Predigt zum 5. Herrentag nach Ostern / von der samaritanischen Frau (Apg. 11:19-26, 29-39; Joh. 4:5-42) (14.05.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
jeder kennt das Gespräch unseres Herrn mit der Samariterin am Jakobsbrunnen zur Genüge. Aber es lohnt sich immer wieder, auf scheinbar unbedeutende Details achtzugeben, über die man sich früher nie Gedanken gemacht hat. Wir wissen, dass der Herr in die Welt gekommen ist, um das Evangelium vom Königtum Gottes zu verkünden. Seine Motivation war die Liebe zum gefallenen Menschengeschlecht, also zu uns allen. Wichtig ist hierbei zu bedenken, dass der Herr Sich vom Himmel in die Niederungen unserer von der Sünden verdorbenen Natur herabbegibt, d.h. in menschlicher Gestalt das Heil verkündet. Wie wir heute lesen, ist Er um die Mittagszeit ermüdet von der anstrengenden Reise (wir Pilger fahren für gewöhnlich in klimatisierten Bussen von einem heiligen Ort zum anderen, der Herr ging aber zu Fuß) und es dürstet Ihn. Frage: Warum tut Er Sich das an? Er könnte doch in den Abendstunden mit Seinen Jüngern marschieren, und während der Mittagshitze Siesta machen, wie alle „normalen“ Leute in Ländern mit heißem Klima (Touristen ausgenommen). Antwort: Nachts betete Er in der Abgeschiedenheit für die Errettung der Welt (s. Mk. 1:35; Lk. 5:16); tagsüber war Er unermüdlich für die Menschen da. Hier aber richtete Er es durch die göttliche Vorsehung ein, dass Er alleine am Brunnen mit der Frau aus der Stadt zu einer Unterhaltung zusammenkommt. Während Seiner irdischen Mission machte der Herr niemals für Sich Gebrauch von Seiner göttlichen Macht, sondern einzig zur Errettung des Menschen. Ansonsten teilte Er unsere Schwächen zur Gänze. Wir wissen zwar, dass Er Sich zweimal auf wundersame Weise der Todesgefahr entzog, d.h. wahrscheinlich vorübergehend für Seine Feinde unsichtbar wurde, aber nicht um Seiner Selbst willen, sondern weil da Seine Stunde – die Stunde der Errettung der Welt – noch nicht gekommen war (s. Lk. 4:28-30; Joh. 8:59)! Und was erleben wir hier und heute in Sychar? Der Urheber des Himmels und der Erde, die beide durchweg aus Wasser bestanden, Schöpfer des Meeres und der Landmasse (s. Gen. 1:2,6-10), bittet eine Frau aus der Stadt um Wasser, weil Er kein eigenes Gerät zum Schöpfen hat!?.. Auch das hat einen tiefen Sinn, ist offenbar Teil des Plans zur Errettung der Menschen. Christus ist nun allein mit der Frau. Sonst drängen sich die Massen stets um Ihn, aber unter sengender Sonne zu marschieren ist nicht jedermanns Sache – und die Jünger sind zum Einkaufen in die Stadt gegangen. In der Stadt herrscht gerade Mittagsruhe. Zudem ist der Bekanntheitsgrad Christi zu Beginn Seiner Verkündigung, wie wir an der Frau aus der Stadt erkennen können, unter den Samaritern noch nicht sehr hoch.
Der Herr lehrt uns heute durch Sein Beispiel, dass es jegliche Mühe wert ist, auch nur eine einzige Seele zu retten. Symbolisch identifiziert Er Sich, der Herr über alle Quellen der Welt, mit allen Seinen geringeren Brüdern und Schwestern (vgl. Mt. 25:40), und bittet in Seinem Namen, aber letztlich für sie alle um einen Becher frischen Wassers. Doch vor allem der Frau erweist Er dadurch die größte Wohltat, damit sie den Lohn dafür erhält (s. Mt. 10:42). Und mehr als das: in dem Gespräch mit der fremden Frau, mit der es eigentlich keinerlei Kontakt geben durfte (s. Joh. 4:9), reißt der Herr durch Seine Güte alle Trennwände der Feindschaft nieder (s. Eph. 2:14). Seine einzige „Waffe“ ist die unendliche Liebe, die Er als Menschensohn buchstäblich verkörpert. Und weiter entwickelt sich der Dialog zu einem wunderbaren Lehrbeispiel für die Missionierung. Der Herr geht erst gar nicht auf die Worte der Frau ein über die gegenseitige Abneigung zwischen Juden und Samaritern, und als das altbekannte Streitthema bezüglich des wahren Ortes der Anbetung Gottes zur Sprache kommt, „überspringt“ der Herr diesen Punkt und richtet den Blick auf die nicht mehr ferne Zukunft, die mit Seinem Kommen schon begonnen hat: „Die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit, denn so will der Vater angebetet werden“ (Joh. 4:23). Ohne Seine „Opponentin“ zu kränken, führt der Herr sie schrittweise zur Erkenntnis der Wahrheit. Im Verlauf des Gesprächs über das Leben in der Gnade des Heiligen Geistes (des “lebendigen Wassers“ – s. 4:10) lässt der Herr sie erkennen, dass die Wahrheit Gottes nur dann in uns Gestalt annehmen und Früchte tragen kann, wenn auch unser persönliches Leben im Einklang mit den Geboten Gottes verläuft. Die bewusste Falschaussage der Frau: „Ich habe keinen Mann“ (4:17) wandelt der Herr in ein wahrheitsgemäßes Bekennen ihrer (und unserer) bisherigen Verirrungen um (s. 4:18). Denn wenn wir uns von unseren (fünf) Sinnen leiten lassen, werden wir infolge unserer Leidenschaften unweigerlich zur Beute des Widersachers; wer aber die Gnade des Heiligen Geistes aus der Erkenntnis des Messias einmal kennengelernt hat, wird den Weg in das ewige Leben finden und nie mehr etwas anderes suchen wollen. Hierdurch wird dieses irdische Leben selbst zum Ursprung der Gnade – eben dazu ist es uns ja von Gott geschenkt worden. So können wir alle von einem sündhaften, ehebrecherischen Leben in der Fron unseren Leidenschaften loskommen und auch zu Verkündern der heilbringenden Gnade Christi werden. Die Leute werden in uns die Wahrheit erkennen und selbst zu Nachfolgern Christi werden wollen. Noch ist also nicht alles verloren. Wenn Christus von den Leuten von Gadara gebeten wurde, ihr Gebiet wieder zu verlassen, so sehen wir bei den Samaritern von Sychar, dass sie den Herrn (allen Konventionen zum Trotz) bitten, noch länger bei ihnen zu bleiben. Hier und da hinterlässt der Herr aber jemanden, der auch nach Seinem Weggang die Heilstaten Gottes verkünden wird. Bei den Samaritern ist dieser Bedarf entsprechend geringer, da sie selbst erkannt haben, dass Christus „wirklich der Retter der Welt“ ist (4:42). Amen.