Predigt zum Samstag der 6. Woche nach Pfingsten (Röm 9,1-5; Mt 9,18-26) (19.07.2025)
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Ehre dem Vater und dem Sohne und Heiligen Geiste. Amin.
Lieber Vater, liebe Gläubigen,
heute feiern wir die Erhebung der Gebeine unseres Heiligen Ehrwürdigen Seraphim von Sarov (* 1759 – ☦ 1833), der bereits im Jahre 1903 heiliggesprochen wurde. Dem Heiligen Seraphim war es sehr wichtig, dass wir erkennen, was das Ziel des Lebens ist, nämlich die Erlangung des Heiligen Geistes, der uns Menschen Gott ähnlicher macht und vergöttlicht (Theosis). Dabei spielt die Praxis der inneren Versenkung (Hesychia: v. a. das immerwährende Jesusgebet) und die Selbstverneinung eine entscheidende Rolle. Lasst uns heute einmal die letztere erkunden: die Selbstverneinung bzw. Selbstverleugnung, die wir beim größten Vorbild lernen: Jesus Christus.
Der Heilige Johannes Chrysostomos (☦ 407) sagte in einer Homilie, dass Christus nicht gesagt hat, dass wir uns nicht schonen sollen, sondern Er sagte ganz streng: Wir sollen uns selbst verleugnen, und er beschreibt es so, dass wir nichts mit uns selbst zu tun haben sollen, sondern im Angesicht aller Gefahren und Herausforderungen uns aufopferungsvoll hingeben sollen; und dabei sollen wir noch so empfinden, als würde ein anderer es erleiden. In diesem Sinne könnte man sagen, dass es nicht möglich ist, seinen Nächsten zu lieben, ohne sich selbst zu verleugnen, sich aufzuopfern, sich hinzugeben, denn die Liebe ist keine Sache des Gefühls, sondern eine Sache der Tat, des Handelns.
In der heutigen Apostellesung haben wir von dem Schmerz gehört, den der Heilige Apostel Paulus in seinem Herzen wegen seiner „Verwandten nach dem Fleisch“ verspürte (Röm 9,3), die den Herrn verworfen haben. Seine große Trauer und Selbstverneinung gehen so weit, dass er sich sogar vor Christus verdammt, wenn er dadurch seine Brüder retten könnte. Demnach würde Paulus nicht nur sein irdisches Leben für seine Brüder hingeben, wenn er sie dadurch retten könnte, sondern sogar noch mehr: das ewige Leben würde er hergeben, um die anderen zu retten, denn er würde sich ja sogar von Christus trennen wollen, wenn es den anderen helfen würde.
Ein höchstes Maß an Selbstverneinung zeigten auch zahlreiche Heilige, wie der Heilige Grigol (Gregor) Peradse (* 13. September 1899 – ☦ 6. Dezember 1942), der nach Zeugenaussagen sein Leben für einen Bruder hingab, indem er anstelle eines besorgten jüdischen Familienvaters in Ausschwitz-Birkenau in die Gaskammer ging; und der Heilige Alexander von München (* 3. September 1917 – ☦ 13. Juli 1943), den wir am letzten Sonntag feierten und der sich nicht um seine Bequemlichkeit und nicht einmal um seinen Leib sorgte, sondern nur um seine Seele. Aus dem Gefängnis schrieb er an seine Schwester Natascha: „Du wirst dich vielleicht wundern, wenn ich Dir schreibe, dass ich innerlich von Tag zu Tag ruhiger werde, ja sogar froh und fröhlich, dass meine Stimmung meistens besser ist, als sie es früher in der Freiheit war! Woher das kommt? Das will ich dir gleich erzählen: Dieses ganze harte ‚Unglück‘ war notwendig, um mich auf den richtigen Weg zu bringen – deshalb war es eigentlich gar kein Unglück.“ (G. Fernbach (Hg.), „Vergesst Gott nicht!“, Edition Hagia Sophia 2013).
Bemerkenswert ist hier auch, dass er bereits alles aus einem erhabenen, Göttlichen Blickwinkel betrachtet, um den wir uns ebenfalls bemühen sollen, indem wir sprechen: Herr, ich glaube, stärke meinen Glauben! Objektiv, aus dem irdisch-weltlichen Blickwinkel betrachtet, ist es selbstverständlich ein großes Unglück unrechtmäßig im Gefängnis zu sitzen, um dem Todesurteil entgegenzublicken. Diese Heiligen hatten jedoch längst erkannt und gar verinnerlicht, das alles zur Errettung der Seelen dient, wozu es vollkommenes Vertrauen in Gott, unserem Schöpfer und himmlischen Vater, braucht. Denn Er will ja nicht, dass wir in unseren Sünden sterben, sondern dass wir umkehren und leben.
„Gott sieht alles“, wie die Heilige Magdalena aus Mălainița (auch „Mama Măndălina“, * 1895 – ☦ 1962) zu sagen pflegte. Wieso sollten wir uns also Sorgen machen? Der Vater ist doch da und sieht uns. Erinnern wir uns nur an das Gefühl als wir noch Kinder waren und wir zu Hause bei unserer Mutter waren. Wir fühlten uns geborgen und aufgehoben, aber welche Sicherheit verspürten wir erst, wenn der Familienvater zu Hause war? Welchen Schutz und „Felsen“ hatten wir dann erst? Denn der Vater war da, er sah uns und würde jegliche Gefahr von uns abwenden. Genauso sieht uns auch Gott, unser Schöpfer und Vater in den Himmeln. Er sieht alles und sieht uns, kennt all unsere Bedürfnisse und „sogar die Haare eures Hauptes sind alle gezählt“ (Lk 12,7). Ohne Seine Erlaubnis, wird uns kein Haar gekrümmt. Wenn uns also Unglück widerfährt, brauchen wir keine Angst zu haben, sondern wir sollen uns fragen: Inwiefern passt dieses Unglück in Gottes Plan zu meiner persönlichen Erlösung?
Auch in traumatischen Erlebnissen spielt eine solche Sinnfindung eine zentrale Rolle. Nicht sollen wir uns die ziellose Frage stellen: „Warum ich?“, sondern, indem wir den täglichen geistigen Kampf kämpfen, unser tägliches Kreuz auf uns nehmen, suchen wir einen Sinn in den Herausforderungen des Lebens. Fragen wir uns stattdessen: „Womit hat dieses Erlebnis mein Leben bereichert?“, „Welche verborgenen Eigenschaften hat es mir aufgedeckt?“, oder „Welche Mängel hat es beseitigt?“ Dann können wir nicht nur heilen, sondern wachsen in Christo, um uns vorzubereiten, das Martyrium (auch das tägliche) vollziehen zu können, „und das Trainingsprogramm und der Trainingsplatz dafür sind die Kirche und die Liturgie.“ (Protos. Athanasie Ulea, „Der Psychotherapeutische Charakter der Eucharistischen Anaphora“, in: Der Schmale Pfad 92, Juni 2025).
Wir sind also gefragt, wie wir mit den Schwierigkeiten des Lebens umgehen. Unsere Einstellung zu den Dingen ist äußerst wichtig. Wir benötigen Vertrauen in Gott. Wir müssen Seine Liebe in uns suchen, um den immerwährenden himmlischen Beistand des Vaters zu spüren. Dann verspüren wir die Anwesenheit des Heiligen Geistes, den wir, wie die ersten Christen, bei jeder Gelegenheit in der Heiligen Eucharistie immer mehr erwerben sollten. Sodann werden wir den Lohn erhalten, die Früchte des Heiligen Geistes, die da sind: „Liebe, Freude und Frieden; Geduld, Freundlichkeit und Güte; Treue, Nachsicht und Selbstbeherrschung“ (Gal 5,22 f.).
Nachdem der Anwalt des Heiligen Alexanders, Siegfried Deisinger, erwirkt hatte, dass ein orthodoxer Priester ihm an seinem Todestag, dem 13. Juli 1943, in seiner Zelle in München-Stadelheim die letzten Tröstungen – das Mysterium der Umkehr und die Heilige Eucharistie – spenden durfte, besuchte der Anwalt ihn ebenso in seiner Zelle und war erstaunt über die völlige innere Ruhe, die auf Alexander lag – ein Erlebnis, das der Anwalt wie folgt beschrieb: „[…] da traf ich in der Todeszelle einen Menschen an, der eben vorher die letzten Tröstungen seiner Religion empfangen und alles Irdische schon weit von sich geworfen hatte. Unvergesslich sind mir seine Worte, die er fast heiter zu mir sprach: ‚Sie werden erstaunt sein, mich in dieser Stunde so ruhig anzutreffen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass selbst dann, wenn Sie mir jetzt die Botschaft brächten, ein anderer, zum Beispiel der Wachtmeister hier, der mich zu bewachen hat, wolle für mich sterben, ich trotzdem den Tod wählen würde. Denn ich bin jetzt überzeugt, dass mein Leben, so früh es auch erscheinen mag, in dieser Stunde beendet sein muss, da ich durch meine Tat meine Lebensaufgabe erfüllt habe. Ich wüsste nicht, was ich noch auf dieser Welt zu tun hätte, auch wenn ich jetzt entlassen würde.“ (a.a.O.).
Der Heilige Alexander hatte somit das Mysterium der Umkehr und die Heilige Eucharistie empfangen, war beseelt von Frieden im Herzen, hatte alles Irdische bereits von sich geworfen und war bereit, hinüberzugehen in das nächste, ewige Leben. Er spürte ganz deutlich, dass dies seine Lebensaufgabe sei und sie bereits erfüllt werden sollte. Er hatte keine Angst „vor denen, die den Leib töten und danach nichts weiter zu tun vermögen“ (Lk 12,4). Nein, er war bereit, auf sein weiteres irdisches Leben zu verzichten, es hinzugeben für seine Nächsten. Wenn das Ziel des Lebens die Erlangung des Heiligen Geistes oder die Vergöttlichung (Theosis) ist, wir also Gott gleicher werden sollen, und sich Christus-Gott in Liebe für uns gänzlich selbstentäußert hat, bis in die völlige Selbstentleerung (Kenosis), dann mögen auch wir stark sein, um erniedrigt zu werden bis zum Tod am Kreuze, denn Gott ist die Liebe und die Liebe ist die völlige Hingabe, die Aufopferung bis hin zur Selbstverneinung.
Wir sollen uns also darin üben, jeden Tag mehr, uns aufzuopfern für unseren Ehepartner, für unsere Kinder, Verwandte und Freunde. Wir sollen für sie beten, auch für diejenigen, die fern von Gott sind, wie auch Paulus für alle mit „blutendem“ Herzen betete (Röm 10,1): „Brüder! Das Wohlgefallen meines Herzens und mein Flehen für sie zu Gott ist, dass sie gerettet werden.“ Und (Tim 2,1f.): „Ich ermahne nun vor allen Dingen, dass Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen getan werden für alle Menschen, für Könige und alle, die in Hoheit sind, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen in aller Gottesfurcht und Ehrbarkeit.“
Von einem solchen Mann in hoher Stellung hörten wir heute im Evangelium, wie er gottesfürchtig zu Christus kam und sprach (Mt 9,18): „Mit meiner Tochter ging es soeben zu Ende; aber komm und lege deine Hand auf sie, damit sie wieder lebe.“ Hier sehen wir trotz aller Machtposition v. a. familienväterliche Selbstverneinung, Demut, Vertrauen auf Gott und Glaube daran, dass Gott hilft und einen Plan hat. Der Mann bittet Gott in sein Haus zu kommen und lädt damit den Herrn auch ein, in sein Herz zu kommen. Und Christus kommt und erweckt die entschlafene Tochter wieder zum Leben, denn „das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft“ nur, sagt Er, denn der Tod ist nur ein Schlaf, ein leiblicher Tod, die Seele aber ist unsterblich. Christus ergriff die Hand des Mädchens und es erwachte, wie auch Adam und Eva auf der Auferstehungsikone von Christus am Handgelenk gegriffen und aus der Finsternis hinaufgezogen werden.
Schließen wir mit einem einfachen und zugleich wirkungsvollen Rezept, das uns der Heilige Ignatij (Brjantschaninow, * 5. Februar 1807 – ☦ 30. April 1867) hinterließ, dessen Wirkung und Heilkraft nicht lange auf sich warten lassen sollen. Er empfiehlt uns bei seelischen und körperlichen Leiden insb. in Momenten der nachlassenden Kräfte und der geschwächten Nerven mehrmals täglich zu sprechen: „Ehre sei Dir, mein Herr, für diese Bedrängnis. Ich erhalte den gerechten Lohn für meine Taten, gedenke meiner, wenn Du in Dein Reich kommst." (Bischof Ignatij Brjantschaninow, Ausgewählte Werke, Bd. 4, Edition Hagia Sophia 2023). Mögen wir in diesem Sinne „guten Mutes“ sein, denn unser Glaube geschmückt mit guten Taten hat uns gerettet (vgl. Mt 9,22). Gott sieht alles! Amin.