Predigt zum 25. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 4: 1-6; Lk. 18: 18-27) (15.12.2013)
Liebe Brüder und Schwestern,
die an den Herrn in der heutigen Lesung gerichtete Frage eines der „führenden Männer“: „Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Lk. 18: 18) bringt uns gleichsam in medias res zur Auseinandersetzung mit der Frage aller Fragen, nämlich der nach der Erlangung des ewigen Lebens. Diese Auseinandersetzung beschäftigt uns ganz besonders während des 40-tägigen vorweihnachtlichen Fastens, das ja in der dunklen Jahreszeit mit den unbeweglichen Gedenktagen zu Ehren der alttestamentlichen Propheten - heute feiern wir z.B. das Gedächtnis des hl. Propheten Habakuk – an die Zeit der Finsternis in Erwartung der Ankunft des Messias erinnert. Diese „dunkle Nacht“ wurde vor der Geburt Christi durch das Gesetz und die Propheten „erhellt“. Auf das Gesetz beruft sich zunächst auch der Herr, als Er dem Fragesteller den Weg des Heils aufzeigt: „Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, ehre deinen Vater und deine Mutter“ (18: 29-31).
Aber ist das nicht lediglich so etwas wie die absolute Mindestanforderung, das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen, ohne das man auch heute noch in zivilisierten Kreisen kaum als salonfähig angesehen werden kann?! - So scheint es auch der Mann zu empfinden, denn er entgegnet dem Herrn: „All diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt“ (18: 21), will sagen: „Was kommst Du mir mit diesem Kinderkram?! Du bist doch nicht gekommen, uns das zu sagen, was wir auch ohne Dich schon wissen.“
Und vom formalistischen Standpunkt aus betrachtet hat der Mann vollkommen recht.
Doch seine zwischen den Zeilen stehende Aussage greift der Herr alsbald auf und sagt: „Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge Mir nach!“ (18: 22) Mit anderen Worten: „Wenn es dir, so wie es deine Frage vermuten lässt, wirklich primär um das Seelenheil geht, dann trenne dich von allem, was dich daran hindert, ein Leben nur noch für Gott und einzig zur Erlangung des Himmelreichs zu führen!“
Deshalb also diese Probe aufs Exempel: „Wie ehrlich war deine Frage gemeint? Als reicher und angesehener Mann hast du ein vitales Interesse daran, ewig lang zu leben, aber welches Leben meintest du bei deiner Frage? - Vielleicht so ein Leben, wie es der reiche Mann führte, vor dessen Haustür der Bettler Lazarus ein trostloses Dasein fristete (s. Lk. 16: 19-31)? So gesehen ist ewiges Leben nicht gleich ewiges Leben“. Und als der Mann sich betrübt abwendet, sagt der Herr: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (18: 24-25).
An einer anderen Stelle sagt der Herr ebenso: „Niemand kann zwei Herren dienen: (…) Gott und dem Mammon“ (Mt. 6: 24; vgl. Lk. 16: 13).
Später verfällt sogar das gesamte Volk auf noch verhängnisvollere Weise diesem Irrwahn, als es den Messias zwar als solchen erkennt, Ihn aber für irdische Zecke missbrauchen will...
Aber Gott sehnt sich weiter nach der Umkehr des Menschen, den Er nach den Engeln erschuf, um Sich mit ihm zusammen an Seiner Herrlichkeit zu erfreuen. Regeln und Vorschriften dienen hierbei als Orientierung.
Gott kann man demnach nicht „nach Vorschrift“ lieben; überhaupt kann die Liebe niemals Bestandteil von vertraglichen Vereinbarungen sein. Wenn die Liebe jedoch einmal da ist, bestimmt sie das weitere Handeln.
Ein Student in Hamburg, dessen Verlobte in München lebt, wird doch jedes freie Wochenende seine letzten Groschen für ein „Weekend-Ticket“ zusammenkratzen, die ganze Nacht mit Regionalzügen fahren, fünfmal umsteigen, nur um mit ihr vielleicht zwei Stunden im Englischen Garten spazieren zu gehen und anschließend einen Cappuccino zu trinken, bevor es auf gleichem Wege zurück nach Hamburg geht. Und wenn er dann mitten im Prüfungsstress ist oder an Wochenenden zur Finanzierung seines Studiums jobben muss, wird sie dafür Verständnis zeigen, denn auch dann wird er jede freie Minute zum Telefonhörer greifen und fragen, wie es ihr geht. Wenn er hingegen Wochen- und Monate lang nichts von sich hören lässt, wird sie sich aber so ihre Gedanken machen...
Und so ist es, wenn jemand Gott liebt. Dann wird ihm kein Opfer zu groß, kein Weg zu anstrengend sein, um nur in Seiner Nähe sein zu können. In meiner Weimarer Gemeinde habe ich z.B. ein älteres Ehepaar aus Naumburg (das liegt in Sachsen-Anhalt, etwa 80 km von Weimar entfernt), das trotz häufiger altersbedingter gesundheitlicher Unpässlichkeit und sehr begrenzter finanzieller Möglichkeiten wirklich alles unternimmt, um an Sonn- und Feiertagen den Gottesdienst zu besuchen und an der Heiligen Kommunion teilzunehmen. Würde ihnen jemand einen sagenhaften materiellen Reichtum, ewige Jugend und blendende Gesundheit bei gleichzeitigem Verzicht auf die Gottesdienste inklusive beschwerliche Anreise versprechen, - sie würden wohl nicht eine Sekunde darüber nachdenken, was ihnen lieber wäre. Sie sind trotzdem keine Heiligen, sie haben, wie wir alle, ihre Fehler und Schwächen. Liebe bedeutet doch gerade, dass man einander so akzeptiert, wie man ist. Man kann einen Menschen nicht nur wegen seiner positiven Eigenschaften lieben, und gleichzeitig die negativen ignorieren; man kann einen Menschen nur „als Ganzes“ lieben. Und so liebt Gott, Der Selbst Liebe ist, den Menschen, natürlich, trotz seiner Unzulänglichkeiten und Verfehlungen. Er sehnt Sich sogar nach dessen Liebe.
Eine Frau, die ihren Ehemann liebt, kann wohl beinahe alle seine Schwächen ertragen: schlechte Manieren, Zügellosigkeit, Unberechenbarkeit – bis hin zu physischer Grobheit; nur eines ist für sie unerträglich: wenn ihre Liebe nicht erwidert wird. Da hilft es ihr auch nichts, wenn er sich ihr gegenüber korrekt und respektvoll verhält, ihr Blumen zum Geburtstag schenkt, sie zum Hochzeitstag ins Restaurant ausführt und überhaupt nach außen hin ein nahezu perfekter Mensch ist – aber sie nicht liebt. Sie wird vielleicht versuchen, sich nichts anmerken zu lassen, doch im stillen Kämmerlein wird sie dann ungehemmt vor sich hin weinen.
So erwartet auch Gott keine Höchstleistungen von uns. „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer“ (Hos. 6: 6; vgl. Mt. 9: 13; 12: 7).
Das Problem in der Russischen Kirche ist die immer noch weit verbreitete Praxis, sich erst durch mehrtägiges Fasten und Befolgen einer bestimmten obligatorischen Gebetsregel (drei Kanones, + Akathistos, dazu die eigentliche Vorbereitungsregel zum Empfang der Heiligen Gaben) der Heiligen Kommunion „würdig zu erweisen“. Eine völlig untergeordnete Rolle spielt bei solch einer Verlagerung der Schwerpunkte, ob der auf diese Weise „würdig“ Gewordene mit allen seinen Mitmenschen in Frieden lebt, ob er alle um Vergebung für seine Ausraster gebeten bzw. ob er denn selbst allen von Herzen verziehen hat. Und manchmal beobachten wir auch das andere Extrem: jemand kommt jahrelang nicht zur Kommunion, weil er sich „unwürdig“ fühlt, da ihm bei der buchstabengetreuen pflichtgemäßen Erfüllung der o.g. Regeln „immer etwas dazwischen kommt“. In beiden Fällen gibt es jedenfalls einen, der sich vor Freude die Hände reibt.
Auf jeden Fall sollte uns die heutige Begebenheit aus dem Lukas-Evangelium Anlass bieten, uns selbst darüber klar zu werden, an welcher Stelle unserer persönlichen Wertigkeits-Skala die Liebe zu Christus steht: steht Gott für uns an erster, an zweiter, an 15., 37. oder 89. Stelle dieser Rangliste?.. Ein ganz besonderes Barometer für diese Liebe ist die Art und Weise, wie wir uns auf das Fest der Geburt Christi vorbereiten. Und so wünsche ich uns allen, dass wir an dieser heiligen Nacht mit unseren geistigen Ohren den Gesang der Engel hören: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Frieden bei den Menschen Seiner Gnade“ (Lk. 2: 14). Amen.