Predigt zum 29. Sonntag nach Pfingsten (Kol. 3: 12-16; Lk. 17: 11-19) (23.12.2012)
Liebe Brüder und Schwestern,
sowohl die heutige Epistel-, als auch die uns angebotene Evangeliumslesung haben die Dankbarkeit Gott gegenüber zum Thema. Wenn wir uns diesem Themenkomplex aufmerksam nähern, müssen wir als Gläubige zu dem Schluss kommen, dass die Dankbarkeit gewissermaßen ein Gradmesser für unseren Glauben und unsere Frömmigkeit ist. Wie könnte es denn anders sein? - Wenn ich an das glaube, was der Herr mir im Evangelium verspricht, dann müsste ich doch der glücklichste Mensch auf Erden sein! So schreibt der Apostel: „Ihr seid von Gott geliebt, seid Seine auserwählten Heiligen“ (Kol. 3: 12a). ... Ich bin von Gott geliebt! ... Ich bin Sein auserwählter Heiliger! Und das ohne den geringsten Verdienst, ohne die kleinste Anstrengung von mir, allein durch den Glauben! Wie anders als durch tatkräftig geäußerte Dankbarkeit kann ich mich meinem Herrn erkenntlich zeigen?!
Im Umkehrschluss heisst das aber auch: wenn ich keine Dankbarkeit empfinde, dann ist auch mein Glaube nicht echt, nicht vollkommen.
Und so folge ich den ermahnenden Worten der Schrift: „Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld“ (3: 12b).
Wie das?
- „Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (2: 13). Infolge des Glaubens haben wir in der Taufe „Christus als Gewand angelegt“ (Gal. 3: 27). Warum der allegorische Vergleich mit der Kleidung? - Nun, die Kleidung ist etwas, was organisch, biologisch, genetisch, also von Natur aus nicht zum Menschen gehört. Erst nach dem Sündenfall bemerkten die Menschen, „dass sie nackt waren“ (Gen. 3: 7; s. Hiob 1: 21), vorher störte sie das nicht. Jetzt kann der Mensch praktisch keine Minute ohne Kleidung existieren, und aus diesem Grunde sollen o.g. Tugenden uns ohne Unterlass „bekleiden“. „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht“ (3: 14). Wie der Gürtel die sichtbare Kleidung zusammenhält und die schlanke Figur betont, so vermag die Liebe alle übrigen Tugenden – Erbarmen, Güte Demut, Milde, Geduld - „zusammenzuhalten“, d.h. sie sorgt dafür, dass das gesamte Erscheinungsbild des Sich-Bekleidens „aufrichtig“ (s.o. 12b) ist. Ohne die Liebe sind alle guten Werke nämlich nur Heuchelei, Berechnung und Hinterlist.
Weiter schreibt der Apostel: „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt. Denn ihr seid in Gottes Gnade“ (3: 15-16).
Ehrlich gesagt, erinnert mich das hier an uns gerichtete Wort Gottes spontan an unsere Hl.-Isidor-Gemeinde, die sich in Ermangelung eines ständig anwesenden Priesters „durch Psalmen, Hymnen und Lieder“ fürwahr „in Gottes Gnade“ begibt und befindet. Der „Friede Christi“ herrscht in unseren Herzen, wenn das „Wort Christi (…) mit seinem ganzen Reichtum“ bei uns wohnt. Also kann unter dieser Bedingung (Friede Christi im Herzen) auch das nicht einem priesterlichen Mund entstammende Wort Christi „in aller Weisheit belehren und ermahnen“, vor allem wenn jeder unter uns von vornherein bereit ist, den jeweils anderen gemäß dem Wort Christi „zu ertragen“ und ihm zu vergeben, wenn er ihm „etwas vorzuwerfen hat“ (d.h. er holt nicht gleich die verbale oder psychologische Keule wider seinen Mitbruder hervor; s. Gal. 6: 1). So stelle nicht nur ich mir eine Gemeinde Christi dar (s. Apg. 2: 43-47).
Man kann aber auch eine andere Deutung in Bezug auf das „Wort Christi“, das „mit seinem ganzen Reichtum“ bei uns wohnen möge, vornehmen. Einige der Heiligen Väter früherer Zeiten und mehrere Theologen unserer Zeit, wie z.B. Archimandrit Sofronij (Sacharow) vertreten nämlich die Ansicht, dass im Namen Jesu Christi, in den wir doch alle getauft worden sind, auch der Herr Selbst anwesend ist. Und die Heilige Schrift ist voll von Zeugnissen darüber, dass der Name des Herrn heilig und in ihm der Herr gegenwärtig ist (z.B. Mt. 12:21; Mk. 9: 38; Lk. 10:17; Joh. 2. 23; Apg. 4: 10 u.v.a.). Also wollen auch wir in der Zeit ohne den Empfang der Heiligen Gaben den Namen des Herrn anrufen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, des Sünders!“ Und so wird Christus auch ohne die Eucharistie in Gestalt des Leibes und des Blutes „wie ein Gewand“ mit uns sein. Deshalb: „Seid dankbar!“
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Ein galiläisches Dorf nahe der Grenze zu Samarien. Zehn aussätzige Männer erwarten gemeinsam die Ankunft Jesu. Da sie nicht mit den übrigen Menschen leben dürfen (s. Lev. 13: 46), schließen sie sich wohl in kleineren Gemeinschaften zusammen, um so besser ihre täglichen Bedürfnisse regeln zu können. Und so dürfen sie auch nur aus der Ferne rufen: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ (17: 13). Der Herr erwidert sofort ihr Bitte: „Geht, zeigt euch den Priestern!“ (17: 14a) – das ist gleichbedeutend mit: „werdet rein!“ Die Aussätzigen kannten die wundertätige Kraft Jesu, sie kannten auch das Gesetz, demzufolge die Feststellung der Wiederherstellung der Reinheit einer minuziösen Prozedur durch den Priester bedurfte (Lev. 13-14). Also gingen sie. „Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein“ ( 17: 14b). Alle gingen weiter, wie ihnen befohlen wurde, wie es auch das Gesetz verlangte, „einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte Ihm. Dieser Mann war aus Samarien. Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?“ (17: 15-18).
Mir fällt hierzu eine Kindergeschichte ein. Ein „Neuankömmling“ im Himmel beobachtet zwei Engel: der eine fliegt unablässig vom Himmel auf die Erde und von der Erde zum Himmel zurück; der andere sitzt gelangweilt auf einer Wolke. Da fragt der Neue seinen Schutzengel: „Warum fliegt ein Engel pausenlos hin und her, während der andere nichts tut und nur herumsitzt?“ - Sein Schutzengel antwortet: „Der erste Engel ist für die Weiterleitung von Fürbitten eingeteilt, der zweite ist für die Übermittlung der Dankgebete zuständig...“
Das erklärt aus meiner Sicht, warum es nicht immer von Vorteil wäre, dass alle unsere Bitten – und erschienen sie uns noch so dringend und wichtig – erfüllt würden. Wir müssen einfach lernen, nach Gottes Willen, und nicht nach unserem eigenen zu leben. Wenn wir das lernen, wird es uns auch ein Leichtes sein, Gott bei allem, was wir denken und handeln, zu vertrauen und unser Schicksal in Seine Hände zu legen.
Außerdem merke ich oft, dass Leute, denen es schlecht geht, die mangelnde Solidarität der Bessergestellten bemängeln und (wohl aufrichtig) bekunden, sie würden an Stelle der „vom Schicksal Begünstigten“ den Bedürftigen helfen. Nur wenn sie sich dann selbst in der Lage befinden, anderen helfen zu können, eignen sie sich ziemlich schnell die Rhetorik der zuvor von ihnen Kritisierten an: „Ach, die sind doch bloß alle faul. Mir ist auch nichts in die Wiege gelegt worden“.
Und am schlimmsten ist es, wenn Gott für unsere Misere verantwortlich gemacht wird.
Ganz ehrlich, ich kann mir doch selbst nicht mehr trauen. Jedes Mal, wenn ich mir etwas von Gott wünsche und Ihm dafür etwas als Gegenleistung verspreche, halte ich mein Wort nicht. Das hat mich gelehrt, auch wenn es mir schwerfällt, wie Don Camillo seinerzeit, mich eingedenk meiner Schwäche in Demut zu üben. Dieser rief nämlich zunächst laut aus: „Gott darf nicht zulassen, dass Peppone und die Kommunisten die Wahl gewinnen!“ - „Dann geschehe also der Wille Don Camillos?!“ … (ganz leise:) „Nein, Herr, Dein Wille geschehe“.
Als Priester habe ich oft erlebt, dass mir zuvor unbekannte Menschen zur Kirche kommen, um von schwerer Krankheit oder großer Not befreit zu werden. Ein jeder solcher Fall ist immer auch eine Chance, diesen Menschen zu Gott zu führen, auch wenn ich in meiner Schwachheit keine Wunder vollbringen kann. Deshalb nehme ich mir die Zeit, um diesen Menschen den Glauben zu erklären, den Zusammenhang zwischen seelischer und körperlicher Krankheit, und biete ihnen konkret an, ihre Sünden zu bereuen und sich mit Christus zu vereinen, was das größte Glück für jeden Menschen ist. Und hier zeigt sich tatsächlich, dass neun von zehn entweder nie mehr wieder in der Kirche erscheinen, oder einmal das „gesetzlich vorgeschriebene Opfer“ erfüllen, danach aber auch wieder untertauchen. Aber es gibt auch dieses „Zehntel“, bei denen der Samen auf fruchtbaren Boden fällt. Und glauben Sie mir, diese Menschen entdecken nicht nur das ihnen innewohnende Reich Gottes, sondern erhalten von Gott häufig auch die Heilung von ihrer körperlichen Krankheit.
Nun aber wieder zurück zu unserer Evangeliumslesung:
Es stellt sich die Frage, was den „übrigen neun“ Aussätzigen konkret vorzuwerfen ist. Scheinbar, eigentlich, nichts, denn a) befolgten sie das Gesetz, und b) taten sie, wie ihnen befohlen. Trotzdem: diese Begebenheit und die Reaktion des Herrn verdeutlichen uns, was Gott der Herr meint, wenn Er sagt: „Liebe will Ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer“ (Hos. 6: 6; s. auch Mt. 9: 13 und 12: 7). Die neun waren ja gerade unterwegs, um die Norm zu erfüllen, das gesetzlich vorgeschriebene Opfer darzubringen und vom Priester für rein erklärt zu werden. Diese Gesetzestreue ist Gott jedoch zuwider, wenn sie nicht von reinem Herzen kommt (s. Jes. 1: 10-17). Auch der vom Aussatz geheilte Samariter kannte das Gesetz, denn die Samariter lebten ebenso nach dem Gesetz Mose und hatten ihre eigenen Priester und Leviten, die freilich nicht in Jerusalem, sondern in Sichem ihren Dienst verrichteten (s. Joh. 4: 20). Womöglich war er gerade auf dem Weg zu ihnen jenseits der Grenze. Doch als er merkte, dass er rein war, kehrte er um und dankte Gott. Das war kein „Dienst nach Vorschrift“. Er bekannte, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, denn keiner ist umgekehrt, „um Gott zu ehren, außer diesem Fremden“. Durch sein aus der Tiefe des Herzens kommendes Verhalten wird der Geheilte nicht zum Übertreter des Gesetzes, nein, er erfüllt auf doppelte Weise den Willen des Herrn, der da lautet: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer; Gotteserkenntnis statt Brandopfer“.
Es ist unschwer zu erkennen, dass hier eine gewisse Parallele zu unserem Mysterium der Beichte offensichtlich ist. Allzuoft glauben wir, durch „gesetzlich vorgeschriebene Opfer“ - drei Tage Fasten, Lesen von drei Kanones plus Akathistos, obligatorische Beichte etc. - von der Unreinheit der Seele geheilt zu werden. Auch wenn all diese Dinge sicherlich nicht verkehrt sind, können sie nicht das ersetzen, worauf es Gott wirklich ankommt: „Erschaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist!“ (Ps. 50: 12). Wenn unsere vorgelebte Frömmigkeit demnach nicht aus Liebe zu Gott geschieht, sondern nur als „business as usual“ praktiziert, wird Er uns sagen: „Eure Brandopfer gefallen mir nicht, eure Schlachtopfer sind mir nicht angenehm“ (Jer. 6: 20). Und ich glaube, Er hat es dem russischen Volk Anfang des letzten Jahrhunderts schon einmal zu verstehen gegeben. Deshalb wären wir gut beraten, den bereits durchlittenen Irrtümern unserer Geschichte nicht erneut zu verfallen.
Mir zeigt die uns heute angebotene Erzählung aus dem Lukasevangelium auch – und dass ist ja das eigentliche Thema – was Dank und Undank bedeuten. Diese Welt wird, sofern wir etwas gutes tun, dieses unterm Strich nicht mit Dank vergelten. Im Gegenteil! Es heißt ja nicht umsonst: „Undank ist der Welt Lohn“. Deshalb sagt man uns: „Lebt hier und jetzt! Fürs Sterben ist noch genug Zeit.“ Zugegeben, das klingt verlockend, für den einen oder anderen irgendwo auch vernünftig. Nur, das Problem dieser in der absoluten Mehrheit befindlichen Leute ist, dass sie tatsächlich dann so leben, als ob es nie ein Sterben gäbe. Und das ist absurd.
Das äußert sich auch dadurch, dass die meisten Menschen, wenn sie dann doch an die Endlichkeit des irdischen Daseins erinnert werden, sich wünschen, irgendwann abends zu Bett zu gehen und morgens nicht mehr aufzuwachen.
Unsere gläubigen Vorfahren waren da anders. Sie standen auch mitten im Leben, genossen jeden Augenblick, dankten Gott für Freud und Leid, kümmerten sich vor allem durch Erziehung guter christlicher Kinder um die Nachwelt. Sie wünschten sich eine kurze Krankheit vor dem Tod, um sich auf den Übergang in das ewige Leben mithilfe der Mysterien der Kirche vorbereiten zu können. Und wer so gelebt hat, als ob der heutige Tag schon der letzte sein könnte, dem wurde diese Gnade dann auch zuteil. Die entsprechende Fürbitte in der Großen Ektenie spricht da eine eindeutige Sprache.
Deshalb wollen wir uns auf den Dank der kommenden Welt fokussieren. Das Mysterium, das uns in dieser Welt das kommende Äon vorkosten lässt, nennen wir nicht umsonst Eucharistie (gr. Danksagung). Wer mit reinem Herzen und ungeheuchelten Glauben an der Darbringung des Unblutigen Opfers teilnimmt, der erweist sich Gott gegenüber in höchstem Maße dankbar. Denn wenn wir des allerreinsten Leibes und des kostbaren Blutes Christi auf würdige Weise teilhaftig werden, ist Christus für uns nicht umsonst gestorben. Darüber sollten vor allem jene nachdenken, die nur dann zur Kirche kommen, wenn die z.B. Große Wasserweihe stattfindet oder wenn die Osterspreisen geweiht werden. Aber auch die, welche die regelmäßige Beichte und Kommunion bloß als „Pflichtübung“ verstehen.
Amen.