Predigt zum Gedenktag des seligen Isidor aus Brandenburg, Narr um Christi Willen und Wundertäter von Rostow (27.05.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute begehen wir gemeinsam das Fest unseres Gemeindepatrons, des heiligen Isidor. Es ist üblich, dass wir uns ein Beispiel an unseren Heiligen nehmen – an dem Heiligen, dessen Namen wir tragen, dem unsere Gemeinde gewidmet ist oder an den Heiligen, die unserem Herzen nahe sind, zu denen jeder von uns individuell eine besondere Beziehung hat. Da die Kirche bekanntlich zwei Modelle für ein Leben in Christus anbietet – Ehe/Familie oder Mönchstum/Kloster – ergibt sich vermeintlich daraus, dass die Weltkinder eher bei bekannten und populären Heiligen Schutz, Beistand und Orientierung suchen, die Klosterbewohner eher bei Heiligen aus dem Mönchsstand. Aber ist das wirklich so einfach? Natürlich nicht. Es gibt Weltkinder, die Namen von Mönchsheiligen tragen und sich mit diesen vollkommen identifizieren, und es gibt genauso gut Mönche und Nonnen, die Namen von nicht-monastischen Heiligen angenommen haben. Und das ist gut und richtig so. Denn das geistliche Leben in der Welt unterscheidet sich im Hinblick auf seine Zielsetzung grundsätzlich nicht vom Leben in den Klöstern. Beide von der Kirche gesegneten Lebensformen verfolgen das Ziel der Vergöttlichung, die Erlangung der Gnade des Heiligen Geistes schon in diesem Leben als Unterpfand für das ewige Leben im Königtum Gottes (s. Joh. 1:16; 1 Kor. 3:16). Nur die Schwerpunkte sind unterschiedlich. Während das Ideal eines Christen in der Welt darin besteht, die Seligkeit im Himmel durch ein Leben unter weltlich gesinnten Menschen zu führen und aus Liebe zu Christus und zu all diesen Mitmenschen sein Kreuz zu tragen, lebt man im Kloster unter Gleichgesinnten, mit denen man täglich die geistliche Gemeinschaft pflegt. Vereinfacht formuliert ist es so: Während die Weltkinder ihre schwere Last im Alltag zu tragen haben und nur gelegentlich Zeit für das Gebet und den Besuch von Gottesdiensten haben, ist der Tagesablauf der Mönche und Nonnen so geregelt, dass das geistliche Leben absolute Priorität genießt und die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse erst an zweiter Stelle folgt (vgl. Lk. 10:41-42). Die Weltkinder genießen dafür natürlich viele angenehme „Freiheiten“ (Liebesglück, Kindersegen, Vergnügungen, Freizeit etc., die aber keinerlei Garantie für das Glücklichsein bieten), während Mönche und Nonnen einen beträchtlichen Teil ihrer „Nachtruhe“ für das Gebet nutzen. Wer aber auf irdische Tröstungen freiwillig verzichtet und die Genügsamkeit des Klosterlebens gewählt hat, ist oftmals viel glücklicher und zufriedener in seinem Leben. Und doch gilt: es gibt zwischen diesen beiden Alternativen keinen „richtigen“ oder „falschen“ Weg, sondern nur die richtige bzw. falsche persönliche Entscheidung. Für den Einen ist (individuell) Ehe und Familie der richtige Weg, und das Mönchsleben (individuell) der falsche; für den Anderenist es aber genau umgekehrt. Das, was der Mönch oder die Nonne an sorgenfreier Lebensgestaltung gewinnt, gibt er oder sie durch Askese auch und vor allem im Dienst an die in der Welt befindlichen Menschen wieder zurück. Die in der Welt lebenden Männer und Frauen erlangen das Seelenheil dadurch, dass sie die unweigerlichen Prüfungen des Alltags sowie schwere Schicksalsschläge mit viel Geduld und Dankbarkeit Gott gegenüber bestehen und annehmen. Einen leichten und ausnahmslos angenehmen Weg in das himmlische Königtum gibt es ohnehin nicht (s. Mt. 7:13-14; Lk. 13:24).
Wenn wir nun die Narren um Christi willen wie z.B. unseren seligen Isidor aus Brandenburg betrachten, sehen wir, dass sie zwar in der Welt leben, doch aus ihr nur die Schattenseiten für sich in Anspruch nehmen. Darüber hinaus besteht ihr Leben aus einer unvorstellbaren Askese, die den Außenstehenden aber verborgen bleibt und praktisch allein vor Gottes Angesicht stattfindet. Sie werden verfolgt, verspottet, geschlagen und ausgestoßen (vgl. Hebr. 11:33-38). Die Tage verbringen sie unter den Menschen, von denen sie Hohn, Erniedrigung, Demütigung und nicht selten Misshandlungen erfahren. Die Nächte verbringen sie unter jämmerlichen Bedingungen (der hl. Isidor hauste in einer Hütte aus Reisig am Rande der Stadt) im Gebet für ihre Peiniger. Ihre Liebe zu den Menschen ist so groß, dass sie Gott zur Milde für uns arme Sünder bewegen. Und deshalb gilt dieser Weg der Askese nicht ohne Grund als der schwerste von allen. Doch selbst wenn dieser Weg der Selbstverleugnung und des Kreuztragens für uns in dieser Form völlig unbegreiflich und unerreichbar ist, sehen wir in den Narren in Christo eben auch Wegbereiter für unser geistliches Leben, das die Liebe zu Gott und zu den Menschen zum Hauptzweck hat. Wenn sie es auf diese extreme Art und Weise vermochten, Gottes Willen über alles zu stellen und die Menschen trotz ihrer Bosheiten tatkräftig zu lieben, dann können wir es ihnen doch auf unsere Weise, in abgeschwächter Form, gleichtun. Wir müssen Hohn und Spott ja nicht bewusst provozieren, aber wir können sie als heilsame Medizin für unsere Seelen annehmen, wenn sie uns von Gott auf unserem Lebensweg herabgesandt werden. Denn diese Illusion nehmen uns alle Heiligen: dass man in dieser Welt unbehelligt ein Leben in Christus führen kann. Der Weg der Frömmigkeit führt unweigerlich zu Verfolgungen seitens der uns umgebenden säkularen Gesellschaft (s. 2 Tim. 3:12), auch wenn diese sich selbst noch als „christlich“ bezeichnen sollte. Die Narren um Christi willen lebten ja fast durchweg in orthodoxen Ländern und zu Zeiten, als der Glaube gesellschaftlich einen hohen Stellenwert besaß. Damit unterschieden sie sich vom Grundsatz her nicht von ihrem göttlichen Lehrer, Der in diese Welt gekommen war, um gerade von den „frommen“ und „gesetzestreuen“ Vertretern der Kleriker-Kaste abgelehnt, verraten und hingerichtet zu werden. Amen.