gläubigen glühen in einem lauteren geistigen Entzücken, mit dem sich keine irdische Freude vergleichen läßt. Schaut euch besonders die Gesichter der reinen unschuldigen Kinder an: die Strahlen der österlichen Freude durchdringen sie, ähnlich wie ein in einem Kristallgefäß befindliches Licht dieses von innen her erhellt.
Solch eine helle, wohlduftende Freude erleuchtete stets das ganze russische Volk in der österlichen Zeit und drang bis zum Grund in sein Herz. In der Einfachheit seines Glaubens begriff es tiefer als irgendein anderes Volk die Größe und die Siegeskraft der Auferstehung Christi, ohne welche nach den Worten des Apostels unser Glaube nichtig wäre (1 Kor 15, 17). Daher war Ostern für das russische Volk das eigentliche Fest der Feste, ein wahres Festmahl des Glaubens, an dem sich zuweilen auch jene geistig labten, die nicht von unserem “Stall” waren, Menschen, die anderen christlichen Bekenntnissen angehörten. Da das Öl des Glaubens in ihrem Herzen aufgezehrt war, wollten sie ihre erloschenen Kerzen an der Flamme des Gnadenfeuers, das in den Ostertagen das ganze russische Land erfaßte, wieder entzünden.
Eine Menge von Fremden kam absichtlich nach Moskau, um in unserem ehrwürdigen Kreml, dem geistigen Sammelpunkt der heiligen Russischen Erde, am “Altar Rußlands” die lichtvolle Osternacht zu erleben, die einzigartig und von einer so großen religiösen Begeisterung erfüllt ist, daß sie unwillkürlich einen jeden zum Himmel emporträgt und ihm derart selige Augenblicke schenkt, die ein ganzes Leben wert sind.
Andere versuchten, sich den Karavanen russischer Pilger anzuschließen, die sich in großer Zahl zum Ostertag nach Jerusalem begaben. Voller Erstaunen und mit verborgenem Neid tranken sie aus dem unerschöpflichen Born lichter Osterfreude bei diesen nach außen hin ungehobelt erscheinenden “Väterchen” und “Mütterchen” (wie unsere Pilger scherzhaft genannt wurden), welche sich zur Fülle ihres Herzens an dem geistlichen österlichen Tisch erquickten. Sie schätzten sich für glücklich, wenn der Tod sie gerade dann ereilte, denn sie betrachteten ihn als ihren Wohltäter, der ihnen die Tore zum Paradies auftun würde.
Wir alle wissen, wie sehr sich seit damals das Antlitz der russischen Erde verändert hat. Es gibt dort keine allgemeine österliche Begeisterung mehr, die sich früher in mächtiger Flut über das ganze Land ergossen hatte. Versiegt ist der Strom russischer Pilger ins Heilige Land und die Sionswege trauern, weil die Festpilger fehlen (Klage 1, 4). Verschlossen ist der hehre Kreml für den Jubel des Osterfestes, dunkel und vergessen stehen seine ehrwürdigen Kathedralen da. Auch die berühmten Moskauer Glocken schweigen, kein Läuten und Glockengesang ertönt mehr von ihnen.
Unter dem Einfluß des langen Leidens hat sich sogar das Gesicht des russischen Menschen, das einst zur Osterzeit mit einem besonderen, sanften und seligen Licht strahlte, verdüstert. Das lichte Fest wurde für ihn unwillkürlich zu Weinen und Stöhnen ob der andauernden Heimsuchungen, Kümmernisse und Entbehrungen.
Dennoch erlosch die österliche Flamme nicht vollständig in seinem Herzen. Und wenn sich auch der Ostergesang nicht mehr über die russische Erde ergießt, so reagieren und erklingen dennoch die Saiten der russischen Seele, wenn sie von der wundervollen Harmonie und himmlischen Schönheit der Königin der Feste berührt werden. Unter all seinen schweren Prüfungen gab das russische Volk niemals die Hoffnung auf ein besseres Leben, den Glauben an den Sieg der Wahrheit über die Lüge, des Lichtes über die Finsternis, der Liebe über den Haß, der Freiheit über die Gewalt auf – diese seine Grundstimmung wird bei ihm aus keiner anderen Quelle gespeist als aus dem orthodoxen Glauben und besonders aus dem Glauben an die allesbezwingende Kraft der Auferstehung Christi, den es bewußt oder unbewußt noch immer in seinem Herzen trägt.
Wem würde es mehr obliegen, diese seine heiligen Hoffnungen zu wahren als seinen Priestern und besonders seinen kirchlichen Hierarchen, die dazu berufen sind, die geistlichen Führer des Volkes zu sein. Aber die einen schweigen, sich auf den Vollzug der Gottesdienste und kirchlichen Amtshandlungen beschränkend, die anderen aber, anstatt dem leidenden Volk eine Ermutigung und geistige Stütze zu sein, vertiefen nur noch die Wunden seines Herzens, indem sie ihm den aufrührerischen, todbringenden Gedanken eintrichtern, daß die jetzige Staatsmacht, der sie ihr Schicksal verdanken und welche die Ursache ihrer ungeheuren Pein ist, angeblich unter besonderem göttlichen Schutz stehe und eine vorgesehene messianische Bedeutung für das russische Volk hätte.
Gewohnt mehr den Menschen als Gott gefallen zu wollen, können diese üblen Kirchenführer bereits nicht mehr von ihrem schlüpfrigen Pfad ablassen und mit jedem Tag treiben sie es noch weiter. Mit einem Gefühl seelischer Verbitterung und des Unwillens ob der schmählichen Verunglimpfung der Wahrheit lasen wir kürzlich eine Mitteilung darüber, daß das jetzige Oberhaupt der Russischen Kirche, um den Namen Stalins zu glorifizieren und ihn in den Augen des Volkes zu erheben, ihn in einem Sendschreiben dreist als “einen Erwählten Gottes” bezeichnete, “der unser Vaterland zu Wohlstand und Ehre führt”.
Wer kann ruhigen Herzens diese schändliche, verlogene Glorifizierung hören, wo Menschengefälligkeit bereits an Gotteslästerung grenzt? Kann man denn tatsächlich zulassen, daß jener Mensch, der von Kopf bis Fuß mit Blut befleckt ist, der von Verbrechen wie von Aussatz beschmutzt und vom Gift der Gottlosigkeit verseucht ist, ein “Ausgewählter Gottes” genannt wird, ausersehen, um unsere Heimat zu Wohlstand und Ruhm zu führen?
Heißt dies nicht, Gott den Höchsten Selber zu lästern und zu verleumden, der in solch einem Fall für all das Böse verantwortlich wäre, das schon so viele Jahre lang von der von Stalin angeführten bolschewistischen Staatsmacht auf unserem Boden verübt wird? Solch eine Behauptung ist nicht nur blasphemisch, sondern widerstrebt auch dem gesunden Menschenverstand.
Kann denn der Herr das Siegel Seiner Erwählung solch einem Menschen aufdrücken, der alle göttlichen und menschlichen Gesetze mit Füßen tritt, der offen und verbissen gegen Ihn Selber kämpft und es darauf anlegt, gänzlich alle Religion und Gottesanbetung auf russischem Boden auszurotten?
Von welchem Wohlstand in Rußland kann jetzt die Rede sein, wo das ganze russische Volk unter dem schweren Joch der Knechtschaft schmachtet, wo Millionen Menschen in Hunger und Kälte darben, wo andere der gewöhnlichen menschlichen Wohnungen beraubt sind und gleich Kriechtieren in feuchten und finsteren Erdhütten hausen? Und wo keiner für sein Leben garantieren kann, das ihm von der Willkürlaune der grausamen Machthaber einfach jederzeit genommen werden kann?
Zu welchem Ruhm führt denn der jetzige Diktator unsere Heimat, wenn nicht zu dem Ruhm in der Schande, von dem der Apostel spricht (Phil 3, 19), denn als Folge der mörderischen bolschewistischen Tyrannei wird jetzt der Name Rußlands bei vielen Völkern mit Verachtung und Abwertung genannt.
So entlarvt sich die Falschheit selbst, indem sie sich in Widersprüche verwickelt. Wehe jenen Hirten, welche die Lüge statt der Wahrheit Christi predigen und das hilflose Gewissen jener “Kleinen” in die Irre führen.
Wenn das Salz dieser Erde selber jetzt fad ist, wenn die Propheten nur Luft geworden sind (Jer 5,13), wer wird die Menschen Rußlands auf dem Pfad der Wahrheit unterweisen? Wenn das Licht zur Finsternis wurde... und welch eine Finsternis in den Taten und im ganzen Verhalten der jetzigen Bolschwiken-Führer zeigt, besonders aber desjenigen unter ihnen, den sie ihren “Lehrer” oder gar ihren “Vater” zu nennen pflegen?
Diese bewußte Schmähung der Wahrheit, diese tiefe Verletzung jeglicher Gerechtigkeit und alles dessen, was göttlich im Menschen ist, dieser unersättliche Blutdurst, diese Ergötzung an menschlichen Leiden und schließlich diese Glorifizierung von Gottesfeinden, die wir aus dem Mund des Oberhauptes der Russischen Kirche hören – ist all dies nicht ein klarer Beweis für die moralische Verkommenheit der Starken und Gefeierten des Landes, in deren Händen sich jetzt das Schicksal Rußlands befindet?
Die Atombombe und alle anderen von der heutigen Technik erfundenen Vernichtungsmittel sind wahrhaft weniger gefährlich für unser Vaterland als die Demoralisierung, welche die höchsten Vertreter der bürgerlichen und der kirchlichen Macht durch ihr übles Beispiel in der russische Seele hervorrufen. Die Zerlegung des Atoms bringt nur physische Verwüstung und Zerstörung mit sich, aber der Zerfall des Geistes, des Herzens und des Willens zieht den spirituellen Tod des ganzen Volkes nach sich, nach dem es keine Auferstehung mehr gibt.
Je schwerer und hilfloser die Lage des heutigen Rußlands ist, je größer die Gefahr, welche die eigentliche Existenz des russischen Volkes als einer Nation, die ihre Berufung von Oben erhalten hat, bedroht, desto eifriger müssen wir uns darum bemühen, alle unsere Kräfte zu seiner baldigen Befreiung zu vereinen. Vor der Größe dieser unaufschiebbaren historischen Aufgabe muß all unser gewöhnlicher Hader und Zwietracht schweigen, unsere nationalen Leidenschaften, politischen und sozialen Fraktionen oder die ehrgeizigen Ansprüche und Wünsche von Einzelpersonen.
Durch Gottes Erbarmen gewinnt dieses Bewußtsein in unserem Exilanten-Milieu mehr und mehr an Kraft. Von allen Enden unserer Diaspora vernimmt man glühende Aufrufe zur nationalen Vereinigung. Das Exilanten-Rußland sammelt sich geistig, indem es die frühere Spaltung überwindet und in seiner Mitte das Erwachen neuer konstruktiver Kräfte fühlt. Hier und dort bilden sich Zellen, in denen sich russische Menschen in der Hoffnung zusammenscharen, daß sie später zu einem Organismus, der als Kuppel von einem gemeinsamen Zentrum gekrönt wird, verschmelzen.
Wollen wir uns an die uns von der Geschichte gelehrten Lektionen erinnern und von unseren Vorfahren lernen, die sich vor 300 Jahren auf den Aufruf und mit dem Segen der Kirche zusammentaten und durch ihr gemeinsames Opfer den durch die Staatswirren drohenden Zerfall aufzuhalten, die heimatliche Erde von den Feinden zu befreien und den zerstörten Staat wiederherzustellen vermochten.
Vor uns haben wir die unsterblichen Vorbilder der großen Leidensdulder der russischen Erde – des heiligen Bischofs Germogen, des Archimandriten Dionysij, des Bürgerlichen Minin, deren leidenschaftliche Stimme auch unser Gewissen weckt und uns zur Rettung der leidgeprüften Heimat ruft. Gestatten wir unseren Augen keinen Schlaf und unseren Augenlidern kein Einnicken, bis wir unser Vaterland nicht befreit sehen. Lassen wir unsere Stimme nicht verstummen und tragen wir Sorge um das heimatliche Zion, solange das Licht der Auferstehung nicht über unserer geschmähten und gekreuzigten Heimat erstrahlt. Ihre geistige Wiedergeburt ist nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt außerordentlich wichtig, denn die jetzigen Machthaber verwandelten sie in einen Herd verderblicher moralischer Ansteckungsgefahr für andere Völker, in jenen Schlund der Unterwelt,wie der göttliche Seher ihn nennt (Apk 9, 1-2), von wo aus sich der erstickende Qualm über die ganze Erde verbreitet und Sonne und Luft verfinstert.
Möge jeder Mensch und jedes Alter nach Kräften seinen Beitrag zu der großen Aufgabe des Dienstes an der Befreiung des Vaterlandes leisten: die stürmische Jugend ihren Enthusiasmus, das Erwachsenenalter seine Energie, das vorsichtige Greisentum seine Weisheit und Lebenserfahrung, einfach alle – ihren Eifer, ihre Liebe und besonders ihre Gebete.
Der altrussische Kampfesruf “Gott steht auf und Seine Feinde zerstieben” erhält nun für uns eine doppelte Bedeutung, denn wir haben es tatsächlich mit streitbaren Feinden Gottes zu tun, die sich bemühen, das Reich Gottes auf Erden zu vernichten. Unser Kampf gegen sie hat einen wahrhaft heiligen Charakter. Dies ist kein Kampf um uns verloren gegangene irdische Güter, wie uns unsere Feinde zur Last legen und auch nicht um äußere Herrlichkeit und die Glorie Rußlands, denn all dies ist vergänglich und eitel, sondern um den Triumph der geschändeten Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes, um die Wiedergeburt von Liebe, Rechtschaffenheit und aufrichtiger Brüderlichkeit unter den Menschen und vor allem um die Stärkung des Glaubens und der Ehrfurcht und um die Wiedererrichtung des Hauses der Mutter Gottes, das einst von unseren Vorfahren auf unserer Erde geschaffen und jetzt durch die Hände der Frevler geschändet wurde. Wir zweifeln nicht, daß zu den Himmlischen und Ewigen Gütern nach dem Wort Christi auch noch die irdische Wohlfahrt hinzukommt, denn die Gottesfurcht ist zu allem nützlich.
Wie schwer dieses Ringen auch sein mag, so soll doch keiner an dem endgültigen Sieg des Lichtes über die Finsternis zweifeln, da der Auferstandene Retter selber mit uns kämpft, der mächtig ist, unser Vaterland wiederaufzurichten, auch wenn ihm schon der Geruch der Verwesung anhaftet wie ehemals dem vier Tage toten Lazarus.
Ganz gewiß kommt die von der Vorsehung bestimmte Stunde, und unser Heimatland wird aus dem Staub erneuert und durchlichtet auferstehen, als ob es aus einem tiefen Schlaf erwache. Es wird sich wieder frei fühlen und und den Zustrom neuer schöpferischer Kräfte spüren und unwillkürlich in geistigem Jubel ausrufen “Wahrhaftig ist Christus auferstanden”.
“Verkünde, o Erde, die große Freude, rühmt, ihr Himmel die göttliche Herrlichkeit”.
Metropolit Anastasij
Bote 1993-2
Metropolit Anastasij - Nachwort:
Christentum und Überreste der Götzenverehrung
Nachwort:
Christentum und Überreste der Götzenverehrung
Metropolit Anastasij nannte die Atombombe eine “höllische Waffe”. Er rief nirgends zu einer “Reinigung des russischen Volkes durch Atombombe, Feuer und Blut” auf. Vielmehr kritisierte er die Suche nach einem Gleichgewicht “mit allen Mitteln, unter denen auch die Abschreckung... mit Atombomben vorgesehen ist” (6/19 Juni 1949, Jub. Sbornik, S. 77). In der Abschreckungsdoktrin sah er “Erfolge der zersetzenden kommunistischen Propaganda”, deren “Samen” so sehr “dem Geist unseres gottlosen, materialistischen Jahrhunderts entsprechen” (Dezember 1953, J.S., S. 174). “Die Menschen unserer Zeit schätzen nichts so sehr wie ihr irdisches Leben”, und daher ist die Menschheit, die blindlings die himmlische Dimension verwirft, bereit, den Versuch zu machen, “sich einen sicheren Frieden gewaltsam zu erringen, koste es, was es wolle. Sie ist bereit, ihn aus Feuer, Stahl und Eisen zu schmieden und eine feste Mauer aus höllischen Waffen um ihn zu errichten, die da Atombomben heißen” (ebenda, S. 175).
Metropolit Anastasij begrüßte die damalige Initiative zur Abschaffung der Atomwaffen, kritisierte aber im gleichen Sinne die zeitgenössische Kultur, die der Menschheit wenig Glück beschert, sie dafür aber an den Rand der Selbstvernichtung durch Atombomben geführt hatte (Osterbotschaft 1953, J.S., S. 168). Seiner Auffassung nach ist die Quelle des wahren Friedens nicht in der Angst um die physische Existenz zu suchen, sondern in der Offenbarung der geistigen Würde des Menschen als des Ebenbildes Gottes; genau darin besteht der Wert des Einsatzes der russischen Neomärtyrer, die im Licht der Auferstehung Christi kraft ihres Glaubens den “grausamen, tiergleichen Menschen entgegentraten, die ihr menschliches Antlitz verloren hatten” (Weihnachtsbotschaft 1953, J.S., S. 168).
Im März 1953 erinnerte der russische Hierarch an das Schicksal des Nebukadnezar, der vom Wahnsinn geschlagen wurde, an die Grausamkeit von Herodes und Nero, um dann die Worte des Hl. Gregor des Theologen anläßlich des Todes von Julian Apostata auf Stalin anzuwenden: “Gott, der will, daß selbst der schlimmste Sünder gerettet werde und zur Erkenntnis der Wahrheit gelange, schenkte in Seiner Barmherzigkeit auch Stalin Zeit zur Reue, die Er erwartete, und schonte ihn deshalb. Aber das Ausbleiben der Strafe machte ihn nur noch hochmütiger und frecher. Sogar die Langmut Gottes machte er noch zu einem Mittel der Selbstverherrlichung und zur tieferen Verwurzelung im Bösen... Die Feinde Gottes – wahrlich sie vergehen wie Rauch, und das sollten auch alle Nachfolger Stalins bedenken. Dasselbe himmlische Urteil schwebt bereits über ihnen allen” (J.S., S. 170f).
Auf dem Hintergrund der boshaften Verfälschungen läßt das Wort dieses Bischofs Christi für uns ganz deutlich hervortreten: wenn für eine durch Gottlosigkeit und Materialismus vergiftete Denkweise die Bedeutung des Todes nur ein gleichermaßen furchteinflößendes und ehrloses Ende ist, so weiß demgegenüber der Christ: “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und darüber hinaus nichts weiter tun können” (Lk 12, 4), “fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann” (Mt 10,28). Das ist die biblische, patristische Unterscheidung des Todes eines Gerechten vom Tod des Frevlers. Aber gerade deshalb lassen die obengenannten falschen Zeugen die Perspektive der Auferstehung verschwinden, und was in der Osterbotschaft als Faktum aufgezeigt wird – nämlich das böse Ende des Tyrannen durch das von ihm selbst entfachte Feuer, das verwandeln sie in einen Aufruf zur Handlung wider das Opfer des Tyrannen. So wird das russische Volk einfach mit dem Menschenmörder Stalin gleichgesetzt. Neu ist das nicht, denn: “die Partei und das Volk sind eins”! Die ethische Unterscheidung des Verbrechers und seines Opfers ist beseitigt zum Zwecke einer Vermischung von Gut und Böse, zu der sich nahtlos auch die von M. Anastasij kritisierte Verwandlung eines von Gott zugelassenen Tyrannen in einen “von Gott Auserwählten” fügt. Die Folgen solcher ethischen Begriffsvermischungen wirken bis heute fort*.
So erklärt sich, daß das Bild eines hervorragenden russischen Hierarchen verzerrt wird, der das von den Feinden der Orthodoxie gequälte Rußland innig liebte und sich den götzendienerischen Verirrungen des menschlichen Geistes widersetzte, der zu unterscheiden lehrte zwischen dem tyrannischen System Stalins und dem wahren Rußland, das Gott dient und in die Auferstehung Christi gerichtet ist. Der echte Schmerz für die Russische Kirche muß zuguterletzt zu einem tiefen Verstehen ihrer Geschichte führen. Aber die Bereitschaft, Behauptungen des christushassenden Geistes zu übernehmen – woher kommt sie, wohin führt sie?
N.A.
Bote 1993-2
Kirchliche Amtshandlungen
Kirchliche Amtshandlungen
In unseren Gemeinden wird immer wieder gefragt, was für bestimmte kirchliche Amtshandlungen zu spenden sei. Wir haben daher eine Umfrage durchgeführt, um ein durchschnittliches Mittel zu erfahren. Dabei konnten folgende Erfahrungswerte aus der gegenwärtigen Praxis ermittelt werden:
Durchschnittlich wird derzeit gespendet:
für Taufen – DM 300.- bis 500.-,
für Gebetsgottesdienste (moleben) – DM 30,- bis 50,-
für Eheschließungen – DM 400,- bis 600,-,
für Totengedenken (panichida) – DM 30,- bis 50,-,
für Krankenkommunion – DM 50,- bis 100,-,
für Beerdigungen DM 300.- bis 500.-.
Hierbei wollen wir aufs Neue betonen, daß die Durchführung kirchlicher Amtshandlungen oder Spendung von Sakramenten natürlich in keiner Weise von der “Zahlungsfähigkeit” oder Spendenfreudigkeit der Gläubigen abhängig sind. Jeder unserer Geistlichen wird die Bitte eines Gläubigen um Durchführung einer Amtshandlung oder Spende eines Sakramentes selbstverständlich erfüllen, gleich ob dieser eine Spende dafür gibt oder nicht. Spenden sind willkommen und notwendig, da die Kirche darauf angewiesen ist. Es muß jedoch allen klar sein, daß es in der Kirche keine Tarife gibt. Mit den obenstehenden Hinweisen sollen lediglich Anhaltspunkte gegeben werden, da die Frage nach einer angemessenen Spende sehr häufig auftritt.
Bote 1993-3
Sendschreiben des Bischofskonzils
der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland
Christus ist auferstanden!
Aus dem Kloster der heiligen Gottesmutter von Lesna in Frankreich senden wir, die Bischöfe der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland allen gläubigen orthodoxen Menschen in unserer Heimat und hier jenseits ihrer Grenzen, den Ostergruß und unseren Segen.
Zum ersten Mal versammelte sich unser Konzil in diesem Kloster. In der Kirche, in welcher wir unsere Sitzungen abhalten, verweilen mit uns drei heilige wundertätige Ikonen der Heiligen Gottesgebärerin: unsere Hodigitria (Wegweiserin), die Ikone der Gottesmutter von der Wurzel von Kursk, die myronspendende Ikone von Iveron aus Montreal und das Heiligtum des Klosters - die Ikone der Allerheiligsten Gottesmutter von Lesna. Auf die gnadenreiche Hilfe der Gebieterin der Welt vertrauen wir besonders.
Mit Freude betonen wir, daß die Gnade des Heiligen Geistes uns hier zu unserem kirchlichen Wirken noch vor Ende der österlichen Zeit versammelte, in der noch gesungen wird: “In Freuden umarmen wir einander... Vergeben wir alles durch die Auferstehung”. Und das in einer solchen Zeit, in der die Ereignisse in unserer Heimat die Verbindung zu unseren Landsleuten ermöglicht haben.
Wir hören die Worte des hl. Apostels Paulus: “Vergeßt nicht, wohltätig zu sein und mitzuteilen, an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen” (Hebr 13,16).
Jahrzehnte lang betete der freie Teil der Russischen Orthodoxen Kirche bei jedem Gottesdienst “Auf daß deine Menschen von der bitteren Qual der Herrschaft der Gottlosen befreit werden”... - Und nun , so scheint es, ist das äußere Gesicht dieser Macht tatsächlich gewichen. Dieses Zurückweichen brachte dem russischen Land und seinem Volk eine Großzahl neuer Prüfungen. Sowohl auf geistlichem als auch auf materiellem Gebiet beobachten wir eine große Zahl widersprüchlicher Erscheinungen. Natürlich rufen diese unter den Kindern unserer Kirche, sei es in unserem leidgeprüften Heimatland oder jenseits seiner Grenzen, widersprüchliche Reaktionen hervor.
Die neuerlichen Möglichkeiten müssen wir unbedingt nutzen, doch zur selben Zeit warnt uns der Apostel: “So gebt denn peinlich acht, wie ihr wandelt. Nicht als Unverständige, nein als Verständige” (Eph 5,15).
In den vergangenen Jahren riefen wir wiederholt zur Buße und Reinigung von den schrecklichen Folgen des gottlosen Jochs auf, und diese unsere Aufrufe waren an alle Kinder unserer Kirche, wo immer sie sich auch befinden, gerichtet. Heute hören wir Reue in den Worten einzelner Hierarchen in der Kirche in der Heimat und sehen die Reinigung - im tapferen Tragen der neuen Prüfungen und Schwierigkeiten. Wonach müssen wir in dieser Lage streben?
Man ruft uns zur Vereinigung mit der Kirche in Rußland auf. Dies ist auch der Wunsch unserer Herzen. Doch... ist die Zeit für diesen heiligen Akt gekommen? Nein, sie ist nicht gekommen. Denn in Rußland herrscht immer noch die Sowjetmacht, die sich unter dem Wort “Demokratie” versteckt.
Die Äußerungen einiger Hierarchen über die angeblich von der Kirche schon gewonnene Freiheit sind nichts anderes als die Wiederholung derselben Worte, die wir in der vergangenen Zeit des gottlosen Regimes hörten. Die Kirche dort ist immer noch nicht frei - sie ist auf dem Weg des Kampfes um ihre Freiheit. Der Antichrist zieht immer noch im russischen Land umher. Das Schlimmste für ihn ist die Orthodoxie. Sie fürchtet er, insbesondere fürchtet er die Russische Orthodoxie. Sie wurde nicht vom Terror überwunden, nicht durch “Ideologie” besiegt. Heute werden neue Mittel zu ihrer Vernichtung angewandt: man gab Freiheit - Freiheit in dem Sinn, wie dieses Wort von den Herrschern des Westens und der sozialistischen Länder verstanden wird: Freiheit der Sprache, Freiheit der Unzucht, dem Verbrechen, den Sekten, der Anarchie; dies ist Freiheit zum Mord an der Persönlichkeit, zum geistlichen und physischen Mord der Nation und des Staates... Es ist anzumerken, daß dieser stinkende, giftige Fluß von Freiheiten von dem Zentrum des Bösen in der Welt auf Rußland gelenkt wird.
In dieser Lage erkennen wir, daß es an der Zeit ist, alle Kräfte zu vereinen, damit die Orthodoxe Kirche den ihr gebührenden Platz im Leben des russischen Volkes und in der Folge auch im Leben der anderen Völker einnehmen kann. Trotz der ungefestigten politischen und wirtschaftlichen Lage im heutigen Rußland scheint dem russischen Volk die einmalige Möglichkeit gegeben, sich auf das geistliche Niveau des wahren orthodoxen Christentums zu erheben und damit Rußland zu der Größe zu führen, welche seine Propheten vorhersahen, seine hervorragenden Denker und Schriftsteller.
In dem qualvollen Prozeß der Wiederbelebung des russischen orthodoxen Volkes kann die russische Diaspora ihre Erfahrungen einbringen, wenn sie selbst vollkommen die kirchliche Wahrheit als die einzige Grundlage ihres Lebens annimmt und anerkennt. Ein solches Verhältnis war für den russischen Menschen früherer Jahrhunderte natürlich. Auf dieser Grundlage wuchsen die geistlichen Helden heran, die die orthodoxe “Rus’” schufen - von dem Metropoliten Ilarion, dem hl. Alexander Nevskij, Dimitrij Donskoj, bis zu dem hl. Seraphim von Sarov und dem gerechten Johannes von Kronstadt. Mit diesen Säften müssen auch wir uns nähren.
In unseren Tagen sehen auch wir, in welchem Maße politische Leidenschaften das russische Volk trennen können. Die Emigration erlebte dies in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz außerhalb der Heimat. Jetzt weiß man in Rußland oder in dem früheren Rußland schon nicht mehr, wo wessen Heimat ist. Alle Begriffe sind vermischt. In dieser Lage erkennen wir, daß es nötig ist, einen neuen Anfang zu setzen und um dessentwillen neue Wege zu suchen. Dabei darf niemand von uns die Pose des Richters einnehmen. Wir alle müssen uns mit den verworrenen Wegen des kirchlichen Lebens unter den nie dagewesenen Bedingungen des 20. Jh. vertraut machen, wir müssen von dem Fehlern und dem Versagen oder dem Fall, sei es einzelner Personen oder ganzer Gruppen, lernen. Aus der Analyse der Geschehnisse müssen wir unsere Schlüsse ziehen und aus der schweren Erfahrung unserer Zeit müssen wir gereinigt hervorgehen. Die Wunden, die der Russischen Kirche in ihrem 200-jährigen Dasein ohne Patriarchen zugefügt wurden, waren noch nicht geheilt, als neues Leid über sie kam. Nur daraus ist die falsche Reaktion der Mehrheit des Episkopats und der Geistlichkeit auf die Februarrevolution zu erklären, die den Weg zu dem blutigen Oktober eröffnete.
Die russische Emigration verarbeitete diese Probleme geistlich unter den unterschiedlichsten Be-dingungen ihres Daseins in Ländern mit verschiedenartigen Formen politischer Organisation und kulturellen Erbes. Ihr gelang es, den orthodoxen Glauben, Kultur und Traditionen zu bewahren und sogar den nach Wahrheit strebenden Vertretern der Völker weiterzugeben, unter denen sie lebt. Das russische Volk in der Heimat kannte unterdessen ausschließlich Verfolgungen der Wahrheit und alles Guten.
In der gegenwärtigen Welt empfinden wir deutlich die Wirkung des Systems des Bösen, welches die öffentliche Meinung kontrolliert und die Aktionen zur Zerstörung des orthodoxen Christentums und national gefestigter Völker koordiniert. Der Bolschewismus in Rußland ist noch nicht überwunden. Sein Wesen und seine schrecklichen Folgen für die menschlichen Seelen sind noch nicht verarbeitet. Angesichts dessen eröffnen sich vor der Kirche in Rußland immer neue Probleme. Erwähnen wir nur den massenhaften Andrang zur heiligen Taufe. Wodurch ist er bedingt - ist dies nicht etwa eine Modeerscheinung? Wie können die Priester eine solche riesige Zahl von Menschen zur Taufe vorbereiten, die keinerlei katechetische Unterweisung erhalten haben? Wie können sie richtig, in orthodoxer Weise, Sakramente und kirchliche Handlungen von der Taufe bis zur Beerdigung vollziehen, wenn dem bis vor kurzem noch äußere Kräfte Hindernsisse in den Weg legten, die jetzt schon durch die Gewohnheit der Geistlichen und Laien abgelöst wurden?
In unserer Zeit, in der alle nur denkbaren negativen Erscheinungen auf Rußland einströmen - von der moralischen Verderbnis bis zur geistlichen in Form von Irrlehren verschiedenster Sekten - ist es unabdingbar, daß die verschiedene Erfahrung aller Teile der Russischen Orthodoxen Kirche ineinanderfließt. In offenem Gespräch müssen wir den Boden für ein freies, echtes und fruchtbringendes allrussisches Konzil vorbereiten. Unsere Aufgabe kann nicht darin liegen, den Nächsten zu verurteilen, sondern sie muß in der Suche nach Wegen zur Er-neuerung der Einen, sichtbaren Russischen Orthodoxen Kirche gesehen werden.
Setzen wir unsere Gebete für die Erlösung unseres Vaterlandes und unserer Kirche von allen gottwidrigen Ränken fort, von der Verderbnis jugendlicher und kindlicher Seelen und den übrigen Anfechtungen, einschließlich der Versuche, russische Menschen von den Wurzeln der Orthodoxie und sogar des Christentums loszureißen.
In der Wahrheit haben wir die Gnade, in der wir leben, atmen, genießen. Jegliche Abweichung von der Wahrheit ist ein Abweichen von Christus. Süße Worte, die Furcht “zu verletzen”, das ist die sogenannte Diplomatie, welcher im Leben der Kirche kein Platz zukommt. Wir befinden uns heute auf dem Schlachtfeld. Wenn wir von Christus abweichen würden, würden wir uns des Atems berauben, der von der Wahrheit ausgeht, d.h. der Gnade. Ohne Gnade aber ist der Mensch nicht imstande, gegen das Böse zu kämpfen, welches danach strebt, Rußland und überhaupt die Wahrheit in dieser Welt zu vernichten.
Beten wir auch für unsere orthodoxen Brudervölker, insbesondere aber für die heute so viel Leid tragenden Serben, mit denen uns das Band gegenseitiger Liebe und Dankbarkeit verbindet.
Und schließlich möge sich überall, unter allen verschiedenen Völkern unter dem Himmel das unvergängliche Licht der Gottesvernunft (Gebet in der Liturgie vor dem Lesen des Evangeliums) verbreiten.
Wir danken Gott dafür, daß das apostolische, missionarische Wirken russischer Heiliger seine Früchte gebracht hat und nicht aus der Chronik der Kirche Christi gelöscht wurde!
Das Bischofskonzil ruft heute unsere gottliebende Geistlichkeit und unsere Gläubigen dazu auf, Gott für das 1994, dem 200. Jubiläumsjahr der Orthodoxie in Amerika, bevorstehende Fest der Verherrlichung dreier russischer Heiliger zu danken, die die Herzen der Gläubigen durch ihr Leben und ihr Wirken rühren. Die neu zu verherrlichenden Wundertäter Gottes, von denen hier die Rede ist, sind der Metropolit von Moskau Innokentij, der 1879 verschied, nachdem er in jungen Jahren die Inselbewohner der Aleuten und andere Einheimische von Westamerika missioniert hatte und sein jüngerer Zeitgenosse, der Apostel Japans Erzbischof Nikolaj, der 1912 verschied, und schließlich der Nachfolger ihres Geistes und ihres Wirkens, der in Asien, Europa und Amerika als Bischof tätige Johannes, zunächst von Shanghai und später von Westamerika und San Francisco, der 1966 verstarb.
Die ersten beiden Bischöfe pflanzten die Orthodoxie auf beiden Seiten des großen (Stillen) Ozeans ein.
Der hl. Innokentij, der diese Gewässer in einem kleinen Boot ohne Angst durchfurchte, als er noch Priester Johannes Veniaminov war, ist der Autor sowohl in direktem als auch in übertragenem Sinne des “Wegweisers zum Himmelreich”.
Der hl. Nikolaj brachte sich ganz als Opfer der Liebe für die von ihm gegründete und aus Wasser und Heiligem Geist geborene Kirche von Japan dar. Diese sind wahrhaft heilige Väter und Kirchenlehrer des 19. und 20. Jahrhunderts!
Der hl. Johannes aber, der Mitarbeiter auf dem Acker Christi der Ersthierarchen im Ausland, der Metropoliten Antonij, Anastasij und Filaret, hielt alles Irdische für Unrat, um das Himmelreich zu erwerben, kannte keinen Schlaf auf einem Lager, um auch jetzt über uns zu wachen, empfing täglich die Heiligen Gaben des Leibes und Blutes Christi und verweilte so mit Christus und in Christus, übte Barmherzigkeit und heilte durch seine Hilfe im Gebet diejenigen, die dessen bedurften, und durchlief ähnlich den beiden ersten Bischöfen seinen Weg so, daß viele Völker ihn als den ihrigen, ihnen ganz nahen lieben lernten.
Wenn wir das Leben dieser nun zu verherrlichenden Bischöfe der Russischen Kirche betrachten, hoffen wir sehr darauf, daß sie durch ihre Gebete unsere heutigen Bischöfe und Priester stärken, damit sie das Schiff des freien Teils der Russsischen Kirche, das in den vergangenen Jahren so viel Leid ertrug, auf seinem Wege durch die stürmischen Wellen des Meeres menschlicher Leidenschaften festigen. Auf ihre Gebete und die Gebete der heiligen Neumärtyrer Rußlands möge der Herr uns zum Heil unserer Seelen gewähren, daß wir deutlich erkennen, wo die Wahrheit Gottes liegt und welches unser Weg zum Heil in der heutigen schwierigen dunklen und verworrenden Zeit sein muß.
Metropolit Vitalij von Ostamerika und New York
Erzbischof Antonij von Los Angeles
Erzbischof Antonij von Westamerika u. San Francisco
Erzbischof Lavr von Syracuse u. Hl. Dreifaltigkeits-Kloster
Erzbischof Alipij von Chicago
Erzbischof Mark von Berlin u. Deutschland
Bischof Varnava von Cannes
Bischof Ilarion von Manhatten
Bischof Kyrill von Seattle
Bischof Mitrofan von Boston
Bischof Grigorij
Bote 1993-3
Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland 1993
Vom 4. bis 17. Mai (neuen Kal.) fand das turnusmäßige Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland statt. Gewöhnlich werden die Konzile unserer Kirche im Synodalgebäude in New York einberufen oder - wie mehrmals in den letzten Jahren - in dem Christi-Verklärungs-Skit in Mansonville in Kanada. Dieses Mal wurde das Bischofskonzil im Lesnaer Frauenkloster in Frankreich einberufen. Auf diese Weise war dies seit dem Umzug des Bischofssynod und des Ersthierarchen, Metropolit Anastasij nach Amerika im Jahre 1950 das erste Konzil, das wieder in Europa stattfand. Am Bischofskonzil 1993 nahmen außer dem Vorsitzenden des Synods und Ersthierarhcen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland Metropolit Vitaly, die Erzbischöfe Antonij von Los Angeles, Antonij von Westamerika und San Francisco, Lavr von Syracus und Dreifaltigkeitskloster, Alipij von Chicago und Detroit und Mittelamerika und Mark von Berlin und Deutschland und die Bischöfe Varnava von Cannes, Ilarion von Manhatten, Kyrill von Seattle, Mitrofan von Boston und Bischof Grigorij teil. Aus Rußland war keiner unserer Bischölfe gekommen, und von den im Ausland weilenden konnten aus Gesundheitsgründen die Erzbischöfe Paul und Seraphim sowie die Bischöfe Ioann, Daniil und Konstantin an dem Konzil nicht teilnehmen. Besonders unglücklich waren die Teilnehmer des Konzils über die Abwesenheit des “Gastgebers”, des Erzbischofs Antonij von Genf und Westeuropa. Er hatte sich in der Großen Woche das Rückgrat verletzt und lag deshalb im Krankenhaus. Im Verlaufe des gesamten Konzils wurde inständig für seine Gesundheit gebetet.
Bei dem Bischofskonzil wurden wie gewöhnlich alle brennenden Probleme unsers kirchlichen Lebens sowohl im Ausland als auch in Rußland diskutiert. Eine der schwierigen Aufgaben ist die Besetzung vakanter Bischofssitze. So blieb die große Diözese von Australien und Neuseeland nach der Erkrankung ihres langjährigen Oberhirten, Erzbischof Paul, ohne ständigen Bischof. Heute befindet sich in Australien Bischof Daniel von Erie. Ungeachtet seiner vielseitigen Tätigkeit mit den Altritualisten vom Einheitsglauben in Amerika hat sich Bischof Daniel vollkommen in das Leben der Diözese von Australien und Neuseeland vertieft und konnte sofort ihren juristischen Status ins rechte Gleis lenken. Leider hindern ihn körperliche Krankheiten daran, alle Aufgaben eines leitenden Bischofs der australischen Diözese zu übernehmen.
Durch Beschluß des Konzils wurden die in Rußland tätigen Bischöfe Erzbischof Lazar und Bischof Valentin in den Ruhestand versetzt. Die Gemeinden in Rußland werden weiterhin mit Hilfe der Bischöfe Varnava und Verniamin unmittelbar vom Bischofssynod verwaltet. Das Bischofskonzil widerholte auch seine klare Abgrenzung gegenüber jeglichem Versuch, die Kirche mit irgendweiner wie auch immer gearteten politischen oder gesellschaftlichen Organisation zu verbinden, indem es unterstrich, daß die Kirche über allen menschlichen Leidenschaften stehen muß.
Als Ergebnis langjähriger Vorbereitungsarbeiten wurde auf dem Konzil der Beschluß gefaßt, im Jahre 1994 drei russische Diener Gottes dem Kanon der Heiligen zuzuzählen: Metropolit von Moskau Innokentij, der in jungen Jahren die in Amerika Missionsarbeit geleistet hatte und den Apostel Japans Erzbischof Nikolaj. Diese beiden Verherrlichungen sind für Ende Januar 1994 vorgesehen. Am 2. Juli 1994 soll dann in San Francisco ebenfalls die Verherrlichung des Erzbischofs Johannes von Shanghai und später von Westamerika und San Francisco, wo auch seine Gebeine ruhen, stattfinden (s. Sendschreiben des Bischofskonzils am Anfang dieser Nummer des Boten).
Am Sonntag, den 9. Mai, reisten fast alle versammelten Bischöfe in verschiedene Gemeinde der Westeuropäischen Diözese, um dort die Sonntagsgottesdienste zu leiten, weil die Kirche im Lesnaer Frauenkloster nicht alle Teilnehmer des Konzils gefaßt hätte. Auf diese Weise fanden bischöfliche Gottesdienste In Brüssel, Paris, Luxemburg, Lyon und Marseille statt. Erzbischof Mark war in der Christi-Auferstehungskirche in Meudon bei Paris eingeladen, wo der Vorsteher ein früherer Kleriker der Deutschen Diözese ist - Erzpriester Michael Artzimovitch. Vater Michael wurde von Bischof Mark im ersten Jahr seines bischöflichen Wirkens zum Diakon und dann zum Priester geweiht. Daher nutzte er die Gelegenheit sofort, um seinen früheren Bischof in seine Gemeinde einzuladen. Gewöhnlich feiert diese Gemeinde ihr Patronatsfest am Sonntag der Myronträgerinnen. Aber dieses Mal wurde das Fest am Sonntag des Gelähmten gefeiert. Bei der abendlichen Vigil am Sonnabend vollzog Erzbischof Mark die Litia und verlas das Evangelium. Am Sonntag zelebrierten mit dem Hierarchen der Erzpriester Michael Artzimovitch, Priester Andrej Philipps und Diakon André Meillassoux. Nach der Göttlichen Liturgie und der Prozession gab die Gemeinde einen Empfang in einem Raum, der ihr von der Stadtverwaltung überlassen wurde. Dorthin kamen auch die Mitglieder der Gemeinde Aller Heiligen Rußlands aus Paris, wo an diesem Tag Erzbischof Antonij von Los Angeles zelebriert hatte. Nachdem Erzbischof Mark an diesen zwei Tagen in der Gemeinde Christi Auferstehung gebetet hatte, drückte er sein Erstaunen über die schöne Ausstattung der Kirche, den hervorragenden Gesang und besonders das aktive kirchliche Leben aus, an dem viele junge Familien mit Kindern teilnehmen.
Aus dem Leben der Diözese - 1
Großbritanien
Zum Fest der Verkündigung der Allerheiligsten Gottesgebärerin leitete S.E. Mark, der Erzbischof von Berlin, Deutschland und Großbritannien, die Gottesdienste aus Anlaß des Patronatsfestes im Verkündigungs-Frauenkloster in London. Nachdem er bereits einige Tage vor dem Fest in London eingetroffen war, hielt der Bischof die Gottesdienste zum 5. Sonntag der Großen Fastenzeit in der Allerheiligen-Kirche in London. Am Schluß der Göttlichen Liturgie legte er dem Abt Seraphim ein Goldkreuz an, das von einem der alten verdienten Erzpriester in England verblieben war, eines früheren Missionars, der mit dem besonderen Synodalkreuz noch vor 1917 für seine Verdienste auf dem Gebiet der Mission in Rußland ausgezeichnet wurde. Erzbischof Mark würdigte in seiner Ansprache insbesondere die Verdienste von Vater Seraphim für die Aufrechterhaltung des Gemeindelebens in London während der schweren Zeit, als außer ihm kein russischer Priester in England war, ebenso aber auch seine Verdienste um die Mission. Am Sonntag abend leitete der Hierarch eine Sitzung des Londoner Gemeinderates, bei der hauptsächlich Fragen des geplanten Kirchbaus besprochen wurden.
Zum Fest der Verkündigung der Allerheiligsten Gottesgebärerin empfingen die Äbtissin und die Schwestern des Verkündigungs-Klosters ihren Bischof mit großer Freude in dem festlich hergericheteten Kloster. Mit Erzbischof Mark konzelebrierten Archimandrit Alexij, Abt Seraphim, Priester Vadim Zakrevskij, und die Diakone Vasilij Jakimov und Peter Baulk. Bei der Liturgie empfing auch der Beichtvater des Klosters, Archimandrit Nikanor, die Heiligen Gaben. Als Altardiener wirkten wie gewöhnlich die Jungen aus der von den Nonnen geleiteten russischen Schule.
Am Abend des Festtages vollzog Erzbischof Mark zusammen mit den obengenannten Geistlichen in der Allerheiligen-Kirche das Sakrament der Ölweihe. Trotz der vielen Gottesdienste an den vergangenen Tagen versammelte sich zu dieser erstmals in London durchgeführten Ölweihe eine große Zahl von Gläubigen. Am späten Abend kehrte Erzbischof Mark nochmals in das Frauenkloster zurück, um die Äbtissin und die Nonnen mit dem geweihten Öl zu salben. So wurde dieser Festtag mit großem geistlichen Gewinn abgeschlossen.
Während der Großen Woche vollzog Erzbischof Mark wie auch in den vergangenen Jahren die Ölweihe in Frankfurt (am Montag), Stuttgart (am Dienstag) und in der Kathedralkirche in München (am MIttwoch). Alle anderen Gottesdienste der Karwoche führte er in Konzelebration (von wenigen Ausnahmen abgesehen) mit Vater Nikolai Artemoff, Protodiakon Georg Kobro und Diakon Andrej Sikojev in der Münchener Kathedrale durch. Angesichts der großen Zahl von Gläubigen reichten Erzbischof Mark und Priester Nikolai Artemoff zu Ostern die Heiligen Gaben aus zwei Kelchen. Besonders festlich verlief in diesem Jahr der Abendgottesdienst am ersten Osterfeiertag. Der Erzbischof begann den Gottesdienst in der Mitte der Kirche bis zum Einzug zu “Mildes Licht”, er vollzog selbst zu Beginn die Weihräucherung, verlas das Evangelium in Kirchenslavisch und Deutsch und hielt nach dem Evangelium eine Predigt. Am zweiten Feiertag, Ostermontag, fand der Morgengottesdienst und die Liturgie sowie die Osterprozession traditionell im Kloster des Heiligen Hiob statt.
Aus dem Leben der Diözese - 2
p Vom 23. bis 27. Mai hielt sich Erzbischof Mark zu einem Pastoralbesuch in Riga in Lettland auf. Während der Liturgie zum Thomas-Sonntag weihte er einen Diakon zur Hilfe für den kranken Archimandriten Kyrill. Außerdem nahm er einer größeren Zahl von Studenten des Priesterseminars im Fernstudium Examina ab und empfing eine Vielzahl von Personen, die mit verschiedenen kirchlichen Fragen zu ihm kamen. Am Sonntag war Erzbischof Mark nachmittags bei einem geistlichen Konzert des Ensembles “Frohbotschaft” (Blagovest) anwesend, das im größten Konzertsaal Rigas stattfand. Hier wandte sich Erzbischof Mark mit einer kurzen Ansprache an die versammelten Liebhaber russischen Kirchengesangs. In Lettland wie wohl auch in den anderen baltischen Staaten ist der russische Teil der Bevölkerung unerwartet zu Emigranten geworden. Daher kann für sie die Erfahrung unserer Kirche in vielen Fragen als Vorbild dienen.
p Am 21. Mai zelebrierte Erzbischof Mark eine Panichida auf der Burg Hohenzollern. Hierhin lädt ihn alljährlich um den 10. Mai Seine Kaiserliche Hoheit Prinz Louis Ferdinand von Preußen ein - der Enkel des lezten deutschen Kaisers. Seine Gattin war die russische Großfürstin Kira (die Schwester des Großfürsten Kirill Vladimirovi¡c). Mit Erzbischof Mark reiste ein kleines Ensemble des Münchener Kathedralchores unter Leitung des Chorleiters Vl.Vl. Ciolkovitch. Prinz Louis Ferdinand ist ein großer Musikliebhaber - und nach Tradition der Preußenkönige - auch selbst Komponist. Daher schätzt er die russische Kirchenmusik besonders.
p Nach Abschluß des Bischofskonzils in Frankreich brachte Erzbischof Mark die Wundertätige Ikone der Kursker Gottesmutter vom Zeichen von der Wurzel mit nach Deutschland. Sie war bei den Gottesdiensten aus Anlaß des Patronatsfestes des Hiobsklosters (am 6./19. Mai) sowie der Kathedralkirche in München am 9./22. Mai (Übertragung der Gebeine des Hl. Nikolaus von Myra in Lykien nach Bari) sowie am Sonntag, den 10./ 23. Mai und zu Christi Himmelfahrt anwesend. An den Werktagen dazwischen besuchten die Geistlichen die Wohnungen von Kranken und Gebrechlichen, und die Ikone war bei Bittgottesdiensten und Akathisten in der Kathedrale, in der Hl. Michaels-Kirche in Ludwigsfeld und in Augsburg zugegen. Überall zog die Anwesenheit der Wundertätigen Ikone eine große Zahl von Gläubigen an. Zum Fest des Hl. Hiob von Po¡caev zelebrierte dieses Mal der zweitjüngste Bischof unserer Kirche, S.E. Kyrill, Bischof von Seattle, der nach dem Bischofskonzil in Frankreich dem Hiobs-Kloster einen kurzen Besuch abstattete.
p Am Montag, den 18./31. Mai (dem westlichen Pfingstmontag) feierte Erzbischof Mark gemäß einer in unserer Diözese seit langem gepflegten Tradition die Göttliche Liturgie in der Grabkirche der Großfürstin von Rußland und Königin von Württemberg Katharina Pawlowna auf dem Rotenberg bei Stuttgart. Am Vorabend betete er in der Hl. Nikolaus-Kirche in Stuttgart selbst, wo der Abend- und Morgengottesdienst gefeiert wurde. Auf dem Rotenberg konzelebrierten mit Erzbischof Mark die Priester Josif Wowniuk aus Erlangen, Ilya Limberger und Johannes Kaßberger - beide aus Stuttgart - und der Protodiakon Georgij Kobro; anwesend war auch Priester Nikolai Artemoff. Den feierlichen Gesang gestaltete ein aus Münchener und Stuttgarter Sängern zusammengestellter Chor unter Leitung des Münchener Chorleiters Vl. Vl. Ciolkovitch. Nach der Liturgie hatte Erzbischof Mark wie schon am Vorabend reichlich Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit den Geistlichen und Gläubigen, die bei ihm Rat und Unterweisung suchten. Unter den Bedingungen unserer Diaspora ist eine solche Gemeinschaft besonders wichtig für die Erhaltung der Einheit der Kirche.
Aus dem Leben der Diözese
1993 - 5
p Am Fest der Verklärung Christi (6/19. August) zelebrierte der Hochgeweihte Erzbischof Mark die Göttliche Liturgie in der Verklärungskirche in Baden-Baden. Es konzelebrierten Erzpriester Miodrag Gli¡sic und Protodiakon Georgij Kobro. Nach der Liturgie fand ein Bittgottesdienst mit Prozession um die Kirche statt. Den Bischöfen, Priestern und Gläubigen der Kirche wurde “auf viele Jahre” gesungen, und “ewiges Gedenken” allen verstorbenen Vorstehern und Gemeindemitgliedern. Die Schwesternschaft organisierte ein feierliches Mittagessen im Gemeindesaal in der Krypta.
p Am 29.-30. August/ 11.-12- September, am Tag des Hl. Alexander Nevsky, zelebrierte Erzbischof Mark die feierlichen Gottesdienste anläßlich des Patroziniums der Kirche in Kopenhagen. Ihm konzelebrierte Priester Andrei Biron und Protodiakon Georgij Kobro. Zu den Gottesdiensten hatte sich eine große Zahl von Gläubigen versammelt – Russen, Serben, Makedonier, Dänen, Äthiopier u. a.
p Am 4.-5. /17.-18. Sep. fanden bischöfliche Gottesdienste aus Anlaß des Patroziniums in der Kirche der Hl. Elisabeth in Wiesbaden statt. Mit Erzbischof Mark zelebrierte Erzpriester Dimitri Ignatiew, Priester Slawomir Iwaniuk und Protodiakon Georgij Kobro.
p Am Vorabend des Festes der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin, den 7./20. September vollzog Erzbischof Mark die Vigil in der Kathedrale in München, am Feiertag selbst dagegen, dem 8./21. September, feierte er die göttliche Liturgie in Nürnberg. Nach der Liturgie und dem Bittgottesdienst aus Anlaß des Patroziniums besuchte der Erzbischof den Kirchenältesten der Nürnberger Gemeinde G. Samorski im Krankenhaus.
Aus dem Leben der westeuropäischen Diözese
p Aus Wiesbaden fuhr der Erzbischof in Begleitung von Protodiakon Georgij Kobro nach Genf, wo am selben Abend (18. September) die Ernennung des Priestermönchs Seraphim (Doulgoff) zum Bischof von Lesna erfolgte. Am Sonntag den 6./19. September fand in der Kreuz-Erhöhungskathedrale in Genf während der göttlichen Liturgie die Bischofsweihe von Bischof Seraphim statt. Der Gottesdienst wurde vom Ersthierarchen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, Metropolit Vitalij, geleitet. An der Bischofsweihe nahm auch S. E. Mark, Erzbischof von Berlin und Deutschland, und Varnava, Bischof von Cannes teil. Ungeachtet seiner schweren Krankheit konnte der Hochgeweihte Erzbischof Antonij von Genf bei der Liturgie anwesend sein und bei der Weihe die Hände auf das Haupt seines von ihm ausgewählten Nachfolgers im Bischofsamt auflegen.
p Am Sonnabend, den 12./25. und Sonntag den 13./26. September fand in Genf eine weitere Bischofsweihe statt. Als zweiten Vikarbischof hatte Erzbischof Antonij den Priestermönch Amvrosij (Cantacuzène) vorgesehen. Metropolit Vitalij, Erzbischof Mark und Bischof Seraphim weihten ihn unter Mithilfe des schwerkranken Erzbischofs Antonij von Genf zum Bischof von Vevey.
Zu beiden Bischofsweihen hatten sich viele Menschen in Genf versammelt. Bei der ersten predigte Metropolit Vitalij über die Bedeutung des bischöflichen Amtes. Bei der zweiten hielt Erzbischof Mark die Predigt zum Thema der Rettung durch Kummer und Leiden - es war der Vortag des Festes der Kreuzerhöhung.
p Am Sonnabend, den 20. September/ 3. Oktober entschlief Erzbischof Antonij von Genf und Westeuropa friedlich im Herrn. Bereits am folgenden Tag wurden seine sterblichen Überreste in der Kreuzerhöhungs-Kathedrale zu Genf aufgebahrt, und hier fanden täglich Totengedenken statt, zu denen viele Gläubige kamen, insbesondere Jugendliche, für die Erzbischof Antonij stets ein besonders offenes Herz hatte. Am Mittwoch, den 6. Oktober fand abends eine große Toten-Vigil statt. Am 7. Oktober morgens begann die Liturgie um 9:00 Uhr. Sie wurde zelebriert von Erzbischof Mark und den Bischöfen Seraphim, Varnava und Amvrosij zusammen mit zwölf Priestern und acht Diakonen. Erzbischof Mark baute seine Predigt auf den Worten aus dem Epitaph des Hl. Gregor des Theologen an den Hl. Basilius den Großen auf: “Dein Wort war Donner und dein Leben Blitz”. Er erinnerte die außerordentlich zahlreiche, teilweise aus fernen Ländern angereiste, Gemeinde daran, daß Erzbischof Antonij durch sein donnerndes Wort viele Menschen zu Christus geführt, immer wieder zum Beachten der Gebote Christi ermahnt, liebevoll zurechtgewiesen, vor jeglicher Unwahrheit gewarnt und auf den Weg der Wahrheit geführt hat. Als wahrer “Goldmund” unserer Russischen Auslandskirche hat er nicht nur an unzähligen Kirchen durch Jahre hindurch wirkungsvoll gepredigt, sondern seiner Feder entstammen auch viele Sendschreiben der Bischofskonzile. Seine besondere Liebe galt dem russischen Volk, für das er sich vorallem in den schwersten Jahren der Kirchenverfolgungen immer wieder einsetzte. (Noch wenige Tage vor seinem Ableben hatte Erzbischof Antonij mit Erzbischof Mark über den Druck und die Verbreitung seines Aufsatzes über das Leben nach dem Tod (sic!) gesprochen, der hauptsächlich für die Gläubigen in Rußland bestimmt ist). Sein Leben war wahrlich ein Blitz, der viele mit dem Licht Christi erleuchtete, aus der Dunkelheit sündhafter oder häretischer Verirrungen herausführte, aber durchaus auch falsche Neigungen wie mit einem scharfen Messer ausbrennen konnte. Erzbischof Mark rief die Trauergemeinde auf, Donner und Blitz des verstorbenen Erzbischofs in ihren Herzen zu bewahren, um ihm hier in der Treue zum reinen Orthodoxen Glauben ein Denkmal zu setzen. Auf die in russischer Sprache gehaltene Predigt von Erzbischof Mark folgten Worte des Trostes an die verwaiste Gemeinde von Bischof Seraphim in französischer Sprache.
Nach Beendigung der Göttlichen Liturgie folgte nach einer kurzen Pause um 12:00 Uhr der Beerdigungsritus. Hierzu hatten sich über 30 Priester versammelt, acht Diakone und eine große Zahl von Gläubigen, die nur mit Mühe in der Kirche und auf dem Vorplatz Raum fanden. Die Bischöfe verlasen der Reihe nach die fünf Evangelientexte, den Kanon lasen zunächst die Bischöfe und sodann die Priester, die auch den größten Teil der Stichiren sangen. Gegen Ende des Gottesdienstes trugen die Priester den offenen Sarg mit den sterblichen Überresten von Erzbischof Antonij außerhalb der Umzäunung dreimal um die Kirche, wobei jeweils kurze Totengedenken (Litija) gehalten wurden. So endete der Gottesdienst um 15:30 Uhr, wonach die Gemeinde zu einem Mittagsmahl einlud. Um 17:00 Uhr wurde der Sarg in die in der Kirche befindliche Gruft herabgelassen, wo sich bereits der Sarg des leiblichen Bruders von Erzbischof Antonij, Bischof Leontij, befindet.
So endete der feierliche Abschied von einem großen Hierarchen unserer Kirche.
Aus dem Leben der westeuropäischen Diözese
Entschlafen d. Erzbischofs Antonij von Genf und Westeuropa
Erzbischof Antonij, in der Welt Andrej G. Barto¡sevi¡c, wurde im November 1910 in St. Petersburg geboren. Sein Vater G.V. Barto¡sevi¡c war Militäringenieur und Oberst der Zarenzeit, seine Mutter, Xenia M. geb. Tumkovskaja. Bei Beginn der Revolution siedelte er mit der Mutter nach Kiev zur Großmutter über. Hier ging er bis 1924 zur Schule; der Vater zog mit der Freiwilligen Armee in den Bürgerkrieg. Zur Zeit des NEP gelang die Auswanderung nach Deutschland und weiter nach Belgrad, wo der Vater als Ingenieur arbeitete. Andrej Barto¡sevi¡c absolvierte das Russisch-Serbische Gymnasium 1931 und studierte dann drei Jahre lang an der Technischen Fakultät der Universität Belgrad. Vor dem Abschluß derselben wechselte er in die Theologische Fakultät über. 1941 wurde er im Kloster Milkovo zum Mönch geschoren, wobei ihm der Name Antonij verliehen wurde. Als Mönchsdiakon und Mönchspriester diente er in Belgrad. In der Folge wurde er Religionslehrer im Kadettencorps. Bis 1949 zelebrierte er an der Russischen Kirche in Belgrad als Archimandrit. Seit 1949 betreut er verschiedene Gemeinden in der Westeuropäischen Diözese, besonders in Lyon, wo er die Kirche mit Ikonen ausmalte, und von 1952-1957 in Brüssel.
1957 erhält er die Bischofsweihe; seit 1963 ist er leitender Bischof der Diözese von Genf und Westeuropa. 1965 wird er in den Rang eines Erzbischofs erhoben, 1981 wird er mit dem Recht zum Tragen des Brillantkreuzes auf dem Klobuk ausgezeichnet. Seit 1987 war er erster Stellvertreter des Ersthierarchen der Russischen Auslandskirche.
Im Rahmen seiner unermüdlichen Sorge um das russische Volk unterstützte er die Initiative zur Veröffentlichung der Zeitschrift “Nade¡zda (Hoffnung) - christliche Lektüre”. Er war Vorsitzender der Gesellschaft “Orthodoxes Werk”, die sich mit der Korrespondenz mit Gläubigen in Rußland, mit Radiosendungen etc. beschäftigte.
1993 - 6
Weihnachtsbotschaft an die in Gott geliebten Gläubigen der Diözese von Berlin und Deutschland
In der finsteren Nacht unserer sündigen Welt erstrahlte das himmlische Licht. Es erleuchtete das ganze All, heilte es von allen Krankheiten und erfüllte es mit neuem Leben. Der nach dem Abbild und Ebenbild Gottes geschaffene Mensch, gefallen und geistlich verroht, bedarf der Berührbarkeit des Unberührbaren. Gott läßt Sich in Seiner unaussprechlichen Barmherzigkeit zur Erbärmlichkeit unseres Verständnisses herab, nimmt den menschlichen Leib auf Sich, denn Er heilt uns nicht abstrakt, nicht inunfaßbaren Begriffen, sondern unmittelbar – leibhaftig, real.
In dem “um uns Menschen und unseres Heiles willen” geborenen Gotteskind wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol. 2,8) - bezeugt der Hl. Apostel der Völker. Nach Bethlehem in Judäa kamen zu Ihm Hirten und Sterndeuter, um Ihn als erste nach der Allerheiligsten Jungfrau, dieser auserwählten Vertreterin des Menschengeschlechts, zu berühren. Über die Möglichkeit einer solchen Berührung des Menschen mit dem Gottessohn, des Geschöpfes mit dem Schöpfer, zeugt unser Herr, der Menschensohn, mit Seinem gesamten 33-jährigen irdischen Leben. Zu dieser Berührung ruft Er sowohl Seine “Zeitgenossen”, die mit “eigenen Augen” die Offenbarung Seiner göttlichen Macht sahen, als auch uns alle auf, denn auch wir können durch den Glauben die Gottheit berühren.
Welche Belehrung vermittelt uns das Hl. Evangelium, wenn es die Reaktion des Heilands auf die heimliche Berührung Seiner Kleider durch die blutflüssige Frau beschreibt, der durch die Berührung Seiner Kleider unverzügliche Heilung zuteil wurde? Welche Lehre gibt uns der Heiland hier, und wozu ruft Er uns durch Sein Beispiel auf? Viele umgaben Ihn in diesem Moment und bedrängten Ihn sogar, so daß die Heiligen Apostel verwundert auf die Frage ihres Lehrers, wer Ihn berührt habe, entgegneten: “viel Volkes drängt und drückt Dich” (Lk. 8, 45). Doch nur diese eine Frau, die Blutflüssige, die Ihn nach dem Zeugnis des Heilands Selbst mit Glauben berührte, empfing den Lohn: “dein Glaube hat dich gerettet” (48).
In allen Werken und Worten des fleischgewordenen Wortes Gottes offenbart sich Sein Allwissen und Seine Wundertätigkeit; nicht scheinbar, sondern wahrhaftig “wohnt in Ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig”. Begreifen wir die Bedeutung dieser Worte des Apostels, oder die aus dem Glaubensbekenntnis, in denen von Christus als dem “Fleischgewordenen... und Menschgewordenen” gesprochen wird?
Die Fülle jeglicher Vollkommenheit und Seligkeit siedelte sich in unserem Sein an, nahm unsere menschliche Natur selbst auf. Die Fülle der Gottheit stieg herab vom Himmel auf unsere sündige Erde, um uns, die wir durch den Verlust alles Guten verarmt sind, aus dem irdischen Jammertal zu Sich, auf die Höhe der Gottheit emporzuführen. Unser erbärmlicher menschlicher Verstand, enfernt von jeglicher Vollkommenheit und in die Enge der Sünde versunken, kann das Geheimnis nicht fassen, nach welchem die unendliche Gottheit das endliche Wesen erfüllen konnte. Nur Glaube, Hoffnung und Liebe können uns jene unermeßlichen Weiten der göttlichen Liebe eröffnen, dergemäß es Gott wohlgefallen hat, daß alle Fülle im Gottmeschen Christus wohnen sollte und Er durch Ihn alles mit Sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem Er Frieden stiftete durch Sein Blut am Kreuz (Kol. 1, 19- 20).
Die unzugängliche göttliche Unendlichkeit macht Sich endlichen menschlichen Wesen zugänglich. In der Fleischwerdung Gottes nähert sich das höchste geistliche Wesen unserem vergänglich-irdischen Wesen an, das jeglichen geistlichen Haltes entbehrt. Und es geschieht das erhabenste Wunder: die Fülle Seiner Gottheit erfüllt nicht nur Seine Menschliche Natur, sondern erfaßt auch die Leibhaftigkeit Seiner Menschheit selbst – in welcher die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt – und Seine Erfüllung wird uns allen zugänglich, ja, mehr noch, sie erfüllt uns mit Seiner Gottheit!
In die finstere Nacht unseres Seins dringt mit Seiner ganzen Göttlichen Kraft Der ein, Der allein Unsterblichkeit hat und Der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann (1 Tim. 6, 16), um uns geistlich Tote Seiner Unsterblichkeit teilhaftig werden zu lassen, um in unsere altgewordene Natur lebendiges und lebenspendendes Wasser zu ergießen und für uns, Geblendete, zum ewigen Quell nicht abendwerdenden Lichtes zu werden. Das gesamte irdische Leben des Heilands und das ganze folgende Leben der Christenheit stellt ein lebendiges Zeugnis der lebenschaffenden Kraft dar, die sich aus Seinem Gefäß der Fülle der Gottheit – Seinem Leib – auf uns ergießt.
Fünf Brote in Seinen Händen genügen, um eine fünftausendköpfige Menge zu sättigen. Erdenstaub, zu einem Brei vermischt, wird in Seinen Händen zum Quell des Lichtes für den Blindgeborenen. Die Fülle Seiner Gottheit, in Ihm leibhaftig wohnend, berührt das Lager des gestorbenen Jünglings und führt ihn zu neuem Leben. Wie sehr sind wir, liebe Brüder und Schwestern, geblendet von unserem Unglauben und Kleinglauben, wenn wir von Christus schon keine lebenspendenden Berührungen mehr erwarten, die auch uns zu neuem Leben führen können, in der unaussprechlichen Freude Seiner Gottmenschlichen Gemeinschaft?
Viele beobachteten mit Neugier Seine Wunder und lauschten Seinen wunderbaren Worten. Viele umgaben, ja viele bedrängten Christus, als die Blutflüssige zu Ihm trat. Doch allein diese Frau, die mit aufrechtem Glauben an Ihn herantrat, emfing Heilung und wurde mit neuem Leben erfüllt. Durch denselben Glauben können auch wir Seine göttliche Fülle berühren. Sie ist stets bereit, sich reich über uns zu ergießen. Ist es deshalb nicht an der Zeit, daß auch wir in der Weihnachtsnacht und allen folgenden Tagen den Lebenspender anrufen und die Mehrung unseres Glaubens erbitten? Gott öffnet in Christus Seine freigiebige Hand für jeden Suchenden.
Dem mit Glauben zu dem unversiegbaren Quell der Gnade Hinzutretenden ist der Herr stets bereit, jeglichen Mangel zu erfüllen, jegliche Krankheit zu heilen, jegliche Sünde zu reinigen, von leiblichem und geistlichem Tod zu retten. Er ist eins mit dem Vater, und wir sind eins mit Ihm: Ich bin in Meinem Vater, und ihr in Mir, und Ich in euch (Jo. 14, 20). In unseren Kirchen ist Er immer anwesend, bedeckt Er in der Gestalt von Brot und Wein Seine göttliche und rettende Kraft, – die ganze Fülle der Gottheit, die leibhaftig in Ihm wohnt –, und hier läßt Er Sich nicht nur von uns berühren, sondern ruft uns immer wieder von neuem dazu auf, in Gottesfurcht und Glauben zu Ihm zu treten, um Seinen Leib zu essen, und Sein Blut zu trinken, zu kosten Sein Leben und Seine Erfüllung zur Heilung der Seele und des Leibes.
Doch der Herr nimmt nicht mit Gewalt in uns Wohnung, sondern lediglich in dem Maße, in welchem Er uns zur Gemeinschaft mit Sich bereit und fähig findet. Wenn unser Geist ständig auf Ihn gerichtet ist in Andacht und Gebet, so erfüllt Er uns mit Seinem Geist; nach Seiner Verheißung wird Er in ihm Wohnung nehmen und in ihm wandeln (Lev. 26, 12). Ein Gottzugewandter Geist wird zum Gefäß Seines Lichtes und Seiner ewigen Wahrheit und Er eröffnet ihm das Unerfindliche und Geheimnisvolle Seiner Weisheit (Ps. 50, 8). Gott wäscht ein durch Buße geläutertes Herz und macht es weißer als Schnee. Der Herr Selbst nimmt Wohnung in der Ihm zugewandten menschlichen Natur und schenkt ihr anstelle irdischen Lebens – himmlisches, anstelle vergänglichen – ewiges. Wie wir am Beispiel des im bevorstehenden Jahr mit den Heiligen zu verherrlichenden Erzbischofs Johannes von Shanghai und San Francisco sehen, kann selbst der vergängliche Körper, wenn er zum gottragenden Gefäß wird, das Siegel des gnadenreichen und unvergänglichen Lebens auf sich tragen. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes eröffnet auch uns die Möglichkeit, durch kleine asketische Anstrengungen zu Got-testrägern zu werden. Ist es nicht sündig, wenn wir angesichts so hoher Berufung in unserer halbherzigen Verblendung zaudern? Ist es nicht an der Zeit, daß wir mit brennendem und liebendem Herzen das Wahre Licht umfangen, welches sich in Strömen aus der Fülle der Gottheit ergießt?
Gott, reich an Gnade, wurde doch arm, damit wir durch Seine Armut reich würden (2. Kor. 8,9). Mögen auch wir in dieser Weihnachtsnacht aus Kindern des Dunkels zu Kindern des Lichtes verwandelt werden, denn heute wurde um unserer Rettung willen Christus-Gott in menschlichem Sein geboren! Amen.
Mark,
Erzbischof von Berlin und Deutschland
Zum Fest der Geburt des Herrn 1993
Aus dem Leben der Diözese
p Zum Fest des Schutzes der Allerheiligsten Gottesgebärerin, fuhr Erzbischof Mark am 13. Oktober nach Berlin, da unsere dortige Gemeinde an diesem Feiertag ihr Patronatsfest begeht. Zusammen mit dem Berliner Priester, Vater Evgenij Sapronov, zelebrierte der Erzbischof die Vigil am Vorabend und die Göttliche Liturgie am Festtag, dem 1./14. Oktober. Trotz des Wochentages hatten sich die Gläubigen in großer Zahl versammelt. Bei einer Tasse Tee blieben sie nach dem Gottesdienst mit ihrem Hierarchen zusammen, um über das kirchliche Leben und unsere derzeitige Lage zu sprechen. Wie immer war der Gedankenaustausch zwischen dem Oberhirten und den Gläubigen sehr lebendig. Erzbischof Mark nutzte die Gelegenheit, am folgenden Tag auch mit kranken Gemeindemitgliedern zu sprechen, so auch mit der langjährigen Kirchenältesten, die aus Gesundheitsgründen nicht an den Gottesdiensten hatte teilnehmen können.©
p Nach einem Abstecher in den Harz, wo unser Erzbischof den Quedlinburger Domschatz besichtigte, gelangte er am 16. Oktober nach Hannover. Hier verlas er am Sonnabend in der Vigil das Evangelium und stand am Sonntag, den 4./17. Oktober, der Göttlichen Liturgie vor, bei der ihm Abt Maxim (Prodanovic´), sowie der Vorsteher der Christi-Geburt-Gemeinde in Hannover, Priester Seraphim Korff, und Protodiakon Georgij Kobro konzelebrierten. Während des Kleinen Einzugs in der Liturgie zeichnete Erzbischof Mark Vater Seraphim in Anerkennung seiner aufopfernden pastoralen Tätigkeit, die er neben seinem weltlichen Beruf ausübt, mit dem Recht zum Tragen der Kamilavka aus.
p Am 12/25. Oktober flog Erzbischof Mark nach Toronto, um dort an einer Pastoralkonferenz teilzunehmen. Hier hatten sich in der Dreifaltigkeitskirche über 60 Geistliche der Ostamerikanischen, Kanadischen, Mittelamerikanischen Diözesen, sowie einige Vertreter der Diözesen von Syracuse und Dreifaltigkeitskloster, und von San Francisco und Westamerika versammelt. Angesichts der unmittelbar bevorstehnden Herbstsitzung der Synode waren auch mehrere Bischöfe anwesend: Metropolit Vitaly, Erzbischof Antony von Los Angeles, Erzbischof Laurus, Bischof Ilarion, Bischof Veniamin und Bischof Grigorij. Die Vorträge und Aussprachen konnten auf diese Weise in einem weitgespannten Rahmen geführt werden.Vom 29. Oktober bis 3. November nahm Erzbischof Mark an der Sitzung der Synode teil, die zunächst in Montréal stattfand und dann am Sonntag abend im Christi-Verklärungs-Skit in Mansonville weitergeführt wurde.
Sonntag, den 18./31. Oktober zelebrierten in einem feierlichen Gottesdienst in der Hl.-Nikolaus Kathedrale in Montréal mit Metropolit Vitaly die Erzbischöfe Antonij von Los Angeles und Südkalifornien, Antonij von Westamerika und San Francisco, Laurus und Mark und die Bischöfe Varnava, Ilarion, Veniamin und Seraphim. Die Bischöfe Grigorij und Daniel waren ebenfalls anwesend und kommunizierten. In der Kirche waren zwei wundertätige Ikonen anwesend: die der Allerheiligsten Gottesgebärerin von der Wurzel von Kursk und die Myronspendende von Iveron-Montréal. Auf Wunsch des Ersthierarchen hielt der vor Kurzem in Genf geweihte Bischof Seraphim die Predigt.
Während ihrer diesjährigen Herbstsitzung beschäftigte sich die Synode hauptsächlich mit Fragen unserer Bischöfe und Gemeinden in Rußland und in Australien, das seit längerer Zeit keinen eigenen Bischof hat. Da der in Rußland ansässige Erzbischof Lazar’ und Bischof Valentin durch das Bischofskonzil im Mai d.J. in den Ruhestand versetzt wurden, war es wichtig Entscheidungen über die Art der Betreuung der dortigen Gemeinden zu fällen, die nun unmittelbar dem Synod unterstellt sind. In intensiver Arbeit konnte hierfür auf der Herbstsynode ein gangbarer Weg gefunden werden, der hoffentlich zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit in allen Bereichen führt. Für Australien wurde noch immer kein neuer Kandidat für das Bischofsamt gefunden, aber Metropolit Vitaly wurde gebeten, die dortige Diözese noch in diesem Herbst zu besuchen, um an Ort und Stelle notwendige Entscheidungen zu treffen.
Der neugeweihte Bischof Seraphim berichtete über sich anbahnende Entwicklungen in der Westeuropäischen Diözese nach dem Tod von Erzbischof Antonij von Genf und über die Pläne zu einer neuen administrativen Einteilung dieser Diözese.
Erzbischof Antonij von San Francisco berichtete über die kürzlich vorgenommene Überprüfung der sterblichen Überreste von Erzbischof Ioann von Shanghai und San Francisco, die sich dabei als unverweslich erwiesen hatten. Die Synode beschloß, in Zusammenhang mit der am 2. Juli 1994 bevorstehenden Verherrlichung von Erzbischof Ioann das nächste Bischofskonzil im Juli in San Francisco einzuberufen.
Aus dem Leben der Diözese
p Am 9. und 10. November (27. und 28.Oktober a.St.) beging die Bruderschaft des Klosters des Hl. Hiob von Po¡caev in München ihr Patronatsfest. Erzbischof Mark zelebrierte mit Priester Nikolai Artemoff und Protodiakon Georgij Kobro, während Priestermönch Agapit den Chor der Bruderschaft leitete. Während der Göttlichen Liturgie weihte Erzbischof Mark den Mönch Evfimij zum Mönchsdiakon. Vater Evfimij (Logvinov) - ein guter Kenner der Ikonenmalerei und ehemaliger Mitarbeiter der Grabarschen Ikonenwerkstätten in Moskau - , der vor einigen Jahren aus Rußland zu der Bruderschaft in München stieß, durchlief im Kloster des Hl. Hiob die verschiedensten Gehorsamsübungen und ist heute hauptsächlich in der Klosterdruckerei und Buchbinderei tätig, beschäftigt sich daneben jedoch auch häufig als Verfasser von Materialien zur russischen Kirchen- und Kunstgeschichte.©
p Am 13. und 14. November beging die deutschsprachige Gemeinde des Hl. Demetrios von Saloniki in Köln nachträglich ihr Patronatsfest mit einem bischöflichen Got-tesdienst. Erzbischof Mark zelebrierte die Vigil und die Göttliche Liturgie mit dem Vorsteher der Gemeinde, Priester Bo¡zidar Patrnogic´, und dem Protodiakon Georgij Kobro. Erzbischof Mark predigte über die Rettung durch Gnade entsprechend der Apostellesung des Tages.©
p Die Gemeinde des Hl. Erzengels Michael in München-Ludwigsfeld beging am 7./20. und 8./21. November ihr Patronatsfest. Aus diesem Anlaß führte Erzbischof Mark die Vigil und die Liturgie mit Priester Anastasij Drekopf und Protodiakon Georgij Kobro durch. Das Oberhaupt unserer Diözese predigte an diesem Sonntag über die Annahme der Eigenschaften der Engel hinsichtlich des Gehorsams gegenüber Gott und den Älteren in der Hierarchie der Kirche, sowie insbesondere in der Sorge um die Rettung des Nächsten. Dies ist die ständige Aufgabe der Engel, und von ihnen sollten wir lernen, sagte der Erzbischof, stets in erster Linie an die Rettung unserer Nächsten zu denken. Wer damit beschäftigt sei, werde sich ohne Schwierigkeiten von jeglicher Sünde fernhalten, von jeglichem Zwist und allem, was die Menschen so leicht einander entfremdet. Die Demut der Engel, von denen nur die Erhabensten das Licht Gottes unmittelbar schauen und es den anderen weitergeben, sollte uns Vorbild sein, ihnen auch hierin nachzueifern, ohne den Versuch, Geheimnisse Gottes erforschen zu wollen, die unsere geistlichen Fähigkeiten übersteigen.
p Seit einiger Zeit führt unsere Münchener Kathedralgemeinde Verhandlungen über den Ankauf eines Grundstücks mit einem Kirchengebäude als neue Kathedrale unserer Diözese. Es handelt sich hierbei um eine Kirche, die in einer ehemaligen amerikanischen Wohnsiedlung in den 50-ger Jahren erbaut wurde. Nach Abzug der amerikanischen Streitkräfte wurde diese Kirche Eigentum des Deutschen Staates, von dem unsere Gemeinde und Diözese in einer gemeinsamen Anstrengung dieses Objekt kaufen. Die Verhandlungen erstreckten sich über einen sehr viel längeren Zeitraum als ursprünglich erhofft, konnten nun aber schließlich doch zu einem positiven Abschluß geführt werden. Am 9. Dzember 1993 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet. Während der gesamten Zeit der Verhandlungen konnte die Baukommission unserer Gemeinde jedoch bereits recht gründliche Vorarbeit für die notwendigen Umbauten durchführen, da sie von den Amerikanern seinerzeit die Pläne des Gebäudes erhalten hatte. Ende November wurde nun ein Architekt damit beauftragt, die Pläne im Detail auszuarbeiten, so daß die Umbauarbeiten an der Kirche sofort nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags beginnen können.
Seit einer Initiative unserer Jugend im Jahre 1984, als ein anderes Objekt angestrebt wurde, hat die Gemeinde für den Kirchenbau DM 393.300,- gesammelt. Allen Spendern sei hier ganz herzlich gedankt. Der Kaufpreis der Kirche mit dem Grundstück beträgt jedoch 998.750,- DM. Dazu kommen bereits in den nächsten Monaten Kosten für Umbauarbeiten von ca. DM 395.000,- in der ersten und 245.000,- in der zweiten Phase.
Die bisher gezahlten Summen konnten nur durch den Anteil der Diözese, die sich zur Hälfte an den Kosten beteiligt, und durch Kredite aufgebracht werden. Auch für die bereits begonnenen Bauarbeiten müssen Kredite aufgenommen werden, wenn wir nicht neue Spenden in größerem Ausmaße erhalten. In der Vergangenheit haben wir oft gehört, daß der eine oder andere erst dann seine Spende bereitstellen will, wenn ein deutlicher Fortschritt zu erkennen ist. Wir meinen, daß der erfolgte Kauf des Gebäudes und Grundstücks der größte Fortschritt ist, den man sich erdenken kann. Damit ist eine Zäsur im Leben unserer Münchener Gemeinde und Diözese gesetzt. Es liegt jetzt an uns allen, ob wir das begonnene Werk zum Ruhme Gottes werden vollenden können, damit in München endlich ein würdiges russisch-orthodoxes Gotteshaus entsteht. Die Diözese und die Münchener Gemeinde bittet daher alle, diese großartige Aufgabe durch ihre Spenden nach Kräften zu unterstützen.
† Erzpriester Alexander Nelin
Am Sonntag, den 29. November/12. Dezember 1993 um 6:00 Uhr morgens, verstarb Erzpriester Alexander Nelin. Am Abend des selben Tages wurde sein Sarg ins Kloster gebracht, wo er bis zur Beerdigung blieb. Dies erscheint als ein Wunder, da es in München bisher überhaupt nicht möglich war Leichname Verstorbener in Kirchen zu bringen. Der Beerdigungsgottesdienst fand am Mittwoch den 2./15. Dezember um 8:30 morgens statt. Um 12:00 Uhr wurde der Sarg auf dem Friedhof Obermenzing der Erde übergeben. Die Beerdigung vollzog Erzbischof Mark mit Priestermönch Agapit, den Priestern Nikolai Artemoff und Joseph Wowniuk und Mönchsdiakon Evfimij.
Vater Alexander wurde am 25. März 1972 von Bischof Paul zum Diakon geweiht. Die Priesterweihe empfing er am 22. April 1973. Lange Jahre war Vater Alexander Mitglied des Geistlichen Gerichts der Deutschen Diözese. Noch lange nach Erreichung des Pensionsalters ging Vater Alexander seinem weltlichen Beruf als Ingenieur nach, um sein tägliches Brot zu verdienen. Viele Jahre betreute er unsere Gemeinde in Berlin und nahm daneben auch häufig die Sorge um andere weit von München entfernte Gemeinden auf sich. Heute sind in unserer Berliner Kirche zum Schutz der Allerheiligsten Gottesgebärerin nur noch wenige der Gläubigen am Leben, die Vater Alexander noch persönlich kannten. Doch diese wahren auf ewig sein Bild, jenes geistliche Licht und seine Stärke im orthodoxen Glauben, die den Menschen in den schweren Jahren der Entbehrungen zur Kraft gaben. Mit Liebe und Dankbarkeit erinnern sich an Vater Alexander auch die Gläubigen der Kathedralkirche in München, wo er in den letzten Jahren als ältester Priester wirkte. Als er wegen seiner Krankheit schon nicht mehr zelebrieren konnte, nahm er noch lange Zeit Beichten ab und half dem Gemeindevorsteher in jeder erdenklichen Weise. Vater Alexander sorgte sich stets rührend um einsame und kranke Gläubige, besuchte sie oft zu Hause, zelebrierte Bittgot-tesdienste, reichte die Heilige Gaben oder betete allein für sie in der Kirche. Durch seine einfühlsame Sorge und äußerste Bescheidenheit erwarb er die Liebe vieler Gemeindemitglieder jeglichen Alters. Ewiges Gedenken!
Die Auffindung der Reliquien des Seligen Ioann, Erzbischof von San Francisco (vormals von Shanghai)
Das Bischofskonzil der Russischen Auslandskirche, das im Mai 1993 im Kloster Lesna unweit von Paris zusammengetreten war, beschloß, den Seligen Erzbischof Ioann (Maksimovi¡c) mit den Heiligen zu verherrlichen. Demzufolge sollte nun die Öffnung des Sarkophags und die Aufdeckung der Reliquien des Bischofsheiligen vorgenommen werden. Eine genaue Beschreibung dieses Ereignisses wurde im Synodalbericht vorgelegt, auf Grundlage dessen wir folgendes mitteilen. Red.
Der erste Schritt, nämlich die Untersuchung des sich unter der Kirche befindlichen Grabmals und des Sarges, in dem die Überreste des entschlafenen Bischofs ruhten, wurde am 17/30. Sept. 1993, am Tag des Gedenkens der hll. Märtyrerinnen Vera, Nade¡zda und Ljubov und ihrer Mutter Sophia unternommen. Die Reliquien ruhten nun schon 27 Jahre verborgen in der Gruft der Kathedralkirche der Allreinen Gottesgebärerin “Freude aller Trauernden” in San Francisco, wo Vladyka Ioann die letzten Jahre seines Lebens als Erzbischof wirkte. All diese Jahre über war der Sarkophag durch eine schwere Betonplatte fest verschlossen gewesen. Am Abend, nach einer Litanei für die Ruhe des Verstorbenen und dem Gebet “zum Auftakt eines edlen Werkes” hoben eine Reihe von auserwählten Personen mit dem Segen des zuständigen Hierarchen, des Erzbischofs Antonij von San Francisco und in seiner Anwesenheit mit Brecheisen die den Sarkophag abdeckende Betonplatte von 410 Pfund Gewicht auf und nahmen sie vorsichtig ab. Der Bischofsmantel, welcher den Sarg bedeckte, “war genau noch im selben Zustand wie vor 27 Jahren, d.h. vollkommen neu, er zeigte überhaupt keine Spuren von Verfall. Bei der Inspektion des Sarges selbst wurde festgestellt, daß dieser an einigen Stellen gerostet war. Besonders um die ganze Öffnung des Sarges herum war das Eisen verrostet, sowie zwischen dem Deckel und dem Sargunterteil. Über der linken Schulter war der Sarg an einer Stelle gänzlich durchgerostet (etwa 1 Zoll breit und 3 Zoll lang). Keinerlei Geruch von Verwesung drang aus dieser Öffnung hervor. Die linke Seite um die linke Schulter herum war auch stark angerostet. Auf dem Betonsarkophag befanden sich außen an dieser Stellen dunkle Flecken”. Der Sarg, der bei der Bestattung blaugrau gewesen war, war im Laufe der Zeit vergilbt und von dunkelbraunen Flecken bedeckt. Das Loch für den Schlüssel zur Öffnung des Sargdeckels zu finden, gelang bei der ersten Inbetrachtnahme überhaupt nicht. Da man nicht wußte, in welchem Zustand der Sargboden war, beschloß man, den Sarg vorerst nicht herauszuheben, sondern für die Reliquien einen vorübergehenden Holzsarg bereitzustellen bis zur Herstellung des endgültigen Reliquiars. Nachdem die Betonplatte wieder auf ihren Platz zurückgelegt und die Mitra und andere auf ihr befindliche Gegenstände wieder aufgelegt worden waren, sprachen die Anwesenden ein Dankesgebet und gingen von dannen.
Das Sakrament der Beichte und die Teilnahme an der Göttlichen Liturgie sowie strenges Fasten bildeten die Vorbereitung der Teilnehmer an der Auffindung der Reliquien des Bischofsheiligen Ioann am Abend von Montag, dem 29.Sept./11.Nov.1993. Nach der Ve¡cernja und einem Moleben am Nebenaltar des hl. und gerechten Ioann von Kronstadt, des Wundertäters von ganz Rußland (an dessen Verherrlichung 1964 Vladyka Ioann teilhatte), begann gegen acht Uhr abends die Lesung des Johannesevangeliums. Außer dem zuständigen Hierarchen, Erzbischof Antonij, waren noch anwesend der Erzbischof von Syracuse und vom Dreifaltigkeits-Kloster Lavr, der Bischof von Seattle Kyrill, einige Erzpriester, Priester, Diakone, ein Lektor und ein Laie. Insgesamt waren 15 Personen versammelt. Es wurde eine Panichida zelebriert. Danach bat Erzbischof Antonij alle Anwesenden um Verzeihung, indem er sich zu Boden neigte, und sie erwiderten ihm auf dieselbe Weise. Es wurde ein neuer Sarg aus Kiefernholz geweiht. Beim Gesang des Tropars “Erbarme dich unser, Herr, erbarme dich..” wurde die Betonplatte mit vereinten Kräften abgehoben. Der Metallsarg wurde an vier Stellen umwickelt, damit der Boden nicht durchbrechen konnte, falls er durchgerostet sein sollte. Dann wurde der Sarg gehoben. “Bei der Untersuchung des Sarges wurde sichtbar, daß dieser stark vermodert war, und an vielen Stellen der äußeren Umhüllung waren durchgebrochene Stellen. Das Schloß war so verrostet, daß der Schlüssel zerbrach. Der Sargdeckel mußte mit Brecheisen, Zangen und Schraubenziehern entfernt werden. Der Sarg brach vor den Augen aller auseinander und zerfiel in Stücke... Zehn Minuten später wurde der Deckel entfernt und “die heiligen Reliquien von Vladyka Ioann wurden sichtbar. Es herrschte eine ehrfürchtige Stille... Das österliche Brokatornat hatte von der Feuchtigkeit eine grünliche Farbe angenommen, auf dem Haupt Vladykas war die Mitra, in der rechten Hand der Stab. Die Reliquien waren mit ziemlich viel Erde bestreut worden”. Bei der Bestattung hatte Vladyka Savva nämlich aus einem Gefäß Erde ausgeschüttet, während Vladyka Leontij von Chile Salböl aufgoß. Es waren die trockenen, unverwesten Hände von Vladyka Ioann sichtbar, die Haut und die Nägel. Die Gebetsschnur auf der linken Hand waren zerfallen. Das Kreuz, die Panagia und das Absolutionsgebet waren erhalten, ebenso wie das kleine Evangelium, von dem nur der Einband vermodert war. Man weiß, daß bei der Bestattung der Stoff in dem Sarg von blauer Farbe war. Jetzt aber war der Stoff von dem Schimmel und der Feuchtigkeit grün geworden. Nach dem vorsichtigen Hochheben des Schleiers, der über dem Gesicht des Entschlafenen lag, “erblickten alle mit Rührung das unverweste Anlitz des verehrten Vladyka. Die Farbe der Haut war hell, fast weiß. Die Haare von Kopf und Bart, die Augenbrauen, die ergraut waren, waren erhalten und nicht vom Kopf abgefallen... sogar die Wimpern waren noch da. Die Nase jedoch war teilweise verwest. Der Mund von Vladyka war halbgeöffnet, so daß die Zähne sichtbar waren ...”. Nach Entfernung des Unterteiles des Sarges sahen alle Anwesenden, daß der untere Teil des Ornats auch vollständig erhalten war. An den Füßen von Vladyka waren Ledersandalen, und man sah, daß ein Teil der Ferse des linken Fußes bis zu den Knochen verwest war. Die Beine selber, soweit sichtbar, waren von dunkler Hautfarbe und die Muskeln waren erhalten. Unter dem Gesang der Verse des Großen Kanons, der beim Begräbnis von Klerikern gesungen wird, wurden die Reliquien zur Umbettung in den neuen Sarg bereitet, und bei den Irmosworten “Auf dem unverrückbaren Felsen Deiner Gebote, o Christus...” wurden die heiligen Reliquien auf die Hände hochgehoben und umgebettet. “Wie alle mit eigenen Augen sahen und wahrnahmen, waren die heiligen Reliquien ganz und nicht zerfallen. Die Bänder zwischen den Knochen waren erhalten. Das Gewicht der Reliquien war gering”. Nachdem der Sarg aus der Krypta in den angrenzenden Raum getragen worden war, verschwand der Geruch von Feuchtigkeit und Rost augenblicklich.
Die unverwesten Hände von Vladyka durfte der kranke Knabe Vsevolod, der Sohn des Priesters Jaroslav Velikov, küssen. Dieser Knabe hat ein Nierenleiden.
Nach Reinigung des Betonsarkophags wurde der neue Sarg mit den heiligen Reliquien darin aufgestellt, und der Sarkophag wieder mit der Betonplatte verschlossen. Er wurde mit dem Siegel der Eparchie versiegelt und wieder mit der Mantija bedeckt. Dann wurden die Mitra, die Ikonen, der Dikirion und Trikirion (Zwei- und Dreikerzen-Leuchter) auch wieder an ihren Platz gelegt. Es wurde eine Litanei für die Ruhe des Entschlafenen zelebriert, nach der alle Anwesenden mit dem Öl aus der nicht verlöschenden Lampada gesalbt wurden. “Dem Beispiel des Serbischen Patriarchen Pavel folgend, welcher die Krypta im vergangenen Jahr besucht hatte, wurde von der gesamten Geistlichkeit dem Bischofsheiligen ein Tropar gesungen: “Lehrmeister der Orthdoxie...”. “Wunderbar ist Gott in Seinen Heiligen! Heiliger Bischof, Vater Ioann, bitte Gott für uns!” – beschloß der Leser Vladimir Krasovskij seinen Bericht. Er war jetzt unter den Anwesenden, ebenso wie er damals Zeuge des Begräbnisses von Vladyka Ioann gewesen war.
Heiliger Innokentij
Aus “Innokentij, Metropolit von Moskau und Kolomna”, Komittee der Russisch-Orthodoxen Jugend im Ausland, 1990 wir in Zusammenhang mit der bevorstehenden Verherrlichung des Hl. Innokentij
Aus “Innokentij, Metropolit von Moskau und Kolomna”, Komittee der Russisch-Orthodoxen Jugend im Ausland, 1990 - den folgenden Text veröffentlichen wir in Zusammenhang mit der bevorstehenden Verherrlichung des Hl. Innokentij
Der hl. Innokentij (mit Taufnamen Ioann) wurde in dem Dorf Anginskoje, Gouvernement von Irkutsk, am 26. August 1797 in der Familie des armen Küsters Evsevij Popov geboren. Der in jungen Jahren verwaiste Ioann trat in das Seminar von Irkutsk ein, an dem er über 11 Jahre lernte. Von der Seminarzeit an trug Ioann Popov einen neuen Familiennamen, nämlich Veniaminov. Der Rektor, der das Andenken des entschlafenen Irkutsker Bischof Veniamin bewahren wollte, nahm in dem jungen und fähigen Zögling herrliche seelische Qualitäten wahr und erblickte Gesichtszüge bei ihm, die ihn an den vormaligen Hierarchen erinnerten.
1817 heiratete Ioann Veniaminov; bald wurde er zum Diakon geweiht und zum Lehrer der ersten Klasse der Gemeindeschule bestellt. 1823 erhielt der Irkutsker Bischof Michail II vom Heiligsten Synod die Anweisung, einen Priester für die Kolonie der Russisch-Amerikanischen Kompanie auf der Insel Unala¡ska zu entsenden. Ein Aufruf wurde gestartet, aber keiner wollte sich an so einen entfernten Ort begeben.
Von diesem Aufruf erfuhr ein gewisser aus Amerika stammender Ivan Krjukov, der sich zu jener Zeit wegen Handelsgeschäften mit seiner Familie in Irkutsk aufhielt. Er gehörte zur Gemeinde des Vaters Ioann Veniaminov, dem er herzlich zugeneigt war und den er oft aufsuchte, da er sein geistlicher Sohn war. In den Gesprächen fand Krjukov in Vater Ioann einen weisen, gebildeten und unternehmungslustigen Menschen und daher riet er ihm, sich zu opfern und nach Amerika zu fahren zur Erleuchtung der wilden Aleuten-Bewohner; bei diesen sollte er schließlich 40 Jahre lang bleiben.
Als Vater Ioann Veniaminov aus irgendeinem Anlaß wieder einmal bei Bischof Michail war, traf er dort auf Ivan Krjukov, der auch zu dem Bischof gekommen war, um dessen Segen für eine Reise zu empfangen. Als Krjukov Vater Ioann sah, kam er sogleich in Anwesenheit von Vladyka auf das Thema der Aleuten zu sprechen, er rühmte ihren Eifer zum Gebet und ihr Verlangen, das Wort Gottes zu vernehmen. Diese Rede, die Vater Ioann schon mehr als einmal von Krjukov gehört hatte, machte jetzt einen völlig anderen und neuen Eindruck auf ihn als bisher. Kaum war Krjukov hinausgegangen, so eröffnete er dem hochwürdigen Bischof seinen Wunsch, nach Unala¡ska zu gehen.
1824, als Vater Ioann auf Unala¡ska ankam, gab es dort 10 Siedlungen, die an Aleuten, Kreolen und Russen etwa 470 Seelen zählten. Seine erste Sorge galt dem Bau eines Gotteshauses, in dem die Einheimischen sich zum Gebet und zur Verkündigung des Wortes Gottes versammeln könnten. Bevor der eigentliche Kirchenbau in Angriff genommen wurde, brachte Vater Ioann den Aleuten verschiedene handwerkliche Fertigkeiten bei wie Zimmermanns-, Tischler-, Schlosser- und Schmiedearbeit, sowie die Fertigung von Ziegeln und Steinmauern. Das zweite Anliegen Vater Veniaminovs war der Bau eines Hauses für sich und seine Familie. Seine praktische Veranlagung befähigte ihn zu jeder Art von Arbeit: er war Zimmermann, Mechaniker, Uhrmacher und Netzknüpfer. Er widmete sich außerdem wissenschaftlichen Beobachtungen und unterrichtete seine und fremde Kinder, erzählte ihnen biblische Geschichten und es konnte sogar vorkommen, daß er mit ihnen Ball spielte oder durch die Berge streifte, wobei er sie verschiedenartige Steinchen sammeln ließ und ihnen dann über die Eigenart jedes Steines etwas berichtete.
In der freien Zeit zwischen der Predigt des Wortes Gottes und den aufgezählten Tätigkeiten widmete sich Vater Veniaminov noch dem Studium der lokalen Sprachen und Mundarten der Aleuten-Inselbewohner, damit er ihnen das Wort Gottes in ihrer Muttersprache verkünden könnte. Nachdem er etwas mit der Sprache der Aleuten, ihren Bräuchen und Traditionen bekannt geworden war, machte er sich mit Enthusiasmus an seine Aufgabe. Das Wort der Verkündigung verstummte bei ihm fast nie: es ertönte in der Kirche und es wurde unter freiem Himmel gesprochen.
Den Kindern lehrte er Gebete und schärfte den Eltern ein, sie im christlilchen Geist zu erziehen. In seinen Predigten stellte er ihre moralischen Schwächen bloß, bläute ihnen ein, wie diese Laster vor Gottes Angesicht häßlich sind, vor welchem nicht nur äußere Handlungen, sondern auch innere Gemütsregungen unverborgen bleiben. Er erläuterte ihnen die Bedeutung der Feste, die Sakramente der Beichte und der heiligen Kommunion, er sprach über den Besuch des Gotteshauses. Jetzt sah er selbst, wie schnell das Wort Gottes bei diesen treuherzigen und guten Leuten ankam; sein Herz freute sich und war glücklich darüber, mit welchem Interesse sie die Predigt des Evangeliums vernahmen. Als die Aleuten den Katechismus in ihrer Sprache, den Vater Ioann übersetzt hatte, erblickten, fingen sogar die Alten an, Lesen und Schreiben zu lernen, nur damit sie ihn in ihrer eigenen Sprache lesen konnten.
Bei seinen zahlreichen Fahrten durch die Inseln widmete sich Vater Veniaminov außer der Predigt des Wortes Gottes und dem Erlernen der örtlichen Mundarten in seinem wißbegierigen Geist auch der Beobachtung der die Inseln umgebenden Natur. Jedes besonders in die Augen fallende Phänomen, sei es bei der Bevölkerung oder in der Natur hielt er unweigerlich in seinem Notizbuch fest; bei seiner Rückkehr nach Unala¡ska sichtete er die so gesammelten Eintragungen und fügte sie seinen wissenschaftlichen Forschungen hinzu.
Zu seinen ersten Werken gehört die Übersetzung des Katechismus und des Matthäusevangeliums in die Sprache der Aleuten und Foxinseln. Diese Übersetzungen brachten die Aleuten in Entzücken. Jetzt konnten sie Gott preisen und Seine Worte in ihrer Muttersprache vernehmen. Außerdem wurde auch die russische Literatur durch eine aleutische Fibel mit der vollständigen Übersetzung der wichtigsten Gebete bereichert.
Das von Vater Ioann im Verlauf von zehn Jahren auf Unala¡ska geleistete Werk zog die Aufmerksamkeit des Chefs der Hauptverwaltung der Russisch-Amerikanischen Kompagnie, Baron Wrangel, auf sich. Vater Ioann wurde mit dem Brustkreuz ausgezeichnet und im Sinne einer Beförderung wurde er von der Instel Unala¡ska auf die Insel Sitka versetzt. Diese Insel, auf die Vater Ioann nun nach der Vorsehung Gottes versetzt wurde, ist eine der wichtigsten der Vancouverinseln; dort befindet sich auch der Hafen Novo-Archangelsk, welcher zu jener Zeit den Mittelpunkt der Verwaltung der russischen Kolonien an den Küsten Amerikas und auf den Inseln des nördlichen Pazifischen Ozeans darstellte.
Am 22. November 1834 kam also Vater Ioann Veniaminov mit seiner ganzen Familie im Hafen von Novo-Archangelsk auf der Insel Sitka an und begab sich zu der Kathedralkirche des Erzengels Michael.
Wie auf Unala¡ska, so widmete sich Vater Veniaminov auch hier der Erleuchtung des Stammes der “Koloschen”, welche unabhängig waren und unter dem starken Einfluß ihrer Schamanen standen. Zur Bekehrung dieser Leute zum christlichen Glauben war viel Zeit und ein geschicktes Vorgehen notwendig. Zu diesem Zweck versuchte Vater Ioann vorerst, in die Lebensweise der Koloschen einzudringen, sich mit ihren geistigen Bedürfnissen, ihren Bräuchen, Überlieferungen und ihrer Sprache vertraut zu machen.
Im Verlauf von 15 Jahren, zuerst auf Unala¡ska und dann auf Sitka, entfaltete Vater Ioann Veniaminov seine Wirksamkeit, indem er den wilden Völkern das Wort Gottes im Geist des Friedens und der Sanftmut verkündete. Mit väterlicher Sorgewaltung arrangierte er für die Kinder und Neugetauften Schulen, die er mit Lehr- und Lesebüchern ausstattete, welche er selbst in ihre Sprachen übersetzt hatte. Er brachte ihnen nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch verschiedene handwerkliche Fertigkeiten bei.
1838 war das letzte und auch das betrüblichste Jahr für Vater Ioann in seinem Missionsdienst. Der weitere Erfolg in der Einführung des Christentums war nicht so groß, wie er hätte sein sollen, weil vier Priester, die sich zu jener Zeit in den Kolonien befanden, einfach nicht ausreichten. Ebenfalls ungenügend waren die Mittel zur Versorgung und zum Unterhalt des Klerus. Deshalb suchte nun Vater Ioann in Irkutsk bei Erzbischof Nil um die Freistellung zu einem Urlaub nach Sankt Petersburg nach, so daß er dort persönlich vor der obersten Kirchenbehörde die Lage der Mission in der amerikanischen Region darlegen und um Hilfe zum weiteren Gedeihen des Missionsdienstes bitten könnte.
Abgesehen davon mußte er sich unbedingt nach Sankt Petersburg begeben wegen seiner Übersetzungen in die Sprache der Aleuten- und Fox-Inseln, deren Drucksetzung ihm abgeschlagen wurde, weil im Heiligsten Synod keiner der aleutischen Sprache mächtig war und so keine Korrektur gelesen werden konnte.
Bei seiner Ankunft in Sankt Petersburg begann er sich für den Druck seiner Übersetzungen und Aufsätze in Aleutisch einzusetzen, nämlich des Katechismus, des Matthäusevangeliums und seiner Schrift “Wege zum Himmelreich”. Danach suchte er um Genehmigung nach, nach Moskau zu fahren, um dort Spenden für die Ostmission zu sammeln. In Rußland konnte Vater Veniaminov seine Werke und Forschungsberichte über die Aleuten herausgeben. Was seinen Aufsatz “Wege zum Himmelreich” anbelangt, so fand man, daß dieser nicht nur für die Aleuten-Fox-Sprache unbedingt notwendig sei, sondern auch auf Slawisch und auf Russisch veröffentlicht werden müsse. Im November 1839 erhielt Vater Veniaminov die traurige Nachricht vom Ableben seiner Frau in Irkutsk, wo er seine Familie bei seiner Ankunft aus Amerika gelassen hatte. Etwa ein Jahr darauf wurde Vater Ioann Veniaminov im Troizkoje Klosterhof in Moskau von Metropolit Filaret zum Mönch geschoren mit Namen Innokentij, und tags darauf zum Archimandrit erhoben.
Am 15. Dezember wurde Archimandrit Innokentij in der Kathedrale der Gottesmutter von Kazan zum Bischof geweiht und von jener Zeit an wurden Kamtschatka, die Region Ochotsk und die Kolonie der Russisch-Amerikanischen Kompanie von der Eparchie von Irkutsk abgetrennt und aus diesen Gebieten eine selbständige Eparchie, nämlich die von Kamtschatka, gebildet, deren Bischofsitz auf der Insel Sitka eingerichtet wurde.
Als er am 25. September 1841 nach Sitka zurückkehrte, widmete sich der Bischof-Missionar Innokentij in seinem neuen Rang nun noch mehr seiner apostolischen Sendung, indem er eifrig seine Herde ermahnte und belehrte. Dabei ermutigte er durch seine vorbildliche Selbstentsagung auch die Priester zu unablässiger Mühewaltung im Aussäen und in der Festigung des Wortes Gottes.
Seine erste Sorge war, daß er allerorten die schulischen Einrichtungen verbesserte, sie mit den unerläßlichen Dingen versah. Weiterhin rüstete er Missionen dorthin aus, wo es keine Priester gab und wo das Volk im Heidentum lebte. Nachdem er auf der Insel Sitka über ein halbes Jahr gelebt hatte, begab er sich auf eine Reise zur Organisierung seiner Eparchie.
Während dieser Reise, auf dem Weg von Unala¡ska zur Insel Jelov, trat ein Ereignis ein, das in der Lebensbeschreibung des heiligen Starez Herman beschrieben wird: damals hatte nämlich der Bischofsheilige Innokentij zu ihm gebetet, worauf der fürchterliche Sturm nachließ, der 28 Tage lang dem Schiff verwehrt hatte sich der Insel zu nähern und die Reisenden wegen Wassermangel bereits an den Rande des Untergangs gebracht hatte.
Den weiteren Weg durch seine Eparchie setzte der Bischof nicht nur auf Schiffen und Pferden fort, sondern auch auf Hundeschlitten. Vladyka fuhr vor der Kathedrale von Kamtschatka nicht in einer Kutsche mit vier edlen Pferden vor, sondern auf einem Polarschlitten mit einigen Hundepaaren.
Als er die reiche Ernte, die aus der Saat des Wortes Gottes entstanden war, erblickte, wünschte der hochgeweihte Innokentij in Novo-Archangelsk ein geistliches Seminar zu bauen, wo die Kinder der jungen kreolischen und aleutischen Christen eine Ausbildung erhalten könnten, um dann mit der Zeit zu Religionslehrern ihrer Landsleute zu werden. Dazu reichte er dem Heiligen Synod ein Gesuch ein um die Erlaubnis, die geistliche Lehranstalt von Petropavlovsk nach Novo-Archangelsk zu transferieren und sie in ein Seminar umzunennen, was zu seiner großen Freude genehmigt wurde. Danach begab sich dieser unermüdliche Arbeiter noch einige Male auf Reisen zur Inspektion und Revision seiner Eparchie. Für sein allgemeinnützliches Wirken wurde er 1850 zum Erzbischof erhoben.
Die erfolgreiche Ausbreitung des Christentums in Asien und Amerika unter den dortigen Aborigines, die durch die eifrigen Bemühungen des Erzbischof Innokentij begonnen worden war, zog die Aufmerksamkeit der obersten Kirchenbehörde auch auf die Jakutsker Region, welche an die von Kamtschatka grenzte. Und daher fand man es angebracht, seiner Eparchie auch diejenige von Jakutsk anzugliedern.
Anfang 1852 siedelte Erzbischof Innokentij, nachdem er die Kirchenangelegenheiten in der Eparchie von Kamtschatka geordnet hatte, nach Jakutsk über. Nach einer vorläufigen Einsichtnahme in die kirchliche Lage machte er sich mit dem ihm eigenen Eifer und Nachdruck an die Erleuchtung dieser Gegend, indem er Kirchen und Schulen baute und die kirchlichen und got-tesdienstlichen Bücher in die lokale Sprache übersetzte, damit auch die Jakuten in ihrer eigenen Sprache sich bewußt die Wahrheit der Evangeliumslehre aneignen könnten. 1859 wurden die Mühen von Erzbischof Innokentij voll von Erfolg gekrönt, da am 15. Juli jenes Jahres in der Dreifaltigkeitskathedrale von Jakutsk Gesang und Lesung auf Jakutisch erklangen. Dieser erste Gottesdienst auf Jakutisch erstaunte die Jakuten dermaßen und sie waren so sehr von diesem Ereignis gerührt, daß sie Erzbischof Innokentij baten, daß dieser Tag auf immer ein Festtag bei ihnen sein möge, da sie an jenem für sie unvergeßlichen Tag zum ersten Mal das Gotteswort in der Kirche in ihrer eigenen Sprache vernommen hatten.
1862 ließ sich Erzbischof Innokentij in der Stadt Blagove¡s¡censk nieder, und von dort fuhr er auf dem Amur auf und ab, um in den Dörfern Gottesdienste zu halten.
Am 18. Januar 1868 traf ein Eilbote aus Sankt Petersburg von dem Oberprokuror ein, welcher die kaiserliche Ernennung von Innokentij zum Metropoliten von Moskau überbrachte. Der hochwürdige Innokentij nahm diese neue Schicksalswendung an und wählte sich einen Nachfolger aus in der Person des Bischofs Veniamin Selengin, der bereits mit dieser entfernten und ausgedehnten Region Bekanntschaft geschlossen hatte.
In seiner Eigenschaft als Metropolit von Moskau schuf der hochwürdige Innokentij ein äußerst wichtiges Werk, er richtete nämlich eine Missionsgesellschaft ein und wandelte das Moskauer Pokrov-Kloster in ein Missionskloster um, wo zukünftige Missionare ausgebildet wurden und wo kranken und im Ruhestand befindlichen Missionsarbeitern Zuflucht und ein ruhiger Lebensabend gewährt wurde.
Am Karfreitag des Jahres 1879, im 82. Lebensjahr entschlief Innokentij, der Metropolit von Moskau, im Herrn. Sein geistliches Erbe stellen seine wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und theologischen Werke dar. So machte er seine pastorale und persönliche Erfahrung der Allgemeinheit zugänglich und wies den Menschen den Weg zum Himmelreich.
Wie ein roter Faden, wie der Kernpunkt all seiner Mühen erscheint der Gedanke, der oftmals von dem Bischof selber wiederholt wurde: “So, Brüder, wenn ihr mit Gott im Himmelreich leben wollt, dann seid orthodoxe Christen.”
Akzente einer Pilgerfahrt (Hl. Land)
Wenn man sich nach Jerusalem begibt, muß man zuerst entscheiden, ob man diese Fahrt als Tourist oder als Pilger unternimmt, denn mit den Augen eines Reisenden betrachtet sieht alles ganz anders aus, als mit denen eines Pilgers. Für uns Pilger war diese Frage vorab entschieden, und deshalb spürten wir schon am ersten Tag den krassen Gegensatz zwischen dem uns umgebenden pulsierenden Lebensrhythmus, dem bunten Kaleidoskop des Alltags – und der uns erfüllenden gesättigten Atmosphäre beschaulicher Spiritualität. Dieses Gefühl der Trennung von der brodelnden Äußerlichkeit war während der ganzen Pilgerreise vorherrschend – still und berauschend. Seltsame Entfremdung! “Jerusalem! Jerusalem! Du tötest die Propheten und steinigst die, die zu dir gesandt sind...” (Mt 23,37). Diese steinernen Gassen, durch die man geht, sind schweigende Zeugen der größten und zugleich der schändlichsten Ereignisse der Geschichte. Jerusalem – die Heilige Stadt.
Für die Christen ist der Ort mit der größten Anziehungskraft – die Grabeskirche. Wir haben sie bei der Ankunft sofort besucht. Das Grab Christi ist der Ort der Auferstehung. Aber das Schiff der Auferstehungskirche innerhalb der Grabeskirche verläuft in der Gegenrichtung, führt von der Grabkapelle weg. Der Zugang aber liegt am Eingang zum Grab selbst. Hier muß man vorbei. Unter demselben Dach vereint sind auch Golgotha, der Salbungsstein, wo der vom Kreuz heruntergenommene Leib des Herrn mit Myron gesalbt wurde, und tief unten die Zisterne, wo zu Zeiten der Hll. Kaiser Helena und Konstantin das weggeworfene Kreuz des Herrn aufgefunden wurde. Unter einer hohen Kuppel inmitten einer Rotunde – die Grabkapelle. Zunächst betritt man einen winzigen Vorraum: die “Kapelle des Engels”, deren Mitte eine kleine Säule bildet – in einer Art marmornen Kelch gefaßt ist hier das Fragment des Steins, der den Grabeingang verschloß: “ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab, trat herzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf... und sprach...” (Mt 28,2-5). Hier muß man warten, solange die anderen in Dreiergruppen ins Grab selbst eintreten. Völlige Stille. Man läßt die Welt vollends hinter sich. Der Atem stockt. Danach folgt alles wie im Traum. “Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr such Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn Er ist auferweckt worden, wie Er gesagt hat. Kommt und seht den Ort, wo Er gelegen hat” (Mt. 28,5-6). Klein, sehr niedrig und eng ist der Eingang zum eigentlichen Grab Christi. Nur tief gebeugt kommt man durch ihn in die Grabhöhle. Rechts ist die Marmorplatte, wie ein Bettlager. Sie deckt das in den Fels gehauene Troggrab ab. Wir knien nieder, küssen den Ort, wo Sein Leib ruhte...
Rückwärts und gebeugt bewegt man sich wieder in die “Engelskapelle”, und dann plötzlich draußen vor der Grabkapelle sieht man dann umgebende Kirche neu, ihren stimmungsvoll-unauffälligen steinernen Prunk. Hier feiern im Tagesverlauf nach streng festgelegter Ordnung die Griechisch-Orthodoxen, die römischen Katholiken, Armenier, Kopten, Syrer und Abessinier je ihre Gottesdienste minutengenau. Im Kirchenraum wimmelt es bei unserem ersten Besuch von Menschen. Aber es gibt auch ganz stille Zeiten. Es genügt nicht, nur einmal hierherzukommen. Immer wieder zieht es einen hierher. Und darüberhinaus gibt es hier noch so vieles anzusehen: die Kapelle der Auffindung des lebensspendenen Kreuzes, die Geißelungssäule Christi, die Adamskapelle, die Grabstätten des Hl. Nikodemus und des Hl. Joseph von Arimathäa. All das gilt es, sich einzuprägen, für immer im Herzen zu behalten.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen zusammen in unserem tränengerührten Gebet am Grab des Herrn. Die Freude der Auferstehung liegt noch weit vor uns. Der Kreuzweg steht bevor. Ja, die Steine sprechen in Jerusalem, vermitteln das Gefühl selbst Teilnehmer der Tragödie zu sein, die die all diese Jahrhunderte nicht aufhört, die Welt im Innersten zu erschüttern. Zur linken ist die Residenz von Pilatus – das Praetorium – rechts: die Pferdeställe. Hier ist der äußere Hof das “Lithostroton” Gedenkort der Verspottung und Dornenkrönung. Das ist die Szene des unbegreiflichen Schauspiels, in dem der Sündenlose, der wahrhaft Freie und befreiende Gottessohn, sich erniedrigen und lästern, als König verhöhnen ließ. Und hier wurde das Urteil über Ihn gesprochen. Hier – Ihm das Kreuz auferlegt. Wir knien auch in der Kerkerzelle, wo Seine Füße durch zwei in den Felsstein geschlagene Löcher gesteckt und gefesselt wurden. Hier verbrachte Er die Stunden vor dem endgültigen Urteil der weltlichen Obrigkeit. Und schließlich gehen wir die Schmerzensstraße entlang, die nach Golgotha führt, zur jetzigen Grabeskirche. Wie zu Christi Zeiten ist auch jetzt die Gasse mit lärmendem Menschengewoge erfüllt. Sehen wir nicht, wie Christus schwankt unter der Last des Kreuzes, umringt von höhnenden Begleitern? So gehen wir geneigten Hauptes und werden uns dessen inne, wie sehr wir geneigt sind uns selbst immer nur als Opfer zu erleben und uns damit selbst an die Stelle jenes Reichen zu setzen, der in Christi Gleichnis den armen Lazarus mißachtete, und so dessen verlustig gehen, wirklich der Leiden Christi teilhaftig zuwerden. Was heißt es denn: das Kreuz auf sich nehmen? Sind wir willens, uns dem Willen Gottes und allen Entbehrungen mit Freude und in Demut und ohne Rebellion gegen Gott zu unterwerfen? Werden wir diese Kunst lernen, in Geduld zu wachsen, um die Standhaftigkeit im Glauben und der Treue zu erwerben?
Die Erkenntnis, daß nur durch viele Arbeit an sich selbst die Reinigung von den Leidenschaften zu erlangen ist, festigt sich in uns durch das Miterleben einer Weihe von zwei Nonnen im russischen Ölberg-Kloster. Schon der erste Eindruck vom Eleon-Kloster ist: dies ist ein gesegneter Ort Gottes. Stille und Ruhe herrschen hier. Prachtvoll und großartig wirkt die innere Ausstattung der an sich keineswegs großen Kirche, deren Ikonostase und Ornamentik auf den Stil der Imperialzeit hinweisen. Aber auf dem Steinfußboden ist Märtyrerblut aus der Zeit der Persereinfälle. Und immer wenn wir aufgewühlt von den Erlebnissen in der Altstadt hierherkommen, gleiten wir so leicht in die Gebetsatmosphäre, die von der Geisteskraft der russischen Seele durchdrungen ist. Engelhaft klingen mir die Stimmen der Nonnen, laden zum gemeinsamen Gebet ein... Stimmt es, daß manche zur Kirche gehen, nur um dort die Gesänge zu genießen? Die Frage, ob der orthodoxe Gottesdienst nicht doch von der ästhetischen Seite her überwältigt, kommt nicht von ungefähr – all die bunten Prozessionen und Priestergewänder, schöne Musik, der wohlriechende Nebel des Weihrauchs!... Aber die von uns erlebten dreitägigen Festlichkeiten Ende August, die ausschließlich im Zeichen des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesmutter stehen und aus deren Anlaß viele Griechen nach Jerusalem kommen, eröffnen uns eine ganz andere Perspektive. Die Form der Liturgie spielt zwar eine wichtige Rolle und zeigt dabei in den verschiedenen orthodoxen Orts- und Landeskirchen gewisse Differenzen in Art und Aufbau, auch was die Fülle betrifft, aber all das beeinträchtigt ihren Sinn und Inhalt in keiner Weise, lenkt nicht auf das Äußere ab und hindert keinesfalls das wahre Gebet. Nach dem Übertragen des “Grablinnens” (einer Gottesmutterikone) in die Grabeskirche Mariens am Fuße des Gartens Gethsemane, erlebten wir das besonders klar in der Kirche “Kleingaliläas” oben auf dem Ölberg, als wir die griechische Liturgie mitfeierten, sowie dasselbe am darauffolgenden Abend, als der Akathistos zum Entschlafen der Gottesmutter in Ihrer Grabeskirche tief unter der Erde gesungen wurde, am Vorabend der eigentlichen Beisetzungsfeiserlichkeiten. Dem Ohr, das die Mehrstimmigkeit verwestlichter Melodiearten gewöhnt ist, kommt die melismatische Form des Singens bei den Griechen fremd vor, aber als sich mitten in der Liturgie in “Kleingaliläa” ein kleiner Chor von Nonnen aus dem russischen Kloster anschließt, da erweist es sich, daß für alle, gleich welcher Nationalität, die Liturgie nur eines ist: Einmütigkeit der Herzen in freudiger Dankbarkeit, Darbringung an Gott.
Am Tage des Entschlafens sind wir in der Kirche der Hl. Maria Magdalena, die mit dem Gethsemane-Nonnenkloster zur Russischen Kirchlichen Mission gehört. (Diese Kirche wurde im Beisein der russischen Großfürstin Elizabeth Feodorovna geweiht, der künftigen Neumärtyrerin, deren Gebeine nun in dieser Kirche ruhen). Das Erlebnis der bischöflichen Liturgie mit dem Ritus der Panhagia im Gedenken an die heiligen Augenblicke des Entschlafens der Gottesgebärerin, erweitert sich noch, als wir die Ikone der Gottesmutter im Hof der Kirche verehren, die über dem Stein aufgehängt wird, wo die Allerheiligste ihren Gürtel dem Apostel Thomas übergab. Voller Ehrfurcht gehen wir hernach weiter durch den Hof in Gethsemane und kommen zur Höhle, wo Christus mit Seinen Jüngern war zum letzten Mal, bevor er gefesselt durch das Kidrontal zum Synhedrion hinübergeführt wurde. Und dann sehen wir auch mit eigenen Augen die von den Archäologen freigelegten Stufen des Weges, über die Er wenige Tage zuvor aus Bethanien den Ölberg herabkam, um auf der gegenüberliegenden Seite geradewegs nach Jerusalem zum Goldenen Tor einzuziehen – in den Tempel.
Ja, man verliert die Vorstellung von Zeit in diesem von Ereignissen durchwirkten Raum. Zwei Jahrtausende zurück folgen wir den Spuren des Herrn in Judäa und auch Galiläa. Die unbeschreibliche Regung bei der Verehrung der Stätte der Himmelfahrt – vierzig Tage nach der Auferstehung – am Ölberg weitet sich noch auf dem Berge Tabor, wo der Herr – vierzig Tage vor Seiner Kreuzigung – Seine Herrlichkeit in der Verklärung des Leibes offenbarte. Hinzu kommt, einerseits, über dem Galiläischen Meer – der Berg der Seligpreisungen, und andererseits der Berg der Versuchung über der Stadt Jericho, dieser archäologisch ältesten und zugleich geographisch tiefstgelegenen Stadt der Erde, nahe des Toten Meeres...
Unvergeßlich rührend ist der Besuch in Lidda beim hl. Großmärtyrer und Siegesträger Georg, wo wir vor seinen Gebeinen und Fesseln niederfallen. Einen Teil dieser Ketten verehren wir auch im Kloster, das auf dem ehemaligen Landgut seiner Mutter steht.
Unzählig sind die Orte im Heiligen Land, die als Stationen des Lebens Christi, Seiner Propheten und Märtyrer verbunden sind. Abrahams Eiche bei Hebron – immer sind Kirchen oder Klöster dort errichtet, wo Gebeine und Reliquien aufbewahrt werden, oder ganze unverweste Leiber von Heiligen. So verehren wir auch den Leib des hl. Johannes aus Rumänien (gest. 1960) im Wüstenkloster des Hl. Georg Hosebit. Alles kann man unmöglich auch nur erwähnen.
Nur Bethlehem darf nicht unerwähnt bleiben, wo wir in der Grotte unter der Geburtskirche den Weihnachtstropar singen und niederknien vor der in Fels gehauenen Krippe. Nach ältester Überlieferung: hier wurde das Wort Gottes als Mensch geboren. Und immer wieder die Frage: sind wir denn eines solchen Glückes würdig, uns diesen heiligen Stätten zu nähern, sie zu verehren? Glauben denn nicht viele von uns, daß die hier ausströmende Kraft ganz einfach, ohne unsere innere Anstrengung, die gewünschte Heilswirksamkeit haben kann?
Vielleicht fällt es uns in der Göttlichen Liturgie am Grabe Christi leichter uns selbst eine entschiedene Antwort darauf zu finden und uns zu entschließen, der rechten Herzenshaltung zu folgen. Diese Liturgie ist immer der Höhepunkt einer Pilgerfahrt. Allein die Tatsache, daß sie in der Grabeskirche Christi gefeiert wird, setzt sie auf eine unerreichbare Höhe. Hier ist alles, was die Kircheneinrichtung betrifft, anders, ganz anders, und zugleich grundlegend für alle anderen Orte Gottesdienstes und Altäre. Das Grab selbst dient als Prothesis Jeder von uns, auch die Frauen, hat die einzigartige Möglichkeit mit seiner Prosphora vor der Grabplatte mit den daraufstehenden Diskos und Kelch zu knien und die Namen unserer Nahen und Fernen zu gedenken, zu beten, während ein Priestermönch die Proskomidie vollzieht, die Brotteilchen zu ihrem Gedenken herausnimmt und auf den Diskos legt – zu dem “Lamm Gottes” hinzu, das uns später zur Heiligen Kommunion gereicht werden wird.
Dieser Vorbereitung und der ihr eigenen Feierlichkeit nach ist diese Liturgie allenfalls noch mit einem Ostergottesdienst zu vergleichen. Hier erfüllt sich denn auch die Seele mit der Auferstehungsfreude, ist dann das Grab Christi tatsächlich der Ort Seiner Auferstehung – der Ort, wo unsere Erlösung beginnt. Ehrfurcht, volle Konzentration, Begeisterung beim Empfang der gnadenvollen Kräfte der Kommunion ergießen sich auf uns, in uns hinein bei diesen seligen Augenblicken, die ein ganzes Leben wert sind und für die Ewigkeit in unsere Seelen eingeprägt bleiben werden...
Pilgerin S. M.